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Protokolliert von der Bewegung des 21. Dezember
Am 5. 12. 01 stellte Ernst Klee auf Einladung der Volkshochschule Konstanz-Singen sein neuestes Buch vor, in dem der Medizin- und Psychiatriehistoriker und freie Publizist seine langjährigen Recherchen über die Rolle der Medizin im Nationalsozialismus veröffentlichte.
Er untersuchte die Verstrickung der naturwissenschaftlichen Elite in die faschistische Vernichtungspolitik, deren finanzielle und personelle Förderung durch verschiedene Wissenschaftsgremien wie die DFG und die Max-Planck-Institute und die individuellen Karrieren einzelner Ärzte.
Dabei stellt er fest, dass die nationalsozialistischen Täter nahtlos in das Gesundheitswesen der BRD integriert wurden, ihnen keine unangenehmen Fragen zu ihrer Tätigkeit vor 1945 gestellt wurden und die meisten ungehindert von den Verbrechen ihrer Vergangenheit Karriere im Nachkriegsdeutschland machen konnten. Ernst Klee betonte, dass es in den von ihm analysierten Ärztebiographien (immerhin über 750 Personen) keine Anzeichen von äußerem Zwang gab, sondern sich die jeweiligen Mediziner bewusst und eigenverantwortlich in den Dienst das Naziregimes stellten.
Im ersten Teil der Veranstaltung skizzierte Klee anhand ausgewählter Einzelbiographien diejenigen Gebiete, auf denen Ärzte in die Verbrechen der Nationalsozialismus eingebunden waren.
So waren Mediziner maßgeblich an der Ausarbeitung und Durchführung der Euthanasieprogramme beteilig, die unzähligen Menschen in Pflegeeinrichtungen und in der Psychiatrie das Leben kosteten. In Pflegeheimen und psychiatrischen Einrichtungen ging es nach 1933 längst nicht mehr um Heilung und Therapie der PatientInnen.
Klee wies darauf hin, dass es keineswegs Ärzte und MitarbeiterInnen der Anstalten waren, die ein Ende der Morde durchsetzen konnten, wie es heute fälschlicherweise häufig behauptet wird, sondern allein von den Angehörigen der Patienten ein vorzeitiger Abbruch des Euthanasieprogramms durchgesetzt werden konnte. Klee zufolge wurden daraufhin weiterhin Menschen ermordet, indem sie Ärzte und Krankenschwestern bewusst und absichtlich verhungern und verwahrlosen ließen. Darüber hinaus gab es etliche Mediziner, die in Laboratorien der KZs an Menschen forschten. Klee wies in seinem Vortrag darauf hin, dass jedes KZ mit einem medizinischen Labor ausgestattet war und entsprechendes Personal beschäftigte. Dort wurden etliche Menschen mit grausamen Versuchen malträtiert, bis sie an den Verletzungen und Schikanen starben. Es finden sich zahlreiche Belege, dass Menschen absichtlich getötet wurden, um ihren Körper nach dem Tod erforschen zu können.
Auch an den naturwissenschaftlichen Instituten deutscher Universitäten und ihnen zugerechneten Einrichtungen wurden grausame Versuche an Menschen begangen. Klee nannte z.B. die Universität Heidelberg, an der Prof. Schneider unter Mitarbeit seiner Assistenten und Doktoranden Kinder und Jugendliche aus der Jugendpsychiatrie Rheinberg töten ließ, um deren Gehirne zu sezieren und zu erforschen. Einer seiner Assistenten war Dr. Schmieder, Gründer der Schmieder -Kliniken Allensbach.
"Medizinische" Menschenversuche sind auch an ZwangsarbeiterInnen belegt.
In den KZs ebenso wie in den Ghettos und später in den besetzten Gebieten übernahmen Ärzte auch organisatorische Aufgaben. So stellten sie "Rassegutachten" und Gutachten über die Verwertbarkeit von Menschen aus und trugen mit ihren "Ernährungsplänen" dazu bei, dass Menschen in KZs und besetzen Gebieten ausgehungert wurden.
Daneben spielten Mediziner eine wichtige Rolle in der "Erforschung", Legitimierung und Durchführung sogen. "rassenhygienischer Maßnahmen". Die Sterilisationsprogramme "Rassenberatungen" und andere "eugenische" Maßnahmen entstanden ebenfalls unter der Federführung von Medizinern. In den Bethel - Heimen beispielsweise, einer evangelischen Pflegeheimgruppe, die in ganz Deutschland verbreit war, wurden so Klee, über 17000 Menschen zwangsweise sterilisiert.
Ernst Klee machte deutlich, dass die eliminatorische nationalsozialistische Rassenideologie gerade von Medizinern und Humangenetikern vermeintlich wissenschaftlich abgesichert und dadurch legitimiert wurde. An mehreren Stellen seines Vortrags wies er darauf hin, dass sich Forderungen nach Selektion und Elimination "minderwertiger Rassen" und "lebensunwertem Lebens" in fast allen humangenetischen Forschungsbeiträgen finden lassen. Dies verweise auf bereits in den 10er und 20er Jahren dominante Diskurse innerhalb der deutschen Ärzteschaft. Damit erscheinen viele der Gräueltaten und die unmenschliche Behandlung im Nationalsozialismus vorgedacht; das einzig und wesentlich Neue ist die Möglichkeit der Realisierung dieser Konzepte.
Im zweiten Teil seines Vortrags widmete sich Ernst Klee der Frage, inwieweit die menschenverachtenden Praktiken von Medizinern in der (wissenschaftlichen) Öffentlichkeit bekannt waren. Dazu untersuchte er die maßgeblichen zeitgenössischen wissenschaftlichen Publikationen und fand heraus, das die Mediziner ihre Untersuchungsergebnisse und Studien selbstverständlich veröffentlichten. Versuche an Menschen oder die Tatsache, dass die Untersuchung in Laboratorien von KZs entstanden waren, wurden offen erwähnt und waren demnach in der "Scientific community" bekannt und unwidersprochen akzeptiert. Etliche Mediziner, so Klee, machte gerade mit diesen Studien Karriere bzw. legten damit ihren Grundstein für den Aufstieg im Nachkriegsdeutschland.
Auch die Deutsche Forschungsgesellschaft (DFG), die wichtigstes Koordinatorin und Geldgeberin der naturwissenschaftlichen Forschung, sowie die Max Planck Gesellschaft, die außeruniversitäre Großforschungsanlagen finanzierte und betreute, waren über Versuche an Menschen informiert. Innerhalb der DFG gab es zwei Förderungsschwerpunkte: Dies war die sogen. "Ostkunde" und die Humangenetik. Damit unterstütze die DFG wissentlich und vorrangig menschenverachtende und zudem meist wissenschaftlich unhaltbare Projekte. Das Leid und der Tod von zahllosen Menschen wurden billigend in Kauf genommen.
Bis heute hat die DFG nur halbherzig ihre Mitschuld an nationalsozialistischen Verbrechen aufgearbeitet, bis heute gab es keine öffentlichen Entschuldigung bei den Opfern und keine Entschädigung der Opfer bzw. ihrer Angehörigen.
Auch bei den Max-Planck-Instituten warten die Opfer bis heute vergeblich auf ein Schuldeingeständnis.
Im dritten Teil schließlich setzte sich Ernst Klee dem Aufbau des Gesundheitswesen der BRD nach 1945 auseinander. Dabei konnte er herausarbeiten, dass die medizinischen Eliten vor und nach 1945 identisch geblieben sind. Viele Täter konnten ungestört im Nachkriegsdeutschland Karriere machen. Eine öffentliche grundsätzliche Auseinandersetzung mit den von Medizinern verübten Verbrechen während des Nationalsozialismus fand zu keinem Zeitpunkt statt. Wenn einzelne Ärzte mit ihre Rolle im dritten Reich konfrontiert wurden, betonten sie immer wieder, selbst Opfer des Nationalsozialismus zu sein. Damit wurden, so Klee, die echten Opfer weiterhin verhöhnt, für deren Geschichte und Belange sich nur wenige interessierte.
Deutsche Medizin im Dritten Reich. Karrieren vor und nach 1945. von Ernst Klee. DM 48,90, Gebundene Ausgabe - 416 Seiten - S. Fischer, Ffm. ISBN: 3100393104 |
Der Name des Journalisten Ernst Klee steht für die Aufdeckung von Medizinverbrechen im "Dritten Reich". Seit 20 Jahren veröffentlicht der vielfach ausgezeichnete Autor medizinhistorische Arbeiten zu diesem Thema. Sein jüngstes Werk "Deutsche Medizin im Dritten Reich. Karrieren vor und nach 1945" stellt er morgen, Mittwoch, auf Einladung der Volkshochschule in Konstanz vor. Lesung mit anschließender Diskussion finden ab 19.30 Uhr im Astoria Saal, Eingang Katzgasse, statt.
Welche Kapitel ihres 416-seitigen Werkes, welche Namen aus der 750 Personen umfassenden Liste werden Sie in Konstanz vorstellen?
Nur soviel sei gesagt, ich werde auf die örtliche Situation eingehen. In Konstanz muss ich auch die Rolle des Hirnforschers Professor Friedrich-Georg Schmieder während des Nationalsozialmus ansprechen.
Zwischen 1933 und 1945 starben in deutschen Psychiatrien mehr als 100000 Menschen. Allein in der Psychiatrie Reichenau mussten 508 Frauen und Männer ihr Leben lassen. Sind Medizinverbrechen in der Nazi-Zeit mit Psychiatrie gleich zu setzen?
Nein. Psychiatrie ist aber ein besonders schlimmer Teil der Medizin in der Zeit des Nationalsozialismus. Psychiatrie war ein mörderisches Fach. Doch auch die anderen Disziplinen waren erfasst. Beispielsweise Fächer, von denen man es gar nicht annehmen würde wie Röntgenologie. Hier wurden Menschen auf Infektion mit Tuberkulosebakterien untersucht mit dem einzigen Ziel, sie deswegen umzubringen.
Sie recherchieren und veröffentlichen seit zwei Jahrzehnten diesen Aspekt der Medizingeschichte im Dritten Reich. Was bewegt Sie?
Kein persönliches Erlebnis. Es ist Neugier sowie Ärger und Wut, dass nach dem Krieg die Täter der Wissenschaftselite geehrt und hofiert wurden. Ihre Opfer wurden aber nicht einmal als Opfer des NS-Unrechts anerkannt.
Eugeniker um die Jahrhundertwende stellten in Deutschland und anderen Ländern Europas die Frage nach unwertem Leben. Daraus ist die Rassenhygiene der Nationalsozialisten entstanden. Gibt es nach Ihrer Einschätzung in der heutige Diskussion um Wunschkinder nach Maß und pränatale Diagnostik eine Parallele?
In der NS-Zeit ist die Humangenetik entstanden, so hat der KZ-Arzt Mengele bereits in Auschwitz genetische Experimente gemacht. Die damalige Medizin hat den Menschen auf sein Erbgut festgelegt. Sie waren der Meinung, Armut sei beispielsweise genetisch bedingt. In dieser Zeit ist das Züchtungsdenken entstanden. Doch das geht so nicht auf, der Mensch ist ein soziales Wesen. Ich habe viele behinderte Freunde und fordere deshalb, gleiche Lebensbedingungen für alle Menschen. Lebensunwertes Leben gibt es nicht.
Ihre Bücher haben stets heftige Reaktionen ausgelöst. Gibt es bereits Klageandrohungen für ihr neuestes, seit September erhältliches Buch?
Klageandrohungen hat es immer gegeben. Doch geklagt hat bislang keiner. Da wird auch nichts kommen. Denn meine Recherchen haben immer gestimmt.
Interviewerin: Inge König
Folgende Fakten wurden einem Artikel der Antifaschistischen Initiative Heidelberg entnommen:
Friedrich Schmieder war im Dritten Reich Assistent des Euthanasiearztes Prof. Carl Schneider in Heidelberg und hatte sich 1944 bei bei ihm habilitiert. Das NSDAP-Mitglied Carl Schneider war seit 1933 ordentlicher Professor an der Universität Heidelberg, Direktor der psychiatrischen Klinik, später auch Leiter des "Rassepolitischen Amtes in Heidelberg" und Mitarbeiter des SD (Sicherheitsdienst der SS) sowie Euthanasie-Obergutachter. Schneider war einer der führenden Täter und "wissenschaftlichen Nutznießer" der Euthanasieaktion "T4".*) Für seine "Forschung" forderte er regelmäßig Gehirne ermordeter Kranker an. Teilweise wurden die Mordopfer bereits mit seinen Sezierungsanweisungen in die Mordanstalten geschickt. Carl Schneider arbeitete 1942 einer Aktennotiz zufolge an einer „Absterbeordnung für Idioten“, seine Assistenten Dr. Schmieder, Dr. Rauch und Dr. Wendt, standen unter der Rubrik „Forschung Heidelberg“ auf der Gehaltsliste der „Euthanasie-Zentrale“. Prof. Schmieder erhielt 1979 das Bundesverdienstkreuz erster Klasse.
*)Aktion T 4 Tarnbezeichnung für die »Euthanasie« genannten Massenmorde an etwa 120000 Geisteskranken und Behinderten nach der Zentrale, die ab April 1940 in einer Villa in Berlin, Tiergartenstr. 4, (...) untergebracht war. [Digitale Bibliothek Band 25: Enzyklopädie des Nationalsozialismus, S. 877 (vgl. EdNS, S. 355) (c) Verlag Klett-Cotta]
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sw, 15.01.02