![]() |
admin |
![]() ![]() |
letzte Änderung: 07/03/03 14:43 |
![]() ![]() |
Asyl
Interview mit der bosnischen Rechtsanwältin Jasmina Prpic zur Situation in den beiden einzigen Roma-Lagern im Kosovo - Plemetina und Zitkovac
Stattzeitung: Was haben Sie in den beiden Roma-Lagern erlebt?
Prpic: In beiden Lagern herrschen menschenunwürdige Bedingungen, das Elend der rund 1000 dort lebenden Roma ist unbeschreiblich. Die Camps wurden im Sommer 1999 zum Schutz der Roma vor Verfolgung durch Kosovo-Albaner eingerichtet, seither leben die Menschen dort. Die Baracken sind alle bis auf den letzten Platz vollgestopft. Jede Familie, die im Durchschnitt sieben bis acht Kinder hat, bewohnt ein einziges Zimmer. Es gibt dort keinerlei Möbel. Nur ein Ofen gibt etwas Wärme. Die Menschen schlafen meistens auf dem Boden, selbst alte Menschen und schwangere Frauen. Stromleitungen laufen offen durch die Baracken; es besteht eine hohe Unfallgefahr. Kaltes Wasser gibt es nur draußen im Hof, warmes Wasser überhaupt nicht. Die Toiletten stinken erbärmlich. Überall haben sich Wasserlachen gebildet, liegt Abfall und Müll herum. Das unaufhörliche Summen der Hochspannungsleitungen, die über dem gesamten Lager verlaufen, lässt die Luft vibrieren..
SZ: Welche Unterstützung bekommen die Roma von der UN-Übergangsverwaltung UNMIK?
Prpic: Die Familien erhalten je nach Größe monatlich 32 bzw. 64 Euro Sozialhilfe. Da die Lebensmittelpreise im Kosovo jedoch fast so hoch sind wie in Deutschland, kann eine Familie von dem Geld nicht leben. Alle Lagerbewohner sind arbeitslos, ohne Ausnahme. Denn bereits unter den Kosovo-Albanern liegt die Arbeitslosenquote bei 80 Prozent. In dieser Umgebung haben Roma keine Chance, einen Job zu finden. Die Unterernährung und katastrophalen hygienischen Bedingungen fördert auch die Verbreitung von Krankheiten. Ich vermute, dass alle Menschen, die in den Lagern leben, krank sind.
SZ:Werden die Flüchtlinge ärztlich betreut?
Prpic: Im Lager Plemetina wurde mir erzählt, dass einmal pro Woche eine Arzt kommt. Da er jedoch keinerlei Arzneimittel hat, ist sein Besuch ziemlich nutzlos. Im UNHCR-Büro in Prishtina wurde mir gesagt, dass die internationalen Aufbauprogramme zum allergrößten Teil an den im Kosovo lebenden Minderheiten, den Roma, Ashkali und Bosniaken, vorbeigehen
SZ: Können die Roma nicht einfach ihr Lager verlassen und woanders unterkommen?
Prpic: Die Roma haben außerhalb der Lager keinerlei Lebensperspektive. Sie sind eine entrechtete Minderheit und Flüchtlinge im eigenen Land. Innerhalb von drei Jahren haben gerade einmal zehn Familien das Lager Plementina verlassen und konnten in ihre alte Häuser zurückkehren. In einigen Gebieten im Kosovo besteht für die Roma Gefahr für Leib und Leben. Das ist in den Nachbarregionen nicht anders. Dort leben Roma, die aus dem Kosovo geflohen sind, ebenfalls in Lagern, etwa in Bujanovac in Südserbien, Dare Bombul in Mazedonien und Podgorica in Montenegro.
SZ: Dennoch wollen die deutschen Innenminister die Kosovo-Flüchtlinge möglichst schnell abschieben. Was würde sie in dem UN-Protektorat erwarten?
Prpic: Die Innenminister kennen aufgrund der Lageberichte der UNMIK und des UNHCR die Situation im Kosovo sehr genau, dennoch haben sie Anfang Dezember in Bremen beschlossen, dass Roma und andere Minderheiten aus dem Kosovo in ihre zerstörte Heimat zurück kehren müssen. Für Minderheitenangehörige ist die Situation jedoch lebensgefährlich. Die Kosovo-Albaner halten die geflüchteten Roma für Verbündete der Serben, und sie sind aufgrund ihrer etwas dunkleren Hautfarbe leicht zu identifizieren. Es ist bereits ein Risiko, auf offener Straße serbo-kroatisch zu sprechen, selbst wenn man, wie ich, Bosnierin ist. Doch auch dort, wo die politische Gefahr für Minderheitenangehörigen geringer ist, besteht Lebensgefahr. Denn wie soll man es sonst nennen, wenn eine Familie kein Dach über dem Kopf hat, wenn sie nichts zu essen hat, wenn die Kinder nicht zur Schule gehen können? Eine zusätzliche Belastung durch den Zustrom von Bürgerkriegsflüchtlingen aus westeuropäischen Ländern ist dort auf keinen Fall verkraftbar und würde den brüchigen Frieden noch brüchiger, die menschenunwürdige Situation noch unerträglicher machen. Es ist schon reichlich zynisch, wenn die Innenminister die Betroffenen zur "freiwilligen Rückkehr" auffordern.
Fragen: Martin Höxtermann
Stattzeitung, 5.3.2003
![]() |
![]() |