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Startseite Zurück | letzte Änderung: 03/02/07 11:56 |
Aber allein schon dieser Ankündigungstext ist mies: Heuschrecken-Metaphern dienen als Analyseersatz für den Kapitalismus der nur in den USA sein zu Hause zu haben scheint. Die Heuschrecken-Metapher erinnert fatal an die berüchtigte Ausgabe der Mitgliederzeitschrift der IG-Metall "metall" von Mai 2005, in der blutsaugende US-Firmen über die rauchenden Schlote der guten deutschen Fabriken ("blühende Volkswirtschaften") herfallen.
Statt sich die Mühe zu machen, den Kapitalismus hier zu analysieren oder wenigstens die Herrschaftsform der bürgerlichen Demokratie von der des Faschismus zu unterscheiden, wird letzerer mit ersterer pseudoradikal in einen Topf gerührt. Und die Gefahr nur noch im Ausland verortet.
Kapitalismus wird so reduziert auf ein Zerrbild desselben: "die multinationalen Finanzmärkte und die globalen Finanzmärkte" (Elsässer 2006). Die Ausbeutung der ArbeiterInnen in der Produktion über die Abschöpfung des Mehrwerts wird kleingeredet und relativiert, während die Zirkulationssphäre ohne die Produktionssphäre auszukommen scheint. Dieser Begriff eines Kapitalismus ist nur noch eine Haaresbreite entfernt von der kruden Rede vom "schaffenden" (d.h. gutem) und "raffendem" (d.h. schlechten, gar jüdischen) Kapital wie es Silvio Gesell und Schlimmere uns vorgemacht haben.
Jemand, der den historischen Materialismus ebenso wie die internationalistische Forderung des "Grenzen auf für alle" über Bord geworfen hat und sogar beim "Verein für psychologische Menschenkenntnis" (Psychosekte mit Sitz in der Schweiz) Vorträge hält, braucht von uns nicht mehr auf ein Podium gesetzt zu werden. Die kritische Auseinandersetzung mit seinen Thesen ist jedoch wichtiger denn je.
Die Unterscheidung zwischen "Heuschrecken", die der deutschen "blühenden Volkswirtschaft" das "Blut aussaugen" , und eben jener Volkswirtschaft, die vom "bodenständigen" deutschen Unternehmer geprägt ist, wiederholt die Unterscheidung zwischen "schaffendem" (guten) und "raffendem" (bösen) Kapital, die die Grundlagen der nationalsozialistischen Pseudokritik am "System" war und ist.
Die "einzig verbliebene Supermacht" Amerika als "das Imperium" zu bezeichnen, das schuld an der Misere ist, verkürzt die realen globalen ökonomischen Verhältnisse auf platten Antiamerikanismus, der in seiner Struktur dem Antisemitismus gleicht (s. Doron Rabinovici, Ulrich Speck, Natan Sznaider: "Neuer Antisemitismus? Eine globale Debatte", suhrkamp 2004). Was ist denn mit der Abschottung der europäischen Aussengrenzen gegen MigrantInnen, die Tausende Opfer jährlich fordert? Jürgen Elsässer heisst sie gut und schreibt, "dass nun endlich Schluss sein müsse mit neuer Zuwanderung, da diese vom Kapital zur Lohndrückerei organisiert werde"
Was ist mit dem Verhalten Frankreichs in Afrika, das immer wieder Einsatztrupps schickt, um Diktaturen militärisch zu unterstützen, die für französische Firmen nützlich sind? Und was ist mit dem völkerrechtswidrigen Krieg der Europäer - und speziell Deutschlands unter seinem friedensbewegten Aussenminister - im Kosovo? Was ist mit der "progressiven Regierung in Peking", von Elsässer als "Gegenmodell" hochgelobt, weil sie sich dem Neoliberalismus widersetze, die tatsächlich weite Teile der Landbevölkerung als Wanderarbeiter ausbeutet und sich in Afrika alle Rohstoffe unter den Nagel reisst, die sie finden kann, während sie gleichzeitig versucht, den vielversprechenden afrikanischen Telekommunikationsmarkt unter ihre Kontrolle zu bringen?
Eine verkürzte Kapitalismuskritik, die sich nur gegen das "Finanzkapital" wendet und glaubt, die reale Ausbeutung der Arbeiter im Betrieb (Ausbeutung im Sinne von Marx verstanden, als Abschöpfung des Mehrwerts mit Hilfe der Ware Arbeitskraft, keineswegs als moralische Kategorie!), mit ein bisschen Soziallstaat, sei eine erstrebenswerte Utopie, ist reaktionär und bietet alle möglichen Anschlusspunkte für (neo-)faschistisches Gedankengut.
GlobalisierungskritikerInnen verwenden gern Symbole. Seien es dreidimensionale Figuren an Demos und Aktionen oder Metaphern in Texten. Doch viele dieser Symbole sind problematisch: Sie haben einen antisemitischen Hintergrund. Vielen AktivistInnen ist das nicht bewusst. Mit diesem Text wollen wir das Bewusstsein für antisemitische Bilder und Metaphern schärfen.
Die Grundlage des „modernen Antisemitismus“ bildet der christliche Antijudaismus, die religiös begründete Judenfeindschaft. Kaum ein Antisemit, selbst wenn er antichristlich ist, verzichtet auf den Gebrauch derartiger antijüdischer Klischees. In diesen Bildern und Metaphern erscheinen Jüdinnen und Juden als dämonische Kreaturen mit krummen Beinen und Hakennase, als Schweine und andere Tiere. Sie vergiften Brunnen und trinken das Blut kleiner Kinder. Diese Bilder leben in heutigen antisemitischen Darstellungen weiter. Im 19. Jahrhundert entstand der moderne, „verwissenschaftlichte“ Antisemitismus, der die Grundlage für die Rassenpolitik der Nazis bildete.
Beispiele für problematische Symbole
Tiervergleiche/Entmenschlichung
Ob Zecke oder Ratte – GegnerInnen und Minderheiten als Tiere darzustellen, war und ist nicht nur bei den Nazis eine beliebte Strategie. Entmenschlichung von Menschengruppen soll ein brutales Vorgehen gegen diese rechtfertigen. Vorsicht auch mit
(Kapitalisten-)Schweinen: Die „Judensau“ ist ein altes antisemitisches Symbol in verschiedenen Kulturen.
Parasiten, Krankheiten, Blutsauger
„Sie saugen unser Blut und übertragen Krankheiten“, stand vor vier Jahren auf einem Anti-WEF-Transparent. Das sind typische Nazi-Metaphern. Die Nazis bezeichneten Jüdinnen und Juden als „Parasiten am arischen Volkskörper“. Die problematischen Parasitenmetaphern sind heute auf „beiden Seiten“ beliebt: zur Diffamierung von Erwerbslosen, IV-BezügerInnen usw., aber auch gegen (oft ausländische) „Abzockerfirmen“ und „Finanzhaie“, die einheimische Firmen aufkaufen und anständige Erwerbstätige aussaugen (siehe auch „Das böse Finanzkapital“)
Mittelalterlichen Ursprungs ist die Darstellung von Jüdinnen und Juden als Blutsauger und Vampire. Sie geht auf Schauermärchen zurück, denen zufolge Juden am Pessach-Fest das Blut christlicher Kinder zu rituellen Zwecken konsumierten. Dieses Motiv taucht noch heute in Karikaturen auf, in denen beispielsweise der ehemalige israelische Premierminister Ariel Sharon das Blut palästinensischer Kinder trinkt. Und israelische Soldaten werden auffallend oft als Kindermörder dargestellt.
Verschwörungstheorien
Wenn an allem Übel dieser Welt ein paar mächtige Männer (seltener Frauen) schuld sein sollen, ist das nicht nur arg vereinfacht, sondern gerät oft auch in gefährliche Nähe der Theorien von der „jüdischen Weltverschwörung“. Schon im Mittelalter gab es Anschuldigungen, die Juden seien u.a. für die Pest verantwortlich. Im 19. Jahrhundert bastelten rechte Kreise eine Neuauflage: Die Juden hätten Pläne, die Weltherrschaft an sich zu reissen. Als Beweis sollten die „Protokolle der Weisen von Zion“ dienen, die wahrscheinlich von der zaristischen Geheimpolizei im 19. Jahrhundert geschrieben wurden.
Eine Kapitalismuskritik, die sich darauf beschränkt, mit dem Finger auf „die da oben“ zu zeigen, lässt die Strukturen unangetastet. Der Kapitalismus durchdringt alle Bereiche unseres Lebens, und wir alle tragen zu seinem Fortbestehen bei. Natürlich dürfen Mächtige kritisiert und denunziert werden. Aber der Kapitalismus ist ein System, keine Person.
Das böse Finanzkapital …
… ist an allem schuld. Es treibt die ehrlichen Unternehmer und anständigen Schweizer Angestellten in den Ruin. Diese Aufteilung in gutes, einheimisches, produktives Kapital und internationales, „heimatloses“ Finanzkapital ist das zentrale Merkmal für eine verkürzte Kapitalismuskritik, die auch Rechtsextreme unterschreiben können (Nazis und Gesinnungsgesellen sprachen von „schaffendem“ und „raffendem“ Kapital). Diese Argumentationen sind heute in globalisierungskritischen Kreisen sehr beliebt, obwohl sie ökonomisch nicht haltbar sind: Produktion und Finanzsektor sind im Kapitalismus nicht zu trennen.
Der Finanzsektor wird dabei offen oder unterschwellig mit dem Judentum gleichgesetzt. Früher waren viele Juden in Europa im Finanzsektor tätig, weil die christliche Mehrheit ihnen andere Berufe verbot. Der Handel mit Geld galt schon im Mittelalter als anrüchig und als ein Gegensatz zur „ehrlichen“ Arbeit.
Genau wie heute.
Zylinder, Zigarre und Nase
Im 19. Jahrhundert wurde der „dekadente Aufsteigerjude“ mit Zylinder, Zigarre und Gehrock als moderner säkularisierter Bürger und Kapitalist dargestellt. Durch seine angebliche Heimatlosigkeit ist er (noch) verantwortungsloser, dekadenter und ausbeuterischer als der christliche Kapitalist. Noch heute wird der Kapitalist gerne so dargestellt, obwohl heutige Kapitalisten ganz anders aussehen. Hält er dann noch im Hintergrund die Fäden in der Hand, spielt mit der Weltkugel oder hat eine etwas grössere Nase, sind die Parallelen zu antisemitischen Klischees offensichtlich.
Israel als Nazi-Staat
Ein weiteres antisemitisches Bild ist die Gleichsetzung der israelischen Politik mit den Gräueltaten Nazi-Deutschlands. So werden israelische Politiker mit Hitler, der Davidstern mit dem Hakenkreuz oder der Zionismus mit dem Nationalsozialismus verglichen. Diese Gleichsetzung verharmlost die Verbrechen der Nazis. Und sie vertuscht, dass der Antisemitismus in Europa und die Nazi-Verbrechen ein zentraler Faktor für die Gründung Israels war.
Quelle: http://www.indymedia.ch/de/2007/01/46043.shtml?c=on79411#comments
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