Quelle: Neues Nebelhorn 01/94 | |
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Zu mögen scheint das neue Gesetz eigentlich keineR. Es erzeugte hilflose Flüchtlinge, ratlose bis verzweifelte HelferInnen, gefeuerte SozialarbeiterInnen, gestreßte und überarbeitete LandkreismitarbeiterInnen und Überstunden für Polizeibeamte. Dabei, so hatten die PolitikerInnen versprochen, sollte doch alles besser werden mit dem neuen Gesetz. Jetzt versuchen immer mehr Landkreise, sich an dessen Bestimmungen vorbeizuhangeln, und Bundesländer wie Niedersachsen, Berlin und Hamburg haben Ausführungsbestimmungen erlassen, die mit dem Wortlaut des Gesetzes nur schwer in Einklang zu bringen sind.
Das Leistungsgesetz sieht im wesentlichen drei grundlegende Veränderungen vor: Die Leistungen an die Flüchtlinge wurden drastisch gekürzt (siehe dazu auch NNH 11/93), bis auf ein minimales Taschengeld sollen die Flüchtlinge mit pauschalen Sachleistungen abgefertigt Flüchtlinge wurde abgeschafft.
Das Land Berlin hatte sich schon frühzeitig entschlossen, bei der Auszahlung von Bargeld zu bleiben, nachdem die Sozialbehörden Mehrkosten von 3,5 Millionen vorhergesagt hatten Das Land Niedersachsen hat seinen Kommunen unter Verweis auf die "praxisferne Regelung" des Gesetzes und den möglichen "sozialen Zündstoff" die Abweichung vom Gesetzestext praktisch freigestellt, eine Möglichkeit, die von immer mehr Landkreisen ergriffen wird. Auch Hamburg will - bis auf die in Erstaufnahmeeinrichtungen untergebrachten Flüchtlinge weiterhin Bargeld auszahlen.
Dort, wo Länder solche Möglichkeiten nicht eröffnen, versuchen sich die Kommunen um die Ausführungsbestimmungen herumzumogeln Denn niemand bestreitet, daß die Neuregelung mehr Geld kosten wird als die Auszahlung von Bargeld. Die Sozialverwaltung im schwarz-rot-regierten Berlin nennt das Gesetz denn auch "nichts als ideologischen Wind" und den "größten Unsinn seit langem".
Der Landkreis Konstanz dagegen nimmt in Baden-Württemberg eine Vorreiterrolle ein und scheint damit drei Leitlinien zu verfolgen: Erstens soviel Geld wie möglich auszugeben, zweitens die Flüchtlinge so gut es geht zu diskriminieren und einzuschüchtern und drittens ihnen alle Unterstützung von außen zu rauben.
Eigentlich ist die Konstanzer Situation paradox. Die Arbeit des Arbeitskreises Asyl, der sich seit Jahren um die in Konstanz untergebrachten Flüchtlinge bemüht und ihre Anliegen unterstützt, hat eine Situation geschaffen, in der eine rationale öffentliche Diskussion über Flucht und Flüchtlingsbetreuung möglich wäre und den Bürgerinnen die Situation der Flüchtlinge nähergebracht werden könnte. Auch die Rechtsradikalen befinden sich in Konstanz in der Defensive, seit entschiedene Behinderungen ihnen jeden öffentlichen Auftritt vermasseln, und melden sich höchstens noch mit annonymen Morddrohungen zu Wort. Durch die Unterbringung der Sozialbetreuung in den Flüchtlingsunterkünften können Konflikte bereits im Vorfeld vermieden werden. Spannungen mit NachbarInnen sind meist belangloser Art und drehen sich vor allem um die Kinder, die aus Mangel an Spielzeug dem Ruhe- und Ordnungsbedürfnis mancher KonstanzerInnen in die Quere kommen.
Wer sich jedoch allen Bemühungen entgegenstellt, die Flüchtlinge in die Gesellschaft zu integrieren und Verständnis zu schaffen, sind die Stellen, die von offizieller Seite für die Flüchtlinge zuständig sind. Landrat Robert Maus (CDU) und sein Verwaltungschef Frank Hämmerle treten mit falschen Zahlen an die Öffentlichkeit, suchen nicht etwa die Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis Asyl, sondern behindern ihn, wo sie nur können, und denunzieren seine ehrenamtliche Arbeit in der Presse. Das Deutsche Rote Kreuz (DRK), das für die Sozialbetreuung der Flüchtlinge zuständig ist, hat seinen SozialbetreuerInnen verboten, sich gegenüber der Presse zu äußern. Kreisvorsitzender des DRK Konstanz ist denn auch der Landrat persönlich.
Anstatt den Flüchtlingen das Leben durch eine liberale Auslegung des Leistungsgesetzes leichter zu machen und gleichzeitig Aufwand und Kosten zu sparen, setzt das Landratsamt seine Politik der Ausgrenzung fort. Die Auszahlung des Taschengeldes erfolgte unter Einbestellung aller Flüchtlinge ins Landratsamt, die jedoch nur schubweise eingelassen wurden, während alle anderen in der Kälte frieren mußten, MitarbeiterInnen des Arbeitskreises Asyl wurde der Eintritt verwehrt, ein Konstanzer Journalist, der für RTL Filmaufnahmen machen sollte, wurde, da er für seine kritische Berichterstattung bekannt war, mit einer Anzeige wegen Landfriedensbruch bedroht, wenn er das Gelände nicht sofort verließe, während der Südkurier berichten durfte.
Die Kürzungen und die Umstellung auf Sachleistungen hat für die Flüchtlinge drastische Auswirkungen auf zwei Ebenen. Die Zuteilung von standardisierten Lebensmittelpaketen trifft die Flüchtlinge, da sie sie völlig entmündigt und individuelle Bedürfnisse, religiöse und kulturelle Unterschiede ignoriert. Zudem besteht für die Firma, die die Pakete zusammenstellt, ein Anreiz, minderwertige und wenig nahrhafte Lebensmittel zu verteilen, da sie an dem Unterschied zwischen dem Wert des Paketes und der vom Landkreis gezahlten Summe verdient. Der AK Asyl verweist dabei auf die Firma Rori in Engen, die "sich seit über zehn Jahren eine goldene Nase mit der Versorgung der Flüchtlinge in verschiedenen Sammelunterkünften in Baden-Würtemberg" verdiene.
Die Konstanzer Flüchtlinge hatten sich deshalb anläßlich der ersten Verteilung der Lebensmittelpakete entschlossen, diese zu boykottieren. Obwohl die Verwaltung versuchte, sie durch die Anwesenheit von Polizeibeamten und durch Drohungen einzuschüchtern, lehnte ein große Zahl von Flüchtlingen die Pakete ab. Das Landratsamt lobte zwar in einer halbseitigen Südkurieranzeige das neue System und seine Akzeptanz unter den Flüchtlingen, griff aber auch zu drakonischen Maßnahmen: Diejenigen lüchtlinge, die die Pakete nicht annahmen, wurden damit bestraft, daß ihnen kein Taschengeld ausgezahlt wurde. Diese Maßnahme ist rechtswidrig, da die beiden Leistungen in keinerlei Sachzusammenhang stehen, Dagegen wehren können sich die Flüchtling kaum. Anwälte können sie sich nicht leisten und ihre Einsprüche bleiben im Landratsamt wegen "Arbeitsüberlastung" bisher unbearbeitet liegen. Genauso erging es den Flüchtlingen, die die Pakete zwar annahmen, aber gegen die Sachleistungen Einspruch erhoben.
Als weitere Strategie versuchte das Landrratsamt, die Verantwortung für den Boykott denjenigen UnterstützerInnen in die Schuhe zu schieben, die seit Jahren selbstlos die in Konstanz untergebrachten Flüchtlinge unterstützen. Der AK Asyl erklärte dagegen, niemand könne "verantworten, einer Flüchtlingsfamilie die Ablehnung der verbliebenen Nahrungsmittel zu raten", solidarisierte sich jedoch mit dem Protest und will versuchen, ihn durch politische Initiativen zu unterstützen. Die MitarbeiterInnen des AK betonten, alle Erfahrungen sprächen gegen die häufig geäußerte Behauptung, daß bei der Zusammenstellung der Pakete auf die kulturelle, gesundheitlichen und kindgerechten Bedürfnisse Rücksicht genommen werde, Statt dessen würden die Waren häufig kurz vor Ablauf des Verfalldatums geliefert. "Vor allem werden die Flüchtlinge mit der Belieferung durch Essenspakete jedoch entmündigt und in ihrer Würde als selbständige Menschen verletzt."
Die Flüchtlinge erklärten ihren Protest vor allem damit, daß die Pakete ihren Ernährungsbedürfnissen nicht gerecht würden: "Alle die Menschen essen verschiedene Sachen. Wenn wir Großen das Essen, das ihr gebt, essen können, das können aber die Kinder nicht essen."
Deutlich schlimmer als die Essenspakete ist für die Flüchtlinge jedoch, daß ihnen monatlich nur noch ein Taschengeld von 80 Mark zur Verfügung stehen wird. Ist es schon schwierig, von diesem Geld Busfahrten, Schulbücher und Spielzeug für die Kinder sowie all jene Dinge zu bezahlen, die in den Lebensmittelpaketen nicht enthalten sind, so ist es für die Flüchtlinge damit jedoch völlig unmöglich geworden, sich einen Rechtsbeistand im Asylverfahren zu leisten. Selbst die Fahrt zu Anwälten, die trotz des Risikos, nie Geld für ihre Arbeit zu erhalten, bereit sind, einen Flüchtling zu vertreten, wird unbezahlbar.
Daß den Flüchtlingen damit jeder Rechtsschutz entzogen wird, schien die Verantwortlichen des Gesetzes wenig zu stören, auch wenn sie sonst so stolz auf unseren "Rechtsstaat" sind. Auch im Landratsamt wurde das nicht als Problem 'gesehen. Für jedes Land, erklärte es auf Anfrage, sei doch nur einmal ein Asylantrag zu erarbeiten, da brauche dann nur noch der Name ausgewechselt werden. Daß das Asylrecht jedoch ein Individualrecht ist und für die Gewährung von Asyl nur die individuelle Verfolgung Kriterium ist, zeigt nur zu deutlich, wie ernst im Landratsamt die rechtlichen Grundlagen genommen werden. Noch deutlicher werden die Absichten des Landratsamtes bei der Sozialbetreuung der Flüchtlinge. Im Asylbewerberleistungsgesetz selbst ist keinerlei Sozialbetreuung für Flüchtlinge mehr vorgesehen. In Baden-Württemberg haben sich Gemeinden, Landesregierung und die Wohlfahrtsverbände jedoch darauf geeinigt, daß es weiterhin eine Sozialbetreuung der Flüchtlinge durch die Wohlfahrtsverbände geben solle und den Gemeinden wurden erhöhte Mittel zur Verfügung gestellt. Entgegen dieser ausdrücklichen Empfehlung des Landes hat der Landkreis aber die Verträge mit dem DRK kündigen lassen, und das DRK hat alle bisherigen Sozialarbeiterinnen entlassen. Waren diese bisher vor allem Vertrauenspersonen für die Flüchtlinge, so werden neu eingestellte Sozialarbeiterinnen dann von Landratsamt beschäftigt werden und einer Aufsichts- und Berichtspflicht unterliegen, Eine echte Sozialbetreuung ist das dann nicht mehr, die Betreuerinnen werden eher die Funktion von Hilfspolizistinnen haben.
Die Tendenz sowohl des Gesetzes als auch der Handlungen des Landratsamtes ist klar erkennbar: Die Flüchtlinge sollen abgeschreckt werden, staatliche Hilfen in Anspruch zu nehmen. Und immer mehr von ihnen ziehen die Konsequenz und versuchen illegal in Deutschland zu überleben, anstatt sich den deutschen Behörden auszuliefern. Damit sind sie billige und erpreßbare Arbeitskräfte für den Schwarzmarkt und können auch gleich wieder als Argument für weitere rassistische Kampagnen genutzt werden. Die Politik schafft sich ihre nächsten Opfer schon jetzt. Doch auch der Widerstand gegen das Gesetz wird stärker. Die bundesweite Organisation Pro Asyl bereitet eine Verfassungsklage gegen das Gesetz vor. Auch Wolfgang Isele vom Konstanzer AK Asyl sieht viele Möglichkeiten, gegen das "menschenunwürdige" Gesetz vorzugehen, das er als "Ausfluß eines rassistischen Klimas" sieht. Ziel müsse es jedoch sein, das Gesetz als ganzes zu kippen. Dazu und zur Unterstützung der Flüchtlinge werde aber auch Geld und wachsende Unterstützung benötigt.
anläßlich der Konstanzer Frauenwoche unter dem Thema "Fremde Frauen in Konstanz" vom 6. November bis zum 13. November 1993
Mit großer Sorge verfolgen wir, die Veranstalterinnen und Organisatorinnen der 4. Konstanzer Frauenwoche, die Einführung und Umsetzung des "Asylbewerberleistungsgesetzes", welches am l. November 1993 in Kraft getreten ist. Die Ausgrenzung asylsuchender Flüchtlinge aus dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) nimmt den bei uns' schutzsuchenden Menschen eine der wenigen Möglichkeiten, ein eigenständiges Leben in Würde zu führen. Erstmals fällt eine Gruppe von Menschen in der Bundesrepublik unter das in unserer Verfassung festgeschriebene Existenzminimum, welches ein Leben in Menschenwürde garantieren soll. Wir befürchten, daß mit diesem entscheidenden Einschnitt eine allgemeine Akzenptanz in der Bevölkerung geschaffen werden soll, um den Abbau einer gesetzlich gültigen sozialen Grundsicherung hinzunehmen. Weitere Gruppen wie Behinderte, Obdachlose, Arbeitslose und so weiter könnten dann durch ähnliche Regelungen ausgegrenzt werden.
In der Konstanzer Frauenwoche, die unter dem Motto "Fremde Frauen in Konstanz" stand, hatten wir Gelegenheit, viele Flüchtlingsfrauen aus den Kriegs- und Krisengebieten kennen zu lernen. Wir sind empört über den Umgang mit diesen, vom Schicksal so hart getroffenen Menschen. Wir können uns nicht vorstellen, daß sie in unserer Stadt künftig vollständig entmündigt neben uns leben müssen. Die drastisch gekürzte Krankenhilfe (Paragraph 4) und die Möglichkeit, Flüchtlinge künftig zur Arbeit zu zwingen (Paragraph 5) halten wir schlichtweg für unmenschlich. Die Reduktion der Hilfe auf Empfang von Sachleistungen wie Eßpaketen, Hygienepaketen, gebrauchten Kleidern und einem geringen "Taschengeld" degradiert jene, die bei uns Schutz suchen, zu Menschen zweiter Klasse.
Sehr geehrter Herr Bürgermeister Dr. Hansen,
nachdem der Landkreis Konstanz überraschend frühzeitig und übertrieben paragraphentreu angefangen hat, das neue Asylbewerberleistungsgesetz in die Tat umzusetzen, sollten wir über die Konsequenzen dieses Vorgehens für ein friedliches Zusammenleben von Asylbewerber/innen und der Konstanzer Bevölkerung im Sozialausschuß reden. Nach einem Gespräch mit Frau Goerke im Kreis des "Runden Tisches" in der letzten Woche (8.12.) bereitet uns vor allen Dingen die Frage der Sozialbetreuung in den Unterkünften große Sorgen. Es scheint nicht geklärt zu sein, welcher Betreuungsschlüssel angewandt werden soll, ob die Büros in den Unterkünften bleiben können und ob alle jetzigen Sozialarbeiter/innen unter den geltenden Arbeitsbedingungen übernommen werden. Unseres Erachtens ist es auch falsch, keinen neuen Betreuungsvertrag mit dem DRK oder einem anderen Wohlfahrtsverband abzuschließen.
Es ist uns bewußt, daß die Stadt Konstanz und damit der Gemeinderat nicht mehr für die Versorgung und Betreuung der Asylbewerber/innen zuständig ist. Dennoch halten wir es für äußerst wichtig, daß wir die Entscheidungen über das weitere Vorgehen und die entsprechenden Weichenstellungen im Landratsamt zu beeinflussen versuchen. Für den sozialen Frieden und die Verhinderung asylbewerberfeindlicher Übergriffe bleiben wir ja nach wie vor mitverantwortlich. So darf es uns nicht gleichgültig sein, wie Asylbewerber/innen in Konstanz betreut, versorgt und untergebracht werden.
Auch der Aufforderung von Herrn Dr. Feige in seinem Brief an Sie, Herr Bürgermeister, vom 7.9.93 sollten wir nachkommen. Er hatte darum gebeten, Anregungen und Vorschläge zu den Ausführungsbestimmungen des Leistungsgesetzes, soweit sie aus der Praxis heraus nicht ausreichend erscheinen, über den Städtetag ans Innenministerium weiterzuleiten.
Wir bitten Sie, den Punkt "Umsetzung des neuen Asylbewerberleistungsgesetzes in Konstanz" in die Tagesordnung des Sozial- und Spitalausschusses am 25.1.94 aufzunehmen.
Der Brief wurde unterschrieben von Bärbel Köhler (FGL), Hermine Preisendanz (Freie Wähler) und Helga Jauss-Meyer (SPD)
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