Quelle: AZW Nummer 02, erschienen am 25.05.1995 | |
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Im Zentrum der Medienkampagne, die rund um das Thema 8. Mai veranstaltet wurde, standen zwar häufig die grauenhaften Herrschaftsmethoden der Nationalsozialisten, die Kriegsziele des faschistischen Deutschen Reiches traten dagegen sehr in den Hintergrund. Es fand eine Relativierung und Umdeutung des faschistischen Expansionskrieges statt, am offensten formuliert in dem Aufruf "Gegen das Vergessen", der bekanntlich von ultra-rechts bis in die bürgerliche Mitte hinein Unterstützung fand. Das "Unrecht", das an den Deutschen nach dem Ende des Krieges begangen worden sei, rückte auf einmal in den Mittelpunkt der Diskussion: Täter wurden so zu Opfern, die unter der Rache der Roten Armee, unter Grenzziehung und "Vertreibungsterror" zu leiden hatten. Die Darstellung von Zusammenhängen und Verantwortlichkeiten blieb auf der Strecke: Kaum thematisiert wurden z. B. der Verzögerungskrieg der Nazis, um Zeit zu gewinnen und ein Platzen der Anti-Hitler-Koalition und damit ein Bündnis mit den Westalliierten gegen die Sowjetunion zu erreichen oder die Verbrechen der deutschen Wehrmacht an der sowjetischen Bevölkerung, die Politik der verbrannten Erde, die Vernichtungsmaschinerie der KZs im Osten u.s.w.
Die begründete Angst der deutschen Grenzbevölkerung in den sogenannten Ostgebieten, die immer auf seiten des Faschismus gestanden hatte und der klar war, daß die Verbrechen des Hitler-Faschismus sie zurückfallen würde, wurde propagandistisch ausgeschlachtet. Vergeltungsmaßnahmen der Roten Armee wurden pauschal zu "Greueltaten" hochgespielt, und so Vorschub geleistet für einseitige Schuldzuweisungen bei gleichzeitigem Selbstfreispruch. Das alte Feindbild der Nazis vom "Untermenschen" setzte sich fort im Feindbild vom "Russen" oder auch "Polen", die auch nach dem Krieg als eine Art Barbaren galten, denen die westliche Zivilisation erst noch beigebracht werden müsse. Deshalb konnte und kann es auch funktionieren, den 2. Weltkrieg umzudeuten in einen Kampf für Kultur und Zivilisation gegen Ostbarbarei.
Vorstellungen von einem "Kulturgefälle" von West nach Ost sind insbesondere seit dem Zusammenbruch der realsozialistischen Länder (wieder) verstärkt im Kurs. So diente das Argument der sogenannten technischen Überlegenheit des Westens der BRD nach Vereinnahmung der DDR (die ja meist als Vasall der UdSSR gesehen wurde) als Vorwand, dort die gesamte wirtschaftliche Infrastruktur wegzufegen und westdeutsche Betriebe zu installieren. Das Deutschtum befindet sich unversehens wieder auf dem Vormarsch Richtung Osten; Arbeiten nach deutscher Weise für deutsche DM und deutsche Waren, so lautet jetzt die Devise.
Der alltägliche, "zivilisierte" Rassismus in unserer Gesellschaft ist ein weiteres Indiz: Kaum ein Mensch empört sich über die Tatsache, daß Menschen ohne deutschen Paß die schlechtbezahltesten, unterqualifizierten und oft genug entwürdigenden Arbeiten verrichten. Diese Menschen werden in der Regel erst dann beachtet, wenn sie anfangen sich zu wehren, worauf, wie geschehen bei den KurdInnen, die deutsche Staatsmacht umgehend mit Kriminalisierung reagiert.
Diskussionsthema: Identifikation
Die in der Diskussion vorgebrachte Auffassung, nur wer sich zur deutschen Identität bekenne, sich als Teil des deutschen Volkes definiere, könne sich auch mit der deutschen Geschichte auseinandersetzen, stieß auf weitgehende Ablehnung. So wies der Referent darauf hin, daß jegliche Identifikation des einzelnen Menschen, sei es mit einem Staat, einem Volk o.a., eine Reduzierung seiner/ihrer Person und Persönlichkeit bedeute. Er forderte vielmehr dazu auf, die Vorgänge in der Gesellschaft, in der man lebt, zu beobachten und sich kritisch damit auseinanderzusetzen. Schließlich sei der Mensch keine Amsel, die einfach nicht anders könne, als abends ihr Liedchen zu pfeifen...
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