Quelle: AZW Nummer 02, erschienen am 25.05.1995 | |
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"Der Marsch" wurde in der Reihe "Eine Welt für alle" besonders hervorgehoben und gelobt. Ein Film, der Betroffenheit hervorrufen, Verständnis wecken und vorausschauend aufklären wollte.
Der afroamerikanische Politiker sagt im Film: "Bilder sind Visionen, die die Welt verändern. Wenn ihr landet in Europa, dann wissen die Weißen nicht, wer ihr seid und warum ihr kommt. Aber das Bild geht in ihre Köpfe rein und macht sie ganz auf."
Er hat recht. Bilder besitzen eine Macht, weil sie auf uns wirken, negativ wie positiv. Was bewirken die Bilder in diesem Film, was vermitteln oder suggerieren sie uns?
Betrachten wir zunächst, durch welche Brille dieser Film Afrika betrachtet, welche Sichtweise er hat und fragen wir, ob er statt der altbekannten Klischees den Zuschauerinnen und Zuschauern neue Hinweise zu einem besseren Verständnis Afrikas vermittelt: Mit anderen Worten, verfestigt der Film die gängigen Klischees oder führt er zu einer differenzierten Sichtweise Afrikas?
Wie viele andere Berichterstattungen über Afrika zeigt der Film:
Das waren nur einige gängige Klischees, die in diesem Film über Afrika gezeigt und suggeriert wurden.
Der Film hat nichts Neues über Afrika vermittelt; auch nichts Neues über die Politik der sog. "Ersten Welt" gegenüber der "Dritten Welt". Er bestätigte die Festung Europa, die EG-Bürokratie und die Rolle der Sensationsmedien, Medienmanipulation, Rolle der Politiker und Militärs.
Betrachten wir nun, welche Aspekte afrikanischer Realität unberührt bleiben, was unausgesprochen blieb bzw. verschwiegen wurde:
Der Film beschränkt sich auf eine plakative Aussage: "Wir sind arm, weil ihr reich seid", ohne die Hintergründe dieser Feststellung zu durchleuchten. Weder die koloniale Geschichte und ihre Konsequenzen für Afrika wurden angesprochen, noch die direkte oder indirekte Vernichtung der Lebensgrundlage afrikanischer Völker durch neokoloniale Politik der "Ersten Welt", noch - was meines Erachtens ebenso wichtig ist - die eigene Verantwortung Afrikas.
Unvermittelt ist der Hunger als Ergebnis von fünf regenlosen Jahren, als naturgegebene Katastrophe, Ausgangspunkt der Filmhandlung. Die Ursachen für diese Katastrophe und andere Krisen, wie Bürgerkriege, werden nicht genannt. Weder die ökologischen, noch die politischen, sozialen und ökonomischen Auswirkungen werden als Ergebnis von jahrhundertelanger Ausbeutung, Raub und Vernichtung in Afrika angesprochen. Der "Zivilisationstransfer" als Hauptursache vieler Krisen wird genauso verschwiegen, wie die als humanitär ausgegebenen Militäraktionen mit ihren verheerenden Folgen, und wie die Folgen der Entwicklungshilfe. Afrikanische alternative Lösungsmodelle zu Flüchtlingsfragen, wie z.B. die Konvention der OAU, zur Ökologie, zum Hunger, zur Wirtschaft usw. werden ebenfalls verschwiegen.
Viele unserer ökologiebewußten Freunde ließen sich deshalb verblenden, weil sie dem Film eine vermeintliche Aussage unterstellten, die besagt, daß die Umweltzerstörung der Grund für Hunger und hieraus entstandene Völkerwanderung ist. Erstens gibt der Film keine Auskunft darüber, weshalb es im Sudan fünf Jahre kein Regen gab, und zweitens gibt er keine Auskunft darüber, welche anderen Faktoren zur Entstehung von Hungerkatastrophen führen. Obwohl der Zusammenhang zwischen Umweltzerstörung und Völkerwanderung richtig ist und auch Afrikas Entwicklung beeinflußt hat (z.B. durch Abholzung bis zum Zwang zum Umbau der Landwirtschaft für ExportMonokulturen), wird das Ereignis durch diese Art der Darstellung - ohne Roß und Reiter zu nennen - als ein schicksalhaftes erklärt.
Diese Darstellungsart führt nicht selten zu Überlegungen, daß Hunger eine Konsequenz aus Nahrungsmittelknappheit der Erde ist. Der Schritt zu anderen Knappheitstheorien ist dann nicht weit.
Eine davon - auch in Ökologiekreisen vehement diskutiert und leider zu oft vertreten - ist die sog. "Bevölkerungsexplosion", auch "Bevölkerungsbombe" genannt, die die wachsende Zahl der Menschen im Trikont für Nahrungsmittelknappheit und hierdurch entstandene Umweltzerstörung verantwortlich macht. Auch hier stehen hauptsächlich die Lebensform und die Verantwortung der sog. "Dritten Welt" im Vordergrund, woraus ein Handlungsbedarf in der "Dritten Welt" nicht nur abgeleitet wird, sondern auch durch Erpressung durchgesetzt wird (Brot gegen Sterilisation, Kredit gegen staatlich angeordnete "Familienplanung"). Auch hier werden Opfer zu Tätern gemacht. Dem Affenzirkus von Rio folgt der Affenzirkus von Kairo: Geburtenkontrolle durch Zwangssterilisation und Familienplanung auf Kosten der Gesundheitsversorgung.
Der Film wählte vielleicht das Mittel der Provokation, um zum Nachdenken zu zwingen. Hat er das erreicht, oder hat er - bei genauerer Betrachtung des gutgemeinten Film - nicht doch dem abgrundtiefen rassistischen Gedankengift Vorschub geleistet, indem er das Gefühl der Bedrohung Europas durch das Bild der Invasion von Afrikanern vermittelte.
Der Film erzeugt ein Gefühl der Bedrohung und Angst. Nein, nicht die Angst, was wird aus unserer Erde, sondern die Angst, die Europäer werden überrannt, man dringt in unser Haus ein, uns wird weggenommen, wenn wir uns nicht schützen; zur Not auch mit Militärgewalt. Angst ist ein schlechter Ratgeber, und deshalb trägt der Hinweis "Wir sind arm, weil ihr reich seid" unter der Prämisse Angst nicht zur Klärung bei, er erzeugt vielmehr Verteidigungsmauern. Statt zum Handeln für eine Welt zu motivieren, motiviert der Film zum handeln gegen die "Dritte Welt".
Was bewirkte die Aussage "sie kommen" im Zeichen des Jahres 1989/90, Eingliederung der DDR, Aufwachen des Nationalismus, "Das Boot ist voll", "Wirtschaftsasylanten", "Asylantenschwemme", "Fluten und Wellen", wogegen Dämme gebaut werden müssen? All das waren Tagesthemen dieser Jahre, sozusagen Begleitmusik zu diesem Film.
Die Angst Europas vor der Völkerwanderung des 20. Jahrhunderts, Festung Europa, Schengen, Trevi, Maastricht, EU. An Informationen fehlte es in Europa nicht, Informationen, die nachwiesen, daß die meisten Flüchtlinge in die Nachbarstaaten des fluchtverursachenden Staates fliehen. Im selben Jahr 1990, in dem der Film ausgestrahlt wurde, hatte Sudan - Ausgangspunkt des Marsches - prozentual (Anteil der Flüchtlinge an der Gesamtbevölkerung) mehr Flüchtlinge aufgenommen als das gesamte Westeuropa.
Bis in die fortschrittlichen Kreise hinein wurde damals die Theorie "Das Boot ist voll" mit unterschiedlichen Farbschattierungen vertreten: vom "Asylanten raus" bis zur "kontrollierten Einwanderung". Das Recht auf Asyl wurde abgeschafft, die Festung Europa festigte sich.
Zusammenfassend möchte ich feststellen: der Film hat den Scheck nicht ausgelöst, den er ausstellte. Vielleicht wurde ihm fälschlicherweise die Aussage "Eine Welt für alle" unterstellt, vielleicht beschränkte sich die Aussage darauf, "seht zu, so werdet ihr reagieren", denn seine Voraussage, wie Festung Europa auf Flüchtlinge reagiert, wurde kurze Zeit später in Bali bewahrheitet. Der Film frustriert, weil er keine Antworten gibt, Vorurteile werden zementiert und die Bedrohung Europas suggeriert. Wie fragte der Mitarbeiter von Clare: "dritter Weltkrieg oder Dritte-Welt-Krieg"? Eine Abhandlung - auch eine filmische - über "Eine Welt für alle" muß vor allem darüber Auskunft geben, wer, wodurch, was verursacht und wer, in welchem Maße davon betroffen wird. Das bedeutet, nach dem Verursacherprinzip die Verantwortung dort zu suchen, wo sie ist. Beispielsweise werden die jährlichen Kosten der Ökologieschäden in den Altbundesländern auf 610 Milliarden bis eine Billion DM geschätzt. Etwa 20% der Arbeitsplätze in der BRD sind Defensivarbeitsplätze, d.h. Wiederherstellungsarbeitsplätze wie etwa im Umwelt- und Gesundheitsbereich. Aber statt Selbstbegrenzung als einen wichtigen Ausweg aus der Misere zu sehen, wird auf ökologisches Wachstum gesetzt, denn nach unserer betriebswirtschaftlichen Rechnung in der sog. "Volks"wirtschaft erhöht die Beseitigung von Umweltschäden und die Bekämpfung von z.B. Krebs und Hautkrankheiten das Bruttosozialprodukt, während die Beseitigung von deren Ursachen das Bruttosozialprodukt senken würde. "Eine Welt für alle" impliziert die Sorge um die gemeinsame Zukunft aller ErdbewohnerInnen. Sie setzt voraus, "eine tiefgreifende, radikale Umwälzung der bestehenden Wirtschafts- und Gesellschaftsverhältnisse. Aber dies ist es ja gerade, was die dominierenden Nationen nicht wollen, schon deshalb nicht, weil die Beseitigung der Weltprobleme - Armut, Verschuldung, Vergeudung von Ressourcen, parasitäre Produktion, Umweltzerstörung etc. - die freiwillige oder unfreiwillige Demontage ihres Machtmonopols voraussetzt. Sie werden deshalb nie etwas Ernsthaftes unternehmen, um die ganze Irrationalität des heutigen Weltzustandes zu überwindenøøø" (aus Heleno Sana: Das Ende der Gemütlichkeit). Der Film endet mit der Aussage: "wir sind noch nicht bereit für euch". Und ich bezweifle, ob die "Erste Welt" jemals von alleine ihre Einbahnstaßenpolitik ändern wird. Und ich frage mich, ob die Idee der "Einen Welt für alle" doch nicht im Kern ein Versuch ist, den gesamten Planeten nicht nur ökonomisch, sondern auch ideologisch zu unterwerfen?
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