Quelle: AZW Nummer 03, erschienen am 08.06.1995 | |
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Ganz leicht war es für Arnulf Moser nicht, über die zeitgeschichtlichen Wirrnisse der Mainau zu schreiben. Denn der schwedische Schloß- und Inselherr Graf Lennart Bernadotte erinnerte sich, ähnlich wie viele Deutsche, nur ungern und lückenhaft an die braune Vergangenheit, die auch an der Mainau nicht spurlos vorübergegangen ist. Die Akten auf der Insel waren längst entsorgt, und der Graf hat schon seit langem einen innerlichen Schlußstrich gezogen, als sich Moser zum ersten Mal in den 80er Jahren an die Historie der Blumeninsel heranmachte. Während des Krieges verpachtete Bernadotte die Insel im Sommer 1943 an die Organisation Todt, während der Sproß aus schwedischem Königshaus selbst in der neutralen Heimat weilte. Der Kontrakt ist nach den Darstellungen des Grafen aufgrund von Nötigung zustandegekommen. In seiner Inselchronik aus dem Jahre 1977 schrieb er jedenfalls, daß seine Insel als Präsent für Rüstungsminister Albert Speer nach dem Endsieg auserkoren war. Seit Moser den Staub der Archive aufgewirbelt und den damaligen Verwalter sowie Speer befragt hatte, stellt sich der Handel mit den Nazis anders dar. Trotz Kriegszeiten durfte Bernadotte eine beträchtliche Pacht einstreichen und für die Instandhaltung des Geländes war gesorgt. Von Nötigung wußten weder der Verwalter noch der Rüstungsminister zu berichten.
Die Organisation Todt wollte ein Erholungsheim für höhere Offiziere einrichten, was aber wegen der anrückenden alliierten Truppen nie verwirklicht wurde. Eine geradezu operettenhafte Episode begleitet das Kriegsende. Die "Ultras" der französischen Kollaboration um die schillernde Führerfigur Jaques Doriot nisteten sich auf der Insel ein, um von dort aus den Widerstand gegen die "kommunistisch- gaullistische" Herrschaft in Frankreich zu organisieren. Einer der berüchtigsten Journalisten der Kollaboration, Jean Herold- Paquis, schilderte die Atmosphäre auf der Insel so: "Ohne den Krieg, der rasch näher kam, ohne das Bewußtsein von seinem nahen Abschluß, ohne die gelegentlichen Kanonenschüsse, die der Schweizer Beitrag zum Weltendrama waren, ohne das Brummen eines Flugzeuges, das hoch am Himmel dahinflog, hätten diejenigen, die in den letzten Wochen der Tragödie auf der Mainau waren, glauben können, sie seien vergessen worden."
Erst das Kriegsende weckte die Insel aus dem Dornröschenschlaf und zog sie in den Strudel der Weltgeschichte. Als die Amerikaner am 29. April 1945 das KZ Dachau befreiten, war im Lager zuvor Typhus ausgebrochen. Die Franzosen, die ihre Landsleute aus der Hölle von Dachau in ihre Einflußzone bringen wollten, suchten einen Ort, wo sich die Schwerkranken erholen konnten. Wegen der Thyphus-Epidemie waren die beiden Bodensee- Inseln Reichenau und Mainau dafür prädestiniert; die Mainau auch deshalb, weil sie dem Wunsch des Oberkommandierenden der 1. Französischen Armee, General Jean de Lattre de Tassigny, das geeignete "Maximum an Komfort und Pflege" bot. Die französischen Generäle standen dem Elend hilflos gegenüber, und die Amerikaner stellten die Willkommensgeschenke des Generals Leclerc für die Dachauer Häftlinge wie Rotwein, Tabak und Weißbrot fürs erste zurück. Denn den Medizinern war dies sehr rasch klar: Zuviele Kalorien hätten für die unterernährten und ausgemergelten ehemaligen KZ-Häftlinge den Tod bedeutet.
4000 französische Häftlinge sind an den Bodensee gekommen, die Mehrheit auf die Reichenau. Die Schloßanlage der Mainau war vor allem den Schwerstkranken vorbehalten. Laut den Gewichtstabellen sind die Kranken oft um die Hälfte ihres Normalgewichts abgemagert. Der Historiker Arnulf Moser zitiert aus dem längeren Bericht des französischen Reporters J.-M. Darracq: "Im Park trifft man fast überall auf Männer mit rasiertem Schädel, fremdartigem Blick, ihre Kleider flattern um ihre schrecklich abgemagerten Glieder. Sie irren umher auf der Suche nach, ich weiß nicht was, zweifellos auf der Suche nach sich selbst." Besonders beeindruckend ist folgende Beobachtung des Journalisten, die zeigt, daß der jahrelange Nazi- Drill die KZ-Insassen zu automatisierten Marionetten einer todbringenden Befehlsmaschinerie entfremdet hat: "Wenn man sie anspricht, stehen sie auf, nehmen Hab-Acht- Stellung an und nehmen die Kopfbedeckung ab. Trotz allen Drängens lehnen sie es ab, ihre Kappe wieder aufzusetzen. Nein, sie sind nicht verrückt. Aber sie brauchen Zeit, um zu verstehen, daß die Gestapo nicht mehr exisitiert."
Die Physiognomie der Schreckensherrschaft wurde von den Franzosen genutzt, um internationale Delegationen ins Mainau-Schloß zu bitten. Auch der Schweizer General Henri Guisan stattete der Quarantäne-Insel seine Visite ab. Für die Hungernden brachte der unwissende Oberbefehlshaber der Schweizer Armee Stumpen und Schweizer Schokolade mit.
Am 15. September wurde das Krankenhaus aufgelöst, danach wurde der Aufenthalt auf der Mainau zu einem peinlichen Ringen um Entschädigung. Denn Bernadotte behauptete, daß die KZ-Insassen Inventar aus seiner Wohnung entwendet haben. Die französischen Alliierten, die diplomatische Verwicklungen befürchteten, nahmen den Fall sehr ernst. Moser belegt anhand von Akten, daß es vor allem Deutsche waren, die sich die Notzeit zunutze machten, um einiges Tafelsilber und verschiedene Kunstgemälde sowie Antiquitäten verschwinden zu lassen. Die Dachauer KZ-Insassen warten bis heute auf eine Entschuldigung des Grafen.
Von Dachau zur Mainau 1945: Arnulf Moser liest aus seinem Buch am 13. Juni in der Infokneipe.
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