Quelle: AZW Nummer 03, erschienen am 08.06.1995 | |
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Wie der Vollzug des von Max Frisch in seinem Drama "Andorra" vorgegebenen Modells mutet die Biographie von Hans Werner Hirsch an. Als der junge Publizist in den 30er Jahren seine Feder zur Hand nahm, um journalistisch gegen die faschistische Barbarei anzuklagen, klebte der Name "Hirsch" an ihm. Jude sei er. Ein Vorwurf, der im angeheizten Klima des Antisemitismus seine Wirkung nicht verfehlte. Der angeblich jüdische Name des Journalisten war auch Gegenstand für Nachforschungen des Staatsschutzes.
Acht Bundesordner füllen die "Fichen" im Berner Bundesarchiv. Zwei Jahre hat der Thurgauer Dokumentarfilmer Erich Schmid den 80jährigen begleitet, hat Schauplätze des Bespitzelten aufgesucht und die Erschütterungen des alten Mannes dokumentiert. Was hat den Journalisten zum Staatsfeind gemacht? Als in den 30er Jahren die kleine Alpenrepublik von Hitler-Deutschland und Mussolinis Italien in die Zange genommen wurde, war diplomatischer Opportunismus erste Politikerpflicht und die Beeinflußung der Presse für eine freundliche Berichterstattung über die faschistischen Nachbarländer notwendige Konsequenz. Gegen die Gleichschaltung der Presse wehrte sich Peter Surava in der Wochenzeitung "Die Nation". In dem Publikationsorgan wurde enthüllt wie die Schweizer Regierung mit ihrer rigerosen Abschottungspolitik die Flüchtlinge den Nazi-Schergen in die Hände fallen ließ.
Ein besonderer Skandal: Schweizer Hilfsorganisationen wurde untersagt, jüdische Kinder zur Erholung in die Schweiz einreisen zu lassen. Die Begründung: Bei den jüdischen Kinder sei nicht gesichert, daß sie nach Ablauf des Ferienprogramms wieder in ihre Heimat zurückkehren könnten. "Die Nation" druckte auch die ersten Bilder, die über das KZ- System des industriellen Massenmords in die Schweiz gelangten. Vor allem Bundesrat von Sieber, der mit dem deutschen Gesandten in Bern aus seiner Anwaltszeit befreundet war, machte es sich zur Chefsache, den Rufmord gegen den Publizisten zu organisieren.
Hirsch hatte, um den antisemitischen Anfeindungen aus dem Wege zu gehen, das Pseudonym "Surava" nach einem bündnerischen Bergdorf angenommen. Das sollte später auch zu einem juristischen Fallstrick für den Journalisten werden. Vor dem Bundesgericht Lausanne hat die kleine Gemeinde gegen die scheinbare Usurpation ihres Namens einen Prozeß angestrengt und gewonnen. In der Nachkriegszeit wurde der Publizist, der sich der kommunistischen Partei der Arbeit (PdA) anschloß, als "stalinistischer Fröndler" von der rechten Seite verfehmt, während die stalinistischen Kräfte innerhalb der PdA, in ihm einen unsicheren liberalen Kantonisten sahen. Der Suizidversuch, den er gemeinsam mit seiner Frau unternahm, versuchte die Polizei wiederum als makabre Muniton gegen den Verfemten zu verwenden. In einem Verhör versuchte die Polizei von Suravas Ehefrau die Aussage zu erzwingen, daß er sie zu dem Selbstmordversuch angestiftet habe.
Als der Film bei den Filmtagen im Januar in Solothurn gezeigt wurde, kam es zu einer symbolträchtigen Begegnung. Die Bundesrätin Ruth Dreifuss entschuldigte sich bei Survava für das angetanen Unrecht und nahm damit ihre zeitgeschichtliche Einlassung zum 50. Jahrestag des Kriegsendes vorweg. Für den Leiter der Solothurner Filmtage, Ivo Kummer, der im Rahmen des Bodenseefestivals persönlich im Konstanzer Zebra-Kino anwesend war, verkörpert der Film die "Traditon des politisch engagierten Dokumentarfilmes", der auf den "Agit-Prop- Holzhammer" verzichten kann. Trotz seiner filmischen Schwächen sicher ein Dokument, daß verdrängte Zeitgeschichte eine scharfe Kontur gibt.
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