Quelle: AZW Nummer 04, erschienen am 22.06.1995 | |
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Die bewährte Methode einseitiger Darstellung, mit der beispielsweise durch die Stilisierung des Widerstandes vom 20. Juli zum "Kult der Gerechten" (Johannes Rau) kommunistischer, sozialdemokratischer, gewerkschaftlicher und unorganisierter Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime bis heute systematisch aus dem offiziellen Gedenken ausgegrenzt wird, wurde in den umfangreichen Erinnerungsprogrammen deutscher Städte zur alliierten Luftoffensive, die den Untergang des NS-Staates einläutete und beschleunigte, noch um die Variante regelrechter Geschichtsfälschung bereichert, die das Instrumentarium von Ausblendung auf der einen und Übertreibung, auf der anderen Seite virtuos beherrscht. Dafür jeweils ein aktuelles Beispiel:
Es ist gewiß kein Zufall, daß das Kulturamt Konstanz für sein Programm zum fünfzigsten Jahrestag der deutschen Kapitulation weder die Dokumentation "Friedrichshafen in Diktatur und Rüstungsfieber" noch die Ausstellung "Friedrichshafen im Luftkrieg" hierher geholt hat, sondern "Friedrichshafen - Die zerstörte Stadt", eine Bildtopographie der totalen Vernichtung durch die Kriegsgegner Deutschlands, die Ruinenphoto an Ruinenphoto reiht, Ursachen und Hintergründe der Luftangriffe jedoch konsequent ausblendet.
Im Begleitheft der Ausstellung "Endlich Friede! Kriegsende 1945 in der Bodenseeregion" des Internationalen Arbeitskreises Bodenseeausstellungen steht auf Seite 44 geschrieben: "Der schlimmste Luftangriff den Friedrichshafen, das seiner Rüstungsindustrie wegen elfmal bombardiert wurde, erlebte, war jener in der Nacht vom 27. auf den 28 April 1944, als die Royal Air Force 1120 Tonnen Bomben abwarf, wobei 8850 Menschen umkamen." Auf mein Betreiben wird dem Käufer jetzt immerhin ein loser Korrigenda-Zettel ausgehändigt, der die Zahl der nachgewiesenen Toten auf 115 berichtigt.
Die Zerstörung aller deutscher Großstädte und vieler Mittel- und Kleinstädte im strategischen Luftkrieg zwischen 1943 und 1945 eignet sich wie kein anderes Ereignis des Zweiten Weltkrieges dazu, die Nation der Täter in ein Volk von Opfern zu verwandeln. Genau wie der Geschichtsrevisionismus á la Hillgruber oder Nolte dient auch diese Opferrolle einer Relativierung der nationalsozialistischen Verbrechen. Dabei kommen ihr zeitgenössische sprich: nationalsozialistische - Legenden zu Hilfe, welche sich auch gegen eine wissenschaftliche Aufarbeitung immun erweisen, weil sie von Gedenkrednern und der Presse gleichermaßen immer wieder reproduziert werden.
Friedrichshafen ist für diese geschichtlichen Verdrängungsprozesse mit politischem Kalkül ein signifikantes Beispiel, indem sich sein kollektives Gedächtnis seit Jahrzehnten als besonders lernunfähig gibt. Zwar gibt es eine Stauffenberg-, eine Eugen-Bolz-Straße und einen Bonhoefferweg, mit der Benennung nach Fridolin -Endraß, jenem Häfler Eisenbahner, Gewerkschafter und Widerstandskämpfer, der 1940 in Plötzensee hingerichtet wurde, tut sich der Gemeinderat hingegen nach wie vor schwer.
Auch gibt es bislang keine umfassende Industriegeschichte des Friedrichshafener Raumes. Statt dessen hängt man weiterhin mit verklärtem Blick am Zeppelin-Mythos. Dabei liegt beim militanten Grafen tatsächlich der Schlüssel zum Verständnis der nachfolgenden Stadtgeschichte. Im Kriegsjahr 1916 forderte er gegenüber Generaloberst von Einem: "Ganz England muß brennen!" (Karl von Einem, Erinnerungen eines Soldaten, Leipzig 1933, 5. 164) und träumte davon, eine Tausendkilo-Bombe in das Londoner Hafenbecken werfen zu lassen. Die militärischen Hoffnungen, die er in seine Luftschiffe gesetzt hatte, erfüllten sich nicht, auch wenn mit ihnen schon 1915 die ersten strategischen Luftangriffe der Kriegsgeschichte durchgeführt wurden, die keine taktische Luftunterstützung von Boden- oder Seeoperationen mehr waren, sondern unterschiedslose Bombardierungen militärischer, kriegswirtschaftlicher und eben auch ziviler Ziele.
Zeppelins Werft am Bodensee wurde im Ersten Weltlcrieg zur Brutstätte der Friedrichshafener Rüstungsindustrie. Der Luftschiffbau rettete sich und den Maybach Motorenbau mit seinen Kriegsgewinnen über die spätere Weltwirtschaftskrise hinweg, die Zahnradfabrik und Dorniers erste eigene Flugzeugabteilung waren unmittelbare Kriegsgründungen. Beim später wieder liquidierten Koberschen Flugzeugbau Friedrichshafen entstand rund ein Drittel der Flugzeugproduktion des Ersten Weltkrieges. Bereits kurz nach Kriegsausbruch 1914 reagierten die Briten mit einem ersten Luftangriff gegen die Luftschiffwerft auf die Bedrohung aus Friedrichshafen. Die technischen Voraussetzungen für die Zerstörung eines ganzen Produktionsstandortes aus der Luft waren damals allerdings noch nicht gegeben.
Während sich Konzernehef Hugo Eckener nach dem Kriege bemühte, das Zeppelin-Image eines "Baby-Killers" durch die Botschaft der friedlichen Weltluftschiffahrt zu ersetzen, verlegte Claudius Dornier seine Rüstungsproduktion ins Ausland, da der Friedensvertrag von Versailles den Deutschen die Herstellung von Fluggeräten generell untersagte.
Konstruktion und Einzelteilfertigung setzte er in Friedrichshafen jedoch im verborgenen fort. Erprobung und Pilotenausbildung erfolgte in streng geheimer Zusammenarbeit zwischen Reichswehr und Roter Armee in der Sowjetunion. Karl Maybach entwickelte gegen jede betriebswirtschaftliche Vernunft unrentable Luxusautos und die Zahnradfabrik schaffte den Durchbruch mit Automobilgetrieben.
Dornier wurde auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise Alleininhaber seines Unternehmens und drittgrößter Flugzeughersteller Deutschlands, wo-hingegen der Motorenbau 1931/32 "theoretisch zusammengebrochen" war, jedoch vom Luftschiffbau künstlich am Leben erhalten wurde (Wilhelm Treue, Hochleistungsmotoren, Düsseldorf 1992, 5. 163). Die Rüstungskonjunktur des "Dritten Reiches" begann mit verdeckten Staatsaufträgen und einem ersten Auto-Boom. Von beiden profitierten die Friedrichshafener Unternehmen, indem sich beispielsweise Maybach mit Millionenaufträgen der Reichsbahn für Lokomotiv- Dieselmotoren sanierte, ebenso wie die Zahnradfabrik das Autogeschäft ankurbeln konnte oder Dornier mit Geldern des Verkehrsministeriums seine Luftrüstung soweit vorantrieb, daß die Dornier-Werke sich maßgeblich an der Erstausstattung von Görings junger Luftwaffe sowie an ihrer Modernisierung vor und nach Kriegsbeginn beteiligen konnten. Die Do 217 wurde 1942 Standard-Nachtjäger der Luftwaffe. Danach geriet die Firma etwas ins Hintertreffen, weil die Do-Baumuster schnell veraltet waren. In den Friedrichshafener Produktionsstätten Manzell und Allmanrisweiler waren dann vor allem die Lizenzfertigung des Standard-Bombers Ju 88 von Bedeutung. Ein ab 1944 aufgebautes Fw-190-Nachbauwerk konnte infolge der Luftangriffe hier nicht in Betrieb genommen werden. Was uns die reich bebilderten Flugzeugkataloge, die Firmengeschichte ersetzen sollen, und die huldigenden Biographien natürlich verschweigen: Peter Dornier wurde am 1.11.1938, Claudius Dornier am 1.3.1940 Mitglieder der NSDAP.
Karl Maybach hat sich die Parteimitgliedschaft erspart, indem er seinen eigenen Stil der Anbiederung an die neuen Machthaber fand: Gerne behauptete er, die kostspielige und ruinöse Entwicklung seiner Vergasermotoren nur im Hinblick auf den bevorstehenden Machtwechsel und die Wiederaufrüstung Deutschlands gegen den Widerstand der Konzernabteilung des Luftschiffbaus, allen voran Hugo Eckener, betrieben zu haben. Auch wenn das wohl nicht den Tatsachen entsprach, konnten aus den leistungsstarken Pkw- Otto-Motoren sehr schnell Panzermotoren weiterentwickelt werden.
Bei den ersten konkreten Planungen zur Motorisierung der Reichswehr im Oktober 1933 war zwar schon von einem ZF-Getriebe die Rede, nicht jedoch von einem Maybach-Motor (sondern von einern Krupp-Motor). Maybach schaffte es aber, 1934 den Motor für das erste Panzerfahrzeug zu liefern. Bis 1935 blieb die Auftragspolitik des Reichswehrministeriums trotzdem recht zögerlich, wegen fehlender Erweiterungsmöglichkeiten in Friedrichshafen und - so wörtlich - wegen "kleinlicher Firmeninteressen". Maybach räumte daraufhin das Nachbaurecht an seinen Motoren für andere Lieferanten der Wehrmacht ohne Lizenzgebühren ein und erhielt im Gegenzug das totale Monopol auf Benzinmotoren fur alle deutschen Panzer und schweren Halbkettenfahrzeuge. Im Oktober 1935 erfolgte der erste militärische Großauftrag, 1937 erwirtschaftete das Unternehmen schon 60 Prozent seiner Umsätze aus Bestellungen der Wehrmacht; am Vorabend des Zweiten Weltkriegs war es finanziell saniert, nach dem Frankreichfeldzug vollig schuldenfrei geworden. Der Überfall auf die Sowjetunion 1941 verdoppelte die Auftragsbestände dann noch einmal.
Unsterblichen Ruhm erlangte Hugo Eckener durch das Prestige.der Zeppelin-Amerikafahrten. Seine Rolle im Niedergang der Weimarer Republik ist schon etwas zwielichtiger, auch wenn er 1932 einen Wahlkampfauftritt Hitlers in den Friedrichshafener Luftschiffhallen verhinderte und noch 1936 offen als Hitlergegner galt (Deutschland-Bericht der Sopade, 6/1936). Der Eintritt seines Sohnes Knut Eckener in die NSDAP 1938 bewahrte den Luftschiffbau vor einem Parteikommissar (United States Strategic Bombing Survey 25, 1947) und Hugo blieb die graue Eminenz im Hintergrund.
Der Luftschiffbau sprang auf die Rüstungskonjunktur der 30er Jahre langsamer an als die anderen Friedrichshafener Firmen, zunächst nur in einer Ausweitung der Leichtmetallgießerei. Daneben baute man weiter an immer größeren Luftschiffen, bis Hermann Görings Abwrack-Befehl 1940 der "Zeppelin-Ära" ein Ende machte. Der Luftschiffbau stieß nun in verschiedene High-Tech-Bereiche vor: Radargeräte in Zusammenarbeit mit Telefunken, Beteiligung an der Entwicklung der Kriegsrakete A4 (der "Vergeltungswaffe V2"), Minenteile und Torpedos. Während die Radarentwicklung und -produktion auch quantitativ einige Bedeutung erlangte, kam die schon vorbereitete Serienproduktion der Rakete auf dem LZ-Stammgelände sowie der Torpedos im Seewerk Immenstaad (dort, wo heute Dornier residiert) durch Zufallstreffer der ersten Luftangriffe nicht in Gang. Weitergeführt wurde dagegen die reichsweite Federführung für die Behälterfertigung und die Baugruppe Mittelteil der Kriegsrakete. Der außerordentliche Arbeitskräftebedarf der deutschen Kriegswirtschaft wurde bald nach der Besetzung fremder Länder mit oft heute noch durch die Nazi- Vokabel "Fremdarbeiter" diskriminierten Arbeitssklaven gedeckt. In Nord- und Westeuropa wurden sie anfangs noch mit verhältnismäßig milden Formen des Zwangs angeworben, in Osteuropa dann mehr im Stile massenhafter Zwangsdeportationen verschleppt. Auch die Behandlung war nach dem Vorbild des KZ-Systems fein abgestuft. Im Frühjahr 1942 begann in Friedrichshafen der Bau von großen Barackenlagern. Insgesamt an die achttausend Zwangsarbeiter waren in allen genannten Freidrichshafener Rüstungs
betrieben, aber auch in mittelständischen Bauunternehmen und in der Landwirtschaft im unfreiwilligen Einsatz, davon dreitausend Sowjetbürger, tausend Franzosen, achthundert Niederländer, sechshundert Italiener und vierhundert Polen.
KZ-Häftlinge wurden dagegen erst im Zusammenhang mit der A4-Produktion eingesetzt, nachdem im August 1943 die Verantwortung im V-Waffen-Programm auf die SS übergegangen war. Geplant waren beim Luftschiffbau 1.500 und auf dem Raketentestplatz Raderach zweitausend Häftlinge. Im Juli 1944 sprach der, Landrat von Überlingen von dreihundert Häftlingen im Dachau-Außenkommando Raderach, von denen hundert täglich zur Arbeit nach Friedrichshafen marschierten, denn das erste KZ-AuBenkomnmdo in der Stadt selbst war durch einen Luftangriff zerstört worden.
Um die Bedeutung des Produktionsstandortes Friedrichshafen wußten auch die Alliierten in vielen zum größten Teil bemerkenswert präzisen Details, nicht jedoch um die V2-Produktion. Trotzdem hält sich in Friedrichshafen zählebig die Legende, die Amerikaner hätten die Stadt nur deshalb bombardiert, weil sie dle V2-Anlage gesucht hätten (jüngstes Beispiel in der Schwäbischen Zeitung FN vom 25.2.1995). In Wirklichkeit hatte das britische Zielhandbuch der Royal Air Force "The Bomber's Baedecker" schon lange vor dem ersten Angriff festgestellt: "Industriell gesehen ist Friedrichshafen wahrscheinlich die wichtigste Stadt ihrer Größe in Deutschland". Wenn bis Sommer 1943 keine Luftangriffe ausgeführt wurden, 1ag das nur daran, daß sich die Königliche Luftwaffe vor so einem tiefen Einflug in den äußersten Süden des Reichsgebietes fürchtete. Die beiden ersten britischen Nachtangriffe im Sommer und Herbst 1943 erfolgten als Präzisionsangriffe auf die Radarproduktion beim Luftschiffbau zu einer Zeit, als die Royal Air Force (RAF) schon begonnen hatte, eine deutsche Großstadt nach der anderen in Schutt und Asche zu legen. Zwar verhinderten die beiden Angriffe den Serienanlauf für monatlich dreihundert Kriegsraketen in Friedrichshafen, aber das wußten die Alliierten nicht. Wie München wurde auch der Bodenseestadt im Winter 1943/44 eine Angriffspause gewährt. Dieser für Friedrichshafen zögerliche Beginn der Luftoffensive führte auf deutscher Seite zu einer sträflichen Vernachlässigung der Luftschutzvorbereitungen. Statt für die Bevölkerung bombensichere "Wohnbunker" zu bauen, begnügte man sich mit Planspielen und Kellerausbauten. in den Industriebetrieben schätzte man die Idee realistisch ein, baute Stollensysteme und Bunker für die Firmenleitung, während man unwichtigere Angestellte bei Luftgefahr nach Hause schickte. Die Zwangsarbeiter durften nur in Einzelfällen in die Bunker, in den Lagern standen lediglich Splitterschutzgräben zur Verfügung.
Die United Staates Army Air Force (USAAF) griff Friedrichshafen erst im März und April 1944 an, als ihr in ausreichender Zahl Langstreckenbegleitjäger zur Verfügung standen, welche die Bomber bis über das Ziel und zurück nach England vor den deutschen Abfangjägern schützten. Drei Luftattacken waren zwar als Präzisionsangriffe auf die Dornier- Werke und die Zahnradfabrik geplant, erfolgten aber entweder mit Radarhilfe durch eine geschlossene Wolkendecke oder den am Boden und auf dem See künstlich verströmten Nebel hindurch so unpräzise, daß das Ziel, die Zerstörung der Friedrichshafener Flugzeugproduktion, nicht erreicht werden konnte. Auch am Bodensee hatte sich gezeigt, daß Punktzielangriffe auf ausgesuchte Industriebetriebe nicht die erhoffte Wirkung zeitigten, weil die technischen Möglichkeiten trotz rasanter Weiterentwicklungen in Waffen- und Radartechnik hierzu nicht ausreichten. Ein schon geplanter amerikanischer Großangriff auf die Rüstungsschmiede am Bodenseeufer wurde nicht mehr ausgeführt.
Statt dessen wurden Friedrichshafen und München (wie zuvor Schweinfurt und Stuttgart in der sogenannten "Big Week" im Februar 1944) für die neue "Double-Blow-Taktik" ausgewählt: Zuerst ein Nachtangriff der RAF, dann einer oder mehrere Tagangriffe der USAAF, um mit solchen "Doppelschlägen" wichtige Industriekonzentrationen gänzlich zu vernichten. Der erste Schlag erfolgte als Flächenbombardement der RAF in der Nacht voin 27. auf den 28. April, der zweite als massive Tagangriffe der 15. USAAF aus Italien am 18. und 20. Juli und arn 3. August 1944. Obwohl sich dieser Zusammenhang - der Friedrichshafen nicht die Opferrolle der "moralischen" Großstadtzerstörungen zu-, sondern eindeutig als Ziel der alliierten Industrieoffensive zur Invasionsunterstützung ausweist - auch mit operativen und taktischen Details der Angriffsvorbereitung und Durchführung aus den englischen und amerikanischen Unterlagen nachweisen läßt, hielt man im Gedenkjahr 1994 offiziell daran fest, die Kleinstadt am See in die Reihe der Innenstadtzerstörung Kölns, Hamburgs oder Dresdens zu stellen. Ein richtigstellender Beitrag, der von mir zum 28. April 1994 vorbereitet worden war, konnte bislang in keiner Freidrichshafener Tageszeitung erscheinen.
Geradezu abenteuerliche Legenden ranken sich um den Angriff am 3.8.44: Zwar war die Bombardierung der Raderacher Anlage, welche die Amerikaner für ein Treibstoffwerk hielten, befohlen worden, doch wurde statt dessen Schnetzenhausen mit den dortigen Flakstellungen getroffen. In den 80er Jahre verbreiteten ehemalige Luftwaffenhelfer in den Zeitungen die absurde Vermutung, der Bombenabwurf sei ein "Racheakt" der amerikanischen Bombenflieger für hohe Verluste über Friedrichshafen bei einem Angriff im März '44 durch Flakfeuer gewesen, im Südkurier Friedrichshafen vom 3.8.1994 wurde sie dahingehend abgewandelt, die Ausschaltung der Flakstellungen habe der Vorbereitung des erfolgreichen Angriffs auf die V2-Anlage am 16. August 1944 gedient. Ganz davon abgesehen, daß in der Forschung kein einziger Fall bekannt ist, in welchem hochfliegende strategische Fernbomber einzelne Geschützstellungen angegriffen hätten, wußten die Alliierten zu diesem Zeitpunkt noch immer nicht, um was es sich bei der Anlage im Wald eigentlich handelte.
Nach dem letzten - dem einzigen auch im militärischen Sinne überflüssigen - Luftangriff im Februar 1945 war Friedrichshafen zu einem Drittel zerstört, wirklich bewohnbar war wohl nur noch die Hälfte der Häuser. Die Industrieanlagen indes waren zu achtzig Prozent vernichtet. Die Stadt teilte aufgrund seiner Kleinräumigkeit und hohen Industriekonzentration das Schicksal vieler urbaner Ballungsräume mithin in überdurchschnittlichem Maße. In der Zahl der Opfer hingegen blieb sie mit 671 nachgewiesenen - zuzüglich einer unbekannten Dunkelziffer vielleicht tausend - Toten weit hinter den Feuerstürmen der Großstädte, wo in einer Nacht Zehntausende starben, zuruck.
Statt sich den historischen Realitäten zu stellen, gefällt man sich weiterhin in Selbstmitleid, pflegt alte Ressentiments und legt Luftkriegslegenden Goebbelscher Machart immer wieder neu auf. Mein seit Juli 1994 vorliegendes wissenschaftliches Buchmanuskript hat die Stadt Friedrichshafen demgegenüber bis heute nicht veröffentlicht. Um so utopischer mutet daher die Forderung an, in ein würdiges Gedenken endlich auch die getöteten Flugzeugbesatzungen sowie die ermordeten und geschundenen Arbeitssklaven der Rüstungsindustrie einzubeziehen. Trotzdem muß sie immer wieder laut erhoben werden.
Anmerkung: Bei vorstehendem Text handelt es sich um eine gestraffte und pointierte Fassung meiner Ausführungen in der Infokneipe des Kulturladens Konstanz am 28. März und im Gewerkschaftshaus Friedrichshafen am 29. März 1995.Raimund Hug-Biegelmann.
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