Quelle: AZW Nummer 06, erschienen am 20.07.1995 | |
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Wir haben in der Nacht von Montag auf Dienstag die Moltkestraße in die Halim Dener Straße umbenannt. Vor einem Jahr, am 29.6.94, wurde der damals 16-jährige kurdische Jugendliche Halim Dener in Hannover von einem deutschen SEK- Polizisten erschossen, als er gerade dabei war, ein Plakat für die in Deutschland verbotene Nationale Befreiungsfront Kurdistans (ERNK) zu kleben
Die ehemalige Moltkestraße führt von Nr. 3 des St.-Gebhard-Platzes in die Gustav-Schwab Straße. Sie wurde 1876 nach Generalfeldmarschall Graf Hellmut von Moltke (l800-l891) benannt. Moltke ist eine Symbolfigur für den aggressiven deutschen Militarismus. Er wird als Vorbild in der Führung moderner Massenheere betrachtet. Die vom Generalstab unter Moltkes Führung entwickelte Miltärdoktrin prägte den inneren "Geist" des Militärs: Kadavergehorsam auf der einen, Kastengeist auf der anderen Seite.
Traurige Berühmtheit erlangte Moltke unter anderem durch die Niederschlagung der Pariser Kommune 1871. Opferbilanz der Pariser ArbeiterInnen waren 40000 Tote, 30000 Gefangene und 40000 Deportierte.
Doch schon etliche Jahrzehnte zuvor sammelte er einschlägige Erfahrungen in der Durchführung blutiger Gemetzel. So war Moltke ab 1834 für einige Jahre militärischer Berater bei den Osmanen und in dieser Zeit hauptsächlich am Krieg gegen die kurdische Nationalbewegung beteiligt. Die Grausamkeiten in der Niedermetzelung der KurdInnen nahmen unvergleichbare Ausmaße an, wie Moltke selbst in seinen "Briefen über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835-1839" bestätigt.
Seit 120 Jahren ehrt die Stadt Konstanz diesen deutschen Militaristen mit einem Straßennamen. Wir sind nun der Auffassung, daß es endlich an der Zeit ist, diesem Andenken ein Ende zu bereiten. Moltke steht für eine über 150-jährige deutsche Kontinuität türkischer Waffenbruderschaft, Unterstützung, sogar Ermöglichung der Vernichtungskriege gegen die KurdInnen bis zum heutigen Tag.
Seit Jahren unterstützt die BRD in Millionenhöhe den Krieg des türkischen Regimes gegen die kurdische Bevölkerung . allein 1995 mit bislang 118,7 Mio. DM.
Werfen wir einen Blick auf den zunehmend eskalierenden Krieg, den das türkische Militär seit über 10 Jahren ununterbrochen in Kurdistan führt:
Die massive Kriminalisierung der KurdInnen in der BRD ist nicht nur ein wesentliches Instrument zur Bekämpfung des kurdischen Befreiungskampfes, sondern das heraufbeschworene Gespenst ausländischer, terroristischer Vereinigungen in der BRD dient auch zur Stimmungsmache in der Gesellschaft als Legitimation für Abschiebungen unliebsamer AusländerInnen.
Im November 1993 wurde vom Innenminister Kanther die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und 30 kurdische Vereine verboten. Seitdem sind KurdInnen in der BRD. insbesondere diejenigen, die den bewaffneten Kampf in der Öffentlichkeit verteidigen, verstärkt staatlicher Verfolgung ausgesetzt. Repression und Propaganda von Staat und Medien beziehen sich hauptsächlich auf die PKK. Vermutete PKK-Nähe ist der Grund für immer weitere Verbote und Übergriffe der Polizei: Organisationen, Demonstrationen, Veranstaltungen und sogar Feste wie das kurdische Neujahrsfest Newroz sind davon betroffen Damit ist die Repression gegen KurdInnen, insbesondere gegen die Arbeiterpartei Kurdistans als einer der härtesten Schläge gegen relevante linke Gruppierungen in der BRD zu bewerten.
Der Tod Halim Deners vor jenem Jahr hat viele aufgeschreckt, die hier in der BRD lange nicht zur Kenntnis nehmen wollten, wie hoch der Anteil der eigenen Regierung am Völkermord an den KurdInnen bereits ist.
Der Tod Halim Deners verpflichtet aber auch für eine Veränderung der deutschen Politik und Gesellschaft einzutreten - davon haben wir innerhalb eines Jahres wenig von deutscher Seite mitgekriegt: Auch deshalb wollen wir mit dieser Straßenumbenennung an Halim Dener erinnern.
Es gibt keine Alternative zur Lösung des "Kurdenproblems" als die Solidarität mit dem kurdischen Befreiungskampf!
Halim Dener wurde als Sohn kurdischer Eltern am 23 12.1977 in Bingöl/Genc, im türkisch besetzten Teil Kurdistans geboren. Anfang Mai 1994 stellte er unter dem Namen Ayhan Eser in der BRD einen Asylantrag. Er benutzte diesen falschen Namen, um seine Familie, die im Dorf Parcuk lebt, nicht zu gefährden. Wenige Wochen vor seiner Ermordung durch die deutsche Polizei wurde sein Dorf, wie tausend andere kurdische Dörfer zuvor, von der türkischen Armee niedergebrannt. Wie in Kurdistan setzte er sich auch in der Bundesrepublik für den kurdischen Befreiungskampf ein. Die Kugel eines türkischen Soldaten hat ihn in Parcuk bei Genc nicht treffen können, aber die Kugel eines deutschen Polizisten hat am Steintorplatz in Hannover seine Brust durchbohrt und ihn getötet.
Konstanz, den 4.7.1995
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