Quelle: AZW Nummer 07, erschienen am 03.08.1995 | |
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Da es in der Gewerkschaftsjugend sei 1980 Solidaritätsarbeit mit Nicaragua gibt, besuchten 2 SekretärInnen der IG Metall und ich während eines Urlaubes im Dezember 1990 die sandinistische Gewerkschaftszentrale in Managua Nach mehreren Gesprächen war uns klar, daß Gewerkschaftsarbeit in Nicaragua ganz anders aussieht als bei uns.
Die nicaraguanischen Gewerkschafter sind nach politischen Richtungen organisiert. Die größte Gruppe ist die der sandinistischen Gewerkschaften, die sozialistische und sozialdemokratische Ideen vertritt. Die sandinistischen Gewerkschaften sind die Ansprechpartner der IG Metall, der anderen Einzelgewerkschaften und auch von Gewerkschatfen aus anderen Landern Europas und der USA.
Der Dachverband nennt sich CST, zu dem 27 "Federaciones" gehören, das sind die Einzelgewerkschaften. Und hier gibt es viele Kontakte der IG Metall zur "Schwestergewerkschaft" der Federacion Metall.
Mit der Wahlniederlage der Sandinisten 1990 hat sich natürlich auch die Regierungspolitik in Sachen Wirtschaftspolitik und Arbeitnehmerlnnenpolitik erheblich verändert. Vorher staatseigene Betriebe werden seitdem privatisiert (das ist außerdem Politik der Weltbank) oder Arbeitnehmerrechte beschnitten, viele Beschäftigte sind gekündigt worden. Die Arbeitslosigkeit beträgt zur Zeit ca. 70%.
Außerdem sind die sozialen Errungenschaften der Sandinistischen Revolution nahezu schon fast vollständig demontiert. Es gibt keine Arbeitslosenunterstützung. Gesundheitliche Versorgung können sich nur diejenigen leisten, die Geld haben.
Vor diesen Hintergründen wird klar, daß die Gewerkschaften in Nicaragua ganz andere Schwerpunkte haben als Gewerkschaften in Europa. So betreiben sie u.a. Kliniken, in denen der ärmeren Bevölkerung, Arbeitslosen und Gewerkschaftsrnitgliedern eine kostengünstigere Gesundheitsversorgung angeboten wird als in Privatkliniken.
Die CST betreibt in der Hauptstadt Managua eine Frauenklinik, in welcher neben gynäkologischen Untersuchungen auch Entbindungen und kleinere Operationen vorgenommen werden. Neben einer bestehenden Apotheke wollte die Gewerkschaft in dieser Klinik auch eine Zahnarztpraxis einrichten.
Bei einem Besuch dieser Klinik besprachen dieses Vorhaben mit den dort Verantwortlichen und sagten ihnen unsere Unterstützung zu.
Zurück in Deutschland stellten wir dieses Projekt in den Gewerkschaftskreisen vor. Von der IG-Metall Jugend wurde hierfür eigens eine Broschüre erstellt, in welcher die Hintergründe unserer Solidaritätsarbeit und das Projekt in Nicaragua dargestellt wurde.
Auf Betriebsversammlungen, Seminaren unter anderem auch auf dem DGB-Jugendcamp in Markelfingen wurde mit Vorträgen und Ausstellungen über das Projekt informiert und Spenden gesammelt. Mittels Berichten in Zeitungen und gezieltes Anschreiben von Zahnärzten wurde auch über den Gewerkschaftsbereich hinaus für diese Sache geworben. Außerdem wurden über Betriebsräte auch Firmenleitungen angesprochen die Geräte im Dental-Bereich herstellen. So wurde zum Beispiel erreicht, daß die Firma Ritter aus Karlsruhe einen fabrikneuen Zahnarztstuhl im Wert von ca. 25000 DM spendete.
Auf diese Weise bekamen wir das benötigte Material zusammen. Im Januar 1995 konnten wir dann ein Container nach Nicaragua verschiffen, in welchem sich neben den Apparaturen, Mobiliar und Verbrauchsmaterial für die Praxis auch melrrere Kilo Zahncreme und Zahnbürsten befanden. Auch Werkzeug, Strom und Wasserleitungen für den Aufbau der Praxis wurden von uns in diesen Container geladen.
Eine 15köpfige Gruppe junger GewerkschafterInnen bereitete sich seit dem Sornmer 1994 für den Arbeitseinsatz in Nicaragua vor. So wurden Seminare durchgeführt in denen neben der 3. Weltproblematik speziell auch auf die Situation vor Ort in Nicaragua informiert wurde. Damit die Teilnehmerinnen dieser Solidaritätabrigade die Probleme des alltäglichen Lebens in einem sog. 3. Weltland hautnah erleben konnten wohnten sie bei einfachen Arbeiterfamilien. Hierzu es notwendig, daß sie auch Spanisch lernten. Deswegen wurden Sprachkurse für die Jugendlichen in Deutschland organisiert. 4 Mechaniker und Elektriker besuchten außerdem ein Seminar bei der Firma "Ritter", wo sie für den Aufbau der Geräte geschult wurden.
In Nicaragua arbeiten ist schwieriger, als sich mancher denken kann. Wir wurden beim Aufbau der Zahnarztpraxis in der Frauerklinik mit Problemen konfrontiert, die man in Deutschland in dieser Art und Weise nicht kennt. Typische Beispiele dafür waren eine total marode Infrastruktur und bis zu 5stündige Stromausfälle pro Tag. Außerdem gibt es dort weder um die Ecke, noch weiter weg einen OBI oder ähnliches. Dann stießen wir auch auf eine total andere Mentalität. Das allergrößte Problem jedoch war die ungewohnte Hitze.
Innerhalb der Gruppe wurden verschiedene Aufgaben verteilt. Rin Teil der Gruppe renovierte mittels Farbe usw. den Praxisraum. Eine andere erneuerte die marode elektrische Installation in der Klinik und sicherte diese auch fachgerecht ab. EbenfalIs wurde eine defekte Solaranlage wieder repariert.
Ein Logistik-Team war voll damit beschäftigt, mit einem VW-Bus die benötigten Materialien und die Dinge des alltäglichen Leben auf den Märkten, in "Kaufhäusern" usw. zu besorgen.
Trotz vieler technischer und organisatorischer Schwierigkeiten gelang es Dank der Improvisationskünsten der Elektriker und Mechaniker die Praxis funktionsihhig an die dortigen Gewerkschaften zu übergeben. Die Zahnärztin und ein Zahnarzt, welche zukünftig in der Praxis arbeiten werden, waren bei der Übergabe ebenßills anwesend. Die Frage, "ob es denn in so einem Land überhaupt gut ausgebildete Zahnärzte gibt, die mit so einem Ding umgehen könnten", wurde uns in Deutschland sehr oft gestellt. Deshalb waren wir zuversichtlich als wir auf den ersten Blick sahen, daß sie mit der Technik vertraut waren und von Ihrem Fach was verstanden. Mit den ebenfalls gespendeten Verbrauchsmaterialien, die ca. für ein Jahr ausreichen müßten, kann die Klinik der ärmeren Bevölkerung nun eine kosten-günstigere Behandlung anbieten. Die IG-Metall Jugend wird die Klinik weiterhin bei technischen Dingen unterstützen. Hierbei ist auch ein IG-Metall Kollege behilflich, der schon seit mehreren Jahren in Nicaragua lebt und arbeitet. Für die zukünftige Leitung der Klinik sind die nicaraguanischen Gewerkschatten verantwortlich.
Daß diese Hilfe zur Selbsthilfe nur ein Tropfen auf einen "glühenden Stein" ist, zeigten uns auch die Ausflüge, welche wir in die verschiedenstert Regionen des Landes unternahmen. So standen u.a. der Besuch einer Kaffee-Finca in der organischer Kaffee angebaut wird ebenso auf dem Programm, wie die Betriebsbesichtigung des Stahlwerkes "INDUMETASA' wo wir anschließend mit der Betriebsgewerkschaft über die Probleme der ArbeiterInnen im Betrieb diskutierten.
"Das Land befindet sich in der schlimmsten Wirtschaftskrise, die es je erlebt hat - die Verarmung schreitet in dramatischen Tempo voran", so analysiert Orlando Nunez der Direktor des Sozial- und Wirtschaftsinstituts CIPRES, die Auswirkung der Politik der Regierung Chamoro, welche seit 1990 brav die Leitlinien des IWF (internationaler Währungsfond) und der Weltbank mit aller Härte durchsetzt. Durch die Liberalisierung des Außenhandels brachen ganze Industriezweige, wie etwa die Textilproduktion, infolge von Importen zu Dumpingpreisen zusammen. Die gesunkenen Weltmarktpreise für wichtige Exportprodukte Nicaraguas beschleunigen die wirtschaftliche Misere. Die Exportzahl ist heute nach fünf Jahren Chamoro-Regierung mit ausländischer Unterstützung nicht höher als während der schlimmsten Kriegszeiten unter der FSLN-Regierung.
Inzwischen hat Nicaragua die höchsten Lebenshaltungskosten Zentralamerikas; Arbeitslosigkeit, Kindersterblichkeit, Analphabetismus, Kriminalität und Prostitution steigen rapide an.
Laut einer UN-Studie leben mittlerweile 75% der fast 4 Millionen NicaraguanerInnen in Armut, ca. 70% der 1,4 Millionen Erwerbsfähigen sind ohne (festen) Arbeitsplatz, die Löhne der meisten ArbeiterInnen und Angestellten reichen zur Ernährung der Familie nicht aus.
Dies führt zu einem Vertrauensverlust in die politische Führung. Die Regierungskoalition der UNO ist bitterlich zerstritten. Das alte Argument, daß die Probleme von heute das Produkt der Mißwirtschaft der Sandinisten von gestern sind, ist kaum noch zu hören. Die Regierung Chamoro versucht, die von den Volksbewegungen durchgeführten Aktionen (Streiks, Besetzungen usw.) mit zunehmender Gewalt und Repression zu unterdrücken.
Aber auch die FSLN kampft mehr mit sich selbst und internen Krisen.
Die sandinistische Basis organisiert sich in den von der FSLN unabhangigen Strukturen, wie z.B. Movimiento comunal (Komunale Bewegung), Gewerkschaften, Frauenorganisafionen etc.
So bleibt abzuwarten wie sich die Nicaraguanerlnnen bei der Wahl 1996 entscheiden werden.
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