Quelle: AZW Nummer 08, erschienen am 31.08.1995 | |
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Ein höflich formulierter Brief an Chirac, der ganz staatsmännisch auf die ungebrochene deutsch- französische Freundschaft hinweist, soll dieses Anliegen untermauern. Bis weit in bürgerliche Kreise stößt die Boykott-Kampagne auf Resonanz - eine denkwürdige Front über ansonsten scheinbar unüberbrückbare Grenzen hinweg. Ähnlich wie bei der Shell-Kampagne sind sich die Deutschen einig, daß der Übeltäter im Ausland sitzt, diesmal nicht in der Konzernzentrale in Rotterdam, sondern eben im Elysee-Palast in Paris.
Daß Atomwaffentests Ausdruck imperialen Größenwahns sind und für Mensch und Umwelt verheerende Folgen haben, darüber lohnt nicht zu streiten. Insoweit gibt es selbstverständlich keine vernünftige Alternative zu dem geforderten Stopp der Atomwaffentests. Was an dieser Kampagne stört, sind andere Momente:
Wenn Deutsche französiche Atomwaffentests kritisieren, sollten sie sich auch mit den Anteil Deutschlands an der fränzösischen atomaren Aufrüstung auseinandersetzen. Ein nicht unwesentlicher Anteil des für die französischen Atomwaffen benötigten Plutoniums stammt nämlich aus der Wiederaufbereitung deutscher Kernbrennstäbe. Teil der Boykott- Kampagne müßte insoweit auch die Kritik am deutschen Atomprogramm sein, das Frankreich den Bombenstoff liefert.
Obwohl Deutschland immer wieder wortgewaltig auf die Herstellung und den Besitz von Atomwaffen verzichtet hat, trägt es durch den Export von kerntechnischen Anlagen eine große Mitverantwortung dafür, daß der Atomwaffensperrvertrag, der die Weiterverbreitung von Atomwaffen verhindern sollte, fortwährend unterlaufen wurde. Heute besitzen mehrere Schwellenländer mit deutscher Unterstützung Atomwaffen, u.a. Südafrika und Pakistan. Auch dies müßte Thema einer Boykott-Kampagne sein.
Bevor mensch an veranwortliche Politiker der Regierungskoalition wie Repnik appelliert, sich doch bitte beim französischen Staatspräsidenten für einen Stopp der Atomwaffentests einzusetzten, wäre es vielleicht angebracht, erst einmal den durchaus nicht verstummten Ruf von Unionspolitikern nach deutscher Verfügungsgewalt über Kernwaffen zu kritisieren. Sehr schnell könnte sonst aus der Kampagne gegen die Entscheidung des französischen Staatspräsidenten ein Votum für eine gemeinsame europäische Verfügungsgewalt über Atomwaffen werden. Dies ist die derzeit wahrscheinlichste Variante, mit der die genannten Kreise den angeblich benachteiligten Status Deutschlands als Verliererstaat des Zweiten Weltkrieges wieder wettmachen und Deutschland auch militärisch zu einer über alle Waffensysteme verfügenden Großmacht machen wollen..
Wer sich mit diesen Fragen nicht auseinandersetzen will, der darf gerne weiter an der Boykott-Kampagne für französischen Wein und Käse basteln. Sie gibt allen Beteiligten das gute Gefühl, daß mensch auch mit deutschem Fusel blau und mit Emmentaler satt werden kann - bewirken wird sie gar nichts. Schädlich ist sie insoweit, als sie Wasser auf die Mühlen der nationalen Gesinnung ist, die wieder mal mit einer Kampagne gegen das böse Ausland (Deutsche, kauft nicht bei Franzosen...) die Deutschen in ihrem Wahn bestärkt, sie seien Vorreiter des Umweltschutzes, der atomaren Abrüstung, der Menschenrechte ...
Wer sich über die in der Kritik an dieser Kampagne genannten Sachverhalte genauer informieren will, sei herzlich eingeladen in die Infokneipe. Dort berichtet Matthias Küntzel, Autor von "Bonn und die Bombe", am 19. September bei einem guten Gläschen Beaujoulais sowie Brot und Camembert über die Geschichte deutscher Atomwaffenpolitik.
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