Quelle: AZW Nummer 14, erschienen am 16.12.1995 | |
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Bei der letzen Volkszählung wurde die Stadtverwaltung Konstanz von dem heftigen Widerstand gegen deren Durchführung ebenso überrascht wie der "Südkurier", der sonst doch auch das Husten der Flöhe in jedem Kaninchenzüchterverein rapportiert. LeserInnen des weiland "Nebelhorn" hätten da besser beraten können: auf einschlägigen Versammlungen wurde schon klar, daß die Volkszählung in Konstanz mit viel List und Phantasie erheblich behindert werden würde (laut Erhebung fuhren seinerzeit 14,3 Prozent der Universitätsangehörigen mit der U-Bahn zur Arbeit). Diese Entwicklung konnte von der "besten Konstanzer Tageszeitung" nicht wahrgenommen werden, weil sie politische Bewegung nur in Parteien, Gremien und anerkannten Organisationen sah.
Solche Wahrnehmungslücken zu schließen gehört zu den Chancen und Aufgaben der "Alternativ-Medien". Aber es geschieht nicht oft, daß Bewegung "unten" Wirkungen mit hinreichendem Neuigkeitswert für die angepaßteren Medien hat. Deshalb ist das Publikum der Alternativmedien darauf angewiesen, den Zusammenhang zum "Weltgeschehen" wie im Fernsehen und in der Zeitung präsentiert, für sich selbst herzustellen. Deshalb können Alternativmedien ihr Publikum nur halten, wenn sie sich entweder an Nachrichten Konsumgewohnheiten anpassen (dieser Weg scheitert meist schlicht am Geld) oder ihre Inhalte sich an der Lebenspraxis ihres Publikums orientieren: wer sich für menschenwürdigen oder zumindest verfassungskonformen Umgang mit Flüchtlingen in Konstanz einsetzt, wird eher die "AZW" lesen, als Menschen, die nur Sport treiben und sich somit in der Ortszeitung ausreichend wahrgenommen fühlen können.
Gesellschaftliche Initiativen sind meist kurzlebiger, wenn sie neben oder außerhalb von Parteien und "offiziellen" Organisationen betrieben werden. Sie dauern meist bis zum Erreichen des ursprünglichen Ziels oder bis zur Aufgabe. Deshalb wird das potentielle Publikum etwa einer "AZW" häufiger wechseln als das einer Tageszeitung. Um LeserInnen zu halten und zu gewinnen, müssen alternative Medien, die sich nicht bloß einen Markt suchen, ihr Publikum zu kollektiverem Handeln führen, aus dem dann wieder stärkeres Interesse an "seinem" Medium kommt. Beispiel: wenn sich etwa über die "AZW" Friedensinitiative, Zebra-Kino und AsylbetreuerInnen zu einer Veranstaltung zusammenfinden, die keine dieser Gruppen alleine gemacht hätte.
Das Anregen oder Organisieren von solchen Aktivitäten mit dem Machen eines Blattes zu verbinden, ist eine Kombination wie Birnen und Käse: zunächst befremdlich, aber in der Praxis köstlich. Für ersteres habe ich leider kein Patentrezept, deshalb ersatzweise mein Rezept für Birnen mit Käse:
"2 (Williams-)Birnen schälen, achteln.MAIK
"Habt Ihr die AZW gelesen, und wie habt Ihr sie wahrgenommen? Welchen Stellenwert hat für Euch Gegenöffentlichkeit? Welche Relevanz hat für Euch in dieser Hinsicht die AZW?" - so lautete die telefonische Nachfrage einer AZW-Mitarbeiterin an die StadträtInnen der Freien Grünen Liste während ihrer Fraktionssitzung am 4. Dezember. Flexibel wurde sogleich ein Brainstorming als Punkt in die Tagesordnung eingeschoben. Unter lebhafter Beteiligung war folgendes Meinungsbild beim Ideenregen zusammengekommen:
Gelesen wurde die AZW regelmäßig, da kommunalpolitisch immer relevante Artikel erschienen seien. Weder die Länge der Artikel noch deren Ausführlichkeit wurden bemängelt. Bedauert wurde dagegen, daß die "Alle Zwei Wochen" nicht stark genug in der Öffentlichkeit in Erscheinung getreten sei, was für ein Gegenöffentlichkeits-Medium unabdingbar wäre. Daß Gegenöffentlichkeit total wichtig wäre, dafür sprachen sich alle Anwesenden aus.
Inhaltlich lag die Hauptkritik an der mangelnden Breite des angesprochenen Spektrums. Über eine größere Themenvielfalt wie zum Beispiel auch kritische Kulturpolitik hätten womöglich mehr Menschen angesprochen werden können. Das hätte eine breitere Auseinandersetzung gefördert. Einige störten sich an einseitiger Linkslastigkeit einiger Artikel. Natürlich sei es wichtig, linke Positionen rüberzubringen, aber so, daß sie auch gelesen würden. Wenn trocken und dogmatisch serviert, sei die Chance dafür nicht besonders günstig. Es wäre sehr bedauerlich, wenn AZW wegfiele. Denn dann gäbe es nur noch eine rechte Öffentlichkeit zum Südkurier in Form der Rundschau.
Ebenfalls telefonisch befragt, fand Bärbel Köhler die AZW total wichtig, weil man da was unterbringen konnte, was einem am Herzen lag und oppositionell Denkende ein Sprachrohr hatten. Es wäre sehr bedenklich, wenn diese Möglichkeit wegfiele.
Ulla
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