linksrhein Quelle: AZW Nummer 14, erschienen am 16.12.1995
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Asoziale Abkassierer

Empörung über neuen Fähretarif

"Finden Sie das sozial gerecht?", wurde auf Flugblättern gefragt, die jüngst auf den Fähren zwischen Staad und Meersburg aushingen. Die unbekannten Verfasser bezogen sich dabei auf die Pläne der Konstanzer Stadtwerke, wieder einmal die Preise zu erhöhen. Neben der Anhebung der Wasserpreise (von 1,70 auf 2,00 Mark pro Kubikmeter) wollen die Stadtwerksoberen nämlich erneut die Tarife für Bus und Fähre erhöhen.

Dieses Ansinnen muß als besonders dreist betrachtet werden, weil die Konstanzer Bürgerinnen und Bürger damit zum dritten Mal innerhalb von vier Jahren für den öffentlichen Nahverkehr tiefer in die Tasche greifen sollen. So sollen im Busbereich erneut alle Zeitfahrkarten und Sammelfahrausweise (Wochenwertmarken, Monatswertmarken und Umweltticket) um 11 bis l6 Prozent verteuert werden.

Es sind jedoch vor allem die geplanten Veränderungen der Fährepreise, die gegenwärtig besonders hohe Wellen schlagen. Denn hier will die Stadtwerke-Leitung nicht einfach nur abkassieren; sie plant, künftig einen einheitlichen Tarif für alle PKWs zu erheben, egal ob es sich um einen Mercedes der S-Klasse oder einen Fiat Uno handelt. Bislang richten sich die Preise nach der Fahrzeuglänge und berücksichtigen zumindest indirekt die soziale Lage der Fahrzeugbesitzer. Sollten die Pläne der Stadtwerke Wirklichkeit werden, kämen vor allem auf die Besitzer von Klein- und Mittelwagen drastische Mehrkosten zu. Eine Monatskarte für einen VW-Golf beispielweise kostet gegenwärtig 153 Mark. Der anvisierte Einheitspreis soll für eine Fahrt 12 Mark, der für eine Monatskarte 240 Mark betragen. Für den Golfbesitzer bedeutet das eine Erhöhung von mehr als 55 Prozent! Verständlich, daß sich vor allem unter den Berufspendlern, die über den See müssen und damit auf die Fähre angewiesen sind, Unmut regt. Während Besitzer von Luxusschlitten übers Jahr gerechnet ungefähr 110 Mark mehr einplanen müßten, müßten die Besitzer von Klein- und Mittelklassewagen mit Zusatzkosten von 600 bis l000 Mark und mehr rechnen.

Doch nicht nur die unverschämte Höhe und die unsozialen Auswirkungen des neuen Tarifs rufen Empörung hervor. Mit der Einführung eines Einheitstarifs wollen die Stadtwerke nämlich gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Neben den Mehreinnahmen - die Fähre macht übrigens Jahr für Jahr satte Gewinne - soll dieser nämlich die Voraussetzungen schaffen, um beim Fährepersonal zu rationalisieren. Erklärtes Ziel der Stadtwerke ist es, in diesem Bereich Stellen abzubauen. Der Einheitspreis soll es nämlich ermöglichen, das Barzahlungssystem über Automaten abzuwickeln. Die vom Personal ausgeführten Kontrollen und Kassiergänge entfielen damit, die Besatzung der Fähren könnte von 4 auf 3 Mann reduziert und 27 Leute auf die Straße gesetzt werden. Das befürchtet die Gewerkschaft ÖTV, die sich inzwischen in Sachen Fähretarife zu Wort gemeldet hat. In einem Flugblatt, das Gewerkschafter in der vergangenen Woche an Fährebenutzer verteilt haben, geht die ÖTV davon aus, daß nicht nur bei den Besatzungen, sondern auch beim Platzdienst ein Abbau von Arbeitsplätzen geplant ist. Insgesamt, so die ÖTV, "ist mit einem Verlust von 50 bis 60 Arbeitsplätzen zu rechnen." Die Gewerkschaft weist darauf hin, daß mit diesen Plänen der Stadtwerke "ein enormer Abbau von Sicherheitsmaßnahmen für Fahrgäste und PKW's" verbunden ist, "da ausreichende Sicherheitshilfen bei nur 3 Mann Besatzung nicht gewährleistet sind." außerdem befürchtet die Gewerkschaft eine "erhebliche Verlängerung der Wartezeiten, weil ein geordneter und flüssiger Betriebsablauf nicht mehr gewährleistet ist."

Begründet werden die Preiserhöhungen mit einem zu erwartenden Defizit des Stadtwerks-Haushalts von 1,2 Mio. DM. Dieser Fehlbetrag entsteht allerdings nur, weil die Stadtwerke wie seit Jahren schon 6 Mio. Mark als Konzessionsabgabe (offizielle, deshalb jedoch nicht weniger absurde Begründung dafür: die Nutzung von städtischen Leitungen durch den städtischen Eigenbetrieb Stadtwerke) in den maroden Konstanzer Stadthaushalt pumpen müssen.

Ebenso wie die Verfasser des eingangs erwähnten Flugblatts, die wohl in den Reihen des Fährepersonals zu suchen sind, fordert die ÖTV dazu auf, die Stadtwerks-Pläne nicht so hinzunehmen und an den Gemeinderat zu appellieren, "diesem Tarif und seinen Folgen nicht zuzustimmen". Selbst die "Südkurier"- Lokalredaktion scheint zu wittern, daß die Abkassierer in der Stadtwerksspitze diesmal einen Schritt zu weit gegangen sind. Sie empfiehlt den Verantwortlichen, die Erhöhung auf mehrere Jahre zu verteilen, damit sie die Betroffenen "leichter verdauen".

Wir hoffen, daß möglichst viele Betroffene endlich aufhören, die ständigen Gebühren- und Preiserhöhungen zu schlucken (geschweige denn sie zu verdauen), und öffentlichen Druck auf den Gemeinderat ausüben, diesem erneuten städtischen Raubzug auf die Geldbeutel der Bürgerinnen und Bürger nicht zuzustimmen.

(jüg)

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