Politics
Im Moment herrscht in Namibia grosse Aufregung, weil sich eine neue Partei gebildet hat. Die "Rally for Democracy and Progress" wurde von abtrünnigen Swapo-Mitgliedern gegründet. Das prominenteste ist der interimistische Parteivorsitzende Hidipo Hamutenya, ein Swapo-Veteran, der seit 1976 im Politbuero der Partei sass, in den 80ern die Informationsabteilung der Partei leitete und nach der Unabhängigkeit nacheinander Minister für Information und Rundfunk, Handels- und Aussenminister war. Seit der Ankündigung der Gründung und der ersten Versammlung im Independence Stadium in Katutura dreht die Swapo jetzt durch, was darauf hindeutet, dass die neue Partei eine ernstzunehmende Gefahr für die seit der Unabhängigkeit 1990 regierende Swapo darstellt. Besonders problematisch ist für die Partei, dass die Abtrünnigen zum Teil bis zu ihrem Austritt hohe Swapo-Kader waren, wie Hamutenya, der 2004 sogar kurz als möglicher Präsidentschaftskandidat der Partei gehandelt worden war, oder die ehemalige Generalsekretärin des Swapo Womens' Council, Ellen Musialela. Andere, wie die Journalistin und Tochter von Swapo-Mitbegründern, Norah Appolus, sind enorm prominente Figuren in Namibia.
Deswegen herrscht in der Swapo, die diese Woche einen grossen Parteitag abhalten wird, auf dem die vier hoechsten Positionen in der Partei neu besetzt werden, allgemeine Paranoia. Es ist eine Liste aufgetaucht, auf der 20 Namen prominentester Swapo-Mitglieder aufgeführt sind, die angeblich zur RDP überlaufen wollen, darunter einige Minister und sogar Andimba Toivo ja Toivo, Gründungsmitglied der Swapo-Vorläuferorganisation OPO und langjähriger Gefangener auf Robben Island. Die meisten hatten überhaupt nichts mit der RDP zu tun und distanzierten sich eilig. Dennoch gehen die Grabenkämpfe auf den unteren Parteiebenen weiter; immer wieder werden Vertreter der Regionen vom Parteitag ausgeladen, weil sie angeblich mit der neuen Partei verbunden sind. Zudem hat die Swapo angekündigt, ihre Mitglieder in Zukunft einen Treueeid schwören zu lassen.
Generell ist die Frage, ob im Parteiensystem Namibias, in dem alle Parteien einer politischen Mitte zuzurechnen sind und links-rechts-Unterscheidungen kaum gemacht werden können, noch Platz für eine weitere Partei ist. Überhaupt ist die namibische Politik wesentlich stärker durch Persönlichkeiten geprägt als durch programmatische Diskussionen, weswegen solche Debatten auch schnell in persönliche Diffamierungen abgleiten. Die meisten Medien sind da voll dabei.
Aber jenseits aller panischen Reaktionen der Partei an der Macht muss man sich fragen, was eigentlich das Programm der neuen Partei ist. In den meisten Medien wurde die Bildung der RDP in den Medien als Gewinn für mehr Demokratie gesehen, aber über konkrete programmatische Punkte wurde bisher kaum gesprochen. Die Diskussion beschränkt sich im Moment auf Personalien, wie gesagt nichts ungewöhnliches in der namibischen Politik.
Die RDP kündigt an, ihre "Versprechen halten" zu wollen: "We will deliver on our promises". Der Grund für den Austritt aus der Swapo, erklärt Appolus, sei die zunehmende Autokratisierung innerhalb der Partei sowie die Tatsache, dass die Versprechen, die die Swapo bei der Unabhängigkeit gegeben hatte, nicht erfüllt worden seien. So sei die Arbeitslosenzahl inzwischen weit höher als vor der Unabhängigkeit, und die Schere zwischen arm und reich noch größer geworden. Die RDP, so Appolus, wolle aufhören, ständig über den "struggle" – also den Befreiungskampf – und die jeweilige Beteiligung verschiedener Personen daran zu reden, und statt dessen die aktuellen Probleme anpacken. Sie zielt dabei vor allem auf eine jugendliche Wählerschaft, die sich kaum an die Zeit vor der Unabhängigkeit erinnert und stärker an den aktuellen sozialen Problemen interessiert ist. Damit könnte die RDP durchaus Erfolg haben. Das Programm der Partei betont die demokratischen Fundamente, erklärt, die Partei habe sich "vor dem Hintergrund einer alarmierenden anti-demokratischen Regression im Land" gebildet, und bekennt sich zu "Diskussion, Konsultation und Konsens" als den Grundlagen von "good governance". Transparenz und Verantwortlichkeit seien zentrale Elemente. Das klingt alles ganz toll, erinnert aber auch sehr stark an den üblichen Jargon von NGO's, Entwicklungshilfeorganisationen sowie IWF und Weltbank, die unter dem Deckmantel solcher Schlagwörter neoliberale Wirtschaftsreformen durchdrücken.
Unter dem Stichwort "Progress" führt das Programm der Partei vor allem notwendige Reformen im Bildungssytem auf. Es sei dringend notwendig, eine gut ausgebildete Arbeiterschaft in Namibia zu schaffen. Die Ausbildung will man dabei vor allem mittels "private-public partnership" verbessern, also der Zusammenarbeit von Regierungsinstitutionen mit privaten Investoren. Ökonomisch will die RDP auf eine Diversifizierung der Produkte hinarbeiten, um die wirtschaftliche Basis des Landes zu stabilisieren. Obwohl vieles in dem Programm diffus bleibt, deuten solche Details darauf hin, dass die RDP tatsächlich ein neoliberales Wirtschaftsprogramm verfolgt, dass auf den zumindest teilweisen Rückzug des Staates aus zentralen Bereichen der staatlichen Dienste setzt.
Generell zeigt sich die enorme Wirtschaftsnähe der neuen Partei und ihre Nähe zu neoliberalen Vorstellungen vom Markt und Staat. Angesprochen auf das ökonomische Programm der Partei, erklärt Norah Appolus, man wolle ein "asiatisches Wunder" in Namibia erschaffen, und spielt damit auf den Aufstieg der sogenannten "Tigerstaaten" in Südostasien in den 90ern an. An einem Beispiel zeigt sich, wie sie das schaffen wollen: Ramatex. Ramatex war ein malayisches Unternehmen, das 2001 hier eine Fabrik hinstellte, in der hochwertige Textilien für den Export produziert wurden. Das ganze war ein Vorzeigeprojekt der Regierung (an dem Hamutenya wesentlich beteiligt war), die den malayischen Investoren enorm günstige Bedingungen geschaffen hatte, um 6000 neue Arbeitsplätze zu schaffen. Bald stellte sich aber heraus, dass die Arbeitsbedingungen katastrophal waren, und mit mehreren Streiks (auch Wildcatstreiks) versuchten die Arbeiter, Loehne und Arbeitsbedingungen zu verbessern. Die Gewerkschaft beschwerte sich bei der ILO, machte die Verhältnisse bei Ramatex auch in den USA, wo die meisten Abnehmerfirmen waren, publik und forderte ein Einschreiten. Berichte ueber die skandaloesen Bedingungen, unter denen 400 aus Bangladesh herangekarrte Arbeiter leben mussten, die auch noch „Agenten“ fuer den Transport nach Namibia hatten bezahlen muessen, und die staendige Verletzung der oekologischen und arbeitsrechtlichen Standards ziehen sich seit 2002 durch die namibische Presse. Seit Mitte des Jahres haeufen sich die Anzeichen, dass die Firma sich bald aus Namibia zurueckzieht, und die Arbeiter fuerchten um ihre Arbeitsplaetze.
Appolus' Antwort darauf ist nun nicht etwa, dass man solche Investoren besser kontrollieren muss, sondern dass die Gewerkschaft die Klappe hätte halten sollen. Die Arbeiter seien immerhin keine Facharbeiter gewesen, sondern "von der Strasse" geholt worden – wo sie jetzt, nachdem Ramatex die aufmuepfigen Arbeiter schlicht entlassen hat, auch wieder seien. Man könne nichts verlangen, solange die allgemeine Lage in Namibia so schlecht sei. Vielmehr überlegt sie laut, ob man nicht, wie in Malaysia, die Gewerkschaften verbieten solle, bis ein gewisses ökonomisches Niveau erreicht sei und die Arbeiter besser ausgebildet seien. Dass das "asiatische Wunder" genau so auf dem Rücken der armen, ungebildeten Teile der Bevölkerung erreicht wurde, die in Ländern wie Vietnam bis heute kaum davon profitieren, erwähnt sie nicht. Solche Kommentare deuten darauf hin, dass man es mit einer extrem wirtschaftsfreundlichen und neoliberalen Partei zu tun haben wird, die sicher nicht die Durchsetzung sozialer und arbeitsrechtlicher Standards propagiert, sondern glaubt, in den „Gesetzen des Marktes“ den Schluessel zum oekonomischen Aufstieg des Landes zu finden.
Zudem ist auch die RDP durch ihre prominenten Funktionäre und Funktionärinnen nicht ganz frei von der Personalisierung namibischer Politik. Zwar wollen sie nicht über den "struggle" reden, aber sie wissen, dass jeder weiss, dass sie darin eine wichtige Rolle gespielt haben. Dazu kommt die gescheiterte Nominierung Hamutenyas zum Präsidentschaftskandidaten 2004. Nachdem klar war, dass Partei- und Staatspraesident Sam Nujoma, der schon für seine dritte Amtszeit die Verfassung hatte ändern müssen, nicht ein viertes Mal kandidieren konnte, wurden vom Politbüro der Swapo drei Kandidaten nominiert: der jetzige Präsident Hifikepunye Pohamba, der jetzige Premierminister Nahas Angula und eben Hamutenya. Dabei war von Beginn an klar, dass Pohamba der Wunschkandidat Nujomas war. Als Hamutenya zu grosse Zustimmung in der Partei bekam, begann eine regelrechte Hexenjagd innerhalb der Partei auf Hamutenya und seine Unterstützer. Kurz vor der Wahl des Präsidentschaftskandidaten wurde Hamutenya als Minister entlassen, womit endgültig klar war, wer nicht gewählt werden sollte. Sehr wahrscheinlich begannen damals schon die Vorbereitungen für die neue Partei, auch wenn Hamutenya sich bis kurz vor der Gruendungsversammlung nicht offen zur RDP bekannte.
Ob die RDP wirklich eine ernsthafte Bedrohung für die Regierungspartei darstellt, bleibt abzuwarten. Sie könnte auch das Schicksal des "Congress of Democrats" (CoD) teilen, einer früheren Abspaltung aus der Swapo, die inzwischen derartig von internen Streitigkeiten zerrissen ist, dass sie kaum mehr eine Rolle spielt. Der Zulauf zur neuen Partei auf der Gründungveranstaltung vorletzten Samstag jedenfalls war enorm. Appolus behauptet, inzwischen habe die Partei 10 000 Mitglieder; verlaessliche Zahlen gibt es aber noch nicht.