Seeblättle  <<  >>  Quelle:  Seeblättle  Jg. 2000  Nr. 3 

Der Sozialamtsleiter, das Sozialrecht und die Wohnungslosen

Aufgrund eines Beschlusses des Sozialausschuß ist in Konstanz der AK Obdachlosigkeit reaktiviert worden, der in Zukunft 3 bis 4 mal jährlich tagen soll. Zugeladen sind die zuständigen Behörden, die WOBAK, AGJ, die Betroffenen - Initiative und je ein Mitglied jeder Stadtratspartei. Am 31.5. traf er sich nun erstmals.

Von Anfang an ging es hoch her. Denn die Betroffenen-Initiative hatte Sozialamtsleiter Treude im Vorfeld vorgeworfen, im Bereich der Wohnungslosenhilfe rechtswidrig vorzugehen. Sie hatte beantragt, daß zu Beginn der Sitzung aufgrund einer von ihr zusammengestellten Ausarbeitung von Rechtsquellen eine Diskussion über das Recht zur Beseitigung von Obdachlosigkeit stattfinde, was allerdings abgelehnt wurde. Doch machte Sozialamtsleiter Treude erstmals eine Aussage zu unserer Textzusammenstellung: er könne unseren Zitaten aus dem Lehr- und Praxiskommentar zum Bundessozialhilferecht sehr wohl zustimmen, jedoch nicht unseren Schlußfolgerungen.

Ein Zitat...

"Sozialhilferechtlich kann der Wohnungsbedarf über vorhandenen, im Verfügungsrecht des Sozialhilfeträgers stehenden, oder auf vertraglichem Wege zu erschließenden Wohnraum gedeckt werden. Die Ansprüche der Hilfesuchenden gehen dabei über die Bereitstellung der Mittel, um sich am Wohnungsmarkt selbst zu versorgen, hinaus, und zwar dann, wenn der Hilfesuchende auf diese Weise nicht zum Ziel kommen kann... Ggf. hat er also auch Anspruch auf Beschaffung einer Wohnung." (Lehr- und Praxiskommentar zum BSHG, 1998, S. 673, Rz 46)

Bei dieser Bestimmung handelt es sich übrigens um eine sogenannte Ist-Bestimmung, die unbedingt ohne jeden Ermessensspielraum umzusetzen ist.

...und die Schlußfolgerungen

Der örtliche Sozialhilfeträger ist der Kreis. Da die Stadt Konstanz Delegationsstadt ist und die Aufgaben der Sozialhilfe selbständig durchzuführen hat, müßte eine Prüfung erfolgen, ob die Stadt Konstanz über leerstehenden Wohnraum verfügt, in den wohnungslose Personen eingewiesen werden können. Dies ist die eindeutige Schlußfolgerung, die aus dem Zitat zu ziehen ist.

Bei Treude wird daraus etwas ganz anderes: "Unser Amt verfügt nicht über eigenen Wohnraum, weshalb eine Unterbringung nur in Zusammenarbeit mit der WOBAK möglich ist."

So geht es, wenn die Frage falsch gestellt wird. Statt zu fragen, ob das Sozialamt über Wohnraum verfügt, - was selbstverständlich zu verneinen ist - müßte gefragt werden, ob die Stadt Konstanz über leerstehenden Wohnraum verfügt, was ebenso selbstverständlich zu bejahen ist. Nachdem auf diese Art das Problem zielbewußt auf das falsche Gleis gesetzt ist, kann sich Treude zurücklehnen und den Rest der WOBAK überlassen. Rechtsinterpretation Marke Treude dient eben zuvorderst dazu, ein Tätigwerden der Stadt zugunsten Obdachloser auszuschließen.

Probleme jugendlicher Punker sind schnell lösbar

Der Vertreter der WOBAK zeigte sich auf der Sitzung des AK Obdachlosigkeit sehr kooperativ. Jedoch wies er völlig zurecht auf Integrationsprobleme jugendlicher Punker mit Hunden hin. Die Lösung des Problems wäre denn auch viel einfacher gewesen, hätte der Sozialamtsleiter auch mit der anderen Konstanzer Wohnungsbaugesellschaft geredet, der Neuen Arbeit GmbH in der alten Cherisy-Kaserne. Dort arbeiten häufig junge wohnungslose Menschen im Rahmen der vom Sozialamt verfügten Sozialhilfearbeit. Jugendliche helfen bei der Erstellung von Wohnraum, sind aber währenddessen manchmal obdachlos. Die Neue Arbeit hat dieses Problem längst erkannt und sich bereit erklärt, eine Jugendwohngruppe für diese Personen zu schaffen. Die einzige Voraussetzung: es muß eine sozialpädagogische Betreuung sichergestellt sein. Eine sinnvollere Integrationsperspektive für wohnungslose Punker ist wohl kaum denkbar. Sie helfen dann bei der NA zu tariflichem Lohn bei der Erstellung von Wohnraum und erhalten dafür eine Wohnung, die sie von ihrem Lohn auch selber bezahlen können.

Nachdem der Vertreter der Betroffenen-Initiative diese Möglichkeit im AK Obdachlosigkeit vorgestellt hatte, gab selbst Treude zu, daß diese Variante auf jeden Fall geprüft werden sollte.

Für kranke und ältere Wohnungslose ohne Integrationshoffnung muß schnell eine Lösung her

Es gibt in Konstanz ca. 6 bis 10 ältere Obdachlose, die schwer alkoholkrank und psychisch krank sind. Sie sind wegen ihrer Krankheit nicht mehr in der Lage zu Entziehungs- oder Entgiftungskuren. Sie fallen aus dem Hilfesystem einfach heraus. Es gibt für sie in ihrem fortgeschrittenen Alter keine Hoffnung mehr, daß sie wieder in ein "normales" Leben zurückfinden. Die Gesellschaft muß sich mit folgenden Fragen befassen: Sollen wir zusehen, wie diese Menschen auf der Straße elendig verrecken? Sollen wir zusehen, wie sie sich zu Tode saufen? Sollen wir den Alkoholismus dieser Leute als Ausdruck mangelnden Selbsthilfewillens werten oder als nicht mehr heilbare - allenfalls zu lindernde - Krankheit? Darf diesen Leuten -wegen ihrer Krankheit - das Recht auf eine Wohnung verweigert werden?

Die Konstanzer sollten diese Fragen schnell entscheiden. Obdachlose berichten glaubwürdig, daß der nächste Tote noch in diesem Jahr zu erwarten ist. Auch hier empfiehlt sich ein Blick ins Sozialhilfegesetz: "Die Hilfe umfaßt alle Maßnahmen, die notwendig sind, um die Schwierigkeiten abzuwenden, zu beseitigen, zu mildern oder ihre Verschlimmerung zu verhüten..." (§ 72 Abs. 2 BSHG)

obi


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Linksrheincm27.09.2000