Zum europaweiten Protesttag der Behindertenverbände am 5. Mai rief die "Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben", ISL e.V. Deutschland, zu bundesweiten Aktionen auf. Auch in Konstanz trafen sich an diesem Tag Mitglieder der örtlichen Initiativen auf der Marktstätte, um auf ihre Interessen aufmerksam zu machen. Beteiligt waren Mitglieder und Freunde der "AMSEL" (Deutsche MS Gesellschaft), Eltern und Schüler der Regenbogenschule, des integrativen Kindergartens "Arche", der Bewegung für Integration in Schulen ( ISEP-Gruppe ) und der "Eltern für Integration". Mit drei Redebeiträgen und selbstgeschriebenen Texten auf einer Stelltafel und auf der "Mauer der Diskriminierung" ( aus Umzugskartons )wiesen sie auf ihre Wünsche und Forderungen hin. Wir dokumentieren den Redebeitrag eines AMSEL-Mitglieds aus Konstanz.
Liebe Mitmenschen - ob mit oder ohne Behinderung! Wir, die Mitglieder verschiedener Konstanzer Selbsthilfeorganisationen, sind heute hier zusammengekommen, um für die Gleichstellung behinderter Menschen zu demonstrieren.
Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland steht im Artikel 1): Die Würde des Menschen ist unantastbar! Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt! Und im Artikel 3): Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich! - Seit 94 mit dem Zusatz: Keiner darf wegen einer Behinderung benachteiligt werden! Ferner kann man in Artikel 12) lesen: Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen! Und im Zusatzprotokoll zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte: Das Recht auf Bildung darf niemandem verwehrt werden!
Nun kommen hier Menschen zusammen, deren Grundrechte nur zu oft beschnitten oder mißachtet werden. Es fängt schon damit an, daß RollstuhlfahrerInnen das Rathaus in KN nicht "betreten" können; Gemeinderatssitzungen wie auch die Bürgersprechstunde sind somit für sie "tabu". Busse und Bahnen bieten zu wenig behindertengerechte Einstiegsmöglichkeiten. Viele staatliche Ämter, z.B. die Gerichtsgebäude und die Schulen sind nur über Treppen zu erreichen. Umsteigen am Sternenplatz und der Bahnhof mit Gleis 2 und 3 sind für Gehbehinderte nur mit Hilfe erreichbar. Es gibt viel zu wenig Rollstuhl-WCs. Auf den Straßen erschweren hohe Bordsteinkanten ohne Absenkungen das Benutzen der Gehwege, z.B. im Berchengebiet und rund um das Klinikum und die Altenpflegeeinrichtungen herum. Die Ampelphasen sind für Fußgänger mit Behinderungen zu kurz. Zu wenig Ampeln sind mit Akustiksignalen für Sehbehinderte ausgestattet. Wohnraum für RollstuhlfahrerInnen ist rar in Konstanz. Arbeitsplätze für behinderte Menschen werden entweder gar nicht oder nur auf 630-Mark-Basis angeboten. Viele Schwerbehinderte müssen um ihren Lebensunterhalt und um Heil- und Hilfsmittel Kämpfe führen...
Diese Liste ließe sich noch um Einiges erweitern, aber sie reicht aus, um aufzuzeigen, wie selbstbestimmtes Leben hier und anderswo behindert wird! Wir sind heute hier zusammengekommen, um ein Gleichstellungsgesetz auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene zu fordern. Die Zeichen stehen günstig, daß wir es in nächster Zeit durchsetzen können. Doch danach gilt es, den Inhalt dieses Gesetzes auch umzusetzen. Dazu brauchen wir die Unterstützung Vieler. Wir haben mit unseren Erfahrungen und Wünschen eine "Mauer" gepflastert, wir nennen sie: die "Mauer der Diskriminierung". Diese Mauer wollen wir hier und heute einreißen. Vielleicht gelingt es uns sogar, aus den Steinen der Mauer eine Brücke zu bauen. Dazu brauchen wir auch Mitmenschen ohne Behinderungen, die mit uns gemeinsam die Pfeiler dieser Brücke bilden!
Ich bedanke mich für Ihr Interesse und rufe dazu auf, den Wunsch nach selbstbestimmtem Leben aller Menschen, auch derer mit Behinderungen, nach Kräften zu unterstützen.
Lioba Rister, Mitglied der AMSEL Konstanz
Diskussion:
Sofern Sie diesen Beitrag kommentieren möchten, schicken Sie uns eine
Mail