Jetzt erlebte ich per Zufall vor der Filiale der Deutschen Bank hier in Konstanz diese Situation: Zwei vielleicht wohnungslose ältere Männer sassen ruhig am Boden vor dieser Filiale. Sie lehnten sich mit dem Rücken an die Wand des Bankgebäudes und bettelten mit einer Schirmmütze um ein bisschen Geld. Beide sassen übrigens weiträumig entfernt vom Eingangsbereich der Deutschen-Bank-Filiale, sie störten also keine Mitarbeiter/in oder Kund/in der Bank.
Plötzlich kam aus dieser Bank eine Dame heraus, ging auf beide Herren zu und schimpfte sie laut und gereizt an: "Verschwinden Sie! Sie beschädigen unser Bankhaus und unseren Ruf. Gehen Sie schon weg! Wenn Sie nicht sofort gehen rufe ich die Polizei."
Aufgrund dieser Mitteilung der Dame ging ich zu den drei Personen hin und sagte zu ihr: "Sie irren sich. Diese Männer beschädigen das Haus Ihrer Bank ganz offensichtlich nicht. Ausserdem tangieren diese Herren durch ihr blosses, ruhiges Sitzen ganz offensichtlich auch den Ruf Ihrer Bank nicht. Deshalb würde es mich schon interessieren, wenn Sie dennoch die Polizei benachrichtigen wollten. Ich warte also hier so lange, bis die Polizei eintreffen wird."
Plötzlich entschloss sich die Dame die Polizei nicht mehr anzurufen. Und sie entschloss sich ihre sachlich falschen Behauptungen nicht aufrecht zu halten. Auf Befragen sagte sie, dass sie die Filialleiterin der Deutschen Bank, Frau U., ist. Im Gespräch mit den wohnungslosen Männern stellte ich fest, dass insbesondere einer von ihnen bereits seit geraumer Zeit viel zu wenig Sozialhilfe - Regelsatz etc. - erhält. Deshalb ging ich mit ihnen übrigens noch zu der für sie zuständigen Sozialhilfestelle hin und regelte die Sache.
Hier die überwiegend politisch (!) wichtigsten Unternehmensdaten: "Die Deutsche Bank wurde 1870 in Berlin gegründet und expandierte schnell zum führenden deutschen Kreditinstitut<193> Maßgeblicher Einfluß auf zahlreiche bedeutende Industrieunternehmen, u.a. Mannesmann, BMW, Daimler-Benz, Rheinische Braunkohle, Reemtsma. Weitgehendes Engagement mit der Nazi-Regierung. Mit der aggressiven Politik der Nationalsozialisten dehnte die Deutsche Bank ihren Einflußbereich auf die Territorien der überfallenen Länder aus. 1938 Kontrolle über Österreichs größte Bank, den Creditanstalt-Bodenverein" (dazu detaillierte Unternehmensdaten sowie Belege in und zitiert aus Rüdiger Liedtke, Wem gehört die Republik? Die Konzerne und ihre Verpflechtungen 2000, Frankfurt/M. 1999, S. 130, s. auch Peter-Ferdinand Koch, Die Geldgeschäfte der SS. Wie deutsche Banken den schwarzen Terror finanzierten, Hamburg 2000; zu weiteren Verflechtungen zwischen der Regierungs- und Kapitalelite des NS-Regimes s. statt anderer Joseph Borkin, Die unheilige Allianz der I.G. Farben, Frankfurt/New York 1979).
Übrigens auch heute bestehen weitgehende finanzielle und personelle Verflechtungen zwischen Politik und Kapital. So ist bekannt, dass acht Mitglieder der gegenwärtigen Landesregierung Baden-Württembergs insgesamt 18 Aufsichtsratsmandate in jedenfalls landesbeteiligten Banken inne haben, u.a. bei der Baden-Württembergischen Bank AG, die auch in Konstanz vertreten ist. Beispielsweise ist der Sozialminister des Landes zugleich im Aufsichtsrat von zwei Banken aktiv tätig (Südkurier 20.05.00). Prinzipiell vergleichbar sind die Verflechtungen auf kommunaler Ebene (s. Sparkassengesetz Baden-Württemberg). Dass solche Verflechtungen zwischen Politik und Kapital nicht ganz unproblematisch sind zeigt auch die Affäre um den Ex-Minister Schaufler hier im Ländle (Südkurier z.B. vom 12.+18.04.00).
Die Deutsche Bank kam durch die geplatzte Fusion mit der Dresdner Bank umfangreich in die Schlagzeilen.
Gerade auch für den Sozialbereich in der BRD wären - der Wille dazu voraus gesetzt - die hinreichenden Mittel vorhanden (s. Herbert Schui/Eckart Spoo, Hg.): Geld ist genug da. Reichtum in Deutschland, Heilbronn 1996).
In Anlehnung an eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Januar 1957 - die aufgrund der Klage einer Bürgerin erging - ersuchte der Bundestag die Bundesregierung, baldmöglichst den Entwurf eines neuen Fürsorge- oder Sozialhilfegesetzes vorzulegen. Dem Ersuchen folgte die damalige Bundesregierung nur zögernd. Erst im April 1960 legte die Regierung in Bonn dem Bundestag den Entwurf eines Bundessozialhilfegesetzes vor. Im Juni 1961 verabschiedete der Bundestag das Bundessozialhilfegesetz (s. auch Fritz Luber, BSHG, Percha 1989, S. 19). Dieses Gesetz gilt in seinen wesentlichen Teilen auch heute.
Auf der Grundlage des Bundessozialhilfegesetzes haben grundsätzlich auch Wohnungslose einen Anspruch auf Sozialhilfe (Auszahlung des Regelsatzes etc.). Jedoch berichteten viele Wohnungslose, dass zahlreiche Städte in der BRD den grundsätzlichen Anspruch dieser Personengruppe auf Sozialhilfe systematisch und jahrelang tatsächlich verweigern. Deshalb mussten viele Wohnungslose jahrelang im Bereich der Kirchen ein Almosen erbitten.
Damit war die entsprechende Wohnungslosenpolitik im Ergebnis wie folgt geregelt: Viele Gemeinden entschlossen sich jahrelang Wohnungslosen die Verwirklichung ihres gesetzlich grundsätzlich garantierten Rechtsanspruchs auf Sozialhilfe tatsächlich zu verweigern. Deshalb wandten sich zahlreiche Wohnunglose - um überleben zu können - an private Stellen, insbesondere an die Kirchen. Diese Stellen wurden ihnen gegenüber zwar tätig, jedoch nur aufgrund ihres blossen Selbstverständnisses, also grundsätzlich ohne eine gesetzliche Verpflichtung gegenüber Wohnungslosen. In der Folge gaben private Stellen Wohnungslosen ein so kleines Almosen wie diese Einrichtungen wollten (oder konnten).
Freilich gab es nicht nur Städte, die die Bewilligung der Sozialhilfe an Wohnungslose generell verweigerten. Darüber hinaus gab es Städte, die Wohnungslosen prinzipiell Sozialhilfe bewilligten. Jedoch gewährten diese Städte Sozialhilfe nicht als Barauszahlung des Regelsatzes etc., sondern nur als Esspäckchen - sog. Sachleistung -, später als Gutschein, den die Betroffenen nur bei bestimmten Supermärkten gegen bestimmte Lebensmittel eintauschen durften. Diese Gutscheinpraxis freilich stigmatisierte Wohnungslose regelmässig gegenüber anderen einkaufenden Menschen in den Supermärkten. Übrigens wurden die Sachleistungs- wie auch die Gutscheingewährung jeweils über viele Jahre durchgeführt.
Inzwischen bewilligen die Städte den Regelsatz der Sozialhilfe auch für Wohnungslose generell als Barauszahlung. Jedoch kommt es allzu oft noch vor, dass Städte die sog. einmaligen Leistungen der Sozialhilfe - also insbesondere Bekleidung - weiterhin als Sachleistung gewähren (zudem nur bereits gebrauchte Sachleistung!).
Viele Jahre lang versuchten zahlreiche Städte die Problematik der Existenz der Wohnungslosen auch mittels der puren Anwendung des Ordnungsrechts zu lösen. Dadurch kamen Wohnungslose in diversen Städten erst gar nicht bis zum Gebäude des Sozialamts, in dem sie doch Sozialhilfe beantragen wollten: Bereits in der Stadt ihres Ziels angekommen, jedoch noch auf der Suche nach dem Sozialamtsgebäude, wurden Wohnungslose häufig von der Polizei aufgegriffen und gegen ihren Willen in die stationäre Psychiatrie gebracht. Gerade auch Vorschriften des Landes Baden-Württemberg mit sehr zweifelhaftem Inhalt versuchten solche Entscheidungen zu begründen.
Damit knüpften Landesgesetzgeber und Ordnungsbehörden an die Tradition des Dritten Reichs an: Bereits unter Hitler wurden Juden, Wohnungslose, Behinderte und andere Minderheiten in Sonderanstalten verbracht und dort ihrem jeweils gesellschaftlich gewünschten Schicksal zugeführt. Der Südkurier vom 28.01.00 berichtet, dass die Mitglieder des Zentrums für Psychiatrie Reichenau (ZPR) zum Gedenken "des 27. Januar 1945, an dem Soldaten der Roten Armee die Vernichtungslager Auschwitz und Birkenau befreiten", auf dem Gebiet des ZPR einen Kranz nieder legten. Die Nationalsozialisten hatten Juden, Zigeuner und andere Minderheiten in Sonderanstalten deportiert. In der damaligen Heil- und Pflegeanstalt Reichenau wurden übrigens 508 Menschen getötet.
Oder: Waren Wohnungslose insbesondere in den 70er Jahren ebenfalls bereits in der Stadt ihres Ziels angekommen, jedoch noch auf der genannten Suche nach dem Sozialamtsgebäude, wurden sie häufig wiederum von der Polizei aufgegriffen und gegen ihren Willen dieses Mal weit ausserhalb der Gemeinde etwa in einem Wald ausgesetzt. In zahlreichen Städten kamen diese Vorgänge viele Jahre lang vor. Diese sog. Aufgriffe der Polizei wurden übrigens nicht selten nach einem Anruf der jeweils örtlichen Filiale der Deutschen Bank & Co. bei der kommunalen Ordnungsbehörde durchgeführt. Grundlage der Entscheidung der Polizei, Wohnungslose gegen ihren Willen z.B. vom Stadtkern weit ausserhalb einer Gemeinde zu fahren und dort auszusetzen, waren Paragrafen in den Polizeigesetzen der Bundesländer mit unbestimmten Rechtsbegriffen von wegen der "öffentlichen Ordnung".
Keine Gemeinde wollte und will "Hauptstadt der Wohnungslosen" werden (s. auch Seeblättle 02/00). Führten die Städte deshalb untereinander einen Wettbewerb durch hinsichtlich ihrer Massnahmen gegen Wohnungslose?
Städte gingen gegen Wohnungslose zum einen mittels des oben erwähnten Landesrechts vor. Daneben kreierten viele Gemeinden ein eigenes (kommunales) Ordnungsrecht, um gegen Wohnungslose ggf. vorgehen zu dürfen. So verabschiedete der Gemeinderat der Landeshauptstadt Stuttgart bereits in den 80er Jahren eine Satzung, nach der es Personen untersagt ist im Bereich der Fussgängerzone zu betteln. Diese Satzung wurde zwar umfangreich als act homeless person kritisiert, jedoch wurde sie in Kraft gelassen. Weitere Beispiele etwa der Landeshauptstadt Stuttgart aus den achtziger Jahren (übrigens die damalige Arbeitgeberin des Verfassers dieses Berichts) vernachlässige ich hier aus Platzgründen.
Damit zu den Erfrierungsschutz-Containern. Diese Container stellen viele Gemeinden in der BRD - zunächst lediglich die Grossstädte- im Rahmen ihrer Wohnungslosenpolitik seit Beginn der 80er Jahre jeweils in den Wintermonaten auf. In diesen Containern leben - hier können also lediglich Regelwerte genannt werden - vier Menschen auf nur sechs Quadratmetern (s. auch Seeblättle 02/00).
Ebenfalls seit Anfang der 80er Jahre realisieren diverse Organisationen und Einzelpersonen zunehmend Konzepte des Stadtmarketings, wiederum zunächst in den Grossstädten. Lokal zumeist bekannte Personen, die übrigens nicht selten VertreterInnen der Deutschen Bank & Co. sind, kreier(t)en ihre Konzepte zum Stadtmarketing. Freilich ist der Stadtmarketing-Ansatz eine Konsequenz der "totalen Mobilmachung" des Kapitalismus (Robert Kurz, Schwarzbuch Kapitalismus, Frankfurt/M. 1999, S. 539). Deshalb desintegrieren Stadtmarketing-Konzepte grundsätzlich insbesondere Wohnungslose, d.h. schon sprachlich grenzen die entsprechenden Vorlagen Minderheiten und Begriffe wie Armut systematisch aus.
Der Vertreter der Betroffenen-Initiative, Wolfgang Prinz, weist darauf hin, dass sich u.a. "in Konstanz zaghaft ein sozialpolitischer Widerstand" der Wohnungslosen regt (Seeblättle 02/00). Vor dem Hintergrund der Geschichte des gesellschaftlichen Umgangs mit Wohnungslosen werden Proteste dieser Menschen - sei ihr Einwand allgemeiner Art oder gegen bestimmte Vorgänge gerichtet - wesentlich verständlicher. Meine Mindestforderungen für Konstanz:
a) Es sollte darauf geachtet werden, dass Wohnungslose ihren grundsätzlichen Anspruch auf Sozialhilfe in voller Höhe verwirklichen können. Hier sind insbesondere die Auswirkungen des interbehördlichen Vorwurfs des hiesigen Landratsamts - also des Sozialhilfeträgers - gegen die Stadt Konstanz genau zu beobachten, nach dem die Sozialhilfeausgaben im Bereich dieser Gemeinde wesentlich höher sind als in weiten Teilen des übrigen Landkreises. Gerade auch Wohnungslose haben grundsätzlich einen Anspruch auf Sozialhilfe in der vollen Höhe ihres Bedarfs (s. auch Anzeiger Konstanz 10.05.00).
b) Auch gerade in Konstanz sollte aktiv verhindert werden, dass Wohnungslose von den von ihnen gewählten legalen Standorten verwiesen werden. Während die Städte auch noch vor z.B. 20 Jahren Wohnungslose überwiegend zur nächsten Gemeinde verscheuchten oder quasi deportierten, werden heute diese Menschen überwiegend innerhalb der Städte von einem legalen Standort zum anderen verdrängt (s. dazu auch das Deutsche-Bank-Beispiel am Anfang dieses Berichts). Übrigens, im Seeblättle 02/00 wurde festgehalten: "Die beliebteste Zielgruppe der Polizei (für Personenüberprüfungen) sind Leute, die ihrer Individualität treu geblieben sind und sich nicht der Gesellschaft anpassen wollen." Diese und ähnliche Erfahrungen sind von vielen KonstanzerInnen über die örtliche Polizei zu hören. Deshalb sollte darauf geachtet werden, dass die Polizei in Konstanz gerade auch hinsichtlich wohnungsloser Menschen regelgerecht entscheidet.
c) Die Stadt Konstanz sollte die Betroffenen-Initiative der Wohnungslosen spätestens ab 2001 jährlich mit einem spürbaren Betrag unterstützen, z.B. für die tatkräftige Fortsetzung der BI-Öffentlichkeitsarbeit, für die Erstattung der Bürokosten und ggf. für die Durchführung eines Sommercamps.
(Der Verfasser dankt dem Buchladen zur schwarzen Geiss in Konstanz, dass er bei der Vorbereitung dieses Berichts mehrere Stunden lang nach der aktuellen Literatur zum Thema kostenlos recherchieren konnte.)
hf
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