Seeblättle <<  >>  Quelle:  Seeblättle  Jg. 2000  Nr.4


Shareholder value oder Daseinsvorsorge

Zum Problem der Umwandlung des Eigenbetriebs Stadtwerke in eine Kapitalgesellschaft" - diese Formulierung ist der Vorlage der Stadtverwaltung zur Ratssitzung am 29. Juni wörtlich entnommen. Dieser Wortlaut ist schon so verräterisch, dass ich mich über die widerspruchslose und selbstverständliche Hinnahme nur wundern kann. Etwas Eigenes, über das man verfügen kann und was ja nicht zu einer katastrophalen Situation geführt hat, wird der Chimäre "Globalisierung" (oder was es da noch zur Verwirrung führende Synonyma gibt) geopfert. Merkwürdigerweise wird bei der Einführung des Begriffes "Kapitalgesellschaft" offenbar nicht bedacht, daß das Wort "Kapital" wahrscheinlich nicht nur in dem Hirn eines verbohrten Linken (auf den man ja keine Rücksicht nehmen muß) den Begriff "Kapitalismus" assoziieren läßt. Dabei gibt es Anzeichen dafür, daß dieser vermeintliche Siegeszug der Globalisierung nicht mehr so stumpfsinnig und als willkommene Gabe der "Sieger der Geschichte" hingenommen wird. So bin ich ziemlich sicher, daß sich ein Leser des "Südkurier" vom 29.06.00 über die Tatsache Gedanken macht, daß die Gehälter der Bosse der deutschen Konzerne seit 1997 bis 1999 um 40% gestiegen sind und daß die 17 Top-Manager von Daimler-Chrysler in einem Jahr 108 Mio. DM "verdienen". Das geht im Besonderen die sogenannten Arbeitnehmer an, die in den letzten Jahren einen Verlust ihres Realeinkommens erlitten haben. Aber es gibt noch andere Zeichen, die auf eine Veränderung des allgemeinen Bewußtseins hinweisen: Das Zürcher Stimmvolk hat mit eindeutiger Mehrheit eine, von der rot-grünen Stadtverwaltung vorgeschlagene Überführung der E-Werke in eine AG verworfen. Besonders bemerkenswert, daß die rot-grüne Basis nicht bereit war, wie die Lämmer der Empfehlung der Oberen zu folgen. Ein anderes Beispiel: Bei einer Tagung des Bayerischen, selbstverständlich von der CSU dominierten Städtetages, ist mit Argumenten, die fast antikapitalistischen Charakter haben, eindeutig Stellung gegen die "Liberalisierung" bezogen worden. Es fällt mir naheliegenderweise nicht leicht, die CSU gewissermaßen zum Kronzeugen zu machen. Aber wenn sich die Vernunft die Bahn bricht (aus welchen Motiven auch immer, wobei wahrscheinlich das Ergebnis einer aktuellen Umfrage, die die CSU mit nur 46% Zustimmung in einem Tief zeigt , eine Erklärung bieten könnte), sollte sie respektiert werden.

Noch ein Beispiel für das beginnende globale Erwachen aus dieser geistigen Erstarrung, die die Politik der sogenannten freien westlichen Welt bestimmt hat: Im Züricher Tagesanzeiger gibt es folgende Überschrift zu einem längeren Artikel "Rückschlag für die Privatisierung". Im Artikel heißt es: "In Kanada privatisierte der Premier der Provinz Ontario wo er konnte. Nach Ausbruch einer tödlichen Kolibakteriose droht ihm das politische Aus". Weiter: "1995 kürzte er die öffentlichen Ausgaben massiv, entliess ein Viertel der Staatsbediensteten und privatisierte eine ganze Palette öffentlicher Unternehmen. Ursache für die Tragödie war die Schließung staatlicher Laboratorien".

Ich bin sicher, daß er seine Wahl 1995 mit dem Versprechen gewonnen hat, mit dieser Form von "Liberalisierung" einen Schritt zu einer goldenen Zukunft zu machen. Das kommt mir sehr bekannt vor. Meine entsprechenden Hinweise auf die Zerstörung der sozialen Errungenschaften, auf das social dumping in einer EU, die keine Sozialcharta kennt, auf die selbstverständliche Gewissheit, daß die shareholders nur maximale Renditen vor Augen haben, auf den Verlust der Verpflichtung zur "öffentlichen Daseinsvorsorge" der kommunalen Betriebe - diese und noch viele andere Gesichtspunkte dieser Art haben jedenfalls keinerlei erkennbare zustimmende Reaktion hervorgerufen. Die, auf ihr demokratisches Verständnis sonst so eingeschworenen Vertreter der öffentlichen Meinung scheinen vergessen zu haben, daß die Autonomie kommunaler Einrichtungen ja einmal als fundamentaler Fortschritt in der Entwicklung der bürgerlichen Demokratie gepriesen und angesehen wurde. Die schon erwähnte Erstarrung und selbstverständlich die Verflechtung persönlicher Interessen mit der gegenwärtigen Entwicklung schlagen die Herrschenden mit Blindheit.

Aber die beschriebenen Risse in dem so festgefügt erscheinenden kapitalistischen Block stimmen ein wenig optimistisch. So wird die Utopie auf die Schaffung einer sozialen und gerechten Gesellschaftsordnung mit etwas mehr realistischer Erwartung unterfüttert.

Michael Venedey


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linksrheincm27.09.2000