Seeblättle <<  >>  Quelle:  Seeblättle  Jg. 2001  Nr.1


Im übrigen meine ich...

Trotz alledem...

Ich habe in den letzten Tagen eine Dokumentation über den Mord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht durchgelesen. Natürlich haben wir alle viel über den Hergang dieser abscheulichen Tat und ihre Hintergründe erfahren. Aber vielleicht ginge es doch dem Einen oder Anderen wie mir, der ich erneut fassungslos vor den Protokollen der Gerichtsverhandlung stand, die mit der üblichen Vorstellung von Gericht oder Verhandlung nichts aber auch gar nichts zu tun hatten. Unsere Kenntnis von dem Wesen der Klassenjustiz lehrt uns, dass zur Aufrechterhaltung der Macht der Herrschenden Lüge und Justizmord (das gilt auch fuer heute, wenn ich an den Tod von Ulrike Meinhof oder an das Schicksal von Mamia Jamal denke) dienen. Wenn die Klassenjustiz sich heute nicht mehr mit dieser brutalen Offenheit zeigt wie damals, hat das seine Gründe: einmal hat die emanzipatorische Bewegung von 68 doch Spuren hinterlassen. Nicht wenige haben eine damals gewonnene Erkenntnis von Recht verinnerlicht. Nicht alle sind den Weg vom streetfighter zum Kriegsverbrecher Joschka Fischer gegangen. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass in unserem Rechtswegen die Potenz zu dem schlummert, was 1918/19 (und selbstverständlich in Kontinuität - man denke nur an den Prozess gegen K.v.Ossietzky - weiterhin) sich zeigt. Ich denke, dass es auch heute Indizien in dieser Richtung gibt. Erinnert Euch, mit welcher unerbittlichen Härte gegen alle vorgegangen wurde, die auch nur in den Verdcht der Nähe zur RAF kamen. Der Herbst 77 war das Menetekel, das uns Lin ken zeigen sollte, was uns blüht, wenn wir unsere richtigen Gedanken verwirklichen möchten. Und was geschieht heute mit den faschistischen Verbrechern? Sie haben guten Grund, mit milden Urteilen rechnen zu könnnen. Wenn sich dieses System bedroht fühlen sollte, wenn es noch einmal zu einem Ansatz von Revolution mit Menschen wie Rosa und Karl kommen sollte, wird unerbittliche Gewalt herrschen. Über den ruhmlosen Untergang der DDR können diese Leute nur lachen. Hemmungen vor Blutvergiessen - denkste, kann ich nur sagen. Der andere Punkt ist die Rolle der SPD damals und heute. Auch da räume ich ein, dass der Vergleich - wie alle historischen Vergleiche - hinkt. Einmal weil auch in diesem Fall vielleicht die Erkenntnis der geschichtlichen Schuld, die die SPD sich damals aufgeladen hat (ich will nur an das hervorragende Buch von Sebastian Haffner "Der Verrat" erinnern) wieder aufsteigen könnte und weil sich doch vielleicht kein "Bluthund" a la Noske finden würde. Aber da bin ich mir nicht ganz sicher. Anlässlich eines Empfangs der SPD kam unser Kriegsminister Scharping nach Konstanz. Nachdem ich zuerst mit Freund/innen vor dem Lokal fürchterlich rabiate Flugblätter verteilt hatte (übrigens doch eher mit dem Eindruck, zumindest Interesse erweckt zu haben), konnte ich der Versuchung nicht widerstehen, diesem Kerl zuzuhören. Nachdem er wieder sein salbungsvolles Geschwätz von der "Hysterie, die an dieser völlig harmlosen Uran-Munition" entstanden sei, von sich gab , habe ich das Weite gesucht. Diesem Menschen traue ich zu, dass er im gegebenen Moment dieAufforderung: "Schlagt die Aufrührer tot" wiederholt.

Die Erzeugung von Pogromstimmung wie 77 ist uns in Erinnerung. Dieser Tag ist nicht angetan, einen zu freundlichen Gedanken anzuregen. Diese Zeit überhaupt fordert heraus, sich daran zu erinnern, mit welcher Skepsis Rosa Luxemburg die Hoffnung betrachtete, durch Abrüstung und internationale Schiedsgerichte den Krieg zu verhindern. Für sie stand zu gegebener Zeit der Kampf des internationlen Proletariats an. Nun - bis dahin ist ein weiter Weg. Bei allem Anti-amerikanismus, zu dem ich selbst neige, wenn ich nur an Vietnam und Chile denke, die die Blutspur des US-amerikanischen Imperialismus hinterlassen hat, gilt: "Der Hauptfeind steht im eigenen Land". Aber auch sein Wort: Trotz alledem .- trotz alledem weitermachen, nicht aufgeben. Kraft und Zuversicht schöpfen aus einem Ereignis wie gestern: das Zusammensein mit Hunderttausenden an den Gräbern ist - und ich denke, dass ich da nicht nur für mich spreche - ein gewaltiges Erlebnis. Seit zehn Jahren habe ich es mir kein einziges Mal entgehen lassen, von diesem Tag gestärkt zurückzukehren.


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linksrheincm26.02.2001