Ein politischer Aschermittwoch der anderen Art
Keine Wahlkampfreden, keine schwitzenden Politiker, kein Starkbier, kein brüllendes Publikum: am Aschermittwoch im Treffpunkt Petershausen konnte frau/man ein Kontrastprogramm genießen. Der volle Saal bewies den Veranstaltern - DGB-Konstanz und Netzwerk gegen Rechts -, daß auch nach kritischer Analyse Bedarf besteht. Der Referent Frank Deppe, ein Schüler Wolfgang Abendroths, ist Hochschullehrer für Politikwissenschaften in Marburg und beschäftigt sich schwerpunktmässig mit europäischer Integration und europäischen Gewerkschaftsbewegungen.An diesem Abend sprach er über Ursachen des Rechtsextremismus und den Zustand der deutschen Gesellschaft.
Das erste Zauberwort unserer Zeit heißt Globalisierung: ihren Sachzwängen soll sich jeder unterwerfen, um konkurrenzfähig zu sein. In Wirklichkeit sind nur einige Gebiete wie Finanzmärkte und Internet globalisiert, während es auf anderen eher um Dezentralisierung und Individualisierung geht. Die Macht der wirtschaftlichen Eliten wird also auf den höchsten Ebenen stark konzentriert; die Arbeitnehmer stehen ihr als ohnmächtige Individuen gegenüber und werden dadurch zu Verlierern der Globalisierung.
Das zweite Zauberwort heißt Deregulierung, d.h. weniger Staat und mehr freie Marktwirtschaft.
Tatsächlich ist der Wohlfahrtsstaat, eine Errungenschaft des 20.Jahrhunderts, in den letzten 20 Jahren nach und nach abgebaut worden. Die Professoren des Neoliberalismus behaupten, daß auch er sich dem Wettbewerb stellen soll, was eine Abkehr von der Solidar- und Hinwendung zur Konkurrenzgesellschaft bedeutet. Globalisierung und Öffnung der Märkte verursachen Migrationsströme in die reichen Länder und verändern damit die dortige Klassenstruktur. Die Armen, die in reiche Länder emigrieren, können in der Regel kein gemeinsames Klassenbewußtsein mit den dort bereits lebenden Unterschichten entwickeln: das schürt die Ängste der einheimischen underclass-Mitglieder, die sich durch die Konkurrenz der Fremden bedroht fühlen. Das erklärt, warum viele - auch gewerkschaftlich organisierte - Arbeitnehmer für rechtsradikale Parolen anfällig sind.
Diese Situation wird durch die Krise der Linken und der Politik verschärft. Die linken Parteien sind in den 90er Jahren in ganz Europa an die Macht gekommen, aber sie haben nach und nach ihre Identität verloren. Im 20.Jahrhundert haben drei Revisionen der sozialistischen Theorien stattgefunden: zunächst hat Bernstein die Revolution verworfen und den Weg zum Sozialismus durch Reformen postuliert, nach 1945 haben die Sozialdemokratien den Kapitalismus akzeptiert und sind für seine Korrektur durch den Sozialstaat eingetreten und schließlich sind sie an die Macht mit dem Vorhaben gekommen, einen besseren Kapitalismus zu realisieren. An diesem Punkt ist von den sozialistischen Grundsätzen nicht viel übrig geblieben: viele Leute sind enttäuscht und finden kein politisches Sprachrohr für ihre Probleme und Sehnsüchte.
Die Krise der Linken ist mit einer Krise der Gewerkschaft, der Politik im allgemeinen und mit der Veränderung der Ideologien verbunden. Die Gewerkschaften haben noch nicht herausgefunden, wie sie den Veränderungen in der Arbeitswelt gegenübertreten können. Die Politiker werden immer mehr zu Erfüllungsgehilfen der Wirtschaft und haben angeblich keinen Spielraum für eigenständige Entscheidungen; daher die Politikverdrossenheit der jungen Menschen. Sozialdarwinismus wird zur beherrschenden Ideologie.
In diesem von Umbrüchen und Angst geprägten Klima gedeihen Rassismus und Rechtsextremismus: in den letzten 10 Jahren sind in Deutschland 120 Menschen aus rassistischen Gründen zu Tode gekommen. Rechtsextremismus ist zwar kein deutsches, sondern ein europäisches Phänomen; auch die Gewaltbereitschaft der Jugendlichen hat überall zugenommen, aber in keinem anderen Land werden so viele Menschen totgeschlagen wie hier. Außerdem bekennen sich viele der Totschläger offen zur deutschen faschistischen Vergangenheit.
Auf den Terror der Roten Armee Fraktion reagierte der Staat mit Notstandsgesetzen und stark repressiven Maßnahmen, heute versuchen die Regierenden, den Rechtsextremismus zu verharmlosen; die Bevölkerung reagiert gelassen (erst im letzten Jahr sind die ersten Initiativen gegen Rechts entstanden). Rechtsextremismus erscheint den meisten Leuten offensichtlich als weniger gefährlich.
Daher die Brisanz der jetzigen Situation: die Glatzköpfe sind zwar die Ausführer der Gewalt gegen Ausländer, aber ihre ideologischen Grundlagen kommen aus der Mitte der Gesellschaft. Aussagen wie: "Deutsche Leitkultur", "Das Boot ist voll", "Wir sind kein Einwanderungsland", "Sozialhilfeempfänger sind Schmarotzer" oder die Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft schüren die Ängste der Bürger vor "Überfremdung" und verstärken den Rassismus.
Im Gegensatz zu den 30er Jahren, in denen der Kapitalismus stark vom Faschismus profitieren konnte, scheinen die wirtschaftlichen Eliten derzeit kein Interesse daran zu haben, rechtsextremistische Tendenzen zu unterstützen: sie haben sich in den letzen 20 Jahren internationalisiert und befürchten eine Schädigung ihres Images im Ausland durch hiesige rechtsradikale Aktivitäten.
Am Ende blieben viele Fragen offen, vor allem die der Perspektiven für die Zukunft. Im Gegensatz zum herkömmlichen Aschermittwoch, auf dem die Leute einfache und schnelle Lösungen für ihre Probleme bekommen und zufrieden entlassen werden, mußten die Teilnehmer dieser Veranstaltung mit dem Gefühl nach Hause gehen, daß der Weg zu einer besseren Gesellschaft lang und steinig sein wird.
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