abtauchen: auftauchen
aus radikale Zeiten Nr. 7: Matthes taucht auf Moin, moin! Bremen, den 25-11-96 Heute tauche ich nach ca. anderthalb Jahren wieder in Bremen auf. Noch ist es nicht deutlich was mich erwartet, ob ich in Bremen bleiben kann oder ob ich erst in den Knast muß. Bis vor kurzem lief noch ein Ermittlungsverfahren wegen der AIZ gegen mich, was nun eingestellt wurde. Dies erfreut mich und beschleunigte mein Auftauchen. Das andere Verfahren ist ja sicher bekannt: Bildung einer kriminellen Vereinigung zur Herstellung der 'radikal'. Also muß ich mich mit der Situation auseinandersetzen ein halbes Jahr abzugehen oder überhaupt nicht. Falls ich dann auf freien Fuß gesetzt werde, müssen 20.000 DM aufgetrieben worden sein und als weiteres werde ich mich wahrscheinlich drei Mal in der Woche bei den Bullen melden müssen und bekomme noch ausgestellt, daß ich mich mit einer bestimmten Zahl von Leuten nicht treffen darf - also Kontaktverbot. Darauf lasse ich mich ein, wenn ich zurückgehe. Dem stand die Möglichkeit gegenüber in den Niederlanden zu bleiben. Seit mehr als einem Jahr bin ich nun weg. Die Zeit war nicht immer einfach. Viele Konflikte verharmlosten sich, andere taten sich auf. Dennoch überwog häufig das Gefühl, ihnen ein Schnippchen geschlagen zu haben. Das war auch in der ersten Zeit ein gutes Gefühl - einfach zu sehen, daß ihr Apparat doch nicht vollständig funktioniert. Ihre Trefferquote betrug am 13.6.95 schlicht 50% und bedenkt mensch: an dieser Aktion waren 2000 Bullen, aller erdenklichen Einheiten, beteiligt. Nach außen sah diese ganze Sache bombastisch aus, trotzdem zeigten sich die ersten Fragezeichen, als diese Aktion nur einen Tag Interesse fand in der bürgerlichen Öffentlichkeit. - Mit diesem Gefühl also abgetaucht und diesen Schlag verarbeiten. In einigen Städten bekam die Szene eine neue Beschäftigung - Antirepressionsarbeit. Die Aktion 'Wasserschlag' ist in aller Munde, zumindest gibt es niemanden, der nicht schon mal davon gehört hat. Die klassischen linken und feministischen Reaktionen stellen sich ein. Veranstaltungen wurden organisiert, Plakate wurden verklebt, Sprüche gesprüht, kleinere Demos fanden statt. Dann gab es auch eine Demo mit 5000 Leuten in Hamburg und eine Extra-Zeitung kam auf den Markt, Soli-Partys ohne Ende und das sprengt den üblichen Rahmen!: auch zwei neue radis wurden den LeserInnen nicht vorenthalten und mensch munkelt, sie sollen jetzt sogar gelesen werden (von der Alt-Szene), die Jüngeren hatten darauf ja immer schon Bock. - Aber zurück zum Thema! Für mich war die Anfangszeit davon geprägt, zu gucken was sich in der BRD so tut. Viele Leute rödelten und ich saß hier fest und konnte nur registrieren. Lesen war eine Hauptbeschäftigung, aber was weitaus wichtiger war, daß ich Leute fand, mit denen ich reden konnte. Danach begann das Zuhören. Ich wußte nicht soviel von Holland. Sicher habe ich schon gehört, daß mensch hier Coffeeshops hat, daß es hier liberaler zugehen soll und überhaupt viel schöner ist als Kaltland. Aber mit dieser Oberfläche hier zu leben ist unmöglich. Die Leute sind auch scheiße, die Gesetzgebung ist auch repressiv - natürlich nicht so hart wie in der BRD , die koloniale Geschichte wird sehr zurückhaltend behandelt und die Marktwirtschaft, sprich Kapitalismus, ist hier auf höchstem Niveau entwickelt. Es gibt hier auch zig SprecherInnen, die links für tot erklärt haben, sich distanzieren und ihre Hauptaufgabe darin sehen, linke Ideen zurückzudrängen. Dennoch auf der anderen Seite gibt es noch immer viele 'kraaks', z.B. in Amsterdam, Arnheim, Nijmwegen und Utrecht etc. Aber auch gegen den 'koppelingswet' finden Demos und Veranstaltungen statt. Dieses eben benannte Gesetz schreibt die Behandlung von illegalen Flüchtlingen vor, wie sie aus Krankenkassen, Sozialhilfe, Schulversorgung usw. ausgeschlossen werden sollen. Aber ich will jetzt nicht alles aufzählen, was ich hier so mitbekommen habe. Im großen und ganzen ist es vergleichbar mit der BRD. Dennoch will ich einen Unterschied nicht unerwähnt lassen. Soziale Bewegungen werden als Ansprechpartner akzeptiert. Dies wird deutlich, wenn mensch die Berichterstattung betrachtet zu Faschisten, zu Durchsuchungen bei der Ravage oder auch über politische Kampagnen, wie die Erweiterung des Flughafens Schiphol. Dennoch kommt nach einiger Zeit das Gefühl zurück, was mache ich hier eigentlich. Natürlich bin ich beschäftigt, mit der hiesigen Geschichte und Realität, aber die Entwicklungen um das Verfahren in der BRD holen mich immer wieder ein. Mensch macht sich Hoffnungen, weil z.B. vier Leute mit einer ähnlichen Anklage aus dem Knast kommen oder ist überrascht, daß am 13.6.96 nur einer in der Kiste bleibt und zwei weitere wieder gehen können. Das sind Geschichten, wo es klar wird, die Zeit hier wird mehr und mehr zu einem Übergang. Es setzt sozusagen ein Doppelleben ein. Mensch denkt dauernd an Deutschland, lebt hier aber einigermaßen holländisch - spricht die Sprache, liest die Zeitung usw. Um so länger ich wegbleibe, um so mehr Zeit muß ich dafür aufwenden mein Leben in Holland zu organisieren. Da ich das dann nach meinen Vorstellungen realisieren will, bedeutet dies zwangsläufig die Kontakte nach Deutschland zu beschränken. Mit diesem Doppelleben klarzukommen, war nicht einfach. Das machte sich auch an Beziehungen bemerkbar, daß mensch z.B. oft mit seinen Gedanken woanders war. zum anfang dieser seite In meiner Situation war es wichtig, nicht die Realität aus den Augen zu verlieren. - Was läuft nun in der BRD? Wie ist der Stand des Verfahrens? Wie entwickeln sich Diskussionen? usw. - Dies mußte ich im Kopf behalten. Denn Verdrängen führt dazu sich mehr und mehr zu entziehen, d.h. einem ist das Risiko nicht mehr bewußt, doch mal abgegriffen zu werden. Mensch lebt also in einer Art Spannung, die mal mehr - mal weniger auftaucht. Diese Spannung drückt sich aber nicht nur in bezug zur Repression aus. Sie ist auch besonders spürbar, wenn mir Konflikte zu Ohren kommen. In solchen Situationen kam es sehr stark auf die Vermittlung an, damit ich überhaupt reagieren konnte. Oft kam es mir dabei hoch - mal auf den Tisch zu hauen , aber meistens war die Auseinandersetzung dann schon wieder an einem anderen Punkt. Sich in Diskussionen eingebunden fühlen, war schwierig. Dieses Gefühl tauchte eher selten auf. Wenn ich mich dann mal äußerte, kam es falsch an und ich wurde mit Interpretationen konfrontiert, die mit meiner Situation nur wenig zu tun hatten. Dies entschuldigte ich oft damit, daß die Leute in der BRD unheimlich beschäftigt sind und meine Realität einfach nicht wahrnehmen können. Natürlich könnten sie, wenn sie wollten, aber als Abgetauchter ist mensch weit weg... . An dieser Stelle will ich nochmal nachdrücklich betonen, das ich abgetaucht war und nicht im Exil. Exil ist natürlich der einfachere, griffigere Begriff und ich habe ihn auch verwendet. Aber nach mehreren Diskussionen schien sich dieser Begriff 'Exil' eher auf viele kleine und größere Fluchtbewegungen zu beziehen. Wie z.B. im Deutschen Reich 33-45, wo sehr viele Menschen betroffen waren von Flucht. Viele bekamen in europäischen Ländern, aber nicht nur dort, Aufenthaltsrechte, viele blieben Illegal - abgetaucht. Andere konnten Öffentlichkeit schaffen über die Zustände im Faschismus aufgrund ihrer Anerkennung als Flüchtlinge, was zum Beispiel sichtbar wurde in der Exilliteratur, im Exiltheater usw. Dies konnte auch bei dem Militärputsch in Chile beobachtet werden. Hier nahm z.B. die ehemalige DDR viele Menschen auf und sie konnten dem sicheren Tod entkommen, konnten selbst Ausbildungen beginnen und eine neue Lebensperspektive entwickeln. Aber nicht nur in Chile der siebziger Jahre kam es zu großen Fluchtbewegungen. Auch bei dem Putsch in der Türkei 1980 waren viele Menschen gezwungen, sich den faschistischen Häschern zu entziehen. Dies war ihnen in vielen europäischen Staaten möglich. Auch hier gab es wieder Leute, die sich legal äußern konnten, und ein anderer Teil rettete sich, indem sie ein verdecktes Leben begannen. Ganz aktuell ist es immer noch bei der Situation in Kurdistan, was von der türkischen Kolonialmacht besetzt ist. Diese Reihe könnte noch fortgesetzt werden mit Ungarn, Südafrika, Uruguay, El Salvador und vielen anderen Ländern. Wer oder Welche sich diese kurzen Beispiele nochmal vor Augen führt, merkt: In der BRD ist keine so extreme Situation, wo massenweise Menschen aus ökonomischen oder politischen Gründen flüchten müssen. So war es auch nicht am 13.6.95. Ich hätte auch in den Niederlanden niemals um politisches Asyl fragen können, weil ich aus einem sicheren Drittstaat komme und weil die niederländischen Autoritäten meinen, daß die Rechtsgarantie in Deutschland hoch entwickelt sei. Somit wäre es auch falsch zu analysieren: solange in Holland zu bleiben bis sich die Zustände in der BRD grundsätzlich verändern. Mit dieser Perspektive hätte ich nämlich auch nicht in Holland bleiben können, weil es sich, wie oben schon erwähnt, in rechtlicher, ökonomischer und politischer Ausrichtung nicht viel von der BRD unterscheidet. Aus diesem Grunde lebte ich abgetaucht in den Niederlanden. Noch einen Unterschied will ich nicht unter den Tisch fallen lassen. Ich war nicht in der Situation, daß ich mich in der BRD gegen ein besonders repressives Regime wehre, wie z.B. dem Hitler-Faschismus, dem Chile der siebziger Jahre oder auch nicht mit der heutigen kurdischen Situation konfrontiert war. Umso länger ich mich mit dem Thema 'Exil' beschäftigte, erschien es mir als falsch, mich als Exilierten zu definieren. Besonders wichtig war dabei, daß ich nicht mit dem TOD bedroht war. Knast ist natürlich auch keine feine Sache, aber ich kann mich so einigermaßen darauf verlassen, daß ich nicht gefoltert werde. Daß dies in der BRD geschieht und auch weiter geschehen kann, will ich damit keinesfalls ausschließen. Aber es ist ein Unterschied 5, 10, 15 oder 20 Jahre eingeknastet zu werden oder eben mit einem halben Jahr zu rechnen, was schon lang genug ist. Somit ordne ich meine abgetauchte Zeit ein, als ein entziehen vor der BRD-Justiz und das ich es in der Hand habe, wann und wo ich mich in ihre Fänge begebe. Ich bin froh, daß ich nicht in der Situation bin, wie die Leute die wegen Aktionen des Komitees gesucht werden. Da ist die Möglichkeit zu wählen auf Null gesunken, weil der Knast einfach über allem hängt. Von hier aus will ich einen schönen Gruß an euch senden, Bernd, Thomas und Peter. Oft waren meine Gedanken bei euch und ich hoffe ihr konntet ein neues Leben nach euerem Sinn beginnen. Viel Kraft noch! Und auch besonders den Leuten, die euch bisher halfen, daß ihr nicht gepackt werden konntet! Ich hoffe es ist deutlich geworden, daß ich die Möglichkeit zu wählen hatte. Eine weitere Überlegung nun wieder aufzutauchen war, daß es hilfreich sein kann, bei dem Prozeß mit acht Angeklagten aufzutreten. Mittlerweile ist das nicht mehr so aktuell, weil es sein kann, daß mehrere Prozesse stattfinden. Was aber weiterhin stimmt, daß dann jede und jeder seine/ihre eigene Stimme hat und sich entsprechend zu anstehenden Diskussionen verhalten kann. Wie ich oben andeutete, ist dies häufiger schon in mir aufgekommen. Als besonderes Beispiel fällt mir ein Artikel in der 'Trouw', einer überregionalen holländischen Tageszeitung ein, wo es u. a. um das Auftauchen am 13.6.96 ging und eben meinen Verbleib in Holland. Dieser umstrittene Artikel erzeugte mehr Diskussionen und Reaktionen in bezug auf die Abgetauchten, als je zuvor. In der Soli-Szene wurde es heiß diskutiert. Auch an der Diskussion, warum Erkenntnisse aus den Akten so spät veröffentlicht wurden, wäre ich gerne beteiligt gewesen. Sicher gäbe es noch mehr Punkte zu benennen, wo ich gerne Teil der Diskussion gewesen wäre, aber das würde den Rahmen hier einfach sprengen. So das wars! Matthes (Quelle: radikale Zeiten Nr. 7, Dezember 1996)
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kombo(p) | kombo@riffraff.ohz.north.de | 20.02.1999