Aussageverweigerung
Wenn die Sache irre wird - werden die Irren zu Profis (Teil IV)

Infos und Texte zur Aussageverweigerung und Beugehaft

Inhaltsverzeichnis

Gründe für die Aussageverweigerung

Mit dem Druckmittel der Beugehaft zur Aussageerpressung werden wir es wohl in Zukunft vermehrt zu tun bekommen. Nach den Erfahrungen im Ruhrgebiet und im Startbahnwiderstand, wo Zeuginnen sehr unterschiedlich reagierten, liegt die Notwendigkeit zu einem kollektiven, politischen Vorgehen gegen die Denunziationspflicht auf der Hand. Rein individuelle, taktische Überlegungen können keine Basis für uns sein.
Klar will keine/ r den Staatsschutzbehörden Informationen über persönliche und politische Zusammenhänge liefern, die dazu dienen, den Beweismittelnotstand der Karlsruher Ermittler zu verdecken und Anklagekonstruktionen gegen die Beschuldigten zu erleichtern. Schließlich begründet die BAW selbst in einem ihrer Beugehaftanträge die Notwendigkeit von Zeuglnnenaussagen damit, daß "im derzeitigen Stadium kaum noch andere Beweismittel (gegen die Beschuldigten) erbracht werden können."
Was sind darüber hinaus die Ziele der Staatsschützer, die sie mit der Erzwingung von Aussagen erreichen wollen?

Unsere Interessen dagegen sind:

Vor diesem Hintergrund werden hier nochmal die Gründe für die generelle und konsequente Aussageverweigerung dargestellt. Sie stehen im Gegensatz zur Berufung auf den §55 (Selbstbelastung) und der Vorstellung, es gäbe entlastende Aussagen oder aber "Gedächtnisschwund" wäre eine Lösung.

Es gibt keine entlastenden Aussagen

Es gibt keine entlastenden Aussagen. Das Interesse der Bundesanwaltschaft besteht gerade darin, nur Belastendes zu finden. Anscheinend entlastende Aussagen können schnell in ihr Gegenteil verkehrt werden. Zumal es kaum absehbar ist, welche Informationen von der BAW zu Indizien gemacht werden können in Verfahren, in denen es häufig noch nicht einmal einen konkreten Tatvorwurf gibt. Die BAW ist sehr phantasievoll in dieser Hinsicht!

Es gibt keine harmlosen Aussagen

Schon aus der Begründung laufender Ermittlungsverfahren wird ersichtlich, daß es kaum Unverdächtiges in den Augen der Staatsschützer gibt. So müssen z.B. als Indizien herhalten:

In der Begründung einiger Beugehaftanträge hieß es, daß "Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich" beweiserheblich seien, daß "durch persönliche, berufliche oder gesellschaftliche Interessen erklärbares Verhalten der Beschuldigten ermittelt werden muß, um es von Verhaltensweisen zu unterscheiden, die ihre Erklärung in dem Engagement der Beschuldigten für die terroristische Vereinigung RZ / Rote Zora finden." Welches Verhalten wozu diente, wird natürlich von den Ermittlungsbeamten entschieden. So ist es doch eine "Erkenntnis" des BKA, daß es gerade die Strategie der Roten Zora ist, sich auf Demonstrationen, öffentlichen Veranstaltungen, z.B. Kongressen zu tummeln.
Auch im privaten Bereich, z.B. dem Zusammenwohnen in einer WG, wird es schwierig mit harmlosen Antworten. Auf Fragen nach Freundinnen, Bekannten, Aufstehgewohnheiten, Krankheiten, Lese- und Telefoniergewohnheilen der beschuldigten Person zu antworten, daß diese Dinge nicht bekannt seien, legt für das BKA den Schluß nahe, daß diese Person konspirativ gehandelt haben muß.

Beispiel: Telefongespräche

Eine Zeugin wird gefragt, ob ihre Mitbewohnerin X mit Y bekannt ist. Im Bemühen möglichst schwammig und unverbindlich zu antworten, sagt die Zeugin: "Ich weiß nicht". Nun hat aber das BKA die Person X schon länger bespitzelt und ein Telefongespräch zwischen X und Y abgehört. Auf diesem Hintergrund, der der Zeugin nicht bekannt ist, wird die Aussage "ich weiß nicht" zur relevanten Information. Verheimlicht die Zeugin die Beziehung, weil sie ihr heikel erscheint, oder hat gar X selbst gegenüber der Zeugin die Beziehung zu Y verheimlicht? Beides deutet auf eine möglicherweise konspirative Beziehung zwischen X und Y hin.

Beispiel: Rasterfahndung

Auch scheinbar banale Aussagen können zur Aufstellung von Rastern dienen. Die harmlose Eigenschaft, Leser der Süddeutschen.Zeitung zu sein, ließ Rolf Pohle in das Fangnetz des BKA laufen. Durch Observierung der Zeitungskioske in Athen wurde er beim Kauf einer solchen erwischt.
Im Rahmen der Rasterfahndung ergeben dann auch Fragen nach Krankheiten, Angewiesensein auf bestimmte Medikamente, Allergien, Kontaktlinsen einen Sinn.

Es gibt keine banalen Fragen

Auch scheibar banale Fragen und solche, auf die es amtliche Antworten gibt, erfüllen ihren Zweck!!! Prinzipiell gilt, daß die BAW keine dummen Fragen stellt.

Beispiel: Verhörsituation

Die BAW stellt eine Reihe Fragen wie: "wo hat X zu einem bestimmten Zeitpunkt gewohnt?" - Natürlich wo er gemeldet war -, "wo hat X gearbeitet?" etc.
Die Zeugin überlegt angestrengt, welche Frage ihr relativ harmlos erscheint, welche nicht. Ihr Zögern, Ausweichen, ihre schnelle Antwort können der BAW Hinweise auf sie möglicherweise interessierenden Punkte in der Biographie der gesuchten Person geben.
Zeuglnnenbefragungen finden in der Regel als Frage und Antwort-Spiel statt. D.h. die Zeuglnnen bekommen nicht einen Fragenkatalog vorgelegt, wo sie von vornherein einen Überblick über die einzelnen Fragen und deren mögliche Bedeutung haben und eventuell in Ruhe entscheiden können, welche Frage sie beantworten. Die BAW bemüht sich um die Atmosphäre eines Gespräches. Blockiert eine Zeugin an einzelnen Punkten dieses Gespräches, muß sie dies häufig begründen.
Diese zermürbende Situation hat z.B. im Falle eines Hamburger Zeugen 3 Stunden gedauert. Die wenigsten Zeuglnnen werden sich nach einer solchen Prozedur noch erinnern können, welche Informationen sie dem Staatsschutz gegeben haben.

Für den eigenen Schutz!
EinE Zeugln ist schnell BeschuldigteR

In 129a-Verfahren können Zeuglnnen im Nu selbst zu Beschuldigten werden, da die Bekanntschaft mit einer verdächtigen Person jede und jeden selbst in den Kreis verdächtiger Personen kommen läßt. Dies ist in der Vergangenheit schon häufig geschehen (in RAF-Verfahren).
Insbesondere mit der Verweigerung der Aussage unter Berufung auf den §55 belastet man/frau sich selbst. Im Kern besagt dieser Paragraph, daß Antworten, die eine mögliche Selbstbelastung beinhalten, verweigert werden können.
Diese Selbstbelastung kann durchaus von BKA und BAW für künftige Verfahren erwünscht sein.
Außerdem sieht das Gesetz vor, daß jeder Bezug auf den §55 erstmal begründet werden muß. Eine schizophrene Situation, weil das heißt, daß mit der Begründung warum solch eine Aussage etwas mit der eigenen Person zu tun hat und belastend sein könnte, jede Menge Informationen geliefert wird.
Ob die BAW bei der jeweiligen Frage den §55 akzeptiert, hängt von ihrer Willkür ab; wurden viele andere Fragen beantwortet, lassen sie vielleicht einige unbeantwortete zu.
Ist eine Zeugin bereits Beschuldigte in einem anderen 129a Verfahren, so ergibt sich daraus noch nicht automatisch das Recht auf Aussageverweigerung nach §55. Denn auch in diesen Fällen behalten sich die Ermittlungsbehörden die Entscheidung darüber vor, ob ein Zusammenhang zwischen den Verfahren und damit ein Aussageverweigerungsrecht besteht. Im schlimmsten Fall faßt die BAW die Berufung der Zeugin auf den §55 als Bestätigung der gegen sie erhobenen Vorwürfe auf.
Für die Zukunft ist noch vermehrt zu befürchten, daß die Bekanntgabe von Ermittlungsverfahren solange hinausgezögert wird, bis die Zeuglnnen ihre Funktion erfüllt haben.

Aussagen schützen nicht vor weiteren Vorladungen

Die Zeuglnnenvorladungen im Zusammenhang mit den Schüssen an der Startbahn West in Frankfurt zeigen: Auch Aussagen schützen nicht vor weiterer Verfolgung. Bei signalisierter Aussagebereitschaft kann eine Person immer wieder vorgeladen werden. Nach unseren Informationen wurden in Frankfurt einzelne mehrfach vorgeladen, mit neuen Fragen bedrängt und jedesmal neu dem Druck zur Zusammenarbeit mit den Staatsschutzbehörden ausgeliefert.

Das eigene Gewissen

Jede/r wird sich die Frage stellen: Habe ich mich so verhalten, wie ich es richtig finde?
Bei Aussagen kann man/frau sich nie sicher sein, möglicherweise doch jemanden belastet zu haben.
Immer bleibt die Aussicht, bei einem späteren Prozeß Aussagen wiederholen zu müssen, die der angeklagten Person möglicherweise Knast einbringen.
Läßt sich die Beugehaft Überhaupt gegen den politischen Schaden und dem Vertrauensverlust in der Scene aufrechnen, den Aussagen anrichten können?

Aufgrund all dieser Argumente meinen wir:

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kombo(p) | kombo@riffraff.ohz.north.de | 27.6.1997