Entengeschichten
Alles hat ein Ende - nur die Wurst hat zwei! (Teil II)oder: Die Müllerinnen haben immer noch Lust auf Krawall!
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Teil I Das Interview geht über viele Seiten, immer wieder gespickt mit Setzerinnenbemerkungen. Grundtenor des Interviewers wie des Interviewten ist eine sich gegenseitig bestärkende, abfeiernde, männliche hubba-hubba-Stimmung: "Akan: Ja, es kann sein, daß sie [=Leute von den Jugendbanden, Anm.] einen Edeka-Laden aufgemacht haben und beim Rückzug auf die Bullen getroffen sind. 20 von ihnen sind festgenommen worden, aber alle mußten freigelassen werden, weil sie denen nix beweisen konnten. - Fred: Aber vorher haben sie son Glatzentreffen aufgemischt? Oder wie war das? - Akan: Na ja, da waren so 10 Glatzen und sie haben sich gesagt, wenn es nur 10 Glatzen sind, machen wir ersteinmal Edeka klar und dann gehen wir die Glatzen klatschen. Weil sie haben gehofft, daß noch mehr Nazis da sind, es waren aber weniger, und dann haben sie ... - Fred und Akan: Erst Edeka und dann die Nazis klargemacht..., hahahöhö, gröhl." (S.54) "Fred: Gibt es eine eigenständige Frauengruppe? - Akan: Eine Frauengang gibt es. Ich denke mir, daß die gemeinsame Sache mit den 36 boys machen. Die Frauen sind auch vor kurzem von den Bullen festgenommen worden, weil sie 30 Baseballschläger dabei hatten (na klasse! in dem grips vom interviewer spielte sich wohl nix ab, sonst hätte er ja wohl jetzt nachgefragt - diese männer! d. S'in)(...)" Es folgt ne Diskussion über den Sexismus der Gangs, dann wieder Akan: "Ja, zur Zeit wird sehr viel darüber diskutiert. Hauptsächlich die Leute aus den Jugendgangs, die hier geboren sind, schmeißen sich dabei ins Zeug. Die anderen sind anders drauf als die in der Türkei geborenen. Sie sind solidarischer mit den Frauen (na ich denke mir, die frauen in den gangs oder die eine frauengang sind auch nicht schlecht am pauern, daß sich was ändert. kann doch gar nicht anders sein, sonst würden die typen doch nix machen, d.s'in) Ich denke mir, daß sich das mit der Anmache nur ändern wird, wenn immer mehr Frauen in die Banden reingehen. Das wird auch von den türkischen Antifas propagiert und auch, mehr gegen Sexismus zu machen. Aber ich denke, das braucht noch Zeit, bis es sich unter den Jugendlichen durchsetzt. (Frauen bildet Banden! Yeah! d.s'in)" (S.55).
Vorher schon hatten sich bei einigen Frauen die Überlegungen verstärkt, gemeinsam und massiver feministische Inhalte in die radikal zu tragen, sie auch namentlich zu zeichnen und einen eigenen Post-Kanal für Frauen (Stichwort: Frauen-ZK) einzurichten.
Diese Veränderungen hingen stark mit unserer sonstigen politischen Entwicklung zusammen. Unsere Vorstellung von Frauenkampf verschob sich noch mehr in Richtung autonomer Organisierung und gemeinsamer Arbeit mit Frauen/Lesben, Schaffung eigener Strukturen auch in der radi selber.
Wir sahen die radi weiterhin als einen unverzichtbaren Bestandteil für linksradikale, überregionale Organisierung, und aufgrund unserer eigenen politischen Sozialisation in gemischten Zusammenhängen waren wir der Ansicht, daß Feministinnen sich nach ihrer Entwicklung hin zu autonomen Frauenkämpferinnen nicht vollständig aus gemischten Zusammenhängen herausziehen, sondern ihr Verhältnis zu ihnen neu definieren sollten.
Wir sahen gemischte Medien als Forum, um andere Frauen zu erreichen, die nicht von sich aus auf den Gedanken kommen, Frauenzeitungen zu lesen. Durch unsere Präsenz in diesen Foren haben wir die Möglichkeit, unsere inhaltlichen Konflikte (aber auch Gemeinsamkeiten) mit den Gemischten zu benennen und auf deren Widersprüche, Halbheiten etc. hinzuweisen. Durch diesen offenen Umgang mit gemischten Projekten und in der offensiven Art der Verbreitung unserer Inhalte und unserer Praxis können wir neue Frauen für unsere Sicht und unsere Organisierung begeistern.
Für uns gab und gibt es keine "geschlechtsneutralen" Diskussionen, und es gibt in patriarchalen Gesellschaften erst mal keinen Lebensbereich, in dem Frauen und Männer nicht ganz unterschiedliche Interessen haben. Um feministische Interessen und Ziele durchsetzen zu können, bedarf es eines permanenten Kampfes, für den wir autonome Strukturen als Ausgangspunkt zur Entwicklung feministischer Strategien und Praxis brauchen, um in unserem Sinne handlungsfähig zu sein.
Das inhaltliche Profil der radi war somit neben dem daran erfolgenden praktischen Strukturaufbau für uns das entscheidende. Diese Beurteilung hängt natürlich vom politischen Selbstverständnis ab: Sieht man/frau sich eher als Dienstleistungsunternehmen oder als eingreifendes Medium mit klar umrissenem politischen Standort? Und sieht man/frau die eigene Position als eine gesellschaftlich marginale, wie es die linksradikal-feministische oder auch die von antipatriarchalen Männern oder die von radikalen Behindertengruppen leider ist, dann kann frau es sich schlicht nicht leisten, sich in diffusen Bündnissen "aufzulösen", sondern muß immer wieder den eigenen Standort benennen. Ohne den gehen Frauen (und auch Linke) im mainstream unter und schwächen somit die eigenen Interessen.
Sinnvolle Bündnisse mit gemischten Strukturen sahen wir auf der Grundlage, daß wir nicht maßgeblich verantwortlich für den "ganzen Laden" sind, sondern unsere Energien im wesentlichen für den Strukturaufbau mit Frauen einsetzen können.
Beginn dieser Phase war die 140 mit dem Artikel "An die Genossinnen - wer sind wir eigentlich" S.61.
Der eigene Post-Kanal sollte dem Rechnung tragen, daß viele Frauen nicht an ein gemischtes Medium insgesamt schreiben, sondern nur mit den Frauen kommunizieren wollen.
Wir arbeiteten zu Themen wie dem Golfkrieg (142) und wie eine Praxis dazu aussehen kann, zur Entwicklung militanter Politik, zu Positionen anderer Frauen zur RAF (141, zu einem Text von Schweizer Frauen), zu Sexismus in Antifa und dem Rest der Szene, dokumentierten das, was wir an Frauenlesbenaktionen und -diskussionen in die Finger bekamen.
Nicht alles, was wir für die Diskussion in Frauenzusammenhängen wichtig fanden, konnte oder kann Platz in der gemischten Öffentlichkeit haben, da es nur zu gern von Männern bzw. Gemischten für eigene Polemiken im Stile von: 'Ihr seid ja auch nicht besser' gegen Frauen genutzt wurde und wird. Unsere Idealvorstellung und Utopie war eine Art Frauen-radikal - also eine ähnliche Struktur, aber ausschließlich von und für Frauen. Dort wären wir die Schere im Kopf gegenüber männlichen Mitstreitern und Lesern bei den Beiträgen losgewesen und hätten ein Forum geschaffen, in dem Frauen über radikale Inhalte und radikale Frauen/Lesbenpraxis diskutieren können.
So haben wir anfänglich mit Begeisterung die Entwicklung der Amazora verfolgt - der einzigen Frauenzeitung, die unseren eigenen Vorstellungen nahekam. Aber nach dem geringen Echo auf unserem Frauenpostkanal in der radi - frau kann von einer Null-Reaktion sprechen, es kam also auch keine Kritik, mit der wir uns hätten auseinandersetzen können - wunderte es uns nicht, daß die Amazora zwischenzeitlich ihr Erscheinen wegen mangelnder Beteiligung einstellte. Wir mußten für die Frauen/Lesbenszene leider ähnliches feststellen, wie wir es schon seit Jahren aus den gemischten Strukturen kannten, nämlich daß es wenige gab, die sich verbindlich um die Vermittlung und Verbreitung von Diskussionen, Erfahrungen u.ä. kümmerten, und daß es noch weniger gab, die sich verbindlich um den "ganzen Laden" kümmerten.
Erklärbar ist das unserer Meinung nach mit der allgegenwärtigen Konsumhaltung und dem mangelnden Denken in übergreifenden Strukturen. Das Zerfallen in Kleinstzirkel, das sektiererische Abgrenzen untereinander (nicht gemeint sind legitime Abgrenzungen gegenüber Sexismen, Rassismen, Antisemitismus oder auch ML-Politik) läßt viele in übergreifenden Strukturen keinen offenkundigen Sinn erkennen. Oft ist frau und mann sich selbst genüge. Von anderen meint man in der Regel nicht lernen zu können bzw. nur von denen, die der Trend gerade vorschreibt: Mal wird sich dann an "Der Schwarzen Frau" orientiert, dann an "Der Jüdischen Frau in Israel", an "Den kämpfenden kurdischen Frauen", bei den Männern und Gemischten sind es wieder andere.
Wir haben unsere Beteiligung an der radi nie als Konkurrenz zu der Amazora betrachtet. Die Amazora war für uns ganz unabhängig von der radikal wichtig in ihrer Bedeutung für den Aufbau autonomer Strukturen. Die radi betrachteten wir als eine Propagandabühne und Auseinandersetzungsfeld von Feministinnen mit einem Teil der linksradikalen Bewegung. Im nachhinein gesehen hat dies sicher viel zu selten öffentlich nachvollziehbar stattgefunden. Das sehen wir auch als Manko an. Es könnte somit der Eindruck entstehen, daß die Artikel und die Gruppen doch im großen und ganzen harmonisch nebeneinander her arbeiten konnten. Das war aber so sicher nicht der Fall.
Die Unterschiede zwischen den an der radikal Beteiligten sieht frau wohl am besten, wenn sie sich ansieht, in wie vielen Artikeln außer denen von uns versucht wurde, einen feministischen Standpunkt einzuarbeiten. Es gab immer einige Männer und Gemischte, die das versuchten, aber eben auch immer einige, von denen nichts kam. Weiter wäre noch selbstkritisch festzustellen, daß es die Dynamik gibt, daß frau selber auch, wenn sie sich viel gemischt-geschlechtlich bewegt, auch ihren Schwerpunkt tendenziell auf gemischt legt und feministische Ansätze teilweise schwimmen gehen. Das heißt dann nicht, daß frau nicht mehr in der Lage wäre, die gröbsten sexistischen Schnitzer zu bemerken, aber den ausgemacht feministischen Standpunkt zu einem Thema sich zu erarbeiten, halten wir unter gemischt-geschlechtlichen Bedingungen schlicht für unmöglich.
Einen letzten Aspekt wollen wir nicht unerwähnt lassen (nicht nur meckern...): Frau lernt in dieser Art Projekte besonders Verläßlichkeit und Verbindlichkeit zu schätzen, auch die derjenigen, mit denen sie an dem einen und anderen Punkt im Clinch liegt.
Und noch ein weiterer Punkt, der uns mit vielen dort verband, war eine Art "Lebensgefühl" und eine ähnliche Einstellung zu vielen Geschehnissen. So war es von allen getragen, daß auf die Rückseite der 135 ein Gruß an Ingo kam, der gerade im Zusammenhang mit den Schüssen an der Startbahn untertauchen mußte - oder ein ähnlicher Humor wie bei der Rückseite von der 139, wo lauter Strandkörbe mit der Bezeichnung "Müller" abgebildet waren und der Spruch daneben stand: "Ohne Müller, kein Krawall!"
Das ist natürlich Geschmackssache, aber wir haben uns darüber immer herrlich amüsiert.
Oft kam oder kommt ja die Kritik, daß die radi militanzfixiert sei. Wir sahen das vor dem Hintergrund der Arbeit, die wir uns mit inhaltlichen Artikeln machten und der ständigen Betonung, daß es auf das Zusammenspiel der verschiedenen Ebenen (militant, öffentlich etc.) ankomme, immer als schräge, auch vorgeschobene Argumentation an. In einem konkret-Interview in 1/90 sagte Nina auf die Frage: "Was in euren Worten über Theoretiker anklingt, aber auch in eurem Interview mit dem ID, ist, daß es für euch eine Hierarchie politischer Tätigkeiten gibt, bei der die illegale, militante Praxis die höchste Stufe hat", folgendes:
"Es geht uns weniger um das Mittel, sondern um das Ziel. In erster Linie kommt es darauf an, daß immer mehr Leute im Rahmen ihrer Möglichkeiten auf eine Revolution hinarbeiten. Wie du das machst, ist erstmal dein Bier und militanter ist nicht gleichbedeutend mit besser drauf. Da gibt es ganz andere Kriterien, z.B. was für ein Niveau die Auseinandersetzungen zwischen Typen und Frauen haben und wie ein Bewußtsein praktisch umgesetzt wird. Es geht uns einfach um Basisautonomie und Strukturen, wo Leute ihre Geschichte in die eigene Hand nehmen mit dem Ziel, hier zunehmend die Machtfrage stellen zu können. Was wir vorhin gesagt haben, hat nichts mit Theoriefeindlichkeit zu tun.
Aber wir haben Abscheu vor Funktionärstum und vor Leuten, die rumreden und die Drecksarbeit den Leuten an der Basis überlassen, auf die herabgeschaut wird, weil sie sich nicht so geschliffen ausdrücken können. Oder die als doof belächelt werden, weil sie bei Diskussionen über Fordismus nicht mitreden können oder wollen. In der Geschichte war es doch eher so (im großen Maßstab, d.S'in), daß die legale Linke sich von den Militanten abgegrenzt hat statt daß umgekehrt gesagt wurde, ihr seid uns zu lasch. Dann fahren welche ein, und dafür wird ihnen noch ans Bein gepißt. Ich hab das Gefühl, man muß permanent beteuern, daß militante Aktionen oder Steine schmeißen nicht aus einem Avantgardedünkel kommt."
Auch heute haben wir häufig bei dieser Art Kritik den Eindruck, daß weniger der komplette Inhalt der radi eine Rolle spielt (schon teilweise halb wissenschaftlich abgedrehte Texte zu Geschlechtergeschichte mit merklichem drive weg von Genauigkeit der Sprache, die für alle verständlich sein soll), sondern allein die Position ein Dorn im Auge ist, die unablässig durch die Form der Organisierung daran erinnert, daß wir nicht im Land der freien Möglichkeiten leben bzw. daß alle linksradikale Politik nichts ist, wenn sie nicht ein militantes Standbein hat.
Wir haben zur radi an sich ein solidarisch funktionales Verhältnis - wir finden es enorm, wie kontinuierlich gegen jeden Szene-mainstream, der immer schon sehr oberflächlich und mit wenig Instinkt für politisch notwendige praktische Schritte agierte, gearbeitet wurde und wird. Solange sich nicht das politische Kräfteverhältnis in der radi ändert, wissen wir, daß unsere Positionen dort immer einen Platz haben werden und weiter auf inhaltlich und strukturell Erarbeitetem aufbauen können.
Es wird dennoch ein Kampfverhältnis hinsichtlich der Analyse und Einschätzung bleiben, mit dem notwendigen Mißtrauen gegenüber dem oft opportunistischen Verhalten von Männern als den gesellschaftlich Stärkeren und Privilegierten.
Wir sehen die radi als ein Forum, wo Frauen/Lesben die Chance wahrnehmen sollten, ihre Praxis für Frauen sichtbar und somit diskutierfähig zu machen. Der Schwerpunkt feministischer Arbeit liegt dennoch ohne Zweifel im Aufbau eigener Strukturen.
Nicht zuletzt sehen wir es als unsere Sache, den GenossInnen als Teil einer zwar diffusen, aber nichtsdestotrotz bestehenden linksradikalen Bewegung den Rücken gegen Repression zu stärken.
Die Grundlage für eine gute Zusammenarbeit besteht in der konkreten inhaltlichen Ausrichtung der radi, in der der Kampf gegen patriarchale Ausbeutung und Unterdrückung gleichberechtigt zu antirassistischen und antikapitalistischen Kämpfen seinen Platz finden sollte...P.S. Die Gründe für die Beendigung der Arbeit in der Gruppe "Einige Frauen aus der radi" waren unterschiedlich, teils lagen sie später an gesamt-strukturellen Streitigkeiten, teils daran, daß sich der persönliche Arbeitsschwerpunkt in der Form (weniger Zeitung) oder in der Art der Organisierung (mehr mit Frauen) verschob.
Einige Frauen aus der radikal
(Quelle: "20 Jahre radikal - Geschichte und Perspektiven autonomer Medien", Verlag Libertäre Assoziation - Unrast Verlag - Verlag der Buchläden Schwarze Risse/Rote Straße - Edition ID-Archiv, 1996)
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kombo(p) | kombo@riffraff.ohz.north.de | 28.6.1997