Wasserstände (juristische Hintergründe)
Zum Stand des radikal- Verfahrens

Bereits in der letzten Ausgabe der "radikale zeiten" haben wir berichtet, daß das Verfahren gegen die vier ehemals Gefangenen, kurz nach ihrer Freilassung Anfang Dezember 95, an das OLG Koblenz abgegeben wurde. Der dort zuständige Staatsanwalt hat Mitte März den nach seiner Aussage größten Teil der Akten zu den vier Beschuldigten herausgegeben.

Nachdem sich die Beschuldigten und deren AnwältInnen ein dreiviertel Jahr mit drei Aktenordnern zufrieden geben mußten, liegen nun 88 Ordner auf dem Tisch. Dazu später einen vorläufig groben Überblick.

Die Hintergründe für die relativ schnelle Abgabe des Verfahrens der Vier sind jetzt durch die Akteneinsicht transparenter geworden. Wie wir auch schon öfter in Veröffentlichungen geschrieben haben, wurde im radikal-Verfahren nicht nur nach §129 - Bildung und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung- ermittelt, sondern auch gemäß §129a - Unterstützung und Werbung für terroristische Vereinigungen.

Der Vorwurf, die angebliche radikal-Redaktion würde terroristische Vereinigungen unterstützen, basierte auf dem BAW-Konstrukt, die radikal sei weit mehr als nur eine Zeitung. Sie sei vielmehr eine "Organisation", die direkte Kontakte zu militanten Gruppen wie RAF, RZ, AIZ etc. pflegt, und als Bindeglied zwischen diesen bundesweit agierenden Gruppierungen fungiert. Scheinbar belegt wurde dies damit, daß in der radikal z.B. Interviews mit den RZ bzw. der RAF erschienen sind oder damit, daß einzelne Beschuldigte entweder selbst Mitglieder sein sollten, oder zumindest Kontakt zum sogenannten, immer wieder gerne vom Staatsschutz benannten, "RAF Umfeld " hatten.

Aus diesem Grund wurde auch schon in sehr frühen Beschlüssen des BGH bzw. Anträgen der BAW die radikal mit militanten Gruppen nahezu gleichgesetzt.

Aus den Akten geht nun hervor, daß im Zusammenhang mit der Abgabe des Verfahrens nach Koblenz der Vorwurf "Unterstützung terroristischer Vereinigungen nach §129a" fallengelassen wurde, weil sich der Anfangsverdacht, die radikal-Redaktion habe direkte Verbindungen, nicht bestätigt hat.

Im Zusammenhang mit der Verfahrensabgabe und der Freilassung der Vier liest sich das so, als wolle die BAW das Verfahren erstmal etwas tiefer hängen, gleichzeitig aber ihr scharfes Vorgehen vom und nach dem 13.6.95 legitimieren.

Zum Stand des Verfahrens gegen die vier Untergetauchten gibt es keine neuen Informationen. Nachdem die ehemaligen Gefangenen seit über 4 Monaten aus dem Knast raus sind, und das Verfahren ans OLG Koblenz abgegeben wurde, wird deutlich, daß diese Umstände nichts an der Situation der Untergetauchten geändert hat. Ihr Verfahren liegt weiter bei der BAW und diese verweigert jedwede Information mit dem Hinweis darauf, daß ohne "persönliches Erscheinen" keine Schritte seitens der BAW zu erwarten seien. Praktisch heißt das u.a., daß in drei Fällen noch nicht einmal die Haftbefehle an die AnwältInnen herausgegeben wurden, von Akteneinsicht ganz zu schweigen.

Zu den Ermittlungsakten

Grundlage der Ermittlungen ist ein mehrtägiges Treffen der angeblichen radikal - Redaktion in einem Haus in der Eifel im September 93. Dieses Treffen wurde mit Mikrosendern abgehört und findet sich als 800 Seiten umfassendes Gesprächsprotokoll in den Akten wieder. Außerdem wurde über Außenkameras die Abreise einiger Personen gefilmt.

Daraufhin begannen das BKA und verschiedene LKA's damit, einen Teil der jetzt Beschuldigten zuzuordnen. Als Hinweise auf eine mögliche Identifizierung zogen die Staatsschützer z.B. beobachtete Autokennzeichen, bestimmte "Dialekte", "markante Gesichtszüge" heran.

Ausgehend von dem Treffen in der Eifel, bei dem Gespräche und Diskussionen mit sogenannten "Codewörtern" protokolliert wurden, hat das BKA im Laufe der Auswertung ein Konstrukt zur radikal-Struktur entworfen, das richtungsweisend für die weiteren Ermittlungen wurde:

Innerhalb der radi-Struktur gäbe es verschiedene Gremien mit unterschiedlichen Funktionen. Den Sieben, die an dem Treffen in der Eifel teilgenommen haben sollen, wird z.B. vorgeworfen, einem Gremium anzugehören, das in erster Linie mit allen technischen und organisatorischen Aufgaben im Zusammenhang mit der Herstellung und Verbreitung der radikal betraut ist.

Darüber hinaus seien sie aber auch für die inhaltliche Vorbereitung und Ausrichtung verantwortlich. Aus dem Gesprächsprotokoll leitet die BAW außerdem ab, daß der radikal-Struktur verschiedene "Regionalgruppen" und Einzelpersonen angehören, die in den abgehörten Gesprächen mittels "Codenamen" benannt würden. Auf dieser "Grundlage" haben die Verfolgungsbehörden versucht, weitere Personen, und diesen wiederum bestimmte Funktionen zuzuordnen.

Somit begann im Herbst 93 die über eineinhalb Jahre andauernde, bundesweite Ermittlungsarbeit gegen die vermeintliche radikal-Struktur.

Aus den Akten geht hervor, daß die Ermittlungen u.a. Observationen und Videoüberwachung von Beschuldigten, das Abhören von Telefonen und die Beschlagnahmung von Post und Kontoauszügen umfaßte.

Überwacht wurden nicht nur private Telefonanschlüsse, sondern auch Arbeitsstellen und öffentliche Telefonzellen. In üblicher Staatsschutzmanier wurde die Geschichte und der Alltag der ursprünglich 7 Beschuldigten durchschnüffelt.

Im Laufe der Zeit wurden immer mehr Menschen aus dem persönlichen und/oder politischen Umfeld der angeblichen radikal-RedakteurInnen in die Ermittlungen miteinbezogen, und in das Konstrukt "kriminelle Vereinigung radikal" eingegliedert.

Nach eineinhalb Jahren dann schlugen die Ermittlungsbehörden zu - bundesweite Razzia am 13.6. nicht nur wegen der ca. 25 Ermittlungsverfahren wegen radikal, sondern auch wegen RAF, K.O.M.I.T.E.E. und AIZ.

Wie ist die Situation?

Bei den Durchsuchungen wegen der radikal wurden über 1000 Disketten beschlagnahmt, darunter waren auch verschlüsselte Dateien/ Disketten.

Aus den Akten geht hervor, daß spätestens im Oktober 95 alle mit dem PC-TOOLS-Programm "PC-SECURE" verschlüsselten Disketten entschlüsselt waren. Den Akten beigefügt sind Diskettenausdrucke die, der Konstruktion der BAW folgend, als Protokolle von Treffen, Diskussionspapiere und Schilderungen von bemerkten Observationen verstanden werden können.

Die in den Akten dokumentierten Funde vom 13.6. wurden von der Staatsanwaltschaft dahingehend ausgewertet, daß sie die Logik der entworfenen Organisationsstruktur stützen und in ihre vorherigen Ermittlungen eingepaßt werden können. Das heißt, daß die BAW behauptet, durch die Funde nun u.a. Tatbeteiligungen und Funktionen von Beschuldigten detaillierter und fundierter nachweisen und belegen zu können.

Aus den Akten läßt sich außerdem entnehmen, daß sich ein Teil der vermeintlichen Erkenntnisse im aktuellen Verfahren aus dem rechtswidrigen Lauschangriff auf ein Haus in der Eifel im Herbst 93 ableiten. Alle weiteren Ermittlungen bis zum 13.6. bauen letztlich auf dieser Maßnahme auf und werden in das vom BKA entworfenen Raster eingeordnet.

Zur Erinnerung:

Die Abhörmaßnahme war bereits im Juni 93 vom Landgericht Mayen (Rheinland Pfalz) genehmigt worden, aufgrund des Verdachts, daß sich in dem Haus "Mitglieder der RAF und/oder andere Personen aus dem linksextremistischen Umfeld" träfen. Die zunächst durch das rheinland-pfälzische Polizei- und Ordnungsgesetz legitimierte Abhöraktion wurde bis zum Januar 94 ausgedehnt und stellt somit den längsten "offiziellen" Lauschangriff in der Geschichte der BRD dar. Die aus so einer Maßnahme gewonnenen Erkenntnisse, die laut geltendem Gesetz bisher lediglich der "präventiven Gefahrenabwehr" dienen dürfen, sollen in diesem Verfahren in nicht unerheblichem Maße zur repressiven Strafverfolgung genutzt werden. Auf diese Weise wird versucht - während politisch noch um den Lauschangriff gestritten wird und eine geplante Gesetzesänderung frühestens im nächsten Jahr durchgesetzt werden kann -Abhöraktionen diesen Ausmaßes schlichtweg über die Praxis zu legitimieren und durchzusetzen.

In einem Prozeß gegen die radikal-Beschuldigten wird es sicherlich nicht nur auf juristischer Ebene darum gehen, an diesem Ermittlungs-"Sockel" des sowieso wackeligen Konstrukts "kriminelle Vereinigung radikal" zu rütteln.

Ein erstes Anliegen der Staatsanwaltschaft wird es sein, das Konstrukt durchzusetzen, nach dem es sich bei der Zeitung radikal um eine kriminelle Vereinigung handeln soll, deren erstes Ziel nicht etwa ist, ein Diskussionsforum zu bieten und Gegenöffentlichkeit zu schaffen, sondern deren Existenz, nach Auffassung der Ermittlungsbehörden, vorrangig auf die Begehung von Straftaten ausgerichtet ist.

Aus Erfahrungen mit Prozessen dieser Art wissen wir, daß es nicht Aufgabe, Pflicht oder gar Ziel der Staatsanwaltschaft ist, irgendein Konstrukt im juristischen Sinne herzuleiten, sondern politische Vorgaben zu machen, um die Kriminalisierung der Beschuldigten - und damit die Unterdrückung politischen Widerstandes - juristisch durchzusetzen.

Daß die Verfolgungsbehörden einen Prozeß mit diesem Konstrukt durchziehen können, an dessen Ende eventuell sogar eine Verurteilung wegen Bildung bzw. Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung stehen könnte, ist nicht ausgeschlossen. Dafür spricht sicherlich die Geschichte der politischen Justiz in der BRD. Die Erfahrungen aus dieser Geschichte, speziell auch die des Gesinnungs- und Schnüffelparagraphen 129a, sind aber auch, daß 95% aller Verfahren eingestellt werden und es nur bei 2% zu Verurteilungen nach §129a kommt.

Im Fall der radikal-Kriminalisierung ist das Konzept bislang nicht aufgegangen. Innerhalb der Linken hat es nach dem 13.6. eine große Solidarisierung gegen den Staatschutzangriff gegeben, die u.a. einen Ausdruck in der bundesweiten Demo vom 16.12. in Hamburg fand, an der über 5000 Menschen teilnahmen, die radikal erscheint weiter und "profitiert" von der BAW inszenierten PR-Kampagne.

Unser Ziel muß weiterhin die Einstellung aller Verfahren und die Aufhebung der Haftbefehle sein, auch um den Abgetauchten eine Rückkehr möglich zu machen.

AutorInnen: Bundesweite Jura-AG, vom 15.4.1996

(Quelle: radikale Zeiten Nr. 4, April 1996)

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