Die patriotische Bewegung an einem historischen Wendepunkt...
[Devrimci Çözüm Juli 1999]
Der Imrali-Prozeß, der am 31. Mai begann, ist aus Sicht der kurdischen Bewegung und Kampfes wie auch aus Sicht des türkischen revolutionären Kampfes von historischer Bedeutung. Diese historische Bedeutung des Imrali-Prozesses ergibt sich daraus, daß er ein Teil des gemeinsamen revolutionären Kampfes ist. Aus diesem Grund wird jedes Wort, jedes Verhalten von Abdullah ÖCALAN einen Einfluß auf die revolutionären Bewegungen und Völker haben. Mit jedem Wort, das positive Einflüsse auf den Kampf der Völker gehabt und den gemeinsamen Kampf beschleunigt und erhöht hätte, hätte er (A.Ö.; d.Ü) eine Rolle in der Neuordnung der patriotischen Bewegung spielen können. Aber Tatsachen, von denen erwartet wurde, daß sie erwähnt würden, fanden in Abdullah ÖCALANs Verteidigung keinen Raum. Die auf Imrali zur Sprache gekommenen ideologisch-politischen Bewertungen blieben weit hinter dem Erwarteten zurück. Während diese Lage in manchen Kreisen Illusionen zerbrochen hat, manche Kreise am Ende ihrer Bewertungen angekommen sind, ist in den Reihen der patriotischen Bewegung ein Punkt erreicht worden, an dem alles (was er gesagt hat) zu theorietisieren (die patriotische Bewegung erklärte das Verteidigung ÖCALANs zum Manifest des 21. Jahrhunderts; d.Ü.) und zu verteidigen, als ob nichts passiert wäre. Aber was er auch sagen mag, die einzige Wahrheit ist, daß seine Verteidigung eine moralische Zersetzung im Volk bewirkt hat. Mit ihr hat er dem Staat die moralische Überlegenheit in die Hand gegeben. Mit dieser hat der Staat die Grundlage erlangt, alles in eigener Initiative zu verwirklichen. ÖCALANs Verteidigung hat, indem sie gegenüber der im Namen der gedungenen Tintenkulis (Lenin d.Ü.) der Oligarchie und der imperialistischen Reaktion den Prozeß beobachtenden internationalen Presse die moralische Überlegenheit des kapitalistischen Systems betonte, dies gegenüber dem Volk durchgesetzt. [...] Was aber aus dem marxistisch-leninistischem Blickwinkel, war über die moralischen Wirkungen und Folgen hinaus der Blickwinkel der politisch-ideologischen Haltung. Aber der Aspekt, um den es uns geht, war nicht ÖCALANs Verhalten und Stil, sondern war die Unterstützung dieses Verhaltens und Stils als die Grundlage, als der Wesenskern der Sache. Dieser Wesenskern jedoch zeigt deutlich, daß Abdullah ÖCALAN eine neue Linie erklärt, die sich von sozialistischen Einflüssen vollständig entfernt, mit der Revolution gebrochen hat und in den Einflußbereich des Imperialismus eingetreten ist. Jedoch, es ist keine billige Kritik, warum ÖCALAN das Gericht nicht abgelehnt hat, warum er nicht mit der Faust auf den Tisch gehauen hat, etc. Aber billige Bewertungen zu treffen wie etwa der Vergleich mit Deniz, Mahir, Ibo (Deniz Gezmis, Mahir Cayan, Ibrahim Kaypakkaya - türkische Revolutionäre in den 70zigern d.Ü.) „Hinter ihnen stand keine Unterstützung des Volkes, es gab keine Verantwortung für das Volk, deshalb spielten sie die Heldenrolle" (in einem Kommentar in der in Europa erscheinen Zeitung Özgür Politika; d.Ü.), ist ebenso falsch. Dieser Vergleich, der mit der Absicht gezogen wird, Abdullah ÖCALANs Verhalten auf Imrali zu erklären, bedeutet sowohl, Ibo, Mahir, Deniz kleinzureden, als auch, die Sache von der ideologisch-politischen Ebene auf eine spekulative Ebene zu schieben. Was uns interessiert, ist, wie wir oben erklärt haben, die ideologisch-politische Haltung. Was wir jenen sagen, die uns sagen „Ihr müßt uns verstehen", ist, daß wir unsere Kritik mit der Verantwortung der revolutionären Freundschaft und Solidarität und, als in der gleichen Front zu stehend, an euch richten, indem wir verstehen, zu verstehen versuchen. Dies muß man wissen. Man muß auch wissen, daß wir uns fern von einer Auffassung befinden, die die Politik auf billige Worte reduziert, daß wir Abstand von jenen nehmen, die die Politik zu einem käuflichen Artikel machen und auf eine spekulative Art und Weise führen. Es werden noch viele Dinge geschrieben und aufgezeichnet werden, die diese Phase und die ideologische Herangehensweise betreffen, die in Abdullah ÖCALANs Verteidigung festgelegt wurde und die sein Auftreten und die Geschichte der PKK betreffen. Eine solche Diskussion ist ein Thema, das den Rahmen dieses Artikels überschreitet. An dieser Stelle werden wir versuchen, einige springende Punkte in ÖCALANs Verteidigung zu berühren und, sei es die Phase, in der wir uns befinden, sei es, unser Verhalten und unsere Verantwortung, die wir angesichts der Entwicklungen ergreifen müssen, zu klären.
Was sind die Gründe, die Abdullah ÖCALAN zu einer solchen Haltung gebracht haben? Sind alle Waffen völlig verlorengegangen? Gab es keinen anderen Ausweg? Die folgenden Bewertungen Abdullah ÖCALANs stellen diese Haltung ausreichend klar (wenn nichts anderes angemerkt ist, beziehen sich die Zitate auf seine Verteidigung im Imrali-Prozeß d.Ü.): "In diesen Jahren (den 90‘ern) durchlief der Staat ernsthafte Änderungen. Insbesondere die Auflösung der Sowjetunion, die Zeit nach dem Golfkrieg, Entwicklungen, die die Türkei eng beeinflußten, machten es existentiell notwendig, das kurdische Problem zu lösen, und dieser Weg mußte auf der Basis der Notwendigkeit einer verspäteten, umfassenden Demokratisierung verlaufen. Hier widersetzte sich die PKK. Sie widersetzte sich, indem sie sich immer wieder wiederholte, anstatt sich selbst weiterzuentwickeln. Darin schien das einzige Mittel zu liegen. In Wahrheit hätte sie aus der Auflösung des Sozialismus die Form der demokratischen Lösung hervorbringen müssen. Sie hätte sehen müssen, daß das „Recht der Nationen auf Selbstbestimmung" seine Berechtigung verloren hatte, daß die wissenschaftlich-technischen Veränderungen, die aus den Entwicklungen seit dem 17. Jahrhundert stammenden Begriffe von Nation und Staat überholt haben, daß eine Lösung ohne Veränderung der Grenzen realistischer ist. Kurz gesagt, sie hätte das Programm der 70‘er aufgeben und zu einem neuen Programm kommen müssen. Sie hätte die Türkei, die Entwicklung, die sie sowohl während ihrer Gründung als auch in den 90‘ern durchlief, erneut betrachten und analysieren und ihr Programm auf diese Entwicklungen stützen müssen. Weltweit löste sich das sozialistische System auf, das Sowjetsystem brach zusammen, die Lösung wurde in einer mehr schlechten als rechten Demokratie gesehen – zweifellos hätte die PKK daraus wichtige Schlüsse ziehen müssen. Statt der ideologisch-utopischen Forderung nach einem separaten Teil, einem separaten Staat, statt der aufgrund des objektiven Begriffs und der Realität der Geographie des Landes schwer möglichen Auffassung von einem separaten Teil eines gemeinsamen Mutterlandes – auch, wenn er gegründet worden wäre, wäre er nicht lebensfähig und auch nicht nötig gewesen - , stattdessen hätte die PKK die freie Einheit der Kurden mit der Republik innerhalb der gleichen Grenzen, aber auf der Grundlage einer demokratischen Gesellschaft, eine Entwicklung, die sich weltweit gezeigt hat, sehen und aufzeigen müssen. Gerade wegen der extremen Vermischung, der weitgehenden Assimilation und der Tatsache, daß sich fast die Hälfte der Bevölkerung in anderen Regionen befindet, mußte die zu findende und zu bevorzugende Lösung in einer vertieften Demokratie liegen. Die PKK hätte eine eigene Sprache dafür finden und anstatt degenerierter, vielen Schmerzen und Verlusten den Weg bereitender Gewalt ihre Aktionslinie darauf ausrichten müssen, ihre politisch-demokratische Arbeit auszuweiten. Sie hätte geschickt und verantwortungsvoll handeln müssen, um den immer schmutziger werdenden Krieg zu beenden. Sie hätte sehen müssen, daß selbst eine permanente Guerilla gegen die Armee letztendlich keine andere Rolle hätte spielen können, als zum gleichen Punkt der Lösung zu kommen, sie hätte in einer kontrollierten Transformation die politisch-legale Alternative auf die Tagesordnung setzen müssen." In seiner Verteidigung erklärt ÖCALAN, daß die kurdische Bewegung von den 90‘ern an in eine andere Ausrichtung eintrat und, um diese Ausrichtung zu systematisieren, die Phase der Waffenstillstände begann. Der Moment jedoch, an dem diese Ausrichtung zum System wurde, ist der nach der Verwirklichung des Komplotts. Im Prinzip ist es die Verteidigung einer Geschichte, man sei durch die Imperialisten anerkannt worden, als sich der bewaffnete Kampf angesichts der auf den Trümmern des besiegten Sozialismus ausgerufenen Weltherrschaft des imperialistisch-kapitalistische Systems und des Erfolgs in der Erstickung des Befreiungskampfes der Völker, als ausweglos herausgestellt habe. ÖCALAN sagt folgendes: „An diesem Punkt hat es einen großen Anteil an der Stagnation, den militärischen, bewaffneten Weg gegangen zu sein. Gerade die Wirklichkeit, die sich jedesmal in Aufstand und Unterdrückung zeigte, forderte in unserer Praxis, wie auch weltweit, dringend einen Weg nicht der Zwang und Gewalt beinhaltet." Der im Namen des PKK-Präsidiums sprechende Duran KALKAN jedoch vervollständigt Abdullah ÖCALANs Verteidigung mit dieser Erläuterung: „Indem sie einen anderen Dialog mit dem Feind, eine Grundlage suchten, haben uns die internationalen Kräfte in diese Lage hineingezogen. Sie sind die Herrscher der Lage. In diesem Bereich müssen wir die Lösung auf der Grundlage suchen, daß wir diese Tatsache anerkennen. Es wurde für uns zur Notwendigkeit, dadurch daß wir in das System hineingehen, die Lösung erneut, von Null beginnend und Schritt für Schritt die national-kulturelle Frage lösend, Schritt für Schritt zu entwickeln." Der in Abdullah ÖCALANs Verteidigung erklärte Punkt und Duran KALKANs Äußerungen sind Dinge, die sich gegenseitig ergänzen. „Die Blockade der bewaffneten Kräfte, die Führung und Vorherrschaft der internationalen Kräfte" und ähnliche Erklärungen klären auch die Frage, warum die Verteidigung auf Imrali eine derartig rückständige war. Eigentlich wird gesagt: „Wenn nun dieser Weg blockiert und ausweglos ist, wenn nun die internationalen Kräfte die Herrscher sind, ist es die realistischste Linie, daß wir anstelle der allgemeinen Wahrheiten, die wir bis heute verteidigt haben, eine neue, dieser neuen, dieser Situation der Vorherrschaft angemessene Lösung schaffen." Aber diese Erklärung läuft darauf hinaus, die von den bewaffneten Kräften verteidigten Wahrheiten, Realitäten und ihre historische Berechtigung zu leugnen und stattdessen die der Situation der Vorherrschaft der internationalen Kräfte – Imperialisten – angepaßten „Wahrheiten" „Realitäten" und deren historische Berechtigung anzuerkennen. Der 15-jährige Guerillakampf hat in einer nicht wegdiskutierbaren Form dem kurdischen Volk einer Berechtigung auf der Bühne der Geschichte und seinen Weg der Befreiung geschaffen. Der Beitrag dieses 15-jährigen Kampfes ist nicht allein auf das kurdische Volk begrenzt. Er ist auch aus der Sicht des türkischen revolutionären Kampfes eine wichtige Hinterlassenschaft. Jedoch könnten die Bestrebungen, den 15-jährigen Kampf mit jeder Art schmutziger Methoden zu unterdrücken, die Unterstützung der Türkischen Republik durch die imperialistische Reaktion, die subjektive Lage der türkischen revolutionären Bewegung, die Vereinzelung des kurdischen nationalen Befreiungskampfs und etliche weitere Einflüsse die kurdische Bewegung an die Schwelle einer Stagnation bringen. An diesem Punkt könnte die patriotische Bewegung zur Entspannung, zum Rückzug, zur Neuordnung der Kräfte in eine Reihe taktischer Schritte eintreten. Denn jeder revolutionäre und nationale Befreiungskampf kann auf einem so langen und unebenen Weg in vergleichbare Probleme geraten. Dies ist eine verständliche Sache. Aber was verlautbart, erklärt und gesagt wird, ist etwas ganz anderes. Was zur Sprache gebracht wird, ist, so wie es eine direkte Änderung darstellt, darauf gerichtet, auf die Waffen zu verzichten, den friedlichen Kampf zur Grundlage zu nehmen und ins System integriert zu werden. Was soll mit einer solch rückständigen Haltung gerettet werden? Soll die Vernichtung der Guerilla verhindert werden? Steht das kurdische Volk einmal mehr, dadurch, daß es sich nicht erhebt an der Schwelle einer schweren Niederlage? Es ist klar, daß die Situation keine solche ist. Demzufolge? Der Grund muß in der strategischen Wende gesucht werden. Es ist eine Tatsache, daß diese Wende nicht von den gegebenen Bedingungen und Änderungen unabhängig ist. Klar gesagt, ist die Rede von der Anerkennung der imperialistischen Vorherrschaft.
Selbst wenn man anerkennt, daß dieses rückständige Verhalten mit der Absicht gezeigt wird, den negativen Folgen, die der kurdisch-türkische Konflikt hervorgebracht hat, neuen Schmerzen und Schwierigkeiten, der Vernichtung einer Vielzahl von Werten, etc. vorzubeugen und nicht noch mehr Dynamit in die Bedingungen des Zusammenlebens zu legen – wie man es dreht und wendet, man kommt unausweichlich an den gleichen Punkt: Strategische Wende. Alles, was vorgebracht wird, steht als Argument im Umfeld dieser (Neu)-Ausrichtung.
Geschichte wiederholt sich nicht, daß ist ein dialektisches Gesetz. Aber jene, die nicht aus der Geschichte lernen, die die Geschichte auf eigene Faust beginnen und beenden, die anstelle wissenschaftlicher Wahrheiten und Realitäten eigene „Entdeckungen" entwickeln wollen, bereiten sich selbst ihre eigene Tragödie. Abdullah ÖCALAN, der Revolutionen für ungültig erklärt, entwickelt seine Theorie der „Verfassungsmäßigen Evolution". Vor 100 Jahren, in der Phase der freien Konkurrenz, am Höhepunkt der kapitalistischen Entwicklung, wurde die gesellschaftliche Evolutionstheorie zur Sprache gebracht. Jetzt jedoch wird dies in einem Zeitalter gesagt, in dem der Sozialismus besiegt ist und die imperialistische Reaktion unter dem Namen der "Neuen Weltordnung" ihre Vorherrschaft erklärt hat. In den letzten Jahren des Zeitalters des Kapitalismus der freien Konkurrenz, in einer Phase, in der sich die kapitalistische Entwicklung rasant in Richtung Imperialismus bewegte, wurde in Zurückweisung der Revolutionstheorie des Marxismus die Theorie der Evolution hervorgebracht, Die von Bernstein angeführte revisionistische Strömung war Teil eines ideologischen Angriffs, der auf die Säuberung aller sozialdemokratischen Parteien gerichtet war. Diese Phase, die in den Reihen des Marxismus als eine Phase der Krise erlebt wurde, wurde eine Phase, die mit dem Anwachsen der kapitalistischen Aggression das Erreichen der imperialistischen Stufe gewährleistete. In dieser Phase, in der die Welt aufgeteilt und die Herrschaft des Imperialismus endgültig wurde, in der die Widersprüche zwischen den Interessen der imperialistischen Kräfte erneut den Verteilungskrieg unterstützten, machten die Vertreter dieser Strömung, indem sie in den eigenen bürgerlichen Reihen Kriegshetze betrieben, durch die vollständige Säuberung der sozialdemokratischen Parteien diese zu Systemparteien. Diese Strömung, die sich auf die Grundlage der Klassenkooperation und der Versöhnung mit dem System stützte, brach mit ihrem auf die Demokratisierung des Staates gerichteten Verständnis vollständig mit dem Marxismus. Aber das Leben hat nicht die Revisionisten, sondern die Wahrheiten des Marxismus-Leninismus bestätigt. Lenin, der ihnen den endgültigen Todesstoß versetzte, hat sie in der Geschichte beerdigt, damit sich die Evolutionstheorie und die Aussöhnung der Klassen nicht noch einmal wiederbeleben kann.
Das 20. Jahrhundert, während die Revisionisten und Reformisten es als Beginn einer Entwicklung auf der Grundlage von Frieden-Verständigung-Klassenaussöhnung erwarteten, wurde, indem es die marxistische Theorie des Klassenkampfs bestätigte, zum Beginn des Zeitalters der Revolutionen. Jene, die predigten, der Marxismus sei tot, er habe sich geirrt, wurden Zeugen, wie die gesellschaftlichen Gleichgewichte auf den Kopf gestellt wurden. Der Marxismus als Wegweiser im Befreiungskampf der Menschheit brachte die Völker zur Gründung eines freien, sozialistischen Gesellschaftssystems. Auf einem Drittel der Erde wandte sich die Menschheit einem Gesellschaftssystem ohne Ausbeutung zu. Nach 100 Jahre werden gegenüber dem Befreiungskampf der unterdrückten Völker und der Arbeiterklasse wieder die Theorien von „Evolution statt Revolution" ausgegraben. Mit dem einzigen Unterschied, daß es sich in einem Fall um eine aus dem Marxismus stammende, abweichende Strömung, im anderen um eine vom Marxismus beeinflußte nationale Bewegung handelt. "Verfassungsmäßige Evolution", „demokratische Republik" und ähnliche Definitionen sind nichts anderes als Theorien, die von der Geisteshaltung erzwungen wurde, die, unter den Bedingungen der Auflösung des Sozialismus, des Zurückwerfens der Welle der Revolution, des Anwachsens der imperialistischen Herrschaft in der unipolaren Welt und der Unterstützung der Unterdrückung und Ausbeutung der unterdrückten Völker unter dem Namen der Neuen Weltordnung, durch deren ideologisches Bombardement und physische Angriffe geschaffen wurde. Und diese „Theorien" haben aus dem revolutionären Blickwinkel nichts Neues an sich.
An der Schwelle eines neuen Jahrhunderts deckt sich das, was vor 100 Jahren, zu Beginn des 20. Jahrhunderts erkannt worden war, mit dem, was zu Beginn des 21. Jahrhunderts gesagt wird. Der Kapitalismus an der Schwelle des 20. Jahrhunderts band, indem er sich rasant entwickelte und eine Steigerung des Wohlstands der menschlichen Gesellschaften schuf, diese an das System. Bernstein, der nicht sah, daß dieser Wohlstand durch die Ausbeutung der Völker der Welt geschaffen wird, entwickelt die Theorie der Klassenkooperation aus der durch den Wohlstand geschaffenen, relativen Abschwächung der Klassenkonflikte.
Indem er sagte „Ich glaube nicht, daß der Kampf der Gegensätze die Grundlage aller Entwicklungen ist. Die Kooperation der sich angleichenden Seiten ist von ebenso großer Bedeutung", verteidigte er, daß die kommende Ära eine Entwicklung zeigen würde, die nicht den Klassenkonflikt, sondern die Klassenkooperation zur Grundlage haben würde. (Aktaran Ismail Cem, Was ist Sozialdemokratie, was nicht?)
Abdullah ÖCALAN hingegen, indem er erklärt, daß der Realsozialismus und die faschistischen Diktaturen unterlegen seien, das demokratische System gesiegt habe, und daß es nunmehr nötig sei, dies anzuerkennen, sieht in diesem Rahmen das darausfolgende Ziel in der demokratischen Republik. „Im 20. Jahrhundert jedoch, indem die Demokratie gegen die absolut gnadenlosen Diktaturen des Faschismus auf der einen Seite und gegen die totalitären Regimes des Realsozialismus auf der anderen Seite Widerstand leistete, hat sie am Ende des Jahrhunderts ihren endgültigen Sieg erklärt." [...] „Mit der Auflösung des sozialistischen Systems und der Wende zur Demokratie seit den 90‘ern steht der große Sieg der Demokratie erst an seinem Anfang." [...] „Es scheint, als ob es unausweichlich ist, daß das demokratische System, das in den 2000‘er Jahren seinen endgültigen Sieg erklärt, davor steht, sich in die Tiefe und in alle Gesellschaften auszuweiten. Ebenso endgültig ist, daß jene, die sich dagegen wehren, verlieren, und jene, die sich erfolgreich anpassen, siegen werden."
Auch die Schlußfolgerung, die wir aus diesen Auszügen ziehen, ist sehr klar. Es ist die Anerkennung, daß die Neue Weltordnung der Alleinherrscher und einzig gültiger Weg sei. Diejenigen, die das nicht anerkennen, sind zur Niederlage verurteilt. Die heutige Niederlagesituation und Stagnation, die die nationale Bewegung erlebt, gibt ihr nicht das Recht, sich zu verhalten, als sei niemandem diese Lage je widerfahren, als sei dies eine Entwicklung, die der kurdischen Bewegung als erste in der Menschheitsgeschichte widerfahren ist.
Der Freiheitskampf der Menschheit wurde durch die herrschenden Mächte tausende Male aufgehalten und besiegt. Wenn er aber in jedem Moment der Niederlage, Stagnation und Krise dazu gebracht worden wäre, die von den herrschenden Mächten gezogenen Grenzen anzuerkennen, wäre der Fortschritt der Menschheit niemals möglich gewesen. Das entwickeltste gesellschaftliche System der Menschheit mit faschistischen Diktaturen zu vergleichen, welche revolutionäre Haltung kann das ausdrücken? Die Mängel, Fehler und Irrtümer des Sozialismus legen im Grunde genommen nur offen dar, daß er von Neuem geschaffen werden muß. Das Problem ist nicht, den Sozialismus schlechtzumachen – das tun der Imperialismus und seine Unterstützer von links mehr als genug - , sondern, mit den Lehren, die wir aus dem Verständnis dieses Sozialismus ziehen, das Verständnis unseres eigenen Sozialismus zu formen. Dies heißt jedoch nicht, einen Gegensatz zur Demokratie aufzustellen. Was wir auch sagen mögen, letztendlich wird auch die Republik, auch die Demokratie, auch der Begriff der demokratischen Republik durch das Privateigentum geformt und wird Klassenherrschaft sein. Wäre es auch die demokratischste Republik des Zeitalters, sie wird einen Klassenstempel tragen. Dabei wird die von Abdullah ÖCALAN vertretene Republik, auf die gewöhnlichen Begriffe des demokratischen Staats, auf eine Anzahl von kulturellen Rechten reduziert und ist inhaltlich nicht definiert. Dementsprechend, daß nicht von der Republik des Proletariats geredet wird, wird die bezeichnete Republik eine auf das Privateigentum gestützte Republik sein. Wie kommt Abdullah ÖCALAN an diesen Punkt? Was hat seine Auffassung von demokratischer Republik hervorgebracht? ÖCALAN, der das kurdische Problem als nationales Problem sieht und auf ein kulturelles Recht innerhalb des gleichen Staates und auf dem gleichen Boden reduziert, kommt unausweichlich an diesen Punkt. „Das in den 70‘ern moderne „Recht der Nationen auf Selbstbestimmung", das in der Praxis lediglich den Begriff eines separaten Staates bedeutete, war in diesem Sinne eine Sackgasse. In der kurdischen Realität hat dies das Problem nur verschärft. In meiner Praxis habe ich versucht, dies zu überwinden. Aber indem ich in der Praxis sah, daß selbst die Herangehensweise der vielfältigen Möglichkeiten von Demokratie rückständig war und teilweise der Unlösbarkeit den Weg bereiten würde, wurde es für mich sehr wichtig, mich auf das demokratische System zu konzentrieren." Dies ist eindeutig die Ablehnung des aus den unverzichtbaren und grundsätzlichen Grundlagen des Marxismus stammenden Selbstbestimmungsrechts der Nationen.
Herangehensweise und Verständnis auf diese Art und Weise zu formen, bedeutet in Wirklichkeit eine auf einige kulturelle Rechte begrenzte Republik innerhalb der Grenzen des Misak-i Milli (Nationalen Pakts; d.Ü). Dies heißt darüber hinaus auch, die Demokratisierung der Republik daran anzupassen. Es wird gesagt, wenn der Staat demokratisch gewesen wäre, hätte von Aufständen und Unterdrückung nicht die Rede sein können. ÖCALAN, der sein Geschichts- und Politikverständnis auf diese Weise darlegt, bestimmt in diesem Licht seine Sicht auf die Aufstände am Beginn der Republikperiode. „Die Rede ist von der Sicherung der – ein- bis zweijährigen – Republik. Dies ist so am wenigsten für Atatürk endgültig. Er sagt nicht: „Ich unterdrücke die Demokraten und die Kurden." Daß er sagt „Ich säubere die Republik von ihren Widersprüchen", ist, auch wenn es ein wenig übertrieben klingen mag, eine realistischere Herangehensweise." Zu erklären, daß es eine realistische Herangehensweise sei, die Massaker der Republik auf das Problem der eigenen Sicherung zu reduzieren, läuft darauf hinaus, zusammen mit der Erklärung der Zwecklosigkeit der kurdischen Aufstände die Berechtigung der Massaker siegen zu lassen. Es ist unmöglich, diese Bewertung und Herangehensweise ÖCALANs auf einen wissenschaftlich-realistischen Boden zu stellen.
„Dies ist die Notwendigkeit für meine Achtung und Loyalität zur unsterblichen Gesellschaft und ihrem übergeordneten Ausdruck, dem Staat. Ich werde niemals den Begriff des Vaterlandsverrats auch nur in den Mund nehmen. Höchstens, die Notwendigkeiten des Nationalen Pakts dem Zeitalter anzupassen. In diesem Sinne ist der wichtigste Ausdruck in meiner Verteidigung die Notwendigkeit, die Gründungsprinzipien des Nationalen Pakts durchzusetzen, insbesondere in Hinblick auf das kurdische Volk und wie es als Mitbegründer des Staates an der Republik teilhaben kann. Ich sage, es ist eine moralische und politische Pflicht der Türkischen Republik, den Teilen des kurdisch-turkmenischen Gesellschaften außerhalb der Grenzen des Nationalen Pakts dazu zu verhelfen, ohne von Völkermord betroffen zu werden, ihre demokratische Identität zu leben. Dies ist keine Einmischung in die Angelegenheiten anderer Staaten. Es ist eine historische und menschliche Herangehensweise."
Hier wird der Platz der Zukunft einer Logik liegen, die sich davon entfernt, eine nationale Frage zu sehen und die Angelegenheit auf die Demokratisierung des Staates reduziert. Diese Worte bilden einen Rahmen, der, indem er zugleich eine Leugnung mit sich führt, die Verteidigung des Staates und die Ausweitung seines Einflußgebiets unterbreitet. Die Erklärungen des Präsidiumsmitglieds Duran KALKAN jedoch bringen diese Worte zu einer noch größeren Deutlichkeit. "Vor der dem 21. Jahrhundert entgegengehenden Türkei liegt ein Problem wie im 16. Jahrhundert. Um den Fortschritt zu sichern, besteht die Notwendigkeit zu Beziehungen und Bündnissen, die zur eigenen Stärkung führen. Die Türkei bemüht sich um die Sicherung der Beziehungen zu den USA und Israel. Sie verleihen ihr durchaus einige Macht. Aber das reicht nicht aus, es besteht die Notwendigkeit, sich innerhalb der lokalen Ordnung zu verstärken. An diesem Punkt verursacht das Problem Kurdistan, unter diesen Bedingungen und der Erfordernis zur Öffnung, lediglich eine Störung. Wenn sie (die Türkei d.Ü.) aus der Geschichte ähnliche Lehren zieht, wie es die Osmanischen Herrscher taten, kann sie eine der aktuellen Lage angepaßte Politik schaffen. Wenn sie eine Lösung, eine Verständigung mit den Kurden zur Grundlage nimmt, wird sie die Macht der kurdischen Nation hinter sich bringen, und wenn sie sich mit ihrer Unterstützung vereint, kann sie ihre nach Süden und Osten gerichtete Öffnung voranbringen. Eigentlich können die Entwicklungen in Kurdistan dafür ein Beispiel darstellen."
Verständigung, im Namen der Überzeugung der Gegenseite zur Lösung des Problems, zu diesen Punkten zu verwässern, die Unterstützung der von den Osmanen entliehenen Besetzungs- und Ausdehnungspolitik, und daran zu denken, dieser einen Dienst zu erweisen, ist ein unerklärbares Verhalten.
Die Untersuchungen, die die türkische Oligarchie zur Gewährleistung dieser Entwicklung seit Jahren angestellt hat, befinden sich mit diesem Lösungsverständnis auf der gleichen Linie. Vor dieser Politik hat bis heute der nationale Befreiungskampf des kurdischen Volkes und zweifellos die PKK das größte Hindernis dargestellt. Eine besiegte, ausgelieferte oder mit kulturellen Rechten ins System integrierte PKK jedoch schafft dieser Ausdehnung eine materielle Grundlage. Eine solche, den Appetit der türkischen Oligarchie anregende Situation kann vom Standpunkt der Revolutionäre und Patrioten aus nicht verteidigt, nicht zur Theorie gemacht werden. Die Oligarchie der Türkei wird die heutige Lage als Basis nutzen, um die Stagnation innerhalb des Systems zu überwinden. Die Entscheidungen vom 28. Februar waren ein Wendepunkt in der inneren Abrechnung des Systems mit sich selbst. Zusammen mit der eigenen Reorganisation beinhalteten sie auch den Plan zur Liquidation der patriotischen und revolutionären Kräfte. Mit den heute zutage getretenen neuen Dokumenten und Erklärungen scheinen auf der heute erreichten Stufe auch die Entscheidungen vom 28. Februar unzureichend geworden zu sein. Es haben Bemühungen begonnen, neue Konzepte der Zeit anzupassen und eine dem Niveau, auf dem man sich befindet, angepaßte neue Strategie festzusetzen. Das Explosion der Fethullah Gülen-Kassette ( Veröffentlichung einer abgehörten Kassette d.Ü.) ist ein Zeichen, daß der Staat, der mit Susurluk darauf abzielte, sich selbst zu erneuern, sich geplant in Bewegung gesetzt hat. Auch, daß die Zypernfrage im Rahmen des amerikanischen Plans auf die Tagesordnung gesetzt wird, kann in diesem Zusammenhang gesehen werden. Das Auftreten all dieser Entwicklungen steht im Zusammenhang mit dem Imrali-Verfahren. Die Oligarchie fühlt sich mächtiger und sicherer. Und sie wird dies auf dieser Grundlage der inneren Abrechnung mit sich selbst, auf der erreichten Stufe fortführen wollen. Diese Wahrscheinlichkeit ist unbestreitbar. Abdullah ÖCALANs Verteidigungsplan und die Erklärungen, die diesen vervollständigen, finden in der Oligarchie ein Echo. Jedoch darf nicht vergessen werden, daß diese Art „Taktik", die darauf gerichtet ist, eine Bresche in die Front der Oligarchie zu schlagen oder auch das Ergebnis daraus zu ziehen, man habe die Oligarchie in innere Konflikte verwickelt, nichts Erfolgversprechendes hat, sondern daß sich diese Politik ganz im Gegenteil im Rahmen des Plans der Oligarchie für die Systemintegration öffnet, daß sie sich um Lenkung bemüht und daß das Resultat einer Politik auf dieser Grundlage Betrogenwerden und Einbußen sein werden. Es stimmt, daß sich in diesem Rahmen, sei es dank ÖCALANs, sei es dank der Erklärungen des PKK-Präsidiums, Diskussionen innerhalb der Oligarchie eröffnet haben. Die Oligarchie will die aufgetretene Lage zu ihrem eigenen Nutzen, hinsichtlich sowohl der inneren Abrechnung als auch zur Durchsetzung ihres Liquidationsplans, ausnutzen. In der Öffentlichkeit ausgetragene Diskussionen, veröffentlichte Nachrichten, öffentliche Sitzungen sind allesamt ein Teil dieses Plans. Deshalb zeugt es von keinem anderen Verständnis als der Selbsttäuschung, die Schlußfolgerung zu ziehen: „Wir haben in der Front des Gegners große Verwirrung erzeugt." Im Gegenteil, die Oligarchie befindet sich in einer Bewegung, als ob sie aus der „Lage" Schlußfolgerungen zieht und ihre Planungen daran anpaßt. Die kommende Phase wird deutlich machen was für ein Stück gespielt wird. In der Front der Patrioten hingegen ist das Gesagte, alle Bewertungen und Erklärungen auf „Frieden" gegründet. Aber Frieden zu sagen bedeutet, sich an rückständigen Punkten zu zerstreuen. Denn die Antwort auf die Frage, mit wem und was für ein Frieden das sein soll, hängt in der Luft. Und eine Antwort gibt es auch nicht. Vorschläge, Erklärungen und Bewertungen sind nichts anderes als einseitig. Daß der Staat unter den gegebenen Bedingungen nicht auf ÖCALANs Friedensangebot antworten wird, ist klar. Es läuft ein Vorgang, in dem die imperialistische Reaktion und die türkische Oligarchie nicht auf die Lösung des Problems eingehen, sondern im Gegenteil sich in einer Initiative befinden, durch die Entwicklung einer auf Unterdrückung basierenden Politik die vollständige Niederlage der Bewegung zu bewirken. Es wird der Aufruf zur Aufgabe an die Guerilla in den Bergen gefordert. Die Oligarchie stützt sich zuallererst, auf bedingungslose Kapitulation, (was ÖCALAN nicht gesagt hat, man aber aus dem von ihm Gesagten herauslesen möchte). Die Antwort, die die Oligarchie auf die Friedensangebote gibt, ist diese: Kapitulation! Auf der erreichten Stufe steht die kurdische Bewegung an einem Scheideweg. Mit „Fallgruben"-Diplomatie wird dieser Scheideweg in einer durch die nationalen und internationalen reaktionären Kräfte geplanten Form fortgeführt. Der Wille, aus dieser gefährlichen Durchgangsphase rauszukommen, muß in den Vordergrund gestellt werden. Was die türkische Oligarchie der kurdischen Bewegung mit „Fallgruben"-Diplomatie zugefügt hat, ist noch in Erinnerung. Dies darf nicht vergessen werden.
Abdullah ÖCALANs Lösungsvorschläge und ideologisch-politische Ausrichtung werden in der Folge noch längere Zeit diskutiert und besprochen werden. Ihre Wissenschaftlichkeit und ihr Realismus werden damit zusammen erörtert werden. Aus dem weiten Rahmen, den die Erklärungen und Bewertungen für Abhandlungen geschaffen haben, haben wir einige greifbare Punkte kurz berührt. Jedoch besteht zweifellos die Notwendigkeit, auch offenzulegen, was das Verhalten der Revolutionäre, der revolutionären Bewegung in der Phase, in der wir uns befinden, ist wie es zu sein hat. Das Verhalten der revolutionären Bewegung
Daß sich die patriotische Bewegung an einen Scheideweg befindet, ist eine Tatsache. Es ist klar, daß dieser Scheideweg nicht plötzlich aufgetreten ist, sondern im Verlauf einer Periode geformt wurde. Auch, wenn man die Stufe anerkennt, auf die der nationale Blickwinkel gelangt, ist es nicht richtig, diesen mit dem Ausdruck von Verrat-Kapitulation zu benennen. Dies wäre eine vereinfachende Bewertung. Es liefe darauf hinaus, die Werte, die das kurdische Volk bis heute hervorgebracht und die Dynamik, die es transportiert hat, zu leugnen. Die kurdische Bewegung hat, indem sie von den 90‘ern an eine neue Ausrichtung begann, diese Ausrichtung Schritt für Schritt zum System gemacht. Der fundamentale Beweggrund für diese (Neu)-Ausrichtung ist die Blockade, die aus der Begrenzung auf einem eng-nationalen Blickwinkel entstand. Aber diese Blockade lediglich mit einem eng-nationalen Blickwinkel zu erklären, wird vollständig bleiben. Die Entwicklungen, die sich von den 90‘ern an im Land (in der Türkei d.Ü.) und in der Welt ereigneten, haben die kurdische Bewegung von fern beeinflußt: Der Zerfall des Sozialismus, das Zurückwerfen der Welle der Revolution, die Erklärung der imperialistischen Vorherrschaft, die Probleme, in die die türkische revolutionäre Bewegung stürzte. Diese Phase wurde auch zum Beginn der Sackgasse der kurdischen Bewegung, die angesichts der imperialistischen Aggression und den Plänen zur Erstickung und Liquidation aller antiimperialistischen nationalen und sozialen Revolutionen in die Vereinzelung gezwungen wurde. Aber die Dynamik, die die nationale Bewegung mit sich gebracht hat, haben, allen Schmerzen zum Trotz, die Entwicklung bis hierher gebracht. Man hat einen ineinandergreifenden Vorgang beobachtet, der auf der einen Seite darin bestand, zur Überwindung dieser Sackgasse und Stagnation den Waffenstillstand auf die Tagesordnung setzte, auf der anderen Seite darin, sich mit der türkischen Revolution zu ergänzen. Die türkische Oligarchie, die den Waffenstillstand nicht beantwortet, betreibt, indem sie mit einem gebündelten Plan die Liquidation der kurdischen Bewegung anstrebt, die erneute Ausweitung und Beschleunigung des Krieges. Aber trotz dieser sich abzeichnenden der Ausweitung des Krieges verfolgt der Staat, indem er weitergeplante Schritte unternimmt, Taktiken der Begrenzung und der Übernahme der Kontrolle über diese Region. Die Absicht jedoch, sich mit der türkischen Revolution zu ergänzen, wurde mit einer um so solidarischeren Planung in die Hand genommen. Das erschien als ein für die eigene Tagesordnung indiziertes Bündnis. Bedingungen für ein mächtiges Bündnis standen in der herrschenden Situation ohnehin nicht in Rede. Die am 12. September (1980 d.Ü.) besiegte Linke, die, als sie sich in den 90‘ern in einer Entwicklung des Wiederaufrappelns befand, zusammen mit der Niederlage des Sozialismus einer neuen Niederlage begegnete, entbehrte der Möglichkeit, durch die Formung eines eigenen Willens und eigener Kraft dieses Bündnis zu verwirklichen. Die patriotische Bewegung, die angesichts der Pläne der imperialistischen Aggression zur Auslöschung der kurdischen Bewegung geschwächt wurde, hat sich auf ihrer Lösungssuche den Unterstützern des Imperialismus des Systems zugewandt, hat diese Lösung mehr in den Widersprüchen zwischen den Imperialisten gesucht. Es kann nicht das Verhalten von Marxisten-Leninisten sein, die Lage der patriotischen Bewegung allein mit ihrem nationalen Charakter zu erklären und selbst keinen Anteil und keine Verantwortung zu übernehmen. An dieser Situation hat auch die Linke ihren Anteil. Und sie steht in der Verantwortung. Die erreichte Stufe zu betrachten und in der Folge vereinfachende und billige Bewertungen zu treffen, wird diese Tatsache nicht ändern. Dies ist die Zeit, in der die mit dem 9. Oktober begonnene Phase des Komplotts nunmehr wirksam geworden ist. Es ist eine widerstrebende Kapitulation. Gegen diese Kapitulation wurde ein Widerstand geschaffen. Aber die gegen die revolutionäre und patriotische Bewegung gerichtete Entwicklung der Situation konnte nicht verhindert werden. Angesichts der mit dem 9. Oktober-Komplott begonnenen und mit der Zeit von Rom fortgesetzten Kapitulationspläne haben wir folgendes gesagt:
„Die türkische revolutionäre Bewegung muß angesichts der Absichten, die nationale Bewegung von der türkischen Revolution abzutrennen, die Verantwortung übernehmen. In einer Phase, in der das imperialistisch-kapitalistische System (trotz aller Widersprüche, die es in sich trägt) in gemeinsamer Form daran arbeitet, die nationale Bewegung zur Aufgabe zu bewegen, das nationale Wissen, das sie geschaffen hat, unter Kontrolle und Leitung des Imperialismus zu einem Element der Stabilität in der Region zu machen und folglich, sie von der türkischen Revolution zu trennen, ist der einzige Weg, der heute vor Revolutionären und Patrioten liegt, die Schaffung einer Kampflinie, die auf die gemeinsame Befreiung des kurdischen und türkischen Volkes zielt. [...] Es ist ohne Zweifel, daß die nationale Bewegung als direkte Zielscheibe der imperialistischen Politik einer großen Verantwortung gegenübersteht. Aber es kann und darf nicht das Verhalten von Revolutionären sein, in einer Phase, in der sich das imperialistische System mit all seinen Kräften und Möglichkeiten auf die nationale Bewegung stürzt, die Verantwortung und Last allein auf den Schultern der nationalen Bewegung zu lassen." (Devrimci Çözüm, Dezember 98) Doch trotz dieser Bewertungen von uns konnten, obwohl es das Ausmaß der Gefahr erforderte, die richtigen Schritte nicht unternommen werden, keine Koordination, Programm, Taktik geschaffen werden. Die kurdische Bewegung wurde unter dem Einfluß der Entwicklungen in der eigenen Tagesordnung gefangen, es hat auch Verwirrung geschaffen, daß sich, als man glaubte, es seien erfolgreiche Schritte auf der diplomatischen Ebene unternommen worden, deren Unterbau als zu schwach erwies. Die türkische revolutionäre Bewegung hingegen konnte in einigen Fragen der gemeinsamen Interessen keine Schritte nach vorne machen, hat sich der Tagesordnung der kurdischen Bewegung angepaßt oder sich im Abwarten darauf eingerichtet, wie die Phase von Rom ihr Ende finden würde. Unter den damaligen Bedingungen, unter denen die Phase von Rom von anderen Bewertungen ausging und aus der Sicht der patriotischen Bewegung als eine Stufe in der Entwicklung der Staatsgründung aufgefaßt wurde, trafen wir diese Bewertung:
„Rom stellt eine Situation dar, in der die Türen für die Befreiung der kurdischen Nation weder geöffnet noch vollständig geschlossen werden. Rom hat eine Plattform geschaffen, die jeder Seite Handlungsmöglichkeiten eröffnete. Und sie hat auch unter diesem Aspekt die Beleuchtung bestimmter Punkte aus unserer Sicht ermöglicht. Die beleuchteten Punkte haben vor unseren Augen ausgebreitet, daß wir gegen einen Feind, der heftiger und von allen Fronten angreift, schweren Pflichten gegenüberstehen, und daß ein gemeinsamer Kampf des kurdischen und türkischen Volkes schnell und in einer stabilen Form geschaffen werden muß. Sonst fällt es dem Kleinbürgertum leicht, in den Bereich von Kommentaren und Verhalten einzudringen." (Devrimci Çözüm, Dezember 98)
Die Phase von Rom ist zu einem Feld der vollständigen Abrechnung geworden. Und in der darauffolgenden Zeit wurde klar, daß ein Stück zwischen Aufgabe und Widerstand gespielt werden würde. Aber auf einer Stufe, als sich die Entwicklung schnell und mit komplexen Beziehungen fortsetzte, wurde der Kenia-Komplott verwirklicht. Das imperialistisch-kapitalistische System drückte auf den Knopf und begann die Phase der Vernichtung. Das Bild, das sich auf Imrali bot, ist einerseits eine Haltung auf dem rückständigsten Punkt gegenüber dem gebündelten Plan des imperialistischen Systems zur Vernichtung und Kapitulation (der Bewegung). Aber es ist klar, daß man von diesem rückständigen Punkt aus die imperialistische Aggression nicht aufhalten kann. So läuft denn auch der Kapitulations- und Vernichtungsplan in vollem Tempo.
Auf der anderen Seite ist jedoch auch klar, daß diese ideologisch-politische Haltung auch eine Klärung der Reihen schaffen wird. Die PKK-Führung ist in einer Situation, in der sie ihre Position auf dem rückständigsten Punkt festlegt. In der Zeit nach dieser ideologisch-politischen Richtungsbestimmung wird sich zeigen, inwieweit die patriotische Bewegung daran ausgerichtet werden wird. ÖCALANs Positionierung am hintersten Punkt wird in Zukunft eine den moralischen Einfluß abschwächende Funktion zeigen. Aber das ist nicht das einzige, was den Verlauf bestimmen wird. Auch die von der kurdischen Bewegung bis heute getragenen Dynamik und hervorgebrachten Werte werden eine Rolle in der Bestimmung der vor uns liegenden Phase spielen. Zu denken, daß diese Dynamik und die Werte in einem Augenblick einfach und billig aufgegeben werden würden, ist Leichtgläubigkeit.
Die vor uns liegende Phase wird sich trotz aller heutigen Phänomene der Unbestimmtheit und Komplexität Klarheit bringen. Auch, daß wir eine sensible Phase durchleben, ist klar. Wir müssen unsere Haltung deutlich, unsere Politik mit aller Klarheit darstellen und unser Verhalten auf die Schaffung der gemeinsamen Revolution richten. Es ist eine Situation, in der die unzertrennbaren Bande des türkischen und kurdischen Volkes, die Existenz ihrer gemeinsamen Interessen auch die gemeinsame Revolution nötig machen. Das ist heute noch deutlicher, ist eine unbestreitbare Tatsache geworden.
Auch wenn die Schwächungserscheinungen der erlebten Phase, die moralische Zerrüttung, die Tatsache, daß sich das imperialistisch-kapitalistische System in der Initiative befindet und die Erstickungs- und Vernichtungsaggressionen gegen die Revolution erfolgreiche Resultate haben sollten, ist die revolutionäre Dynamik fähig, diesen Plan zu vereiteln, die Einflüsse der Schwächung und moralischen Zerrüttung zu überwinden. Es ist nötig, daß die revolutionäre Bewegung der Türkei dies schnell abschüttelt und danach strebt, mit der kurdischen Dynamik eine gemeinsame Linie zu schaffen. In dieser Phase, in der die Bewegung des kurdischen Volkes und der Patrioten in den Schraubstock genommen wird, in der sich die Bestrebungen beschleunigt haben, sie von der türkischen Revolution zu trennen und in der der Plan der Oligarchie und der imperialistischen Reaktion von Angriff und Kapitulation mit diesem Ziel durchgesetzt wird, dürfen wir das kurdische Volk nicht allein lassen und den gemeinsamen Kampf zur Grundlage nehmen.
Wir sehen unsere Schritte und Politik, unsere Auffassung von der Ergänzung mit der Dynamik des kurdischen Volkes, in einer praktischen Verantwortung. In diesem Sinne befinden sich alle sozialistischen, fortschrittlichen und revolutionären Kräfte in einer historischen Verantwortung.