ZUR SITUATION VON IBRAHIM BINGÖL

Vor dem 12. September 1980 und die Zeit um den 12. September 1980
Ibrahim BINGÖL war Student an der juristischen Universität. Im Jahre 1974, als er mit seinem Jurastudium an der Universität in Istanbul begonnen hatte, hat sich in der Türkei die Nationale Front (MC Mili Cepe) gegründet. Während dieser Regierung, die aus einer Koalition von Rassisten, Fundamentalisten und Faschisten bestand, haben die Kämpfe gegen linksorientierte Gruppen begonnen. Das Hauptziel der Angriffe waren die Jugendlichen an den Universitäten. Alle Universitäten und Studentenheime wurden mit Unterstützung des Staates von faschistischen Militanten besetzt.

Die Universitäten wurden ab dem Jahre 1975 von Faschisten besetzt. Allen links-, sozialistisch- und demokratischorientierten Studenten wurden am Besuch ihrer Universitäten gehindert. Studenten, die trotzdem zur Universität gingen, wurden verprügelt. erstochen, erschossen und außerdem wurden sie von der Polizei in Haft genommen. Während der Verhör waren sie Folterungen ausgesetzt.

Trotz dieser Angriffe, gründeten linksorientierte Studenten im Oktober 1977 einen Verein: der Verein der revolutionären Jugend (DEVRIMCI GENCLIK DERNEGI). Unter den Gründern dieses Vereines, befand sich auch Ibrahim BINGÖL. Ein anderer Gründer dieses Vereins, Celalettin CAN wurde zur Todesstrafe verurteilt. Er befindet sich nach wie vor im Gefängnis. Sinan KUKUL wurde im Jahre 1992 von der Polizei in Istanbul ermordet. Nejdet PISMISLER wurde im Jahre 1982 in der Armee von Soldaten erschossen. Auch Ibrahim BINGÖL wurde mit der Todesstrafe verurteilt und saß 10 Jahre lang im Gefängnis. Nach seiner Freilassung wurde er auf Grund einer zweiten Verschwörung, seitens des Staates in Haft genommen. Es gelang ihm aus dem Gefängnis zu fliehen, und im Moment stellt er in Belgien einen Asylantrag. Die anderen des Vereins haben viele Jahre ihres Lebens in Haft verbracht.

Die eigentlichen Besatzer der juristischen Universität waren die Polizisten. Die Anzahl der faschistischen Studenten war ziemlich gering. Die eigentlichen faschistischen Besatzer dieser Universität, wurden seitens der Polizei aus anderen Universitäten gebracht. Die linksorientierten Studenten wurden jeden Tag verprügelt und in Untersuchungshaft genommen. Aufgrund der Angriffe, denen sie ausgesetzt waren, konnten sie nur in Gruppen die Universität besuchen und wieder gemeinsam verlassen. Am 16. März 1978 wurde auf eine Gruppe von Studenten eine Bombe geworfen. Dabei kamen 7 Studenten ums Leben. Unter diesen Studenten befand sich auch Ibrahim BINGÖL. Er konnte nur zufällig diesen Angriff unverletzt entfliehen.
Im Jahre 1978 haben linksorientierte Studenten, begonnen die Zeitschrift Revolutionäre Jugend (Devrimci Genclik) herauszugeben. Ibrahim BINGÖL war der Herausgeber und Redakteur dieser Zeitschrift. Im Jahre 1979 wurde in Istanbul der Ausnahmezustand ausgerufen. Daraufhin wurde die Zeitschrift verboten. Aufgrund dessen hat Ibrahim BINGÖL mit der Veröffentlichung der Zeitschrift in Izmir, wo der Ausnahmezustand noch nicht ausgerufen war, fortgesetzt. Kurz danach, als der Militärputsch kam, hat die Veröffentlichung der Zeitschrift ein Ende genommen. Von dieser Zeitschrift konnten nur 5 Ausgaben veröffentlicht werden.

Am 12 September 1980 kam der Militärputsch. In der Türkei hat die "Jagd auf Menschen" begonnen. Ibrahim BINGÖL befand sich ebenso unter den Verfolgten. Am 17.März 1981 um 14.00 Uhr wurde er, obwohl er keine Waffe bei sich trug und auch keine Auseinandersetzung mit der Polizei hatte, von der Polizei angeschossen. Die Kugel hat seinen Bauch getroffen und seinen Darm durchgeschnitten. Obwohl er schwer verletzt war, wurde er eine Stunde lang auf den Boden liegengelassen. und nicht ins Krankenhaus eingeliefert.. Wegen schweren Blutverlustes hat man auf seinen Tod gewartet. Nach einer Stunde, während er den Tritten und Prügeln der Polizei ausgesetzt war. hat man ihn ins Krankenhaus eingeliefert. Im Krankenhaus wurde er, bis er eine Narkose bekommen hatte, verprügelt. Bei seiner kritischen Operation wurde Ibrahim BINGÖL 1,5 m vom Dünndarm und 15-20 cm vom Dickdarm abgeschnitten. Nach dieser Operation, wurde das Anfangsstück seines Dickdarmes aus seinem Bauch herausgesteckt. An dieses Anfangsstück wurde ihm ein Urinbeutel angehängt, damit er auf die, Toilette gehen konnte. Er mußte eine gewisse Zeit unter diesen Umständen leben. Während des einwöchigen Aufenthaltes im Krankenhaus wurde er trotz seines schlechten Gesundheitszustandes, bei seinen Verhörungen gefoltert. Nach dieser Woche, obwohl sich sein Gesundheitszustand nicht verbessert hatte. wurde er in Gayrettepe ins Polizeirevier eingeliefert. Bis zum 6.Juni 1981 wurde er Revier festgehalten. Während dieser Inhaftierung, die nahezu 75 Tage betrug, war er schweren Folterungen ausgesetzt. Daraufhin wurde er aus dem Polizeirevier entlassen. und vom Militärgericht (Askeri Mahkeme) inhaftiert. Zu diesem Zeitpunkt, befand sich das Anfangsstück seines Dickdarmes immer noch draußen. Er konnte aus diesem Grunde keine Hose tragen. In den Monaten Juli und August wurde er ins Krankenhaus eingeliefert und erneut zweimal operiert. Während der Operation wurde ihm das Anfangsstück seines Dickdarmes wieder hineingesteckt. Auch heute hat er noch Probleme mit seinem Magen und Darm. Seither hat er Geschwüre.

Nach dem 12. September 1980
Während der ganzen Inhaftierungszeit wurde er keinem Richter vorgeführt. Erst im November 1982 wurde er vor das Gericht geführt. Hier erfuhr er, daß er zur Todesstrafe verurteilt wurde. Ihm wurden Aktivitäten und Anschläge, mit denen er keine Verbindung hatte, vorgeworfen. Während dieser Verhandlungszeit wurde er genau 4 mal zur Todesstrafe verurteilt. Um sich zu verteidigen. reichte er Anträge ein. Wegen diesen Anträgen wurde ein Prozeß eröffnet und bezugnehmend auf seine Anträge wurde er zu 22 Jahren und 8 Monaten verurteilt. Weil er gegen diesen Gerichtsbeschluß. und gegen die Folterungen in den Gefängnissen protestierte, (er weigerte sich die Einheitskleidung des Gefängnisses anzuziehen) wurde er 2,5 Jahre zu keiner Gerichtsverhandlung gerufen. Obwohl keine Beweismittel für die Beschuldigungen nachgewiesen worden konnten. wurde er erst am 11. April 1990 freigesprochen.

Nach 1990
Der zum Tode verurteilte Ibrahim BINGOL wurde freigesprochen. Er wurde auf Grund dessen, daß er dem Gericht Anträge auf seine Verteidigung gestellt hatte. weiterhin festgehalten. Er wurde erst am 9.Mai 1990 freigelassen. Die Türkei ist ein sehr merkwürdiges Land. Sie müssen sich vorstellen, daß ein Mensch 10 Jahre lang inhaftiert wird, obwohl man keine Beweismittel gegen diese Person vorweisen kann. Weiterhin müssen sie sich vorstellen, daß ein Mensch 10 Jahre nach seiner Festnahme entlassen wird, weil sie die Beschuldigungen nicht nachweisen können. Aber zur selben Zeit wird die Person verurteilt, weil er einen Antrag auf seine Verteidigung gestellt hatte. Nur weil er in seinen Anträgen den Gerichtsbeschluß für ungerecht und unbegründet hielt, wurde er verurteilt.

Nachdem Ibrahim BINGÖL 10 Jahre lang ungerecht und unbegründet im Gefängnis gesessen hatte, lebte er nach seiner Freilassung in Ankara bei seiner Familie. Aber der Druck auf ihn seitens der Polizei hatte nie ein Ende genommen. Er wurde ständig von der Polizei verfolgt.

Er lebte ständig unter dem Druck , daß er eines Tages wieder festgenommen wird und somit wieder Folterungen ausgesetzt wird. Noch bevor er die Spuren seiner 10-jährigen Haft überwinden konnte, um ein neues Leben anzufangen, wurde er nochmals für eine Aktivität beschuldigt, daß er nicht ausgeübt hatte und in Untersuchungshaft genommen. Mit dem Anschlag, der ihm vorgeworfen wurde, hatte er keine Verbindung. Die Adresse seiner Wohnung war der Polizei bekannt. Er lebte mit seinem gesetzlichen Ausweis und stand ständig in Verbindung mit seinen Anwälten, um Informationen über sein noch laufendes Verfahren zu holen. Trotz alledem wurde er für ein Attentat beschuldigt, das er nicht verübt hatte. Nicht nur Ibrahim BINGÖL, sondern auch seine Anwälte und Journalisten, die sein Verfahren weiter verfolgten wurden angegriffen. Ibrahim BINGÖLs Anwälte Bedli YARAYICI und Murat DEMIR, die sein Verfahren verfolgten wurde er festgenommen. Ebenso wurde die Journalistin Deniz TETZEL, die über sein Verfahren schrieb, festgenommen. Die Anwältin Fethiye PEKSEN wurde in Untersuchungshaft genommen und gefoltert. Gegen sie wurde ein Verfahren eröffnet.

Was für eine Möglichkeit hatte Ibrahim BINGÖL in einem Land, wo es keine Achtung vor den Gesetzen gibt? Sollte er nochmals 10 Jahre unter Folterungen unschuldig im Gefängnis absitzen und mit der Todesstrafe bedroht werden. Diesmal handelt er nicht so, und floh aus dem Gefängnis. Im Oktober 1998 stellte er in Belgien einen Asylantrag. Er hat von den Rechten, die ihm seitens belgischer und internationaler Gesetze zustanden, Gebrauch gemacht.

Auf den Asylantrag, den er in der offiziellen Behörde in Belgien gestellt hatte, hatte er genau 6 Monate lang keine Anwort bekommen. Er wurde am 29. März seitens der belgischen Behörde festgenommen. Der Grund für diese Festnahme ist die Auslieferungsforderung seitens der Türkei.

Eines steht auf jeden Fall fest, wenn Ibrahim BINGÖL in die Türkei ausgeliefert wird, wird er wieder Folterungen ausgesetzt sein. Vielleicht wird man ihn sogar umbringen oder ihn zum Tode verurteilen.

Auf jeden Fall besteht kein Schutz für sein Leben. Ebenso hat er keine Chance auf eine gerechte Verurteilung. Das Recht auf sein Asylantrag ist hieraus ersichtlich. Anstatt das sein Antrag so schnell wie möglich anerkannt wird, wird er auf Grund der Auslieferungsforderung seitens der Türkei, 6 Monate nach seinem Asylantrag in Belgien festgenommen. Diese Festnahme und dieses Handeln verstößt sowohl gegen die belgischen Gesetze als auch gegen die Menschenrechte. Dieses nicht rechtliche Handeln muß sofort beendet werden. Der Festgenommene muß sofort freigelassen, und sein Asylantrag muß anerkannt werden. Die belgische Regierung und das Justizministerium muß gegen dieses Handeln eingreifen.

19. April 1999
IBRAHIM BINGÖL-SOLIDARITÄTSKOMITEE


Ibrahim BINGÖL
Solidaritätskomitee

Hauptseite