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antifaschistische nachrichten aus hochschule, aachen und rest der welt

Dokumentation im weiteren Seitenverlauf:

Offener Brief an Dr. Jürgen Jansen im Vorfeld der Veranstaltung

"Schlußstrich Deutschland - Der ganz normale Antisemitismus" (Flugblatt des AStA der RWTH)

AStA fordert Stellungnahme von Dr. Jürgen Jansen

"Die Unschuld vom Landtag" (Zeitungsartikel "junge Welt")


Aachen: Antisemitische Hetzveranstaltung an der RWTH

Im Audimax der RWTH Aachen hat heute eine 'Podiumsdiskussion' unter Beteiligung des antisemitischen Landtagsabgeordneten Jamal Karsli stattgefunden. Veranstalter war ein "Arabisch-Deutsches Forum", das in diesem Jahr bereits mehrfach mit antisemitischen Verschwörungstheorien, Holocaust-Relativierungen und altbekannten judenfeindlichen Stereotypen an die Öffentlichkeit getreten war. Somit war abzusehen, welche Hetzveranstaltung an diesem Abend in den Räumen der RWTH zu erwarten war.

Mit Dr. Jürgen Jansen (Institut für Politische Wissenschaft) hatte ausgerechnet ein RWTH-Dozent, der bislang in weiten Teilen der Hochschule als engagierter Menschenrechtler galt, die Moderation dieser Veranstaltung übernommen. Aus diesem Grund versammelten sich neben antifaschistischen Gruppen auch zahlreiche Studierende zu einer Protestkundgebung vor Beginn der Veranstaltung. Aufgerufen hatten der AStA der RWTH, das Aachener Flüchtlingsplenum und das Antikriegsbündnis Aachen.

Bereits hier wurde deutlich, wie sich Karslis Publikum zusammensetzt. Mehrfach wurden die antifaschistischen KritikerInnen äußerst aggressiv angesprochen, vereinzelt auch handgreiflich attackiert, ein Plakat mit der Aufschrift "Kein Forum für Antisemiten" wurde zerrissen. Unterdessen verteilten Mitglieder der neofaschistischen "Bürgerrechtsbewegung Solidarität" (BüSo) ihre Propaganda. Alles unter den Augen von Moderator Jansen, der davon wenig beeindruckt schien.

Die 'Podiumsdiskussion' (wohl kaum der richtige Begriff für eine Aneinanderreihung von Hetzreden einer Riege Gleichgesinnter) selber übertraf dann noch die schlimmsten Befürchtungen. Gerade einmal fünf Minuten benötigte der Eröffnungsredner vom "Arabisch-Deutschen Forum", um die Schmerzgrenze der meisten AntifaschistInnen sowie der anwesenden jüdischen Menschen im Publikum zu überschreiten. Nachdem die antisemitischen Dauerbrenner "Wir sind doch alle Semiten" und "Die zionistische Lobby hat der deutschen Öffentlichkeit einen Maulkorb auferlegt" vom Podium dramaturgisch inszeniert worden waren, verließen etliche BesucherInnen unter Protest den Saal. Auch hierbei kam es wieder zu Handgreiflichkeiten. Moderator Jansen fühlte sich nun auch gestört - nicht etwa durch die Verlautbarungen des antisemitischen Wahns oder die Gewaltbereitschaft in Karslis Publikum - sondern durch einen Mangel an "demokratischer Kultur" bei den Protestierenden... Mehreren StudentInnen des Politologen verschlug es schlichtweg die Sprache.

Bereits im Vorfeld der Veranstaltung hatten sich sieben Politikwissenschaft- lerInnen und RWTH-Studierende der Politischen Wissenschaften an den Moderator Jansen gewandt (siehe unten). Die Bitte an ihren (ehemaligen) Dozenten, von der Moderation Abstand zu nehmen und ihre Kritik am Auftritt Karslis zu überdenken, traf jedoch nur auf unsägliche Arroganz und Ignoranz des Dr. Jürgen Jansen, der gegen Ende der Veranstaltung sogar verlauten ließ, die KritikerInnen hätten ein "Denkverbot" aussprechen wollen.

Jansen vollzog somit an diesem Abend nicht nur den Schulterschluß mit offenen Antisemiten, er diffamierte gleichzeitig seine eigenen kritischen Studierenden.

Die wohlwollende Vermutung der KritikerInnen, Jansen wolle möglicherweise das Podium für eine kritische Debatte über Menschenrechtsverletzungen nutzen, traf im übrigen nicht zu. Der vermeintliche "kritische Wissenschaftler" fügte sich vielmehr neben seiner Untätigkeit auch durch mehrere Randbemerkungen in den antisemitischen Charakter der Veranstaltung nahtlos ein.



Offener Brief an Jürgen Jansen

zur Moderation der Veranstaltung mit Jamal Karsli


Wissenschaft steht in einer besonderen gesellschaftlichen Verantwortung. Hierzu gehört ebenso, für die universellen Menschenrechte einzutreten, als auch, sich Ideologien der Ungleichheit von Menschen zu widersetzen. Eine dieser Ideologien ist der Antisemitismus.

Als gesellschaftlich engagierte Politikwissenschaftler und Studierende der Sozial- und Politikwissenschaften nehmen wir mit Sorge zur Kenntnis, dass an der RWTH am morgigen Donnerstag eine Veranstaltung unter anderem mit Jamal Karsli stattfinden soll, und dass Dr. Jürgen Jansen vom Institut für Politische Wissenschaften sich für eine Moderation bereit erklärt hat.

Wir appellieren an Herrn Jansen, seine Entscheidung zu überdenken, von einer Moderation Abstand zu nehmen und sich bei den Veranstaltern für eine Absage der Veranstaltung einzusetzen.

Wir kennen und schätzen Jürgen Jansen als einen kritischen Wissenschaftler, der sich über Jahre hinweg auch über den akademischen Rahmen hinaus mit der Dritte-Welt-Problematik, mit Menschenrechtsverletzungen und Kriegsursachen beschäftigt hat. So mag auch seine Motivation für die Moderation der Karsli-Veranstaltung darin begründet sein, eine Debatte über Menschenrechts- verletzungen anzustoßen und hierfür die Situation in Israel und den palästinensischen Gebieten zum Anlass zu nehmen. Gleichwohl erscheint uns dies aus mehreren Gründen falsch und verantwortungslos.

Folgende Überlegungen begründen unseren Appell:

1.

Jamal Karsli bemüht sich nicht um eine wissenschaftliche oder journalistisch redliche Analyse des Konflikts im Nahen Osten. Stattdessen findet eine einseitige Schuldzuschreibung an Israel statt, werden die Verbrechen des Holocaust auf Israel projiziert und indirekt sogar die Attentate auf die jüdische Bevölkerung in Israel legitimiert. So behauptete Karsli etwa in einer Presseerklärung vom 15. März, Israel wende Nazimethoden an und richte Konzentrationslager für die palästinensische Bevölkerung ein. In einem Interview mit der rechtsextremen Zeitschrift Junge Freiheit begrüßte er es, dass Palästinenser "mit allen Mitteln gegen diese Besatzungsmacht [Israel, d.Verf.] vorgehen." (in JF Nr. 19 v. 3.5.2002)

Es ist nicht unsere Absicht, Menschenrechtsverletzungen durch israelische Institutionen zu leugnen oder zu rechtfertigen, doch tragen Verkürzungen und Agitationen dieser Art weder zu einer Analyse der Konfliktursachen bei, noch zeigen sie eine Perspektive für Frieden und Menschenrechte auf. Vielmehr bestätigen und radikalisieren sie antiisraelische Ressentiments und wirken damit tendenziell eskalierend.

In besonderem Maße bedenklich erscheint uns zudem die Ausblendung der zunehmenden Hegemonie des religiösen Fundamentalismus in der palästinensischen Gesellschaft, der rücksichtslosen Praxis der Selbstmordattentate sowie der offen antisemitischen Diskurse in einem Teil der arabischen Öffentlichkeit, die bis hin zur Holocaust-Leugnung und zu Ritualmord-Legenden reichen können.

2.

Darüber hinaus bedient sich Karsli selbst antisemitischer Muster, wenn er die Existenz einer "zionistischen" Allmacht über Politik in Medien behauptet. Mehrfach bekräftigte er, womit er zunächst dem Publikum der Jungen Freiheit aus der Herzen gesprochen haben dürfte: dass "der Einfluss der zionistischen Lobby [...] sehr groß" sei, diese "den größten Teil der Medienmacht in der Welt inne" habe und sie "jede auch noch so bedeutende Persönlichkeit ,klein" kriegen" könne, wofür die Affäre um Bill Clinton und Monika Lewinsky ein Beispiel sei. Diese Argumentation ist irrational und verschwörungstheoretisch. Sie knüpft an altbekannte antisemitische Verschwörungstheorien nach dem Muster der Protokolle der Weisen von Zion an, in denen bekanntlich ebenfalls eine jüdische Kontrolle der Medien "enttarnt" wurde. Wenn Karsli ausgerechnet die Empörung über seine öffentlichen Äußerungen als Beweis für eine solche "zionistische Lobby" anführt und zum Anlass für eine juristische Klage gegen Michael Friedmann und Paul Spiegel nimmt, zeugt dies bestenfalls von Realitätsverlust.

Einen Schritt weiter als Karsli geht Shraga Elam, dem in Aachen ebenfalls in Forum geboten werden soll. In einer auf Karslis Homepage wiedergegebenen Unterstützungserklärung fordert er, "die Mitglieder des Zentralrats der Juden in Deutschland [...] nicht nur wegen Ehrverletzung, sondern auch wegen Komplizenschaft mit den israelischen Kriegsverbrechern" zu verurteilen. Überdies wirft er ihnen vor, durch eine angebliche "Zensur in den deutschen Medien" das "berechtigte Unbehagen" vieler "anständiger Menschen" in die rechte Ecke zu drängen.

Im Kontext der Karsli-Debatte bedeutet dies nichts anderes, als die jüdischen Repräsentantinnen und Repräsentanten in der Bundesrepublik für die Situation in Israel und den palästinensischen Gebieten, und in einem Aufwasch auch gleich für den hiesigen Antisemitismus und Rechtsextremismus in Haftung zu nehmen. Mit dem gleichen gedanklichen Kurzschluss werden antisemitische Ressentiments zu berechtigten Sorgen verharmlost und selbst dann vom Antisemitismusvorwurf freigesprochen, wenn sie im Kontext der extremen Rechten artikuliert werden.

(Sekundär erscheint uns hierbei, das sich Elam als "israelischer Friedensaktivist" vorstellt. Eine Bewertung seiner Äußerungen im Kontext des innerisraelischen Gegendiskurses maßen wir uns nicht an, und um diese geht es hier auch gar nicht. Auf Karslis Homepage veröffentlicht, sind Elams Äußerungen Bestandteil des hiesigen Diskurses und müssen als solche unabhängig von der Nationalität und den politischen Aktivitäten ihres Autors gelesen werden.)

3.

Öffentliche Äußerungen wie diese verstärken und enthemmen einen latent vorhandenen Antisemitismus, der, wie zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen belegen, bei rund 20 bis 0 Prozent der Deutschen vorhanden ist. Auch ist nachweisbar, dass die vermeintlichen "Tabubrüche" eines Martin Walser, Norman Finkelstein oder jüngst Karsli/Möllemann zum einen erfolgreich von der extremen Rechten aufgegriffen worden sind, zum anderen aber auch in der sogenannten Mitte dazu geführt hat, dass latent antisemitische Haltungen "endlich einmal" offen artikuliert werden konnten.

An Stammtischen und auf Leserbriefseiten fanden sich im Anschluss an die Äußerungen Karslis und Möllemanns zuhauf antisemitische Aussagen - in der Regel leicht erkennbar an einleitenden Sätzen wie: "Ich bin kein Antisemit, aber..." Auf diesen dumpfen Antisemitismus in der Mitte der Gesellschaft zielen Karsli und Möllemann, sei es, um das Ziel der Achtzehn Prozent zu realisieren, sei es, um für die "palästinensische Sache" Punkte zu sammeln.

Die geplante Veranstaltung wird daher primär Milieus ansprechen, denen es nicht um die Geltung von Menschenrechten oder die Deeskalation des Nahost-Konflikts geht, sondern die einen Raum suchen, in dem sie Bestätigung für ihre Ressentiments erwarten.

4.

Im Kontext einer Menschenrechts-, Dritte-Welt- und Friedenspolitik den israelischen Staat und die zionistische Bewegung anzugreifen, gehört zu den unrühmlichen Traditionen der 68er-Bewegung. Israel und der Zionismus, deren keineswegs nur kritikwürdiger Geschichte und Gegenwart solche Positionen niemals gerecht zu werden vermochten, fungierten dabei als Projektionsfläche unreflektierter antijüdischer Ressentiments und versprachen als solche eine Absolution von den NS-Verbrechen und der Mitverantwortung eines nicht unerheblichen Teils der deutschen Gesellschaft an ihnen. Der "antizionistische" Israel-Diskurs der Linken schloss dabei sowohl an klassische antisemitische Muster, als auch an den Sekundären Antisemitismus der deutschen Nachkriegsgesellschaft an. Durch die Verschränkung mit antiimperialistischen und insbesondere antiamerikanischen Ideologemen erlaubte er zudem eine Aktualisierung nationalistischer und mitunter völkischer Diskurse in "linker" Terminologie.

Dieser linke Antisemitismus verweist unseres Erachtens nicht auf eine Wesensgleichheit von Links und Rechts, wie es die Extremismustheorien stereotyp behaupten. Er ist vielmehr ein Indiz für das Vorhandensein antisemitischer Dispositionen quer durch die deutsche Gesellschaft nach Auschwitz, wenn sich der Antisemitismus auch anders artikulierte als im Nationalsozialismus und zuvor.

Wesentlich erscheint uns, dass die Linke diesen Teil ihrer Tradition seit geraumer Zeit kritisch reflektiert und sich von entsprechenden Positionen deutlich und glaubhaft distanziert hat. Verwiesen sei in diesem Zusammenhang auf die Selbstreflexion der Blätter des iz3w als des wohl bedeutendsten Mediums der linken Dritte-Welt-Solidarität.

Die geplante Diskussionsveranstaltung ignoriert diese Auseinandersetzung und präsentiert aller Voraussicht nach Diskurspositionen als legitim und aktuell, die auch innerhalb der Linken zu Recht der Kritik anheim gefallen sind. Damit hebt sie den Vorhang zu einer Renaissance des antizionistischen Antisemitismus.

Unser Fazit lautet daher:

Das von Karsli mobilisierte Milieu ist der falsche Ansprechpartner für menschenrechtliche Positionen. Im Gefolge Karslis auf einen eventuell größeres öffentliches Interesse an menschenrechtlichen Positionenzu hoffen, ist illusionär und kontraproduktiv.

Eine Moderation der Veranstaltung durch einen bekannten Vertreter der Dritte-Welt-Solidarität kommt einer Absage an die Aufarbeitung jenes antizionistischen Antisemitismus gleich, der gerade die emanzipatorischen Politikansätze nach 1968 erheblich belastet und gegenüber jüdischen Menschen diskreditiert hat.

In gesamtgesellschaftlicher Perspektive trägt jede vermeidbare Aufwertung Karslis dazu bei, dass antisemitische Klischees in der Mitte der Gesellschaft offener artikuliert werden. Zugleich liefert sie der extremen Rechten wertvolle Anknüpfungspunkte. Die Veranstaltung trägt damit zu einem Rechtsruck der Gesellschaft bei, statt antisemitische Dispositionen zu problematisieren und Wege ihrer Destruktion aufzuzeigen.

Es ist zu befürchten, dass sich Karsli und ein Teil des Publikums in Aachen auch in einer sehr derben Weise antisemitisch äußern werden. Für Projektionen der des Holocaust nach Israel, den Vorwurf der "Komplizenschaft" gegen jüdische Persönlichkeiten in Deutschland und die verschwörungstheoretischen Delirien über eine weltweite "zionistische" Medienzensur darf es kein Forum geben.


(unterzeichnet von sieben Politik-WissenschaftlerInnen und -Studierenden)



Schlußstrich Deutschland - Der ganz normale Antisemitismus

Eine Podiumsdiskussion zum Nahostkonflikt soll am 05.09.2002 im Audimax der RWTH Aachen stattfinden. Eingeladen ist kein geringerer als Jamal Karsli, ehemaliges FDP- und Grünen-Mitglied, dessen Äußerungen über das Vorgehen der israelischen Armee ("Nazi-Methoden") und die vermeintliche Allmacht der "zionistischen Lobby" im Zuge der "Möllemann/Karsli"-Affäre vor kurzer Zeit breite Aufmerksamkeit auf sich zogen. Nach dem Skandal tritt Karsli nun wieder öffentlich auf - ohne daß eine Aufarbeitung des Gesagten, geschweige denn eine glaubwürdige Entschuldigung erfolgt wäre - im Gegenteil, Karsli hat seine Vorwürfe ausdrücklich bekräftigt.

Jamal Karsli hatte im Mai in einem Interview in der rechtsextremen Zeitung "Junge Freiheit" den "großen Einfluß der zionistischen Lobby" angeprangert, die "den größten Teil der Medienmacht" in der Welt innehabe und "jede auch noch so bedeutende Persönlichkeit "klein" kriegen" könne, wie man ja schon bei Präsident Clinton und der Lewinsky-Affäre gesehen habe.

Karsli bemühte hier das altbekannte antisemitische Klischee einer vermeintlichen jüdischen Weltverschwörung, wie es schon lange Zeit seit der Verbreitung der gefälschten Hetzschrift "Die Protokolle der Weisen von Zion" verwendet wird. Zwar hat das offene Verkünden solcher Unsäglichkeiten inzwischen zu Konsequenzen geführt, doch sind und bleiben Karslis - und Möllemanns - Äußerungen ein Indiz dafür, dass sich ein Klima in Deutschland ausgebreitet hat, in dem antisemitische Anfeindungen und Konstrukte weitgehende gesellschaftliche Akzeptanz finden.

Mit Karsli auf dem Podium sitzen werden der palästinensiche Journalist Hakam Abdulhadi und der aus Israel kommende, seit 20 Jahren in der Schweiz lebende Publizist Shraga Elam. Der Veranstalter, das "Arabisch-Deutsche Forum", bemüht sich scheinbar um den Eindruck, durch den Auftritt von Vertretern "beider Parteien" werde Einseitigkeit vermieden, und der Nahostkonflikt werde differenziert thematisiert. Mithin wurde die Veranstaltung schon als "Beitrag zur Klärung der Situation" beworben.

Doch davon ist leider nicht auszugehen. Shraga Elam ist bereits im Zusammenhang mit der Karsli-Affäre eindeutig in Erscheinung getreten, zuletzt durch die polemisch ausgerichtete [...] Unterstützungserklaerung zu einer Klage von Jamal Karsli gegen Michel Friedman und Paul Spiegel, denen Karsli "Verleumdung und Ehrverletzung" vorwirft. Elam schrieb den von Karsli verbreiteten und zur Lektüre empfohlenen Brief, der wenig und oberflächlich die gewaltsamen Verhältnisse im Nahen Osten beschreibt, dafür schamlos verfälschend die israelische Politik mit der Judenvernichtung der deutschen Nazis vergleicht. Elam tauscht darin mal eben die juedische "Shoa" durch die palaestinensische "Nakba" aus, um nachfolgend an das geschichtsträchtige "Mitschuld" -gefühl der Deutschen zu appellieren, die nichts gegen Israel täten.

Die durch die Podiumsteilnehmer Elam und Karsli getaetigten NS-Vergleiche helfen bei der Bewertung des Konflikts im Nahen Osten nicht. Sie vernebeln, sind unsachlich und historisch unhaltbar. Sie nähren vielmehr den Verdacht, die gewaltsame Realitaet im Nahen Osten ist den Herren nicht grausam genug, um ihre Nachricht durchzusetzen, die den einseitigen Protest gegen Israel einfordert.

Elams Brief war der Auslöser für das Ultimatum, mit dem FDP-Parteichef Westerwelle Vizechef Möllemann bedrängte, Karsli aus der NRW-Landtagsfraktion auszuschließen. Möllemann hingegen instrumentalisierte Karslis Äußerungen, um in populistischer Manier gegen Michel Friedman und den Zentralrat der Juden zu agitieren - der ganz normale Antisemitismus durfte endlich wieder verkündet werden.

Dabei ist auch der Anstieg antisemitischer Anfeindungen seit Möllemanns Attacken und die Zustimmung von allen rechtsextremen Parteien zu Möllemanns Positionen unverkennbar. Die Tatsache, dass auch das NRW-Innenministerium dies benannte, quittierte die FDP noch letzte Woche gegenüber Innenminister Behrens als "Brunnenvergiftung". Auch mit dem "Brunnenvergifter"- Bild hetzten bislang nur erklärte Antisemiten gegen Menschen juedischen Glaubens.

Waehrend sich die Vertreter des Zentralrat der Juden in Deutschland gegen Kritik durch Moellemann/Karsli verwahrten, Entschuldigung forderten und vor Antisemitismus und Rassismus in diesem Land warnten, warf Shraga Elam ihnen die "Tabuisierung" der Judenvernichtung, ja sogar "Rassismus" vor, der "die Deutschen - quasi genetisch - als die ewigen Täter diffamiert und die Juden als die ewigen Opfer idealisiert". Er selbst benutzt im gleichen Atemzug wieder die unhaltbaren, dafür pointierten Vergleiche zwischen NS-Tendenzen und Israel, verharmlost direkt "die Rechtsradikalen" als ein "Auffangbecken für das berechtigte Unbehagen" und wirft den deutschen Medien "Zensur" vor.

Dass es Leute gibt, die ohne Vorbehalte die deutsche Vergangenheit, insbesondere die Shoah, die industrielle Ermordung von sechs der sieben Millionen europäischen Juden, durch unhaltbare Vergleiche relativieren, ist verwerflich genug. Dass solche Leute zudem zu Veranstaltungen eingeladen werden, zeigt, daß die von Martin Walser und anderen propagierte Schlußstrichmentalität ihren festen Platz in vielen Köpfen erobert hat - nicht nur die der Rechtsextremen. Auf den Zusammenhang zwischen Antisemitismus und "Schlußstrich" haben die Essener Sozialwissenschaftler Klaus Ahlheim und Bruno Heger in ihrer kürzlich erschienenen Studie "Die unbequeme Vergangenheit", in Bezug auf Studierende, hingewiesen: "Die Schlußstrich-Mentalität, verbunden bisweilen mit einer spezifischen Form des Antisemitismus, ist unter Student[Inn]en durchaus verbreitet und inzwischen mehrheitsfähig." Von den befragten 2000 an der Uni Essen immatrikulierten StudentInnen wünschen sich ca. 1/3 den "Schlußstrich unter das Vegangene". 17% sind der Meinung, Juden nutzten die Vergangenheit geschickt und kühl berechnend zu ihrem Vorteil aus. Diese Mentalität gehe bei vielen Studenten mit einer Haltung einher, der Solidarität eher fremd und die Last der Vergangenheit ganz einfach unbequem ist", heißt es in der Studie. Bestenfalls ist das Vergangene egal und bei der "gesunden" Identifikation mit nationalen (Macht-)Interessen hinderlich. Das korrespondiert mit einer haarsträubenden historischen Ahnungslosigkeit: 31 Prozent der Studenten wissen nicht, in welchem Jahr der Zweite Weltkrieg begonnen hat. Daß diese Gruppe mit der etwa gleichgroßen Menge von "Schlußstrich"-BefürworterInnen einigermaßen deckungsgleich ist, überrascht wenig. Auch eine von Frankfurter und Leipziger Wissenschaftlern vorgelegte Studie kommt zu aufschlußreichen Ergebnissen, nach denen das Zugeständnis antijüdischer Gefühle in Deutschland innerhalb der letzten drei Jahre stark zugenommen hat. Ein Fünftel der Befragten teilt "den Juden" gar Schuld an den großen Weltkonflikten zu. Wie hatte das damals noch mal angefangen?

Auch in Aachen gedeihen Antisemitismus und Schlußstrichdenken prächtig: Hier konnte man in den letzten Wochen einem bizarren Streit zwischen den Aachener-Karnevals-Vereins-Ordensträgern Ephraim Kishon und Norbert Blüm beiwohnen. Blüm hatte zuvor im Zusammenhang mit der Möllemann/Karsli- Debatte Kritik an Israel geübt, wobei er von einem "hemmungslosen Vernichtungskrieg" sprach. Für das populistische Spiel mit antisemitischen Diskursmustern (das alte Bild vom grausamen und ungehemmt-unmenschlichen Juden) wurde er von Kishon öffentlich verurteilt. Dass durch solche Begriffe naheliegenderweise Assoziationen zum Nationalsozialismus hervorgerufen werden und dieser dadurch in seiner unvergleichlichen Grausamkeit verharmlost wird, interessierte Blüm ebenfalls nicht. Im Gegenteil: In einem "offenen Brief" verurteilte er Kritik an seiner Wortwahl pauschal als zweitrangig, da es bei diesem Konflikt um Menschenopfer gehe. Um das zu untermauern nannte er eine Reihe von Beispielen, die das menschenverachtende Vorgehen der israelischen Armee belegen sollten. Als verbindendes Element dieser Einzelfälle diente am Schluß des Briefes ein Zitat aus einem Interview mit Sharon von 1982, in welchem dieser u.a. erklärt, sein Ziel sei es, " [...] so viel als nötig an Arabern zu töten, sie zu deportieren, sie zu vertreiben und zu verbrennen...". Allerdings ist besagtes Interview nicht mit Sharon geführt worden, sondern mit einem nicht näher bezeichneten ranghohen Militär. Der für das Interview verantwortliche Schriftsteller Amos Oz hat inzwischen bekräftigt, daß es sich bei dem rätselhaften Interviewpartner keinesfalls um Sharon handle. Nichtsdestotrotz verbreiten weiterhin zahlreiche antisemitische Internetseiten das vermeintliche "Sharon-Interview" - Blüm befindet sich also in "bester Umgebung". Doch unsachliche Argumente erscheinen offenbar den wenigsten anstössig, und so bietet die gerade gelaufene Auseinandersetzung und die Solidarisierung vieler AachenerInnen mit Blüm das ideale Klima für eine Veranstaltung mit Karsli und Elam. Wenig überraschend zudem, daß auch das "Arabisch-Deutsche Forum" Auszüge aus dem vermeintlichen Sharon-Interview, trotz zweifelhafter Quellenlage, verbreitete.

Zu guter(?) letzt erhält die Podiumsdiskussion noch besondere Legitimation durch die Teilnahme von Dr. Jürgen Jansen, der die Diskussion "moderieren" will. Dr. Jansen ist Angestellter am Institut für Politische Wissenschaft der RWTH und taucht in dieser Funktion auf der Veranstaltungsankündigung auf. Offenbar sind für Dr. Jansen die besagten Diskutanden seriös genug; deren unverantwortliches Verhalten scheint nicht ins Gewicht zu fallen. Dass sich ein Politologe auf ein politisch derart zweifelhaftes Theater einläßt, zeigt deutlich die einseitige Sympathie für "die Palästinenser", um die Dr. Jansen nie einen Hehl gemacht hat. Parteinahme ist nicht zu verurteilen. Verhältnisse, insbesondere gewaltsame, sind so zu beschreiben wie sie sind. Menschenrechtsverletzungen und Unterdrückung durch israelische Behörden, Terrorisierung palästinensicher Menschen bis hin zu den Liquidierungen durch die israelische Armee, die agressive Siedlerpolitik gehören genannt und betrachtet.

Genannt und detailliert betrachtet gehören auch die permanente Todesandrohung für Israelis durch Selbstmordanschläge (auch durchgeführt von Arafats Fatah), darunter zählen die gezielten Terroranschläge gegen völkerübergreifende Initiativen und Bildungseinrichtungen (wie zuletzt der Bombenanschlag von Hamas auf die Hebräische Universität in Jerusalem), dazu gehören die Liquidierungen von "AbweichlerInnen" innerhalb eigener Reihen, dazu gehört die seit der Staatsgruendung Israels existente Bedrohung durch seine Nachbarstaaten.

Maßlose Übertreibungen, Verfälschungen und bedingungslose Einseitigkeit, wie sie mit den provokativen Nazi-Vergleichen einhergehen, klären nicht - sie verhindern die wenigen Verständigungsmöglichkeiten - verhindern so auch Friedensansätze. Wenn die Moderation die innerdeutsche Dimension unsäglicher Nazi-Vergleiche und antisemitische "Spielereien" nicht für kritikwürdig erachtet, ist das nicht nur ein Armutszeugnis, sondern unverantwortlich und gefährlich.

Vielmehr zielen solche Argumentationen auf eine (verbale) Eskalation des Konflikts ab. Wie eine über die gezielte Ausnutzung des in Deutschland nicht nur latent vorhandenen Antisemitismus beworbene einseitige Unterstützung einer Seite in friedlichem Interesse sein kann, ist schwer begreiflich. Warum werden nicht die Waffenlieferungen Deutschlands in die Region thematisiert, bevor man militärischen Beistand deutscher Truppen für die "eigene" Seite fordert? Warum werden die deutschen Machtinteressen nicht genannt, die ein wichtiger Hintergrund für ein Eingreifen im Nahostkonflik im Rahmen eines internationalen Einsatzes sein dürften, und in einem weitgehend entlasteten "Schlußstrich- Deutschland" immer stärker zu Tage treten? Warum muß eine aufheizende Provo-Veranstaltung an die Stelle ernsthafter Diskussionen im Interesse eines dauerhaften und stabilen Friedens treten? Die Antwort kennen wohl nur die Veranstalter. Oder auch nicht.


(AStA der RWTH Aachen & Anti-Kriegs-Bündnis Aachen, 05. September 2002)



Karsli-Veranstaltung: AStA fordert Stellungnahme

Wie erwartet diente die gestrige Veranstaltung mit Jamal Karsli und Shraga Elam als Podium für einseitige, tendenziell antisemitische Solidaritätsbekundungen für die palästinensische Seite im Nahostkonflikt. Der Moderator der Diskussion, Dr. Jürgen Jansen vom Institut für Politische Wissenschaft der RWTH, hielt es nicht für nötig, eine Anfrage zum vorher veröffentlichten offenen Brief zu beantworten: dem Redner wurde das Wort abgeschnitten.

Platitüden wie "Ich bin selber Semit, also kann ich kein Antisemit sein" wurden von Veranstalterseite geäußert. Daß Antisemitismus ein Begriff ist, der seit über hundert Jahren klar als Judenfeindlichkeit definiert ist, wird verschwiegen, eine Auseinandersetzung mit antisemitischen Äußerungen von Seiten des Arabisch-Deutschen Forums so umgangen. Von Karsli wurde erneut die "zionistische Lobby" beschworen, womit gezielt das Klischee von einer jüdischen Weltverschwörung genährt wird.

Der AStA fordert eine Stellungnahme von Dr. Jürgen Jansen bzw. vom Institut für Politische Wissenschaft der RWTH zu den Vorwürfen und dessen Beteiligung an der Veranstaltung.


(AStA der RWTH Aachen, 06. September 2002)

Anmerkungen des Antifaprojekts:
Die Konstruktion einer "palästinensischen Seite im Nahostkonflikt" teilen wir nicht. Unter den Menschen palästinensischer Herkunft gibt es - wie unter den Menschen aller 'Völker' - sehr verschiedene Ansichten, Bewertungen und Forderungen in diesem Konflikt.
Der Forderung nach einer Stellungnahme von Jansen und dem Politischen Institut zur Beteiligung an der antisemitischen Veranstaltung schließen wir uns an.



Die Unschuld vom Landtag

Jamal Karsli setzt im Kampf um seine Rehabilitierung auf Verschwörungstheorie

Der ehemalige nordrhein-westfälische Landtagsabgeordnete der Bündnisgrünen, Jamal Karsli, sieht sich als Opfer einer Verschwörung. Nachdem er die Partei im Frühjahr verlassen hatte und zur FDP wechseln wollte, so Karsli am Donnerstag in Aachen, hätten die Grünen ihn "diffamiert". Die Medien hätten bei der "Hetzkampagne" mitgespielt. Sein "Fall" sei der Beweis für die Macht der "zionistischen Lobby", sagt Karsli.

Karsli kann einem leid tun während der Podiumsdiskussion, veranstaltet vom Institut für Politische Bildung der Rheinisch-Westfälisch Technischen Hochschule (RWTH) und dem Deutsch-Arabischen Forum. Im Hörsaal kommt es zu hitzigen Diskussionen und Tumulten, das Transparent "Kein Forum für Antisemiten" ist klar adressiert, und der AStA protestiert vor der Tür. Weitere Referenten sind die Journalisten Shraga Elam (Israeli, Schweiz) und Hakam Abdulhadi (Palästinenser, Deutschland). Das Thema der Veranstaltung: "Stoppt die Gewalt in Israel und Palästina! Stoppt Scharons Krieg!"

Rund die Hälfte der dreistündigen Debatte widmet sich dennoch dem "Fall Karsli", besagter Lobby sowie dem "positiven Antisemitismus". Bei jenem weigere sich der Antisemit, in einem Juden einen Verbrecher zu sehen, um sich den eigenen Judenhaß nicht eingestehen zu müssen, referiert Elam. Fraglich bleibt dabei, wie man drei Viertel der rund 200 Zuhörer nennen könnte, die kollektiv "Raus, raus, raus!" grölen, als 20 Antifaschisten lautstark stören. Ein Deutscher schimpft sie "Pack", ist indes für den palästinensischen Freiheitskampf. Später wirft man dem israelischen Militär vom Podium herab vor, Palästinenser als "Bazillen" zu bezeichnen, um sie mittels "Nazijargon" zu entmenschlichen. Ziel: die "ethnische Säuberung".

Auch Karsli kämpft für die Rechte der Palästinenser - dennoch nutzt er den Abend massiv zur eigenen Rehabilitierung. Zu jedem Wort seines Interviews mit antisemitischem Unterton in der rechten Postille Junge Freiheit stehe er - hätte eben nur nicht in jenem Blatt stehen sollen, dessen politische Linie er nicht gekannt habe. Er engagiere sich für Menschenrechte und gegen Rassismus, sagt Karsli. Da ihm aber der Standpunkt der Bündnisgrünen zu "Scharons Staatsterror" mißfiel, wollte er zur FDP wechseln. Grund: Möllemanns Nahost-Politik. Voller Rachegelüste hätten aber seine Ex-Parteifreunde von ihm verfaßte, ältere Pressemitteilung an die Medien lanciert. In diesen wirft Karsli der israelischen Armee "Nazi-Methoden" vor. Die "inszenierte Medienkampagne" wurde zum Fall Karsli-Möllemann, ihre Aussagen wiederholt verfälscht.

Beides Unschuldsopferlämmer? Nicht ganz. Denn von der vagen "zionistischen Lobby" ist es nicht weit bis zum Klartext: "Fragen Sie doch einmal", ruft Karsli irgendwann ins Publikum, "wer die Medien besitzt!" Applaus erhält er für den Subtext, die Juden seien sein Unglück. Teilen der Zuhörer indes hält er vor: "Was Sie tun ist Verrat an der Linken und der Friedensbewegung in Israel, Sie unterstützen einen Rechtsradikalen, und das ist Scharon."

Im Gegenzug kritisiert man Karsli, daß er als Menschenrechtler zur "gnadenlos neoliberalen" FDP ging. Deren Parteivize Möllemann habe schließlich nur Israel, nie aber die arabischen Diktatoren im Nahen Osten des "Staatsterrorismus" bezichtigt.


(junge Welt, 07. September 2002)