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Delegiertenplenum des Grenzcamps 2000
[04.08.2000]
Diskussionspapier zur Debatte um Sexismus und Rassismus
...auf dem dritten Antirassistischen Grenzcamp in Forst vom 3.8.00. In
dieser Form vom Deli-Plenum am 4.8.00 angenommen - soll dem großen Plenum am
5.8.00 vorgestellt werden.
Am 30. 7. 2000 erhielten wir per e-mail eine Stellungnahme von "einigen
Teilnehmerinnen des Antifa-Workcamps in Weimar" in der wir über einen
sexistischen Vorfall auf deren Camp informiert wurden: Es kam dort zu unerwünschter,
massiver verbaler Anmache, zwei Frauen wurden von einem als Flüchtling
gekennzeichneten Mann in ihren Zelten bedroht. Die Darstellung bringt diesen
Mann bzw. diese Männer in Zusammenhang mit der Flüchtlingsorganisation The
Voice. In dem Papier wird dargestellt, daß es sich bei diesen nicht um
Mitglieder von The Voice handelt, sondern um Leute, die durch The Voice auf die
Veranstaltung aufmerksam gemacht wurden. Die Autorinnen fordern von The Voice
eine Stellungnahme, eine Auseinandersetzung mit Sexismus in ihrer Gruppe und
ihrem Umfeld und fordern sie auf, "dafür zu sorgen, daß solche Übergriffe in
Zukunft unmöglich werden, um auch in Zukunft gemeinsam gegen den
rassistischen Staat und die rassistische Bevölkerung agieren zu können."
Sie wünschen sich "im Umgang mit The Voice [...] eine konstruktive und
solidarische Kritik."
Wir haben hier auf dem Grenzcamp über diese Stellungnahme und die
Ereignisse in Weimar diskutiert. An dieser Diskussion haben auch Leute von The Voice
teilgenommen. Wir möchten im Folgenden hiervon berichten und Stellung
beziehen.
The Voice hat in der Diskussion erneut dargestellt, daß der
verantwortliche Mann nicht Mitglied ihrer Organisation ist und sie deshalb die ihnen
besonders zugeschriebene Verantwortung von sich weisen und sich ungerechtfertigt
angegriffen fühlen.
In unserer Diskussion war unstrittig, daß The Voice nicht die
Verantwortung für das Verhalten dieses Mannes tragen kann.
Darüberhinaus sind wir der Auffassung, daß The Voice auch nicht Adressaten
der oben aufgestellten Forderungen sein kann, jedenfalls nicht als
besonders "zuständige". Wir halten den Versuch, ihnen eine solche spezifische
Verantwortung für das Verhalten eines Nicht-Gruppenmitglieds zuzuweisen für eine
Unverschämtheit. Impliziert wird dabei, daß The Voice für das Wohlverhalten
von Migranten zu sorgen hat und für eine Auseinandersetzung um Sexismus von
Migranten zuständig ist. Sie kollektiv als schwarze Männer in diesem Kontext
in die Verantwortung nehmen zu wollen, halten wir darüberhinaus für
rassistisch.
Wir sehen hinter diesen Anforderungen die Tendenz zur Ethnisierung des
Problems.Sexismus wird als Eigenschaft ausländischer Männer begriffen (bzw.:
nicht-deutsche Männer gelten als sexistischer als deutsche), und darum werden
nicht-deutsche Männer hier zur Problembehandlung angehalten, nicht etwa wir
alle oder Männer überhaupt.
Es gibt andauernd sexistische Übergriffe in Gruppen innerhalb der weißen
Linken in der BRD, die - wenn sie bekannt werden - von Feministinnen scharf
kritisiert werden, verbunden mit der Einforderung einer Auseinandersetzung
mit Sexismus und weiteren Forderungen. Die Thematisierung eines derartigen
Vorfalls an sich ist also nicht singulär oder rassistisch, sondern die Art, in
der The Voice die Verantwortung für diesen Übergriff zugeschoben wird, ist
rassistisch.
Wir finden es im Übrigen grundsätzlich unsinnig, von einer Organisation zu
fordern, in ihrer Gruppe und ihrem Umfeld "dafür zu sorgen, daß solche
Übergriffe unmöglich werden", weil das leider im realexistierenden Patriarchat
nicht machbar ist, auch nicht in der radikalen Linken welche Teil davon ist.
Wir verurteilen sexistische Anmache und Übergriffe; auch The Voice hat
sich dahingehend ganz klar geäußert. Wir fordern von uns und anderen ein um
Eingreifen in rassistische und sexistische Praktiken bemühtes Verhalten und die
Bereitschaft, sich mit Sexismus und Rassismus auseinanderzusetzen - aber
eben nicht speziell von The Voice in diesem Kontext. Sexismus - auch unter
Migranten - ist das Problem von The Voice nur insofern, als es unser aller
Problem ist. Genauso darf aber die Thematisierung von Sexismus nicht die
besondere Aufgabe von Frauen sein. Ganz im Gegenteil, die Auseinandersetzung mit
Sexismus gerade von Männern darf nicht erst nach sexistischen Übergriffen
einsetzen. Durch eine Auseinandersetzung sollte z.B. schon im Vorfeld eines
Grenzcamps das Bewußtsein für diese Problematik geschärft werden.
Genauso halten wir nach einem Vorfall wie dem in Weimar eine besondere
Sensibilität für die Situation der Opfer und ihres direkten Umfeldes für
notwendig. Wenn junge Frauen an einem Ort, an dem sie sich sicher wähnten - wie
eben dem AntifaCamp - so sehr angegriffen werden, daß sie sich mit einem
Küchenmesser wehren müssen, so ist die Bedeutung dieser Grenzverletzung für die
betroffenen Frauen nicht zu unterschätzen.
Die Autorinnen der Weimarer E-Mail machen eine Auseinandersetzung speziell
von The Voice zur Voraussetzung einer weiteren Zusammenarbeit. Wir finden
es schwierig, wenn nach dem Motto vorgegangen wird: Erst wenn ihr Sexismus
ausschließt, können wir gemeinsam weiter gegen Rassismus arbeiten. The Voice
könnte genausogut argumentieren: Erst wenn ihr Rassismus ausschließt, können
wir gemeinsam gegen Sexismus kämpfen. Wir denken: So geht es nicht. Es gibt
keine Priorität eines bestimmten Unterdrückungsverhältnisses. Es gibt
verschiedene solche Verhältnisse, und wir sind gemeinsam aufgefordert, hierüber zu
diskutieren, zu streiten und uns auch in die damit einhergehenden
Widersprüche verwickeln zu lassen.
Rassismus und Sexismus dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden.
Keines dieser Unterdrückungsverhältnisse darf zum neuen Hauptwiderspruch erklärt
werden und benutzt werden, um die Auseinandersetzung mit anderen
Machtstrukturen zurückzuweisen. Jede/r von uns muß aushalten, auch als Privilegierte/r
in Herrschaftsverhältnissen benannt zu werden oder aufgefordert zu werden,
eigene blinde Flecken zu beleuchten. Wir glauben, daß wir mit einem offenen
Umgang mit Konflikten und Spaltungslinien in unserer Arbeit gewinnen, und
daß Imagedenken politisch fatal ist.
Hier im Grenzcamp wird der Versuch einer gemeinsamen politischen Arbeit
von deutschen Linken, FeministInnen und MigrantInnen gegen verschiedenste
Herrschaftsverhältnisse unternommen.
Wir sind der Auffassung, daß eine emanzipatorische Politik die
Zusammenarbeit auch über zweifelsfrei bestehende Differenzen hinweg erfordert.
Eine Basis dafür kann nur entstehen, wenn die Bereitschaft besteht, die
unterschiedliche soziale Situiertheit der Beteiligten und die unterschiedliche
Betroffenheit durch verschiedene Unterdrückungsverhältnisse anzuerkennen
und in der Diskussion auch auszuhalten.
Dies ist sehr schwierig, aber auch alternativenlos, wenn wir uns auch eine
gemeinsame Auseinandersetzung aller z.B. hier beteiligten Gruppen wünschen.
Separate Organisierungen z.B. von Frauen oder von MigrantInnen sind für uns
selbstverständlich. Das Ziel sollte unseres Erachtens aber sein, zu einer
Umgehensweise zu kommen, die uns die Zusammenarbeit auch über bestehende
Differenzen hinweg ermöglicht.
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