Jagdszenen ...
"Weiches Wasser spült den Stein, wir wollen wie das Wasser sein". Die Strophe war kaum verklungen, da bewies der Einsatzleiter, dass er die Botschaft verstanden hatte: Innerhalb weniger Sekunden spülte ein Hochdruckwasserwerfer die Blockadegruppe in Bitburg vom Pflaster. Ein halbes Dutzend Friedensdemonstranten musste sich anschliessend in ärztliche Behandlung begeben.
Die knochenbrecherische Wirkung ist beabsichtigt: Seit der grossen Brokdorf- Demonstration im Februar 1981 fegen die Hochdruckkanonen der Bauserien "WaWe 6.000" und "WaWe 9.000" Menschenansammlungen von den Strassen. Die Fahrgestelle produziert Mercedes-Benz, die Aufbauten stammen von der Karlsruher Feuerwehr- Ausrüstungsfirma Metz. Die allradgetriebenen Ungetüme (Stückpreis: eine dreiviertel Million Mark) erzielen mit einem Zehnzylinder- Dieselmotor eine Fahrgeschwindigkeit von rund 100 Stundenkilometern. Die von einem zweiten Motor getriebenen Pumpen erreichen mit einer maximalen Druckstärke von 16 bar eine Reichweite von 65 Metern und können pro Minute 2.200 Liter Wasser verschiessen. Zwei hydraulisch gesteuerte Wasserkanonen auf dem Fahrzeugdach sind rundum einzurichten. Die toten Winkel an Bug und Heck decken zwei zusätzliche Rohre in Kniehöhe ab. Den 9.000 Litern Tankinhalt des WaWe 9.000 (Gesamtgewicht: 26 Tonnen) können wahlweise CN- oder CS- Gas beigemischt und als gezielter Stoss oder Sprühregen (Polizeijargon: "Mit Geschmack") übers Demonstrantenvolk gebracht werden. Selbst nordirische Polizeiexperten zeigten sich bei einer Vorführung im nordhessischen Eschwege von der deutschen Wertarbeit begeistert, die weltweit keinen Vergleich zu scheuen braucht. (1)
Das Spitzenprodukt westdeutscher Polizeitechnologie löst allmählich sein Vorläufermodell "WaWe 4.000" ab. Wegen geringer Tankkapazität und Reichweite hatte diese Wasserwerfergeneration schon in den fünfziger Jahren bei nächtlichen Tänzen mit der Polizei nach Bill-Haley- Konzerten kaum abschreckende Wirkung gezeigt. Auch die Studentenbewegung liess sich von den altertümlichen Duschen wenig beeindrucken. Den letzten Anstoss für eine technische Fortentwicklung gaben Anti- Brokdorf- Demonstranten im Herbst 1976: Ohne Wasser, manövrierunfähig und umringt von einer tausendköpfigen Menge, blieb damals ein WaWe 4.000 im Graben stecken. Nur ein Kampfgaseinsatz von Hubschraubern bewahrte die Blechkiste vor ernster Beschädigung. (2)
Fünf Jahre später, nach ausgedehnten Testreihen der hessischen und niedersächsischen Bereitschaftspolizeien standen die neuentwickelten Modelle einsatzbereit. Seitdem rangieren Hochdruckwasserwerfer im Arsenal polizeilicher Distanzwaffen unterhalb von abschiessbaren Gasbehältern (max. Reichweite: 120 Meter) und sollen "Störer jenseits der Steinwurfgrenze halten".
Tatsächlich dienen WaWe 9.000 und der lediglich um 3.000 Liter leichtere WaWo 6.000 dazu, Einzelpersonen gezielt umzuwerfen und Menschenansammlungen wegzuspülen. In alljährlichen Vergleichskämpfen der Bereitschaftspolizei und des Bundesgrenzschutzes demonstrieren die Werferzüge, worauf es in der Einsatzpraxis ankommt: "Slalom mit Treffen von Figuren: pro umgekippte Slalomstange und nicht getroffene Figur - Strafzeit" und "Tonne mit Strahl über eine Ziellinie treiben" stehen regelmässig auf dem Programm. (3)
Der Einsatz beweist die taktischen Vorteile der Wasserkanonen gegenüber herkömmlichen Knüppeleinsätzen: Besonders Sitzblockaden lassen sich reihenweise vom Pflaster wirbeln und behindern dann nicht die nachrückenden Polizeieinheiten. Zudem klingt der Begriff "Wasserwerfer" weit weniger aggressiv als "Schlagstock" - ein psychologischen Aspekt, der vor der Öffentlichkeit die knochenbrecherische Wirkung leicht verdeckt.
Bereits 5 bar Wasserdruck reichen aus, auf kurze Entfernung einem Demonstranten den Helm vom Kopf zu reissen (4) und noch in 35 Meter Entfernung Protestierer nass zu machen - ein Effekt, vergleichbar einem Geschoss mit Breitflächenwirkung. Zahlreiche Verletzung mussten infolgedessen seit dem Gorlebener "Tanz auf dem Vulkan" im Oktober 1982 ärztlich behandelt werden. Dort war erstmals aus fünf bis zehn Metern Entfernung voll auf Blockadegruppen gehalten worden.
Bereitschaftspolizeien und Bundesgrenzschutz verfügen über ein Dutzend Hochdruckmodelle und insgesamt 148 WaWe 4.000. Unterschiedlos werden sie in den zuständigen Polizeigesetzen als "Hilfsmittei der körperlichen Gewalt" und nicht als "Waffen" geführt. "Hier ist das Gesetz längst von der technischen Entwicklung überholt", urteilt der Bremer Rechtsanwalt Bernhard Docke, der einige Demonstrationsverletzte vertritt. (5) Auch die ergänzenden Polizeidienstvorschriften blieben hinter der Zeit zurück- Keine Erwähnung finden die neuentwickelten Modelle; und eine Regelung, auf welche Entfernung mit welchem Druck die Kanonen gefahren werden dürfen, ist ebenfalls nicht enthalten. Ausdrücklich erlaubt ist indes der gezielte Wasserstoss gegen Einzelpersonen. Der "Zweckbestimmung" wegen, die "insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit der Mittel entspricht", galten die Hochdruckkanonen weiterhin als "Hilfsmittel", lautet die bewusst vage gehaltene Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage des Grünen Bundestagsabgeordneten Christian Ströbele vom Herbst 1985.
Eine Kontrolle ist ohnedies nicht möglich-. die jeweils gewählte Druckstärke wird nicht aufgezeichnet. Nachträglich lässt sich deshalb nicht mehr feststellen, mit welcher Wucht Günter Sare in Frankfurt zu Boden geschleudert wurde, ehe er überfahren wurde. Nur eines gilt sicher: die von Fachleuten der Polizeigewerkschaft GdP hochgelobte "bedienungsfreundliche Gestaltung der Arbeitsplätze" mit den grossflächigen Frontscheiben lässt es absolut unglaubwürdig erscheinen, dass der WaWe- Kommandant niemanden auf der Kreuzung im Gallusviertel gesehen haben will. Ausserdem sind Wasserstrahl und Dachscheinwerfer parallel geschaltet, so dass Günter Sare, wie auf den veröffentlichten Fotos zu erkennen ist, nicht übersehen werden konnte.
Friedrich Zimmermann und seiner Gang im Innenministerium ist die Wasserkanone noch nicht perfekt genug: Als Reaktion auf das "Phänomen der Solidarisierung" von Oberpfälzer Bürgern mit den "Chaoten" hat sich der Minister vom Bundeskabinett ein neues Wasserwerfermodell mit maschinell schwenkbarem Turm, erhöhtem Wasserdruck und Panzerglasscheiben bewilligen lassen. (7)
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