In Südafrika setzt die Polizei Tränengas wahllos ein

(Nachdruck)

Strassenkampf in Südafrika


Am 3. September letzten Jahres warf die südafrikanische Polizei mehrere Tränengaskanister durch die Fenster des Hauses 3818 in der Township Sharpeville. Die dort lebende Familie Nzunga hatte sich wegen der Unruhen an diesem Tag im Haus eingeschlossen und traute sich trotz Tränengas im Innern erst wieder heraus, als die Polizei abgezogen war. Eine Woche später starb die sieben Monate alte Maude Nzunga im Krankenhaus, nachdem sie Blut gespuckt hatte und immer schwächer geworden war. Die Familie Nzunga ist überzeugt da von, dass ihr Kind aufgrund des Polizeiangriffs gestorben ist.

Tränengas, das eigentlich zum Einsatz im Freien gedacht ist, um grosse Menschenmengen zu zerstreuen, entwickelt sich in Südafrika immer mehr zur gefürchteten Waffe Nummer eins. Sie wird ohne Rücksicht auf die Gesundheit der Betroffenen scheinbar wahllos eingesetzt, bei nächtlichen Totenwachen in Privathäusern, bei Beerdigungen, Gottesdiensten und politischen Versammlungen.

Als besonders gefährdet gelten Kinder sowie alte und kranke Menschen. Tränengas ist ein gefährliches Gift, das Menschen verletzen und sogar töten kann - darüber sind sich Mediziner einig. "Ich glaube nicht, dass die Polizei das Recht hat, Tränengas in der Weise einzusetzen, wie es im Moment geschieht", meint der Arzt Errol Holland vom Baragwanath- Krankenhaus in Soweto. Er hat erlebt, wie das Gas in ein Krankenhaus irr Inderviertel Lenasia geworfen wurde. Darüber hinaus gibt es Berichte, dass es in Schulen eingesetzt oder zur Folter an Jugendlichen in Gefängniszellen oder fensterlosen Räumen verwendet wird. Die Kapstädter Politikerin Di Bishop berichtete kürzlich von Jugendlichen aus Bonguletu, in deren Gefängnsizellen Tränengas zum Einsatz kam, bis sie sich erbrachen und ohnmächtig wurden.

Ärzte und regierungskritische Zeitungen fordern seit langem, die chemische Formel des Giftgases bekannt zu geben. Aber erst im Januar teilte das Gerichtsmedizinische Institut der südafrikanischen Polizei der Johannesburger Wochenzeitung "Weekly Mail" den Namen der gesuchten Formel mit. Es sei das als "CS" bekannte Reizgas, hiess es, aber über einen Missbrauch des Tränengases oder mögliche Todesfälle habe man keine Kenntnisse. Aussagen von Opfern und Zeugen belegen das Gegenteil.

Insbesondere Jugendliche lassen sich trotz dieser zur Abschreckung gedachten Massnahmen nicht abschrecken. Zu ihrem Schutz tragen sie hochgeschlossene Hemden, Pullover sowie Halstücher, die bei Bedarf als Mund- und Augenschutz über das Gesicht gezogen werden.

Tränengas wird vor allem zur Einschüchterung oder zur Provokation von Township- Bewohnern eingesetzt, ohne dass die Polizei vorher bedroht worden wäre. Zahlreiche Jugendliche erlitten beispielsweise am 13. Februar in Kagiso bei Krugersdorp Verletzungen, als sie in Panik versuchten, durch die zerbrochenen Fenster der methodistischer Kirche ins Freie zu fliehen. Die Polizei hatte Tränengaskanister durch die Fensler in die Kirche geworfen, wo mehrere hundert Schülerinnen und Schüler an einem Gottesdienst für zwei Mädchen teilnahmen, die bei früheren Zusammenstössen mit der Polizei getötet worden waren. Pfarrer Jake Sefatsa wies die Begründung der Polizei zurück, sie habe sich verteidigen müssen. "Niemand hat Steine geworfen", berichtete er.

Nina Waldorf

Quelle: Volksblatt, 6,4.86