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Hartmut Wächtler
Grundrechte werden Makulatur -
Antithesen zu Werner Raith
- Werner Raith betont zwar immer den Zusammenhang zwischen "politischer Kultur"
und strafrechtlichen bzw. polizeilichen Formen der Bekämpfung von
organisierter Kriminalität, aber er gerät ständig in Gefahr,
Strafgesetze als Mittel zur Wiederherstellung der gewünschten politischen
Kultur zu verabsolutieren. Er unterstreicht die angebliche Unzulänglichkeit
der bestehenden Strafgesetze, akzeptiert V-Männer, UC-Agenten, geheime
Ermittlungsmethoden, Gewinnabschöpfung und neue Strafgesetze nach
italienischem Vorbild. Gleichzeitig stellt er Bedingungen für die
Einführung der neuen Waffen auf, die erkennbar illusionär sind.
So sollen sich Polizisten und Staatsanwälte verpflichten, die neuen
Ermittlungs- und Beweisinstrumente nur im Ausnahme- und nicht im Regelfall
einzusetzen (Raith, S. 198). Politiker, Administratoren Justiz und Polizei
sollen bereit sein, über die Unterwelt der offenen Kriminellen hinaus
auch die "Zerfallserscheinungen in den eigenen Reihen" zu bekämpfen
(Raith, S. 186).
Die naheliegende Folge wird sein: Auf Werner Raith wird zurückgegriffen
werden, wenn es um die Begründung für die Einführung neuer
Repressionsinstrumente geht, seine Bedingungen werden vergessen werden
(zumal sie sich sicher auch nicht in die Gesetze hineinschreiben lassen).
- Es ist auch zu bezweifeln, ob den von W. Raith gewünschten neuen repressiven
Gesetzen die Fähigkeit zukommen kann. selbst "wertsetzend" zu wirken,
wie Raith hofft: So soll ein Gesetz gegen die organisierte Kriminalität
auch eine "umwälzende Veränderung in unserem Rechtsdenken einleiten"
(Raith, S. 189). Diese Argumentationsweise erinnert fatal an die Argumente
mancher "Lebensbewahrer", die Bestrafung der Frauen nach § 218 StGB
würde in der Gesellschaft die Achtung vor werdendem Leben hochhalten.
- Werner Raith reflektiert zu wenig die Praxis der bisherigen justitiellen
und polizeilichen Auseinandersetzungen mit organisierter Kriminalität,
bzw. tut sie als Fehler oder Entgleisung ab, obwohl sie durchaus zu systematisieren
ist:
Den Kronzeugen haben wir seit einigen Jahren in § 31 des Betäubungsmittelgesetzes.
Dort ist vorgesehen, dass derjenige erhebliche Strafmilderung oder
sogar einen Straferlass erhält. der andere, der Polizei noch
unbekannte Täter verpfeift. Bei keiner Festnahme im Bereich der Drogenkriminalität
versäumt es die Polizei, auf diese Vorschrift hinzuweisen. Tatsächlich
ist diese Kronzeugenregelung auch enorm effektiv in dem Sinne, dass
vor allem im Bereich der Kleinst- bis mittleren Kriminalität viele
Festgenommene Dritte belasten, um sich Vorteile zu sichern. Auf diese Weise
hat die Polizei schon ganze Konsumenten- und Kleindealer-Szenen aufgerollt.
Ähnliches gilt für den Einsatz von V-Männern und -Frauen.
Bestimmte ortsbekannte Lokalitäten, wie in München der Englische
Garten und einige Diskotheken, Nachtbars und Wohnheime von Asylbewerbern
sind durchsetzt mit V-Leuten der Polizei. Die Wahrscheinlichkeit, den Heroin-
oder Kokainbrief oder den Haschischbrocken an einen Scheinaufkäufer
der Polizei zu verkaufen, ist an diesen Örtlichkeiten beträchtlich.
Entsprechend viele Festnahmen werden getätigt. Beiden schon eingeführten
zusätzlichen Überführungsmitteln der Polizei ist aber gemeinsam,
dass sie ihre Effektivität im wesentlichen im Bereich der kleinen
bis mittleren Rauschgiftkriminalität entfalten. Das mag damit zusammenhängen,
dass hier Erfolge viel leichter zu erzielen sind und die behördeninterne
Statistik daher mit beeindruckenden Erfolgszahlen aufwerten kann. Zum anderen
besteht natürlich ein Zusammenhang zwischen der mangelnden Professionalität
von Konsumenten und Kleindealern und den Fahndungserfolgen der Polizei.
Allgemein wird man sagen können, dass Kronzeuge und VMann
desto effektiver sind, je weniger es sich um organisierte und professionelle
Kriminalität handelt. Diese Einschätzung lässt sich
für die anderen ins Auge gefassten neuen Ermittlungsmöglichkeiten
der Polizei verallgemeinern. Voraussehbar ist, dass sie alle eine
gewisse Wirksamkeit entfalten werden vor allem in den Bereichen, die gerade
nichts mit organisierter Kriminalität zu tun haben, wobei die Polizei
durchaus ein behördeninternes Interesse hat, dieses eindeutige Ergebnis
hinter beeindruckenden quantitativen Erfolgsstatistiken zu verschleiern.
- Was die Wurzeln und die gesellschaftlichen und politischen Bedingungen
der organisierten Kriminalität betrifft, so genügt ein Blick
auf den Fall des früheren Diktators von Panama, Noriega, um sinnbildlich
vor Augen zu führen, dass dem Problem mit gesetzlichen Mitteln
oder gar nur strafrechtlichen Methoden offenbar nicht beizukommen ist.
Mit Raith müsste man dann schon fordern, dass die Supermächte
dem Imperialismus entsagen, damit Figuren wie Noriega nicht mehr möglich
wären.
Kehren wir aus den globalen Zusammenhängen zurück und kommen
zum
- Einwand gegen Werner Raiths Thesen:
Seine Vorschläge, auf welche rechtstechnische Weise die organisierte
Kriminalität zu bekämpfen wäre, hebt wesentlichen Grundzüge
eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens auf:
Sein beispielhaft angeführter § 416b des Strafgesetzes der
Republik Italien, die Strafbarkeit einer "Vereinigung mafiosen Typs" (Raith,
S. 217), wirft den wesentlichen Grundsatz über Bord, dass in
einem Rechtsstaat bestimmt sein muss, welches Handeln strafbar ist,
und welches nicht. Der Paragraph ist so gummiartig formuliert, dass
jeder zweite Vorstand einer Aktiengesellschaft darunter zu subsumieren
wäre.
Ein weiterer wesentlicher Grundsatz des rechtsstaatlichen Verfahrens
ist, dass ein Mensch nur bestraft werden kann, wenn ein ihm individuell
zurechenbares und schuldhaftes Handeln festgestellt worden ist. Nicht umsonst
kritisieren wir unsere Gerichte, weil sie im Zusammenhang mit Organisationsdelikten,
beispielsweise den § § 129/129a StGB, Menschen allein deswegen
verurteilen, weil sie einer Organisation angehört haben, ohne dass
ihnen eine individuell zurechenbare strafbare Handlung nachgewiesen werden
konnte. So war es möglich RAF- Angehörige wegen Mordes zu verurteilen,
obwohl sie nachweislich mit der Tat, die ihnen zur Last gelegt wurde, direkt
nichts zu tun hatten, sondern sich zur Tatzeit in einem anderen Land aufhielten.
Mit Recht haben wir kritisiert, dass die Gerichte hier nur unter
Zuhilfenahme von Fiktionen, wie einem kollektiven Willensbildungsprozess
(alle wussten alles), zu einer Verurteilung gekommen sind. Diese Art
der Beweisführung ist darüberhinaus politisch überaus leicht
manipulierbar. Der Bundesgerichtshof hat dies vorgeführt, indem er
beispielsweise Angehörige der Waffen-SS oder KZ-Bewachungspersonal
nur dann wegen Mordes verurteilte, wenn ihnen persönlich eine strafbare
Handlung nachgewiesen wurde, nicht aber, weil sie Mitglied der verbrecherischen
Organisation waren. Bei jedem Organisationsdelikt werden derartige politische
Vorgaben in Form von juristischen Konstruktionen den Ausgang der Verfahren
bestimmen.
Ein tragender Grundsatz eines rechtsstaatlichen Verfahrens ist das
Prinzip "in dubio pro reo". Dieser Grundsatz wird mit der, von der CSU/CDU
vorgeschlagenen, Vermögensstrafe aufgegeben. Hier muss der Besitzer
von Geld beweisen, dass er es rechtmässig erworben hat.
Kann er es nicht, wird das Geld eingezogen. Eine solche Geldstrafe ohne
nachgewiesenes Verschulden ist inakzeptabel. Was angesichts der modernen
Computertechnik ohne weiteres machbar wäre, wäre eine umfassende
Kontrolle der über die Banken fliessenden Geldströme. Eine
solche Kontrolle würde das Bankgeheimnis weitgehend aufheben. Die
internationale Diskussion über dieses Thema ist sich darüber
einig, dass eine solche Kontrolle zwar effektiv wäre, politisch
jedoch nicht durchsetzbar ist. In Deutschland ist sie daher nicht einmal
vorgeschlagen worden.
Die vorgeschlagenen Möglichkeiten, mit Wanzen und geheimen Kameras
in die Wohnungen von Verdächtigen und ihren unverdächtigen Kontaktpersonen
einzudringen, macht die Grundrechte der Unverletzlichkeit der Wohnung,
den Schutz des nichtöffentlich gesprochenen Wortes und ganz allgemein
den Schutz der Intimsphäre zur Makulatur. Der Einsatz von V-Leuten
und UC-Agenten setzt sich über das mit guten Gründen im Gesetz
festgelegte Verbot, den Beschuldigten zu täuschen, wenn man eine Aussage
von ihm verwertet, hinweg, wie es nach 1945 in § 136a StPO verankert
worden ist. Es geht hier nicht um Randbereiche, sondern um das, was nach
unserem jetzigen Verständnis ein rechtsstaatliches Verfahren Oberhaupt
ausmacht. Wir sollten es sehr genau überlegen, bevor wir diese Grundsätze
widerspruchslos aufgeben.
- Trotz aller Einwände können Werner Raiths Thesen einiges leisten:
Ihre Stärke liegt nicht in ihrer analytischen, sondern in ihrer polemischen
Qualität. Raith entlarvt mit seinem scheinbar naiven Beim-Wort-Nehmen
die ordnungspolitischen Scharfmacher als Heuchler oder bestenfalls als
betriebsblind. Indem sie das wirkliche Terrain der organisierten Kriminalität,
die Schnittstellen zwischen ökonomisch potenter Illegalität und
der Macht aus ihren Definitionen ausklammern und dafür sorgen, dass
es von den neuen polizeilichen Instrumenten nicht bedroht wird, programmieren
sie ihre eigene Erfolglosigkeit. Diesen erheblichen Aufklärungseffekt
des Raithschen Ansatzes sollten wir nutzen und uns nicht damit begnügen,
aus den ungenügenden und widerspruchsvollen Definitionen messerscharf
zu folgern, das soziale Phänomen "organisierte Kriminalität"
sei nicht existent.
Hartmut Wächtler, geb. 1944, Strafverteidiger in München.
Rechtswissenschaftliche Aufsätze, zuletzt über "Vorbeugehaft"
im September 1989 in der Zeitschrift "Strafverteidiger", Alfred Metzner
Verlag.
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