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strassenmedizin - Archiv der Sanigruppen
Heiner Busch
Mit welchen Mitteln gegen "organisierte Kriminalität" - Das ist die Frage
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Die Debatte um Organisierte Kriminalität ist seit mehr als 10 Jahren
der Hit in der polizeilichen Diskussion. Eine ernsthafte Auseinandersetzung
mit diesem Problem gibt es aber bis heute nicht. Die" Definition" von Stümper/
Sielaff, auf die sich auch Raith bezieht, lässt so gut wie alles
offen. Dabei gäbe es eine Menge Fragen zu stellen, die auch eine differenzierte
Herangehensweise an mögliche Gegenstrategien eröffnen würden:
Sind denn die Phänomene der OK wirklich so neu und dementsprechend
so dringend, wie sie von offizieller Seite immer dargestellt werden? Ist
die bundesdeutsche OK vergleichbar mit der italienischen oder us-amerikanischen?
(Die BKA-Studie von Rebscher und Vahlenkamp sagt nein.) Was taugt der Begriff
organisierte Kriminalität, insbesondere wenn er so wenig differenziert
und so breiig ist, wie bei Stümper/ Sielaft7. Geht es an, so völlig
unterschiedliche Dinge in einen Topf zu werfen, wie: die übliche Bandenkriminalität,
illegale Märkte (Drogen, Waffen, Autos, Kunstwerke, Sondermüll),
Korruption und Eröffnung von Spielräumen für schmutzige
Geschäfte durch staatliche Politik, Parallelgesellschaften wie sie
unter dem Begriff "organized crime" diskutiert werden, wo die Parallelgesellschaft
die staatlichen Institutionen und die offizielle Gesellschaft dominieren?
Die Debatte um OK hat auch nach zehn Jahren noch den Charakter einer
Sicherheitskampagne, bei der es darum geht, durch den Verweis auf angebliche
und reale Gefahren geplante oder bereits betriebene Methoden zu legitimieren.
So wie der Terrorismus der 70er Jahre die Etablierung der Informationstechnik
in der Polizei legitimierte, so rechtfertigt die Debatte um OK und Drogenhandel
seit Anfang der 80er Jahre neben dem weiteren Ausbau der Datenverarbeitung
den verstärkten Einsatz und die Verrechtlichung verdeckter Methoden.
Die Folgerungen stehen schon längst fest. Wer diskutieren will, mache
sich zum Gehilfen der kriminellen Bosse, bewusst - oder wie Raith
sagt - unbewusst.
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Neue Gesetze scheinen nicht mehr zu verhindern, Raith sagt, sie seien unvermeidlich.
Wenn von Gesetzen die Rede ist, so meint auch er offenbar in erster Linie
neue polizeiliche Befugnisse. Wie sie genau aussehen sollen, sagt er aber
nicht. Während in vielen neueren Polizeigesetzen Benachrichtigungen
z.T. nach Abschluss der Massnahmen vorgeschlagen werden, bietet
Raith eine Frist von fünf Jahren an. Sonst hat er für die demokratische
Kontrolle, die sich angeblich selbst versteht, keine Vorschläge. Und
das ist auch kein Zufall, denn die rechtlichen Grenzen polizeilichen Handelns
werden bei seiner Vorverlegung - vor Verdacht und Gefahr - zur Makulatur.
Wo die Polizei Verdacht schöpfen soll (so Stümper u.a.), verliert
Verhältnismässigkeit ihre Bezugsgrösse. Die Relation
Härte und Art des Verdachts - Schwere des Eingriffs kann nicht mehr
existieren.
Selbst der Versuch, verdeckte Massnahmen nur bei OK und Terrorismus
zuzulassen, der in den meisten Gesetzen nicht gemacht wird, muss scheitern.
Je weitergesteckt die OK, desto mehr Personen geraten in den Bereich polizeilicher
Massnahmen. Die Grenze zwischen OK und "normaler" Kriminalität
kann nicht gezogen werden, wenn auch im Bereich des Wohnungseinbruchs und
des Taschendiebstahls von OK die Rede ist.
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Der Polizei werden Aufgaben zugemutet, die sie nicht erfüllen kann.
Sie hat keinen Einfluss auf die Entstehungsbedingungen der OK. Ihre
Erfolge gegen den internationalen illegalen Handel mit Drogen, Giftmüll
oder Waffen können angesichts der wachsenden Nachfrage allenfalls
marginal sein. Sie kann keine internationalen Finanzströme im Griff
halten, deren wesentliche Merkmale nicht nur Diskretion, sondern vor allem
die Schnelligkeit der Telekommunikation sind. Die Hoffnung, verdeckte Ermittler
in zentralen Positionen unterbringen zu können, ist reichlich illusionär
und widerspricht ausserdem der vom BKA geäusserten Ansicht,
dass es zentralistisch-autoritäre Strukturen in der bundesdeutschen
OK nur am Rande gibt. Die Polizei vermag allenfalls Einzelfälle aufzuklären,
an den Strukturen ändert sie dadurch nichts.
Ergebnis: Erfolge gegen Randfiguren oder unbedeutende Angelegenheiten
werden als grosse Schläge gegen die OK verkauft. Rockerclubs
wie der MC Gremium werden von der Polizei als Kriminelle Vereinigung präsentiert,
die Anklage bricht vor Gericht zusammen (Spiegel, 9.4.90, S.56 ff). Labile
Persönlichkeiten werden zu (Schein-)Käufen harter Drogen überredet,
Geschäfte, auf die sie allein nicht gekommen wären.
Fälle dieser Art finden sich zu Hauf, Raith diskutiert sie nicht.
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Politische und wirtschaftliche Lösungen sind gefragt, die von Bereich
zu Bereich verschieden aussehen können: von der Legalisierung von
Drogen über eine Einschränkung und verstärkte Kontrolle
der Waffenproduktion bis hin zu einer besser kontrollierbaren Vergabe von
öffentlichen Subventionen.
Strafverfolgungsbehörden können und sollen weiterhin ermitteln.
Sie werden das um so besser tun können,
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wenn ihre Ermittlungen nicht wie im Parteispendenskandal oder wie im Falle
des Berliner Sumpfes (aus CDU-Senat, Teilen der Baubranche und Bordellbesitzern)
politisch gebremst oder gar zunichte gemacht werden,
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wenn sie nicht selbst Zeugen verschwinden lassen, wie dies nach Razzien
in Bordellen häufig geschieht, nach denen die ausländischen Prostituierten
sofort abgeschoben werden - die einzigen, die über die Praktiken des
Menschenhandels aussagen könnten,
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je mehr die Bevölkerung - ob Opfer, Zeugen, oder Aussteiger - Vertrauen
in sie setzen können, je offener und damit berechenbarer sie handeln.
Organisierte Kriminalität ist auch für Linke ein Problem. Eine
nicht kontrollierbare Polizei ist ein zusätzliches.
Heiner Busch, Politologe, Redaktionsmitglied bei CILIP- Bürgerrechte & Polizei
Veröffentlichungen:
- Mitautor von Die Polizei in der Bundesrepublik. Frankfurt 1985;
- Aufsätze in "CILIP", "Kritische Justiz" und "Vorgänge"
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