Nabil Hassan Suleiman wurde am 29. September 1973 geboren; er lebt im Flüchtlingslager Shati im Gazastreifen. Nabil wurde am 27. Dezember 1987 im Alter von 14 Jahren verhaftet und erst am 5. Mai 1988 wieder freigelassen.
"Um Mitternacht hämmerte es an der Türe. Ungefähr 50 Soldaten stürmten ins Haus. Als sie mich aufweckten, glaubte ich zu träumen. Es war Winter; sie sagten mir, ich sollte einen Sweater anziehen und Sandalen. Dann führten sie mich hinaus. Sie banden meine Hände mit Plastikschnüren zusammen und verbanden mir die Augen. Vier von ihnen schlugen auf mich ein, zuerst auf meinen Kopf, dann auf andere Körperteile, sowohl vor dem Haus als auch im Jeep, wo ich zusammen mit anderen Shebab (Jugendlichen), die alle älter waren als ich, gezwungen wurde, mich auf den Boden zu legen.
Eine halbe Stunde später waren wir im Gefängnis Ansar 2. Sie warfen mich aus dem Jeep. Ich musste mich ausziehen. Ein Pfleger kam mit einen Stethoskop. Er berührte damit kurz meinen Oberkörper. Anschliessend musste ich anderthalb Stunden, mit verbunden Augen und nur mit der Unterhose bekleidet, in Regen und Wind stehen. Danach wurde ich in Gefängniskleidung gesteckt; meine Hände wurden wieder fest zusammengebunden. Mit den anderen wurde ich in das Verhörzentrum geführt. Zuerst wurde jeder von uns nur danach gefragt, was er getan habe. Aber schon bald drohte man, Hunde und Schlangen zu holen oder uns totzuschlagen. Ich wiederholte immer wieder, dass ich nichts getan hätte."
Ich wurde in einen anderen Verhörraum gebracht, wo mir ein Mann immer wieder vorwarf, Steine geworfen, Reifen angezündet und Molotowcocktails geworfen zu haben. Ich versuchte ihn davon zu überzeugen, dass ich nichts getan hätte; aber jedes Mal, wenn ich alles abstritt, boxte er mir ein oder zweimal ins Gesicht. Bis 16.00 Uhr wurde ich in dem Verhörzentrum festgehalten. Soldaten brachten mich in einen anderen Raum, wo sie solange auf mich einschlugen, bis ich zu Boden fiel. Dann klemmten sie meine Beine in der Metalltüre ein, packten mich und schlugen mich gegen die Tür. Sie schlugen auf meine Geschlechtsteile und stiessen meinen Kopf gegen die Wand.
Während der nächsten drei Tage wurde ich gezwungen, mal innerhalb, mal ausserhalb des Gebäudes zu stehen, immer gefesselt und mit verbundenen Augen. Ich bekam nichts zu essen und nichts zu trinken; ich durfte nicht auf die Toilette gehen; innerhalb des Gebäudes durfte ich in einer Ecke des Raumes, in dem ich stand, pinkeln. Nach diesen drei Tagen sollte ich ein Geständnis unterschreiben, wobei sie mir versprachen, danach meinen Vater zu rufen, damit er mich nach Hause holen könne. Ich war so verzweifelt ohne Essen und Trinken, dass ich das in Hebräisch verfasste Papier unterschrieb, nachdem sie mir gesagt hatten, was darin stand. Ich gestand praktisch alle Vergehen, derer ich beschuldigt worden war.
Mein Vater kam nicht. Stattdessen brachten sie mich in eine Zelle in Ansar 2, in der sich bereits 30 Personen unterschiedlichen Alters befanden. Es war sehr kalt, und ich bekam nur vier Decken. Während fünf Minuten am Tag durften wir in den Waschraum; wenn die Wachen dort jemanden sprechen hörten, musste er im Freien stehen. Ich war immer hungrig, weil es nicht genug zu essen gab. Eine ganze Woche lang gab man uns nur Makkaroni. Meine Mutter ist eine sehr gute Köchin, so dass die Lage für mich sehr schwer zu ertragen war.
Nach 16 Tagen brachte man mich vor Gericht. Der Richter beschuldigte mich, in der Intifada aktiv gewesen zu sein zehn Anklagen las er vor. Ich sagte, dass ich zu Hause verhaftet worden sei und dass ich nichts getan hätte. Mein Vater war da, und er sagte auch, dass ich unschuldig sei. Der Richter sagte zu meinem Vater, er solle mit mir hinausgehen und auf mich einreden, endlich alles zu gestehen. Mein Vater lehnte das ab; der Richter vertagte daraufhin die ganze Sache. Ich wurde nach Ansar 2 zurückgebracht.
Beim zweiten Gerichtstermin war der Richter ein Oberst im Alter von etwa 50 Jahren. Er war sehr streng. Es gab noch zwei Vertreter der Staatsanwaltschaft, und die Geheimpolizei wurde herbeigerufen, um Beweise gegen mich vorzulegen. Sie sagten, dass ich nicht gefoltert worden sei. Als ich erneut wiederholte, dass ich nichts getan hätte, verlor der Richter die Geduld, schmiss seine Brille auf den Tisch und sagte, dass ich es doch getan hätte. Er konnte mich nicht gut sehen, da ich relativ klein bin. Also befahl er mir näherzutreten. Er stellte mir Fragen und bedrohte mich; er sagte mir, ich solle ihm nur ins Ohr flüstern, dass ich es doch getan hätte. Wenn nicht, würde er mich für lange Zeit mit israelischen Kriminellen in eine Zelle sperren. Ich glaubte ihm nicht und sagte, dass ich gefoltert worden bin, und zeigte ihm die Male auf meinen Beinen. Der Staatsanwalt sagte zum Richter, dass ich ein guter Schauspieler sei. Sie zeigten mir mein Geständnis, und ich erklärte, dass ich es unterschrieben hätte, weil ich so hungrig gewesen sei. Wieder wurde kein Urteil gefällt. Ich kam wieder zurück nach Ansar 2.
Hamdi, Alhi-Krankenhaus, Gaza
Von Schüssen getroffen und
mit Stöcken geschlagen.
16 Tage später wurde ich in einem Bus ins Gefängnis von Atlit gebracht, gefesselt und mit verbundenen Augen. Während der gesamten vier Stunden Fahrt, während der wir uns in die Stühle drückten, wurden wir geschlagen. Einer der anderen Jungen wurde so hart geschlagen, dass ein Auge austrat. Als wir in Atlit ankamen, wurden wir in zerrissene Zelte gebracht, so dass der Regen unter unseren Betten hindurchfloss. Eines Tages besuchte uns ein Knessedabgeordneter und ich klagte über den Zustand unserer Zelte. Ich wurde daraufhin in eine Zelle im Innern gebracht. Das war toll. Es war so sauber dort, und es gab eine richtige Toilette. Das Essen war phantastisch. Ich war dort mit 15 Kindern von der Westbank und aus Gaza. Wir hatten viel Spass miteinander. Meine Eltern durften mich zwei Mal besuchen. Es war das erste Mal, dass ich meine Mutter sehen konnte, seitdem man mich zu Hause abgeholt hatte.
Einen Monat später sagte man mir, dass ich erneut vor Gericht gestellt würde. So kam ich nach Ansar 2 zurück. Im Bus las der Offizier die Anklagepunkte gegen mich, und sofort schlugen er und die Soldaten auf mich ein. Als ich in Ansar 2 ankam, wartete man bereits auf mich, und erneut hagelte es Schläge. Ich wurde so sehr geschlagen, dass mein Trommelfell platzte. Das tut heute noch weh. Sie traten mich mit ihren Stiefeln in den Rücken, dann brachten sie mich ins Freie und schlugen mich mit ihren Stöcken auf die Beine. Schliesslich kam ich in eine Zelle mit 60 Leuten; drei teilten sich eine Matratze. Die Toiletten waren draussen; jeden Tag durften alle 60 die Toilette nur während 15 Minuten benutzen. Es gab vier Toiletten. Dies bedeutete, dass vier Leute innerhalb von einer Minute die Toilette besuchen mussten. Ich stellte immer sicher, dass ich der erste war.
Im Brot waren Mäuse, weshalb wir in den Hungerstreik traten und schrien. Zur Strafe mussten wir vier Stunden draussen stehen und durften zwei Tage lang den Waschraum nicht benutzen. Es war furchtbar, wieder in Ansar 2 zu sein, insbesondere nachdem ich mich so sehr an die ausgezeichneten Bedingungen in Atlit gewöhnt habe. Immer wieder wurde mir gesagt, dass ich bald freigelassen werden würde. Sie brachten mich sogar bis zum Tor, nur um mich dann wieder zurückzuführen. Drei Monate wurde ich in Ansar 2 festgehalten. Es gab kein Gerichtsverfahren; meine Eltern durften mich nicht besuchen. Jeden Freitag zur Besuchszeit wurde mir mitgeteilt, dass niemand gekommen sei, um mich zu besuchen. Nach meiner Freilassung erzählte meine Mutter mir, dass sie jeden Freitag nach Ansar 2 gekommen sei. Sie hatte den Soldaten gesagt, dass ich noch so jung sei, aber sie haben sie nicht hereingelassen.
Am 24. März 1988 wurde ich nach Ansar 3 in die Negev-Wüste gebracht. Ich hatte die Nummer 2 es war ganz zu Anfang dieses Lagers. Sie gaben uns Zelte, die wir selbst aufstellten mussten, sowie eine kleine Ration Brot und Käse. Es war furchtbar kalt und windig; wir konnten kaum unsere Augen öffnen wegen des Sandes in der Luft. Jeden Tag kamen fünf Busse mit neuen Gefangenen, so dass wir den ganzen Tag damit beschäftigt waren, Zelte für sie aufzubauen und zu kochen. Wenn wir nicht arbeiteten, wurden wir geschlagen. Nach zehn Tagen wurde ich in einen Bus gesetzt und nach Ansar 2 zurückgebracht. Sie sagten mir, dass ich nach Hause gehen könnte, aber das stimmte nicht. Im Bus nach Gaza war ich ganz allein mit fünf oder sechs Soldaten; sie steckten mir etwas unter die Augenlider, so dass ich meine Augen nicht öffnen konnte.
Am 5. Mai kam ich zum dritten Mal vor Gericht. Es gab dort einen Mann, der denselben Namen hatte wie ich. Als sie den Mann aufriefen, standen wir beide auf. Der andere Mann wurde beschuldigt, eine Kiste mit Molotowcocktails versteckt zu haben. Jetzt fiel ihnen auf, dass die ganze Sache eine Verwechslung war. Es wurde entschieden, dass ich gegen eine Kaution von 800 Schekel (etwa 800 DM) freikäme, bis ein anderes Gericht endgültig entschieden habe. Am Nachmittag brachte mein Vater die Summe, aber ich wurde wieder nach Ansar zurückgebracht und erst am späten Abend freigelassen. Mein Vater hatte die ganze Zeit auf mich gewartet.
Einen Monat später trat das Gericht zusammen, zum vierten Mal meinetwegen. Aber es gab keine Zeugen. Also beschlossen sie, die ganze Sache fallen zu lassen. Kurz nach meiner Entlassung musste ich die Prüfung in der Schule absolvieren. Ich bestand."
(aus: Palästina, Nr. 4, 1. Okt. 1989)