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Handbuch der angewandten Psychologie,
Landsberg 1981
Hansjörg Trum
Polizeipsychologie im Rahmen eines institutionalisierten Psychologischen
Dienstes
Rückblick
und gegenwärtiger Stand
Die Psychologie in der Polizei hat inzwischen eine fast 60jährige
Geschichte. Bereits im Jahre 1923 wurden Erkenntnisse der damals noch sehr
jungen Wissenschaft in der Aus- und Fortbildung von Polizeibeamten vermittelt.
Der erste Leitfaden mit dem Titel "Psychologie für Polizeibeamte"
erschien dann drei Jahre später. Mit Ministererlass vom 29. 10.
1928 begannen pädagogisch- psychologische Kurse für Polizeihauptleute.
Nach einer 12jährigen Stagnation während des Dritten Reiches
erhielten Psychologen und Pädagogen erst, 1949 wieder die Gelegenheit,
den Beamten psychologisches Wissen zu vermitteln (vgl. Salewski 1975).
Das Zentrum der deutschen Polizeipsychologie wurde in dieser Zeit die westfälische
Stadt Hiltrup; an der dortigen Polizeiführungsakademie wirkte insbesondere
Fritz Stiebitz als Katalysator in der Bewusstmachung polizeipsychologischer
Problembereiche. Er darf aus der heutigen Sicht als Nestor der deutschen
Polizeipsychologen bezeichnet werden.
Den eigentlichen Durchbruch sowie die Eröffnung völlig neuer
Tätigkeitsfelder hat die Psychologie in der Polizei einem Juristen
zu verdanken. Der Münchner Polizeipräsident Dr. Manfred Schreiber
zog 1964 aus den Schwabinger Krawallen die Konsequenz und errichtete den
ersten Psychologischen Dienst innerhalb der deutschen Polizei. Diesem Schritt
liegt sicher die Erkenntnis zugrunde, dass sich jede polizeiliche
Tätigkeit gegenüber Menschen vollzieht; die Einbeziehung psychologischer
Denk- und Handlungsweisen in polizeiliches Planen und Handeln sowie die
ständige Verfügbarkeit von Experten für solche Fragestellungen
liessen die Schaffung einer eigenen Dienststelle gerechtfertigt erscheinen.
Mit diesem Schritt öffnete sich für die Psychologie die Chance,
in einem bis dahin absolut den Polizeileuten vorbehaltenen Gebiet, nämlich
dem Einsatzgeschehen, mitwirken zu können. Der Dienst wurde seiner
Aufgabenstellung entsprechend so konzipiert, dass in ihm Wissenschaftler
und Praktiker gemeinsam arbeiten sollten.
Obwohl die Dienststelle ihre Aufgaben in der Folgezeit sehr erfolgreich
löste, wurde dieses Modell einer polizeiinternen psychologischen Einrichtung
von anderen Bundesländern nur vereinzelt und - mit grossen Abstrichen
übernommen (z. B. Hamburg, Hessen und Bremen). Im Gegensatz dazu hat
das Land Bayern als Träger der Polizeihoheit die zum Polizeipräsidium
München gehörende Dienststelle im Jahr 1975 übernommen und
seither, stetig ausgebaut. An der Unterstützung, insbesondere an der
Gewährleistung wissenschaftlicher Freiheiten durch die verantwortlichen
Instanzen, ist unschwer die Akzeptanz des "Eindringlings" Psychologie
zu erkennen. Dass. Psychologie und Polizei trotzdem oft genug aneinandergeraten,
liegt vor allem in unterschiedlichen Zielrichtungen, noch mehr jedoch in
der Angst einzelner Führungspersonen, Psychologen würden sich
in fremde Kompetenzbereiche und in Dinge einmischen, von denen nur Vollzugsbeamte
etwas verstanden. Sigmund Freud soll C. G. Jung einmal darauf hingewiesen
haben, dass er schliesslich der Meister 'sei, worauf ihm jung
wiederum geantwortet haben soll, dass ein Zwerg, der sich auf den
Kopf des Riesen setze, manchmal weiter sähe als dieser.
Aufgaben
und Organisation des Polizeipsychologischen Dienstes
Der Zielsetzung des Handbuches folgend, soll im weiteren nur exemplarisch
aus dem psychologischen Tätigkeitsfeld in der Polizei berichtet werden.
Die Tatsache, dass es trotz intensiver Bemühungen erst nach langer
Zeit gelang, einen qualifizierten Studienabgänger für die Besetzung
eines freien Dienstpostens zu gewinnen, zeigte nicht zuletzt die Unwissenheit
der frisch diplomierten Psychologen hinsichtlich ihrer Möglichkeiten in der Berufspraxis. Aus diesem Grund soll zumindest ein Überblick über das Spektrum der Aufgaben erfolgen:
Der polizeipsychologische Dienst hält einschlägige wissenschaftliche
Erkenntnisse für die Polizei zur Verfügung. Er bereitet darüber
hinaus psychologische Theorien systematisch auf und sorgt für ihre
Verbreitung. Polizeiliches Entscheiden bzw. Tätigsein soll auf diese
Weise durch psychologische Denk- und Handlungsdimensionen angereichert
werden. Liegen zu konkreten polizeilichen Fragestellungen noch keine gesicherten
oder verwertbaren Erkenntnisse vor, hat der Dienst die Aufgabe, im Rahmen
der Ökonomieforderung eigene Untersuchungen zur Klärung des jeweiligen
Problems durchzufahren.
Ebenso bearbeitet der Dienst Fragestellungen aus dem innerbetrieblichen
Bereich und trägt so zur Steigerung von Leistung und Arbeitszufriedenheit
bei. Seine Mitwirkung im Zusammenhang mit Personalauswahlvorhaben erstreckt
sich einerseits auf Neuerstellung und Verbesserung von Tests, andererseits
auf die Teilnahme an entsprechenden Prüfungsgesprächen. Anderen
polizeipsychologisch relevanten Aufgaben (z. B. Öffentlichkeitsarbeit)
widmet sich der Dienst nur im Rahmen freier Kapazitäten.
Eine erst kürzlich durchgeführte Bedarfs- und Aufgabenanalyse
ergab schliesslich nachstehendes Organisationsmodell (Abb.
1). Personelle Vorgegebenheiten waren dabei natürlich nicht unbedeutend.
Das
Rollenverständnis eines Polizeipsychologen
Das Denken und Handeln eines Psychologen in der Polizei muss bestrebt
sein, drei - nicht immer deckungsgleiche - Zielvorstellungen zu realisieren.
Einmal muss er die Institution Polizei grundsätzlich bejahen.
Das gilt auch für das Gewaltmonopol des Staates und die Grundwerte
der freiheitlich- demokratischen Verfassung. Wer es mit sich nicht vereinbaren
kann, die Polizei als eine legitimierte Einrichtung zur Aufrechterhaltung
von Sicherheit und Ordnung zu akzeptieren, der muss dieses berufliche
Feld meiden. Zweitens muss er die Polizei als Vollzugsorgan von gesetzlichen
Vorschriften anerkennen. Viele, auch Psychologen, kritisieren gegenwärtig
die Polizei wegen ihres Verhaltens im Zusammenhang mit Hausbesetzungen.
Sie vergessen dabei, dass sie dem Polizeistaat Tür und Tor öffnen
würden, wenn es der Polizei überlassen bliebe, von Fall zu Fall
und nach eigenem Ordnungsempfinden darüber zu entscheiden, ob sie
etwas tut oder nicht. Ob ein Gesetz überholt oder ungerecht ist, kann
nur auf politischer Ebene geklärt, nie aber durch die Polizei entschieden
werden. Zur Vermeidung von Machtmissbrauch und zur Garantie für
die Rechtssicherheit aller Bürger ist die engstmögliche Bindung
an Recht und Gesetz anzustreben. Zum dritten schliesslich muss
der Polizeipsychologe seiner Wissenschaft treu bleiben. Wie es einem Richter
verboten ist, das Recht zu beugen, so darf sich auch der Psychologe nicht
wider besseres Wissen vor den Karren spannen lassen. Wenn er z. B. aufgrund
seiner Kenntnisse überzeugt ist, dass eine bestimmte Polizeiaktion
Eskalationen erwarten lässt, darf er dies im Beratungsfall nicht
verneinen. Opportunismus hat er geflissentlich zu vermeiden, er könnte
sich im Extremfall lebensbedrohlich für Polizeibeamte und Betroffene
auswirken.
Polizeipsychologie
im polizeilichen Einzeldienst
Unter Einzeldienst versteht man den täglichen Dienst der Polizei;
der Bürger lernt ihn z. B. in einer "Polizeiwache" kennen
oder im Lokal, wenn die Sperrstunde überwacht wird oder bei Verkehrskontrollen
auf der Strasse. Es handelt sich dabei um die übliche Erfüllung
polizeilicher Aufgaben, die eng mit dem Begriff Funkstreife verbunden ist.
Dieser Dienst führt zu einer Fülle höchstproblematischer
Begegnungen mit dem Bürger. Ihr entsprechender Niederschlag findet
sich in Beschwerden und Strafanzeigen gegen Polizeibeamte, aber auch in
Anzeigen gegen Bürger z. B. wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte
oder wegen Beleidigung. Zur Verbesserung des Verhältnisses zwischen
Polizei und Bürger schien es angebracht, diese Konfliktfälle
in einem ersten Schritt wissenschaftlich zu analysieren, um daraus dann
im weiteren die erforderlichen Konsequenzen ableiten zu können.
Die Konfliktanalyse, eine empirisch fundierte
Basis für die Aufdeckung psychischer Prozesse in der Begegnung zwischen
Polizei und Bürger (vgl. Trum et al 1976).
Ausgehend von der Hypothese, wonach es in der konkreten Beziehung zwischen
Polizeibeamten und Bürgern auch zu unnötigen Reibereien kommt,
wurde eine Untersuchung zur Überprüfung dieser Hypothese geplant.
Die verantwortliche Behörde ordnete an, dem Psychologischen Dienst
sämtliche Vorgänge zugänglich zu machen, die einen Polizei-
Bürger- Konflikt zum Gegenstand hatten. Zu ihrer Auswertung wurde
ein Schema entworfen, das, alle objektivierbaren Daten erfasste wie
z. B. Lebens- und Dienstalter des Beamten, Anzahl der beteiligten Beamten,
Örtlichkeit und Zeitpunkt des Ereignisses, Anlass des Einschreitens,
Anwesenheit anderer Personen usw. Darüber hinaus wurde jeder Vorgang
einer Inhaltsanalyse unterzogen; mit ihr wurde versucht, den Hintergründen
des jeweiligen Konflikts auf die Spur zu kommen. Diese Untersuchung erstreckte
sich über zwei Jahre und erfasste ca. 1000 Konfliktfälle.
Ihre Ergebnisse führten in der Folgezeit zu sehr ermutigenden Führungsmassnahmen.
Hier die wichtigsten Erkenntnisse:
- polizeiliches Tätigwerden an sich weckt in den meisten Fällen
die Konfliktbereitschaft des polizeilichen Gegenübers. Bei diesem
Aspekt handelt es sich um eine berufsimmanente Konfliktproblematik; sie
kann losgelöst vom konkreten Verhalten des agierenden Beamten beobachtet
werden und bildet sozusagen die Ausgangslage für die jeweilige Begegnung.
Polizeiarbeit löst Frustrationen und damit Aggressionen beim Betroffenen
aus, manchmal auch Angst; sie erfolgt in Uniform und bewaffnet; häufig
besteht sie im Vollzug von Vorschriften, deren Anwendungsberechtigung in
Zweifel gezogen wird.
- Beschwerden gegen Polizeibeamte richten sich meistens gegen das gezeigte
Verhalten, ganz selten nur gegen die Massnahme selbst. Obwohl der
Ärger über die Duldungspflicht gegenüber einer polizeilichen
Anordnung als Initialzündung nicht verkannt wird, leistet das Polizeiverhalten
in diesen Situationen nicht immer den erwünschten Beitrag zur Konfliktreduktion.
- junge Polizeibeamte sind konfliktanfälliger als lebensältere.
Obwohl junge Beamte den Bürger im allgemeinen höflicher und sachlicher
belehren als manch routinierter Kollege, begegnet man ihnen öfter
mit Drohgebärden, abqualifizierenden Äusserungen und Zweifel
am fachlichen Können. Dass derartige Verunsicherungen von einem
jungen Menschen nicht ohne weiteres au gefangen werden können, liegt
auf der Hand.
- es gibt Beamte, die häufiger in Konflikte verwickelt werden als
andere. Ihre Rechtfertigung entnehmen sie meist der Volksweisheit, nach
der Späne fallen, wo gehobelt wird. Sie wollen damit zum Ausdruck
bringen, dass dies ein Zeichen ihrer Einsatzbereitschaft ist; dass
nur derjenige in Auseinandersetzungen verwickelt wird, der sich vor unangenehmen
Aufgaben nicht drückt. Wie bei den meisten Schlagworten, so ist es
auch hier: Sie sind nicht ganz falsch, aber auch nicht ganz richtig. Über
die Häufigkeit der Konfliktfälle allein jedenfalls gelingt es
nicht, zu abgesicherten Aussagen, über das Ausmass der Konfliktanfälligkeit
eines Beamten zu kommen. Hierzu muss man sich die Mühe machen,
die vorhandenen Fälle einzeln zu analysieren.
- es gibt zahlreiche situative Momente, deren Bedeutung beim Einschreiten
häufig verkannt wird. Sehr relevant ist z. B. der Ort der Amtshandlung.
So neigen Betroffene eindeutig eher zu Auflehnung und Widerspruch bis hin
zum körperlichen Widerstand, wenn sie sich in ihrer eigenen Wohnung
befinden. Das polizeiliche Gegenüber zeigt in diesen Situationen Revierverhalten
und wendet sich aggressiv gegen den "Eindringling". Ebenso problematisch
ist die Polizei- Bürger- Begegnung, wenn sie sich in Anwesenheit unbeteiligter
Dritter oder in Anwesenheit von Angehörigen abspielt. Geht im ersten
Fall die Aggression vom betroffenen Bürger aus, der sein gefährdetes
Image verteidigen will, so wendet sich im zweiten Fall der Angehörige
gegen die Polizei, weil er instinktiv Partei für den Partner, Vater,
Sohn usw. ergreift.
- Polizeibeamte legen ihrem Einschreiten manchmal ein Programm zugrunde,
das im Verlassen ihrer Rolle besteht. Hierdurch können Konflikte geradezu
vorprogrammiert sein. Es liegt in der Natur der Rolle Ordnungshüter,
dass ihre Grenzen zu den Rollen eines Richters, Moraltheologen oder
des Opfers nicht immer konsequent einhaltbar sind; das Bemühen um
Einhaltung der durch die eigene Rolle gesteckten Grenzen allerdings läge
im Interesse des Beamten, wenn er sich unnötige Auseinandersetzungen
ersparen will. Die Frage ist nur, wie kann er es menschlich schaffen, einem
Täter sachlich zu begegnen, der z. B. eine alte Frau brutal zusammengeschlagen
hat, um ihr fünf Mark zu rauben? Liegt es da nicht nahe, dem Mann
mit Vergeltungsgedanken zu begegnen, ihn ob seiner verabscheuungswürdigen
Tat moralisch abzuqualifizieren oder ihn durch unnötige - wenn auch
zulässige - Aktionen zu bestrafen? Eines steht fest: Derartige nachvollziehbare
Gefühle des Beamten dienen nicht der Konfliktvermeidung.
- Polizeibeamte sind Menschen und leisten sich den, Luxus, in ihrem Berufsleben
auch menschliche Schwächen zur Anwendung zu bringen. So wie der Bürger
auf Frustrationen ärgerlich und aggressiv reagiert, so tut es genauso
der Polizeibeamte. Damit befindet man sich in der für Konfliktregelung
so schädlichen Eskalationsproblematik. Aggression erzeugt Gegenaggression;
viele der analysierten Konfliktfälle nahmen ihren Ausgangspunkt im
Verhalten des Bürgers, das vom Beamten als aggressiv wahrgenommen
wurde. Dass dabei die Toleranzschwelle des Ordnungshüters nicht
immer die nötige Souveränität zum Ausdruck brachte, sei
nicht bestritten. Bedauerlicherweise gibt es kaum eine Chance, diesen Aufschaukelungsprozess
der Eskalation abzubrechen, wenn er erst einmal in Gang gekommen ist. Die
Konfliktparteien sind in diesen Momenten zu sehr Gefangene ihrer Gefühle.
Umgekehrt gilt, dass ' der Beamte es dankbar quittiert, wenn man ihm
freundlich begegnet. Dies bestätigt nicht zuletzt die von Hornthal
angestellte Untersuchung zum Thema Ermessen von Polizeibeamten in bezug
auf Ordnungswidrigkeiten im Verkehr (vgl. Horntbal 1976).
Dieser kleine Ausschnitt aus dem durch die Konfliktanalyse gewonnenen
Erkenntnismaterial mag an dieser Stelle genügen. Die Freude hierüber
in den Reihen der Polizei war jedenfalls geteilt. Während es in den
Führungsetagen eine abwartende bis positive Haltung gab, verlor sich
die Basis eher in abfällige Äusserungen über den Psychologischen
Dienst. Dies ist aus zwei Gründen verständlich. Einmal wurde
durch die Untersuchung nur aufgezeigt; es wurden noch nicht die heissersehnten
Patentrezepte mitgeliefert. Zum anderen wurde mit der Bekanntgabe und Diskussion
der Ergebnisse in den eigenen Reihen gleichsam der Finger in eine offene
Wunde gelegt. Man fühlte sich irgendwie zum Alleinverantwortlichen
für Ge- oder Misslingen der Begegnung mit dem Bürger gemacht.
Es tauchten massive Vorwürfe auf, weshalb man nicht endlich auf die
Öffentlichkeit einwirke, um erst einmal die Bürger zum "anständigen"
Verhalten gegenüber Polizeibeamten anzuregen; letztere würden
doch nur ihre Pflicht erfüllen und hätten deshalb Anspruch auf
Wahrung ihrer menschlichen Würde ebenso wie auf Respektierung ihrer
Autorität. Ganz unberechtigt sind diese Einwände sicher nicht.
Leider! Zur Erreichung des eigentlichen Zieles, nämlich Quantität
und Qualität der Konfliktbegegnungen mit dem Bürger zu verändern,
tragen sie nichts bei. Die Beeinflussung der Öffentlichkeit durch
die Polizei in der geforderten Form erscheint einfach nicht machbar. Und
- nicht zuletzt eigenes Verhalten immer von der Kooperationsbereitschaft
der andern abhängig zu machen, ist für Angehörige des öffentlichen
Dienstes keine glückliche Forderung. Einer muss den ersten Schritt
tun - warum nicht die Polizei? Der Einwand übrigens, der von Laien
und Wissenschaftlern hin und wieder vorgebracht wird, dass Polizist
in erster Linie der werde, der eine autoritäre Grundhaltung habe und
sich im Beruf vorwiegend die Befriedung persönlicher Machtbedürfnisse
sichern wolle, ist einer Versachlichung des Themas kaum dienlich. Er konnte
bisher nie bestätigt werden, eher das Gegenteil (vgl. Trum 1974, 1975,
Hornthal 1975).
Die dargestellte Untersuchung blieb nicht ohne Folgen. In einem nächsten
Schritt wurde eine gezielte und systematische Umsetzung der Ergebnisse
in die polizeiliche Praxis angestrebt. Der Polizeipsychologie war eine
neue Aufgabe erwachsen.
Da dies teilweise mit tiefgreifenden organisatorischen, personellen
und pädagogischen Massnahmen verbunden war, hing das Gelingen
des Vorhabens sowohl von der Qualität der vorgelegten Anregungen als
auch von der Flexibilität der Führungsverantwortlichen sowie
von der Kooperationsfälligkeit von Wissenschaftlern und Praktikern
ab. Eine psychologische Dienststelle ist und bleibt eine Stabsdienststelle;
sie kann deshalb nichts anordnen, sondern nur vorschlagen. Es sei vorweggenommen,
bisher wurde schon eine ganze Menge erreicht.
Die Polizeipsychologie als Motor der Professionalisierungsbemühungen
im Anwendungsbereich polizeilicher Aufgabenstellungen
- Jedem Angehörigen eines Berufsstandes tut es gut, wenn ihm der
Status eines Professionellen zuerkannt wird. Psychologen können davon
ein Lied singen. Es war Motivation genug, der. Polizei klar zu machen,
dass es nicht genüge, Ordnungsverstösse qualifizieren
zu können, um dann von den polizeilichen Befugnissen Gebrauch zu machen.
Zum Status des Profi gehöre unbedingt die Fähigkeit, die polizeiliche
Zielrichtung unter Vermeidung jedweder Konflikteskalation anzustreben.
Der Frage nach der Rechtmässigkeit polizeilichen Handelns müsse
sich die nach der Richtigkeit als gleichberechtigt hinzugesellen. Die Fähigkeit
zum Umgang mit eigenen und fremden Aggressionen im Konfliktfall als Unterscheidungsmerkmal
zum Fälligkeitsmuster der meisten Menschen gehört heute zu den
in der Polizei hoffähigen Psychologie- Themen; der Erwerb dieser Fähigkeit
scheint zu einem erstrebenswerten Ziel avanciert zu sein. Wenn man so will,
dürfte damit ein bemerkenswerter Umdenkprozess eingeleitet worden
sein. Was man einst als Schwäche bezeichnet hat, gewinnt zunehmend
die Bedeutung Stärke. Sprachliche Konfliktlösungsmethoden werden
immer seltener als sinnlose Plauderei mit Uni einsichtigen bezeichnet.
Es gilt nicht mehr unbedingt als Zeichen beruflicher Souveränität,
einem erregten und unbeherrschten Bürger mit zulässigen, aber
im Grunde eskalationsfördernden Aktionen zu begegnen. Der Einstieg
in die Amtshandlung wird als Primärerlebnis für den Betroffenen
in seiner Wirkung auf den Gesamtverlauf der Begegnung besser erkannt und
in das eigen Verhalten einbezogen. Entscheidend ist, dass all. diese
Überlegungen (vgl. Trum 1980) Eingang finden sowohl in alle Ebenen
der polizeilichen Hierarchie als auch in alle Phasen der beruflichen Entwicklung
von Polizeibeamten, Obwohl die organisatorischen Voraussetzungen hierzu
gegeben sind, wird niemand so vermessen sein, das Ziel als erreicht bezeichnen
zu wollen.
- besonderes Augenmerk wird seit der o. a. Konfliktanalyse der Polizeiausbildung
gewidmet. Eine Reform des praxisorientierten Faches Polizeidienstkunde
zu erreichen, erschien zunächst fast als unrealisierbare Wunschvorstellung
des Psychologischen Dienstes. Die Offenheit und Aufnahmebereitschaft der
für die Ausbildung Zuständigen überraschte derart, dass
die Psychologie in Schwierigkeiten gerät, ihr Angebot durchzuhalten.
Da die psychologische Ausbildung praxisrelevant werden sollte, verlangte
man vom. Psychologischen Dienst die Ausarbeitung eines Stoffverteilungsplanes
sowie einer Fallsammlung nebst psychologischer Kommentierung der einzelnen
Beispiele. Darüber hinaus sollen die über ganz Bayern verteilten
Polizeilehrer, und Vorgesetzten theoretisch so in die Materie eingewiesen
werden, dass sie in der Lage sind, dieses Fach zu unterrichten. Die
erforderliche Anzahl von Seminaren ist gegenwärtig nicht zu erbringen.
Den diplomierten Psychologen, die jetzt vielleicht aus standespolitischen
Überlegungen klagen, dass man derartige Aufgaben den "angebrüteten"
Psychologielehrern überlässt, könnte, man viele Argumente
entgegenhalten. Unerreichbar jedenfalls wäre es zum gegenwärtigen
Zeitpunkt, hierfür Diplompsychologen einzustellen. Die Anerkennung
dieser Realität war mit ausschlaggebend für den Entschluss
von fünf deutschen Polizeipsychologen, ein Lehrbuch der Psychologie
für die Ausbildung der Polizei zu schreiben (vgl. Füllgrabe et
al. 1979).
der junge Beamte erfährt in weiterer Hinsicht eine neue psychologisch
begründete Förderung. Vor allem die Erkenntnis, dass junge
Beamte besonders konfliktanfällig sind, hat zu einer Institutionalisierung
der Anlernzeit im polizeilichen Einzeldienst geführt. Das Experiment
läuft in Teilbereichen der Polizei unter dem Arbeitstitel Einweisungsbeamte
(vgl. Trum 198 1); eine Erfolgskontrolle ist für die nächsten
Monate geplant. Der junge Beamte, der in den Einzeldienst kommt, hat eine
dreijährige Ausbildungszeit mit Prüfung; für den mittleren
Polizeivollzugsdienst abgeschlossen und ein mindestens halbjähriges
Dasein innerhalb einer geschlossenen (= zu Gruppen und Zügen zusammengefasst)
Einheit verbracht. Um zu vermeiden dass. er am Anfang seiner eigentlichen
Karriere orientierungslos, konfliktanfällig, zufällig ausgewählten
Modellpersonen verhaftet und für seine Zukunft schädlichen Prägewirkungen
ausgesetzt ist, wird ihm während der Anlernzeit (geplant: drei Monate)
ein sog. Einweisungsbeamter beigegeben. Dieser Beamte wird in einem Kurzlehrgang
auf seine Aufgaben durch den Psychologischen Dienst vorbereitet. Einweisungsbeamter
kann werden, wer insbesondere die Bereitschaft erkennen lässt,
körperliche Auseinandersetzungen durch sprachliche Lösungsmöglichkeiten
zu ersetzen; er soll weiterhin die Fähigkeit nachgewiesen haben, Widerspruch
emotional zu verkraften und sachlich verarbeiten zu können. Einwandfreies
Verhalten auch im ausserdienstlichen Bereich sowie Freude an der Übernahme
seines Einweisungsauftrages sind selbstverständliche Voraussetzungen.
Es leuchtet ein, dass hierfür vor allem der erfahrene, selbstsichere
und problemfreie Beamte in Frage kommt. Die Auswahl erfolgt trotz grosser
personeller Schwierigkeiten auch de facto nach strengen Massstäben.
- eine andere, sehr erfreuliche Konsequenz, die gezogen wurde und ebenfalls
auf eine Initiative des Psychologischen Dienstes zurückgeht, ist die
sorgfältige Beobachtung derjenigen, die häufig in Konfliktfälle
verwickelt werden. Sobald sich festgelegte Indikatoren für Konfliktanfälligkeit
mehren, werden intensive Verhaltensanalysen des betreffenden Beamten durch
Psychologen angestellt. je nach Ergebnis wird in gemeinsamen Gesprächen
von Vorgesetzten, zuständigen Abteilungsleitern, Psychologen und Behördenleitung
über geeignete Massnahmen entschieden. Sie reichen von Belehrungen
über Einzelgespräche bis hin zu Versetzungen und Androhungen
mit Disziplinarcharakter. Auch der psychologische Einzelunterricht als
Hilfestellung zum Abbau verfestigter Verhaltensweisen ist keinesfalls ausgeschlossen.
Obwohl in den Reihen der Beamten ganz sicher unbeliebt, dienen derartige
Massnahmen eher fürsorgerechtlichen Überlegungen als behördeneigenen
Interessen. Zur Beruhigung misstrauischer Leser sei gesagt, dass
gerade in diesem Bereich psychologischer Aktivitäten festgestellt
werden konnte, dass Konfliktanfälligkeit äusserst selten
mit Faulheit zusammenhängt, dafür mit falsch erlernten Verhaltensstrategien
und der fehlenden Fähigkeit zu differenziertem Einschreiten. Möge
das, was man vom Polizeibeamten auf der Strasse fordert, wenigstens
von Akademikern immer gebracht werden! Der Mensch wird eben nicht so sehr
von seiner Vernunft bestimmt; der Einfluss von Emotionen in konkreten
Konfliktfällen ist schlechthin dominierend. Was man in diesem Zusammenhang
für sich gerne in Anspruch nimmt, soll man zumindest im nachhinein
auch einem andern (wenigstens teilweise) zubilligen.
Weitere Beispiele für psychologische
Aktivitäten im Zusammenhang mit Problemstellungen des polizeilichen
Einzeldienstes
Aus der bisherigen Erörterung polizeipsychologischer Zielrichtungen
ist z kennen, dass es in erster Linie darum geht, die in der Polizei-
Bürger- Begegnung oft unvermeidbare Bedürfniskollision so weit
zu entschärfen, dass sie nicht in einen Konflikt mit irreparablen
Folgen ausartet. Zielvorstellung des Polizeibeamten muss sein, so
geschickt zu agieren, dass Vernunft und Emotion seines Gegenübers
in einem ausgewogenen Gleichgewicht bleiben. Denk- und Handlungsfähigkeit
sollen so möglichst gewährleistet bleiben. Unter diesem Aspekt
werde von den Dienststellen eine Reihe von Fragestellungen an die Psychologie
herangetragen.
- zu den schwierigsten Aufgaben der Polizei gehört die Überwachung
der Sperrstunden in Gaststätten. Die aus diesen Kontrollfunktionen
erwachsene den Folgen sind besonders in der Faschingszeit und in bestimmten
Vergnügungsvierteln spürbar. Auch in diesem Bereich erbrachte
eine Fallanalyse und Feldbeobachtungen eine ganze Palette von Möglichkeiten
zur Bewältigung des Problems (vgl. Trum & Renner 1979). Die Empfehlungen
berücksichtigen vor allem die Motivationslagen der Beteiligten (Gäste,
Wirt, Polizei), die gruppendynamischen Prozesse im Lokal, die durch Alkoholgenuss
gesenkten Hemmschwellen, das Revierverhalten des Wirtes, Möglichkeiten
"sanfter Gewalt" (z. B. Musik beenden, helles Licht einschalten,
Schaffung einer unangenehmen Aufräum- und Putzatmosphäre) und
die Solidarisierungstendenz zwischen Wirt und Gästen. Sperrstundenkontrollen
sind sehr umstritten. Sie werden häufig durch gestörte Anwohner
veranlasst, so dass die Polizei in Zugzwang gebracht wird. Tut
sie nichts, beschwert sich der Anrufer; tut sie etwas, dann wird ihr wegen
des Vollzugs einer umstrittenen Vorschrift der Vorwurf gemacht, sie habe
nichts anderes zu tun, als einen fröhlichen Aufenthalt im Lokal zu
stören.
- nicht weniger problematisch für die Polizei entwickelt sich die
Tendenz, die Sonne auch in öffentlichen Parks und an Flussufern
innerhalb der Stadt textilfrei zu geniessen. Die Meinungen hierüber
sind sehr geteilt; Personen, deren Haltung zur Freikörperkultur als
reserviert bis ablehnend zu bezeichnen ist, gibt es genug. Was tun, wenn
sie empört verlangen, die Polizei möge Abhilfe sorgen? In dieser
Situation erwies sich die Kooperation zwischen Psychologie und Polizei
schon mehrfach als sehr nützlich. Man kann wohl behaupten, dass
die Polizei in diesen Fällen ein sehr differenziertes und geschicktes
Konzept entwickelt hat, um ohne Verletzung des ihr gesetzlich gegebenen
Auftrages heil aus der Affäre zu kommen. Es könnte sonst sehr
schnell so weit kommen, dass unterschiedliche Moralauffassungen in
der Bevölkerung auf dem Rücken der Ordnungshüter ausgetragen
werden.
- ganz anders liegen die Dinge, wenn über Notruf die Meldung einläuft,
dass gerade eine Person von einer Brücke, von einem Gebäude,
Turm oder Baukran springen wolle. Die Rettung Lebensmüder, die springen
wollen, verunsichern die Beamten aus mehreren Gründen. Sie wissen
nicht, wie weit sie sich heranwagen dürfen, ohne den Sprung zu initiieren.
Sie kennen die Wirkung von Blaulicht und Martinshorn auf den Betroffenen
nicht. Noch weniger sind sie sich über eine geeignete Gesprächsführung
im klaren. Die spektakuläre Art der Selbsttötung lässt
vermuten, dass in dieser Situation Dinge ablaufen, die zu wissen (oder
wenigstens zu ahnen) im Einsatz sehr nützlich wären. Es kann
vorweggenommen werden: Der Psychologische Dienst konnte den Beamten keine
Hilfestellung bieten. Weder in der Literatur noch aus eigenen Erfahrungen
konnten hinreichend gesicherte Empfehlungen abgeleitet werden. Dafür
erfolgte die Zusage, sich der ungeklärten Problematik in einer eigenen
Untersuchung anzunehmen. Die Polizei hat schon lange gelernt, dass
Psychologen nicht auf alle Fragen sofort eine Antwort haben.
Der polizeiliche Einzeldienst ist so abwechslungsreich und mit so vielen
Problemen gespickt, dass im Psychologischen Dienst auch in Zukunft
kein Arbeitsmangel herrschen wird. Die schwierigen Begegnungen mit auffälligen
Jugendgruppen, das Einschreiten gegenüber Betrunkenen, Familienstreitigkeiten,
das Einschreiten gegenüber psychisch und geistig Erkrankten, eine
schier endlose Reihe von Spezialfällen polizeilichen Handels tut sich
noch auf.
Polizeipsychologie
und ihre direkte Einbindung in das polizeiliche Einsatzgeschehen
Der grösste Vorteil für praxisorientierte Polizeipsychologen
ist die Chance, über die rein theoretische Schreibtischarbeit hinaus
im persönlichen Einsatz an der Lösung polizeilicher Aufgaben
mitzuwirken. Eine bessere Möglichkeit, eigene Annahmen und theoretische
Ausarbeitungen zu überprüfen, ist kaum denkbar.
- eine stetige Zunahme in der Inanspruchnahme von Angehörigen des
Psychologischen Dienstes ist in den Fällen zu verzeichnen, die über
gesprächstechnische Beeinflussung Aussicht auf gewaltfreie Lösung
bieten. Es handelt sich durchwegs um polizeiliche Ausnahmesituationen,
bei denen herkömmliches Vorgehen das Risiko für die am Geschehen
Beteiligten erhöhen würde. Da steht eine Frau am Fenster und
hält sich ein Messer an den Hals; sie will sich töten, sobald
jemand das Haus betritt. Vorher schon hatte sie über Telefon ihre
bevorstehende Selbsttötung angekündigt. Ein anderer Fall spielte
sich im 10. Stock eines Hochhauses ab. Weil sie ihren Freund verlassen
wollte, wurde eine junge Frau von diesem körperlich aufs schwerste
misshandelt.'
Während ihr die Flucht gelang, verunstaltete er sich am ganzen Körper
durch tiefe Schnitte mit einer Rasierklinge. Die herbeigeholte Polizei
hinderte er an seiner sofortigen Festnahme, indem er androhte, er werde
sonst eine im Mund befindliche Klinge schlucken; er stand am geöffneten
Fenster und hielt sich demonstrativ die Möglichkeit zum Hinausspringen
offen. Ein, weiterer Einsatz resultierte aus der Drohung eines betrogenen
Ehemannes,, er werde sich und die gemeinsame 10jährige Tochter mit
dem Haus in die Luft sprengen wenn seine Frau nicht sofort zu einem Gespräch
zu ihm ins Haus käme. Wie sich später herausstellte, hatte der
Mann tatsächlich die! Möglichkeit, seine Drohung wahrzumachen.
Sehr kritisch sind die Fälle, in denen sich Personen (man könnte
direkt sagen: Männer) mit Schusswaffen gegen polizeiliche Massnahmen
zur Wehr setzen. Manchmal sichern sie sich; zusätzlich noch durch
eine Geiselnahme ab. Ein typischer Fall dieser Kategorie: Als die Polizei
bei einem Mann, der als "Waffennarr" bekannt war, einer Durchsuchung
vornehmen wollte, verbarrikadierte er sich in seinem Haus, und schoss
mehr oder weniger auf alles, was sich ausserhalb des Gebäudes
in sein Gesichtsfeld wagte. Sollte die Polizei gewaltsam eindringen, wollte
er i seinen Vater erschiessen, der ihn der Polizei gemeldet hatte.
Dramatisch verlief in einem anderen Fall die Rettung eines als Geisel benutzten
Säuglings. Der Vater hatte tagsüber seine Freundin gezwungen,
eine seiner Meinung nach tödliche Dosis Tabletten zu nehmen. Er bedrohte
sie dabei mit einer Pistole. Anschliessend zwang er sie, ihm beim
Kruzifix die Ehe zu versprechen. Dies war die Bedingung. für seine
Bereitschaft, die rechtzeitige Verständigung des Notarztes zuzulassen.
Die Polizei erfuhr über die Ereignisse durch eine Freundin der Frau;
sie war während des Vorfalles zugegen. Nach dem Transport in die Klinik
bekam es der Mann mit der Angst zu tun, weshalb er sich in die Wohnung
einsperrte und ankündigte, er werde das Kind und sich umbringen, falls
die Frau es sich anders überlegen sollte. Er wollte bis zu ihrer Entlassung
aus dem Krankenhaus in der Wohnung verbleiben. Die vorstehenden Fallschilderungen
sollen kein Krimiersatz sein, sondern nur andeuten, weiche Rolle die Psychologie
heute bei polizeilichen Einsatzproblemen übernehmen kann. Eine Veröffentlichung
des konkreten Vorgehens dabei bietet sich nicht an. Selbstverständlich
wird im Anschluss an derartige Einsätze genauestens analysiert,
um die gewonnenen Erkenntnisse zu systematisieren. Der inzwischen angesammelte
Erfahrungsschatz ist so gross, dass die Vollzugskräfte der
Polizei auch dann auf Angehörige der Dienststelle zurückgreifen,
wenn ihre Herbeiholung über Hubschrauber oder andere Verkehrsmittel
bisweilen Stunden in Anspruch nehmen.
psychologisch hochinteressant und lehrreich in ganz anderer Form waren,
bisher die Aktivitäten im Rahmen polizeilicher Grossveranstaltungen.
Voraussetzung hierfür ist die Kenntnis insbesondere der gruppendynamischenund
massenpsychologischen Phänomene. Betrachtet man die jüngste Vergangenheit,
so denkt man wahrscheinlich als erstes an Grossveranstaltungen wie
Demonstrationen gegen Kernenergie, an Hausbesetzungen u. ä., also
an Veranstaltungen, die zunehmend zu heftigen Auseinandersetzungen mit
der Polizei führten. Wenn es in diesem Bereich so schwer gelingt,
Eskalationen zu. vermeiden, dann liegt es primär am Bedürfnis
eines Teils der Demonstranten, die Polizei zum Aktions- und Ereignisträger
zu machen. Man benötigt Krach mit dieser staatlichen Institution,
weil man sie stellvertretend für den gehassten Staat verantwortlich
macht. Noch vor nicht allzu langer Zeit gelang es den Polizeipsychologen,
Gespräche vor und während solcher Ereignisse zu führen,
die Einhaltung wenigstens elementarer Spielregeln zu erreichen und als
vermittelnde Instanz zwischen Polizei und Demonstranten zu wirken. Demonstranten
haben auf diesem Weg so manches erreicht, was ohne diese Vermittlung nicht
zugestanden worden wäre. Heute besteht diese Chance kaum noch; von
seiten der Polizeipsychologen wird das Gespräch zwar noch gesucht,
seine Führung ist aber schon teilweise mit echten Gefahren für
Leib und Leben verbunden. Die Hauptarbeit der Psychologie ist gegenwärtig
nach innen gerichtet. Es fällt nicht leicht, das im Grundgesetz verankerte
Recht auf freie Meinungsäusserung mit Überzeugung zu vertreten,
wenn man den Missbrauch so oft wahrnimmt. Trotzdem dürfte die
dauernde Vorbereitung der vielen zum Einsatz kommenden Beamten ein wichtiger
Beitrag zur Reduktion tatsächlichen Eskalationsgefahren sein. Der
Psychologische Dienst sitzt zwischen zwei Stühlen. Auf der einen Seite
wird er als Spitzeldienststelle bezeichnet, aus den eigenen Reihen ertönt
der Vorwurf, Krawallmacher würden hier auf besonderes Verständnis,
wenn nicht gar Wohlwollen, stossen. Wenn die konkrete Einflussnahme
im Bereich polizeilich relevanter Grossveranstaltungen im Moment auch
problematisch sein mag, so ist sie doch vorhanden; sie geschieht nur weniger
spektakulär. Schon der Anwesenheit von Polizeipsychologen am Einsatzort
kann eine gewisse Bedeutung für die polizeiliche Entscheidungsfindung
nicht abgesprochen werden. Auf alle Fälle haben die vielen Feldbeobachtungen
und Analysen zu einer respektablen Sammlung von Erkenntnissen über
das Verhalten von Menschenmengen erbracht (vgl. Trum / Schuh 1977).
Überlegungen
zu den Grenzen der Psychologie in der Polizei
Ein exemplarischer Einblick in die Aktivitäten von Polizeipsychologen
ist unvollständig, wenn die mit ihrem Tun verbundenen Probleme verschwiegen
werden.
- Den Status eines wissenschaftlich ausgebildeten Fachberaters haben
in der Polizei viele (Physiker, Chemiker, Biologen, Mediziner usw.). Keiner
muss mit so viel Vorschuss an Misstrauen rechnen wie der
Psychologe. Ein Teil der Beamten sucht förmlich, ihm in seinen Aussagen
etwas am Zeug zu flicken. Psychologe ist man ja selbst aufgrund der eigenen
Erfahrungen, man wird es nicht durch ein Studium,
- Polizeiliches Handeln wird zumindest im strafrechtlichen Bereich vorwiegend
durch juristische Überlegungen bestimmt. Das bedeutet die Möglichkeit,
nach relativ einfachen konditionalen Prinzipien vorgehen zu können:
Wenn ein Ordnungsverstoss festgestellt wird, dann liegen mit ihm Aufgabe
und Befugnis zur Aufgabenerfüllung fest. Befugnisse aber haben die
Tendenz zur Verselbständigung in sich. Sie engen den Blick für
die Vielfalt der Möglichkeiten zur Aufgabenerfüllung (das eigentliche
Ziel) ein., Psychologen, die genau an diesem Punkt ansetzen, versuchen
der Polizei eine methodische Bereicherung anzubieten; das Angebot wird
allerdings (vor allem in den mittleren Führungsebenen) als unwillkommene
"Erschwerung" polizeilicher Existenz häufig abgelehnt. So
werden auch heute noch Konflikte - obwohl psychologische Phänomene
- vorwiegend mit juristischen Methoden angegangen.
- Polizeipsychologie wird (vorwiegend) in Beratungssituationen zum Konkurrenten
der anordnungsbefugten Linie der Organisation. So werden Kompetenzkonflikte
herbeigeredet, wo keine sind. Der "Ratsuchende" will nicht unbedingt
beraten, sondern vielmehr bestätigt werden. Widerspricht die Beratung
inhaltlich der eigenen Meinung, wird sie als Einmischung in fremde Kompetenzbereiche
abqualifiziert. Es kommt zu massiven Spannungen, die Zahl der Beratungsfälle
sinkt.
- Die Grenzen der Kooperation zwischen Polizei und Psychologie werden
weitgehend geprägt durch die Einstellung des Behördenleiters
(Polizeipräsident) und der Vorgesetzten des Innenministeriums. Wird
von diesen Stellen aus eine für andere der Hierarchie sichtbare Akzeptanz
signalisiert, dann hat die Psychologie ausgezeichnete Chancen. Liegen die
Verhältnisse anders, dann führt sie eine Mauerblümchen-
und Alibiexistenz. Der Psychologische Dienst in München kann als der
in Einsatzfragen einflussreichste innerhalb der deutschen Polizei
gelten; wer weiss, ob dies noch gilt, wenn seine Schirmherren einst
andere Funktionen wahrnehmen!
Literatur
- Füllgrabe et al.: Polizeipsychologie; Lehrbuch der Psychologie
für die Ausbildung in der Polizei. Stuttgart, 1979.
- Hornthal, Steffen: Die Persönlichkeit von Polizeibeamten;
ein Beitrag zur Persön1ichkeitspsychologie, in: Schriftenreihe der
Polizeiführungsakademie (Erscheinungsort Münster / Westf.) 1975,
H. 5 S. 29-34.
- Hornthal, Steffen: Eine kritische Untersuchung zum Ermessen von
Polizeibeamten, in: Die Polizei: 1976, H. 11, S. 375 - 378.
- Salewski, Wolfgang: Stand der Psychologie 1975, unveröffentlichtes
Manuskript zu einem Vortrag vor der Polizei München im Jahr 1975.
- Trum, Hansjörg: Berufswahlmotive, Persönlichkeitsstruktur
und Interessen der Anwärter der bayrischen Polizei, in: Polizei in
Bayern 1975, S. 93 - 98.
- Trum, Herrmann, Renner: Die wichtigsten Konfliktquellen im Verhältnis
Bürger - Polizei, in: Münchener Polizei (Zeitschrift für
die Angehörigen des Polizeipräsidiums München) 1976, S.
27 - 31.
- Trum, Hansjörg , Schuh, Horst: Menschliches Verhalten in
Katastrophensituationen, in: Polizeinachrichten (Berufskundliche Hefte
der Polizei) 1977, H. 4, S. 109 - 113.
- Trum, Hansjörg , Renner, Walter: Psychologische Überlegungen
zum Thema Sperrstundenkontrollen, in: Münchener Polizei (Zeitschrift
für die Angehörigen des Polizeipräsidiums München)
1979, S. 23 - 27.
- Trum, Hansjörg: Was den professionellen Ordnungshüter
von den meisten Menschen unterscheiden sollte: Die Fähigkeit zum Umgang
mit eigenen und fremden Aggressionen, in: Polizeinachrichten (Berufskundliche
Hefte der Polizei) 1980, H. 5, S. 118 - 122.
- Trum, Hansjörg: Der Beitrag des Einweisungsbeamten zur Konfliktverhütung,
in: Schriftenreihe der Polizeiführungsakademie (Erscheinungsort Münster
/ Westf.) 1981, H. 1, S. 15 - 24.
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