22.08.2002 - Anonym
Ich bin im Vorfeld der Veranstaltung davon ausgegangen, dass die Veranstaltung selbst inhaltlich notwendig scheitern muss. Im Prinzip hat sich nichts anderes erwiesen. Angesichts der Fragestellung blamiert sich jede Theorie und Praxis. Sie kann nicht anders als unangemessen sein. Hinzu kommt, ein mangelndes historisches Bewusstsein und die Tatsache, dass eine wirkliche linke Auseinandersetzung um Antisemitismus, Holocaust und Nationalsozialismus nur sehr marginal, verkürzt und abwehrgeladen stattgefunden hat. Insofern kann behauptet werden, dass die Linke ihr nicht auszuschlagenes Erbe bisher weitgehend auf denkbar schlechte Weise angetreten hat. Ich bin nach wie vor unsicher, ob der gewählte Titel damit nicht selbst unzulässig ist. Es hat zudem in der Versammlung neben der absulut unzulässigen Verkürzung des Titels auf ?57 jahre Holocaust") nur wenig offen formulierte Antworten auf die gestellte Frage gegeben (Antifapolitik, Einmischung in die Entschädigungsdebatte, Einsätze gegen falsche Kapitalismuskritik, Solidarität mit Israel). Hinzukamen Fragen, die ich für die Debatte wichtig finde: Was heisst eigentlich das leere Solidaritätsversprechen, muss nicht vor allem innenpolitisch angesetzt werden, wo beginnt Kapitalismuskritik antisemitisch zu werden, bzw. Anschlussflächen für antisemitische Konstruktionen zu bieten, wie kann eine "positive" Aufhebung der Verhältnisse gedacht werden, wo kann politische Praxis ansetzen, die den Verhältnissen und ihren falschen Interpretationen nicht zynisch, sondern eingreifend entgegensteht, wann wird aussenpolitisches geschehen wichtig und gibt es hier einen besonderen deutschen ausgangspunkt, und einschätzungen, die eine aussenpolitische Position und Praxis erfordern. Der aus meiner Sicht richtige Druck sich auf Argumentationen aus dem antideutschen Spektrum einzulassen (falsche Kapitalismuskritik, wachsender Antisemitismus auch gekoppelt an Nahostdebatte etc. und was bedeutet es, wenn man Israel in seiner Existenz als bedroht ansieht) hat dazu geführt, dass andere wichtige Antworten (Antifa, Entschädigung etc.) in der Debatte nur wenig Raum einnahmen und antideutsche Positionen nicht auf ihre politisch-praktischen Konsequenzen befragt wurden. Gut fand ich den Hinweis auf strukturellen Antisemitismus, den wir reproduzieren und damit auch reflektieren sollten und die Versuche von vielen durch Wechseln auf die Metaebene, den Diskussionsfaden zu halten, ohne dass die Stimmung explosiv wird.
Noch eines ist mir aufgefallen: Die Diskussion konnte im Prinzip nur unter maximalem Ausschluss von Palästinenser-Solipositionen geführt werden. Ich finde das zwar richtig, kann das politisch aber nur damit rechtfertigen, dass ich finde, dass Anschlussflächen zu antisemitischen bzw. massiv-israelkritischen Positionen ausgeschlossen werden müssen und ihre Argumentationen bisweilen eine muntere Eigendynamik entfalten. Mir fehlt zudem das sichere Rüstzeug, um ihnen widersprechen zu können.. Praktisch denke ich, muss es mit Palästinenser-Solileuten eine kritische Debatte geben, bzw. Debatten, die sich mit ihren Positionen (z.T. in deutlicher Zurückweisung) auseinandersetzen. Wir haben uns zu beginn von der Palästinasoliposition in unseren Startpositionen deutlich distanziert. ich frage mich, ob es nicht besser gewesen wäre, die Position gänzlich aus der Darstellung zu lassen und zu sagen warum. Wir wollten eine Debatte, aber die von uns dargestellte Position lag bereits deutlich ausserhalb des Diskutierbaren, auch für uns.
Vielleicht ist es auch für euch wichtig. Der Typ der die Süsswasserseestory formuliert hat, hat mir beim rausgehen noch mal deutlich und ich glaube ehrlich zerknirscht gesagt, dass er doch nur will, dass alle sich gut behandeln. Davon wird zwar sein Statement im Gehalt nicht weniger problematisch, aber es wird deutlich, dass es nicht um eine gewollte Provokation für der Freiräumen eines antisemitischen Korridors ging. Ich finde es richtig, dass wir ihn nicht rausgeschmissen haben, sondern deutlich gemacht haben, dass wir die Aussage für indiskutabel, weil antisemitisch halten und dass sie keine politisch zulässige Antwort auf die Eingangsfrage darstellt. Ich finde, wir haben deutlich gemacht, dass diese Position nicht weiter unsere Debatte bestimmen sollte, ohne dass wir den Sprecher rauswerfen wollten.
Ich finde, dass wir die Veranstaltung sehr schlecht strukturiert haben. Für mich kann ich sagen, dass das dem Chaos in meinem Kopf zu dieser Frage geschuldet ist, was ich selbst noch nicht ordnen konnte und kann. Ich finde es gut, dass wir die Versammlung gemacht haben und das Thema damit wichtig genommen haben, ohne ihm aus Angst auszuweichen. Ich glaube ich würde dennoch in Zukunft eine stärkere inhaltliche Profilierung befürworten und vielleicht doch eher wieder in Ags mit etwas Input ausweichen. Ich fand den Walserworkshop dafür einen guten Ansatz, Wissen zu vermitteln, auf dieser Grundlage dieses nun geteilten Wissens Einschätzungen zu formulieren, Diskussionen zu ermöglichen und auch Handlungsoptionen zu diskutieren. Eine Darstellung linker geschichte in beziug auf diese Eingangsfragen wäre vermutlich ebenfalls ein guter Ansatz gewesen.
So weit für's erste. (anonymisiert)