17.08.2002 - ---
Land in Sicht lautet das Motto des politischen Aktionscamps, das in den nächsten fünf Tagen hier in Hamburg stattfinden wird. Land in Sicht, das war der Ruf der verirrten Seefahrer, die nach Wochen oder Monaten, während denen sie nur ihrem Kompass und ihren oft ungenauen Karten vertrauten, wieder Orientierung an den Küsten des Festlandes fanden. Land in Sicht war aber auch der Ruf der Kolonisatoren, die es nicht beim Betrachten des Landes belassen haben, sondern für die auf das Sehen auch gleich das In-Besitz-Nehmen folgte, das Ausplündern, Versklaven und Rauben.
Land in Sicht steht in den nächsten Tagen für die Suche nach Orientierungspunkte in einer politischen Landschaft, die durch Veränderungen und Umbrüche geprägt ist, deren Konturen sich zwar schon am Horizont abzeichnen, deren Form und Inhalt aber oft noch ungewiss ist. Um die Erkundigung dieses politischen Horizonts wird es in den nächsten Tagen gehen, um Expeditionen in ein Terrain, dessen politische Geografie so manche Überraschung bieten wird, auch wenn uns viele Formationen gut bekannt vorkommen werden.
»Die schönsten Plätze Hamburgs liegen am Wasser«, so wirbt das Tourismusgewerbe für diese Stadt. Die weltberühmten Hotels der Fünf-Sterne-Klasse, die Anwesen des Hamburger Bürgertums, die Botschaften, Ausflugslokale und Bootsstege, alles gruppiert sich hier um die Alster. Eines der größten städtebaulichen Projekte in Europa, die sogenannte Hafencity, soll auch die Wasserfronten der Elbe und ihrer Seitenkanäle zu Orten attraktiven Wohnens für die besser gestellte Klientel stadtplanerischer Phantasien machen.
Wer in Hamburg am Wassern wohnt, das hängt heute wie vor hundert Jahren vor allem von einem Faktor ab: Geld. Am Wasser zeigt Hamburg seinen Reichtum, der es zur wohlhabendsten Metropolenregion Europas gemacht hat. Wer hier wohnt, hat es verstanden aus der Arbeitskraft anderer Profit zu schlagen, wer in Hamburg am Wasser wohnt, hat in der Regel mehr Einfluss auf die Politik in dieser Stadt, als die Menschen, deren Fenster auf Innenhöfe, Mietskasernen und verkehrsreiche Straßen weisen. Wer in Hamburg aus ihrer Wohnung aufs Wasser blicken kann, muss sich mit großer Wahrscheinlichkeit um Rister-Rente, die Vorschläge der Harz-Kommission zur Kürzung des Arbeitslosengeldes oder um den Zwang zur unterbezahlten Arbeit durch den »aktivierenden Sozialstaat« keine Sorgen machen.
Um diese Dinge keine Sorgen machen müssen sich auch die Flüchtlinge, die in Hamburg ebenfalls am Wasser wohnen. Sie müssen sich um diese Dinge keine Sorgen machen, weil ihnen noch nicht einmal das Recht zugestanden wird, ihre Arbeitskraft zu verkaufen, weil ihnen die Hilfe zum Lebensunterhalt schon kaum ein Leben ermöglicht, weil ihnen die Rechte der hier lebenden Menschen vorenthalten werden, da sie kein roter Pass mit ’nem goldenen Adler drauf als Deutsche ausweist, weil sie als Menschen zweiter Klasse gelten, weil eben nicht jede vor dem Gesetz gleich ist. Ihr Blick geht auch nicht auf schmucke Kanäle oder die mit Segelboten bestückte Alster, sondern auf die Frachtschiffe des Hafens, die für so manchen blinden Passagier die Hoffnung auf ein besseres Leben in den Ländern des reichen Nordens versprechen. Und selbst wenn der Blick aus ihren Fenster lieblicher wäre, so würde selbst er nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Kontainer der Wohnschiffe nicht ihre Wahl waren, sondern das Ergebnis einer politischen Strategie, die Flüchtlinge aus dem Stadtbild fern zu halten.
Die vielen Tausend Container, die täglich von riesigen Frachtschiffen im Hamburger Hafens angelandet werden, manifestieren die wirtschaftliche Macht des industrialisierten Norden. In der Hamburger Stadtwerbung ist der Hafen »das Tor zur Welt«, durch das die in den Weltmarktfabriken, den Maquiladoras, den Free Trade Zones des globalen Südens produzierten Waren zu den Konsumentinnen des globalen Nordens transportiert werden. Der Hamburger Hafen ist einer der Knotenpunkte einer globalen Wirtschaft, die schon lange vor dem Aufkommen des Schlagworts der Globalisierung bis in den letzten Winkel der Welt reichte. Schon die Handelsmetropole des 16. Jahrhunderst schöpfte ihren Reichtum aus den ungleichen Handlebsbeziehungen zwischen dem europäischen Zentrum und den Kolonien in Afrika, Asien und später auch Amerika. Was sich mit der Globalisierung ändert ist das Ausmaß der Ausbeutung. Während früher vor allem Rohstoffe und Luxusgüter aus den Ländern des armen Südens importiert wurden, gibt es heute praktisch keine Güter mehr, die nicht in die weltweiten Handelsbeziehungen eingebunden sind. Die T-Shirts, Hosen und Schuhe, die wir günstig in den Warenhäusern, die die Alster säumen, einkaufen können, tragen Labels aus exotischen Ländern wie Indonesien, Macao, Thailand und China. Sie werden dort von ArbeiterInnen hergestellt, deren Tageslohn hier gerade mal für eine Kugel Eis reichen würde und der auch dort nicht zum Überleben reicht.
Geändert hat sich im Zuge der Globalisierung auch, dass zunehmend nicht mehr nur einfache Güter wie T-Shirts, Hosen und Schuhe, sondern auch anspruchsvollere Geräte wie Fernseher, Computer aber auch Autos und ganze Industrieanlagen mit der billigen Arbeit der Armen des Südens produziert werden. Während von der imperialistischen Ausbeutung zumindes indirekt noch alle Bewohner und Bewohnerinnen der reichen, westeuropäischen Länder profitiert haben, sind die anhaltend hohen Arbeitslosenzahlen Ausdruck dessen, dass auch hier inzwischen die negativen Folgen der Globalisierung für viele zu spühren sind.
Diese Veränderungen, die Bedrohung des angesammelten Wohlstandes, hat neue Demagogen auf den Plan gerufen, die aus den wachsenden Unsicherheiten und Ängsten ihren Profit ziehen und die als Lösung der Probleme die einfachen Lösungen der Stammtische propagieren. Quer durch die Gesellschaft suchen Menschen nach Sündenböcken, die für das Elend der Welt verantwortlich gemacht werden können. Und mit den Waren aus aller Welt kamen auch die Menschen und weil sie ohne Rechte sind und keine mächtigen Fürsprecher haben werden allzu oft diese nun für die Probleme der Globalisierung verantwortlich gemacht. Ausländerfeindlichkeit und Rassismus sind die Parolen der Zeit. PolitikerInnen von Grün bis NPD versprechen die aus der weltweiten, kapitalistischen Arbeitsteilung resultierenden Probleme durch Ausgrenzung von »Fremden« zu lösen, Rechtspopulisten wie der Hamburger Ex-Richter Schill behaupten gar, die Probleme der Welt im eigenen Vorgarten, mit geschlossenen Jugendheimen und blauen Polizeiuniformen lösen zu können.
Aber so einfach ist die Welt nicht! Wie kompliziert sie denn ist, welcher Weg aus der Ungerechtigkeit der bestehenden Zustände weisen kann, dass wissen wir auch nicht. In den nächsten fünf Tagen werden wir allerdings versuchen zumindest ein paar richtige Fragen zu stellen und gemeinsam nach Antworten zu suchen. In diesem Sinne laden wir euch alle herzlich ein, eure Zelte auf dem Land-in-Sicht-Camp aufzubauen.