„Ehrenhaft gekämpft“ trotz „damals begrenzter Kenntnis der Vorgänge“
Wenn der Gebirgsjäger vom Krieg erzählt ...
Sowohl die kontinuierliche Organisierung im Kameradenkreis e. V. als auch die alljährlichen Feierlichkeiten auf dem Hohen Brendten geben den alten Gebirgsjägern aus der Wehrmacht die schöne Gelegenheit von ihren „großen Leistungen“ während des Krieges zu erzählen. Sofern sie dabei unter sich selbst sind, kann ganz sicher davon ausgegangen werden, das in den Gesprächen auch Massakererfahrungen eine gewisse komplizenhaft ausgedrückte augenzwinkernde Anerkennung erfahren. Eine ganz andere Situation würde demgegenüber natürlich die Form eines Gespräches zwischen einem Wehrmachtsgebirgsjäger und einem Fremden darstellen. Was wäre wohl zu erwarten, würde man einen alten Wehrmachtsgebirgsjäger nach seinen Erfahrungen während des Zweiten Weltkrieges befragen? Eine ähnliche Fragestellung hat schon ein paar Forschungsprojekte seit Mitte der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts umgetrieben. Sie haben sich mit der Lebens- und Sinnwelt der Kriegsgeneration sowie zur Gegenwärtigkeit des Dritten Reiches in erzählten Lebensgeschichten beschäftigt. Dabei sollte es sich als ein überraschender Befund herausstellen, das bei den Mitläufern und Tätern die Kriegserzählungen gerade nicht dazu dienen, über den Nationalsozialismus, seine Verbrechen und die eigene Verstrickung in dieses Unrechtssystem zu sprechen, sondern sie mit Erzählungen zu verdecken.
Auf der Basis von 80 biographisch-narrativen Interviews kommt Gabriele Rosenthal zu dem Ergebnis, dass es alten Wehrmachtsveteranen mit der erzählerischen Ausarbeitung der zumeist als Zeit des Erleidens erlebten Kriegsjahre – bei gleichzeitiger Unterbelichtung der eher als Zeit aktiver Handlungsplanung erlebten Vorkriegsjahre – gelingt, dem Nationalsozialismus und der eigenen Verstrickung in dieses Unrechtssystem auszuweichen. Statt die kollektive oder eigene Verstrickung zu thematisieren, sind die Wehrmachtssoldaten vielmehr darum bemüht, sich selbst als Opfer des Nationalsozialismus zu stilisieren. Die Analysen Rosenthals zeigen, dass es den Mitläufern und Tätern mit biographischen Strategien recht geschickt gelingt, alle belastenden mit dem Nationalsozialismus verknüpften Erlebnisse aus der Lebenserzählung auszublenden. Wenig überraschend dabei der stets präsente Versuch, sich selbst ins Kollektiv der Opfer einzureihen und das selbsterlittene Leid gegen das Leid der Opfer des Nazi-Regimes aufzurechnen. Darüber hinaus gruppieren sich diese erzählten Lebensgeschichten um ein ganz tiefes dunkles Loch, in der die Thematisierung der zahllosen Wehrmachtskriegsverbrechen gegen die Menschlichkeit wie von Geisterhand verschwindet. Übrig bleibt in diesen Erzählweisen die Darstellung eines „unpolitischen Krieges“, der den Zweiten Weltkrieg als einen „Krieg wie jeder andere“ erscheinen lassen soll.
Ganz in diesem Sinne kann auch eine öffentliche Ansprache des Ex-Nato-Balkan-Kommandeurs Klaus Reinhard noch im Jahre 2000 vor dem Kameradenkreis interpretiert werden: „Damals begrenzte Kenntnis der Vorgänge“ lautet hier die Zauberformel. Klar das Reinhard dabei die Wehrmachtsoldaten als „Vorbilder“ bezeichnete, die „Repekt genauso wie die vielen anderen Soldaten“ verdient hätten, “die aus ihrer damals begrenzten Kenntnis der Vorgänge heraus im guten Glauben ehrenhaft gehandelt und gekämpft haben“ sollen. Widerwärtiges Gesabbel!
So dient also das Sprechen der Wehrmachtsgebirgsjäger über den Krieg nicht nur in einem allgemeinen Sinne dazu, sich fortwährend rehabilitierend zu erinnern. Das öffentliche Sprechen dient sogar weit darüber hinaus dazu, die Praxis des Krieges insbesondere bei denen lebendig zu halten, die iWehrmachtsveteranen zuhören. Nun: Dazu besteht allerdings nach allem was man über die beiden von Deutschland entfesselten Angriffskriege im 20. Jahrhundert leicht in Erfahrung bringen kann, auch nicht der allergeringste Grund.
Gabriele Rosenthal, „Vom Krieg erzählen, von den Verbrechen schweigen“, in Hannes Heer, Klaus Naumann, Vernichtungskrieg / Verbrechen der Wehrmacht, 1995, Hamburg, S. 651-663.
Die im Sinne aktiver Verleugnung gehaltene Ansprache des Gebirgsjägergenerals Reinhards vor dem Kameradenkreis kann in Die Gebirgstruppe Heft 4 / August 2000 , S. 8-17 nachgelesen werden.