"IM Heiner": Gottesdienst für Genossen
Tumulte überschatten Andacht von Pfarrer Heinrich Fink im
Obermarkt
Garmisch-Patenkirchener Tageblatt vom 17.5. 2005
VON CHRISTOF SCHNÜRER Mittenwald - Eis, Pommes, Sandwich - die Besucher haben zum "Internationalen Gottesdienst für Gerechtigkeit und Frieden" ordentlich Hunger mitgebracht. Im Schneidersitz oder mit den Füßen im Obermarkt-Bach baumelnd verspeisen die überwiegend jungen Menschen ihre Fritten mit Ketchup und Majo, während die Geistlichkeit oben auf einer Lkw-Ladefläche einen Psalm vorträgt. Ob die hungrigen Mäuler wohl eine Ahnung haben, dass sie ausgerechnet von jenem Mittenwalder Geschäftsmann tütenweise Essen konsumierten, dessen Großvater sie als Kriegsverbrecher bezeichnen? Bei dem einen oder anderen Einheimischen, der sich Pfingstsonntag zur Mittagszeit durchs Zentrum traut, sorgt das jedenfalls für Schmunzeln. Ansonsten gibt es zwischen 13 und 15 Uhr vor der Pfarrkirche St. Peter und Paul wenig zu lachen.
Der Platz am Matthias-Klotz-Denkmal, Ecke Hochstraße/Obermarkt, füllt sich kurz nach 12 Uhr zusehends mit den sogenannten Brendten-Gegnern. In einem "Mahn- und Reuegottesdienst" wollen sie an die Opfer des Nationalsozialmus`, aber auch an dessen willige Vollstrecker erinnern. Es ist kurz vor 12.30 Uhr. Während eine Aktivistin fleißig die knallroten Liederzettel unters Volk bringt, hastet Mitorganisator Stephan Stracke von der "Angreifbaren Traditionspflege" zwischen einem nahegelegenen Wirtshaus und dem Klotz-Denkmal hin und her. Derweil werden auf dem Lastwagen die Mikrofone montiert. Eigentlich sollte der Gottesdienst vor wenigen Minuten schon begonnen haben. Die beiden Berliner Pastoren Dr. Heinrich Fink und Thomas-Dietrich Lehmann warten auf ihren Einsatz. Plötzlich teilt ein Sprecher der wartenden Menge mit, dass mit einer viertelstündigen Verzögerung zu rechnen sei. "Es befinden sich noch ein paar Mitglieder unserer Gemeinde in polizeilichem Gewahrsam." Genau genommen sind es 90. Sie haben versucht, in Klais die Straße zu blockieren und sind daraufhin von der Polizei für mehrere Stunden festgehalten worden.
Unter den rund 200 Gottesdienst-Besuchern sticht ein älterer Mann mit schwäbischem Akzent hervor. Er blickt durch die Reihen und stellt augenzwinkernd fest: "Wenn so viele Atheisten zum Gottesdienst gehen, dann grenzt das schon an ein Wunder." Was Pfingsten alles macht.
Die Zeremonie beginnt mit 20-minütiger Verspätung. Während die Geistlichen "Komm Herr, segne uns" anstimmen, dröhnt aus dem Nachbarhaus laute Musik. Gegenstände fliegen aus dem Fenster im ersten Stock. Stephan Stracke ist darüber erbost und informiert die Polizei. Die unterbindet unverzüglich die Störaktionen.
Pfarrer Lehmann begrüßt seine Zuhörer mit den Worten "Genossinnen und Genossen". Das verwundert auch den stellvertretenden Dekan Stefan Blumtritt aus Garmisch-Partenkirchen, der den Gottesdienst aus distanzierter Position verfolgt. Keine fünf Meter davon entfernt steht Mittenwalds Ordnungsamtschef Walter Gast. Ihm hält eine junge Frau ein Mikrofon vor die Nase. Was er davon halte, dass Kriegsverbrecher auf dem Hohen Brendten einen Gottesdienst feiern?, fragt sie. Gast drückt ihr einen Spiegelartikel in die Hand. Darin steht zu lesen, dass einer der beiden Pfarrer, Heinrich Fink alias "IM Heiner" als Stasi-Spitzel tätig war. Das Nachrichten-Magazin wirft dem ehemaligen Rektor der Berliner Humboldt-Universität und Vorsitzenden der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) vor, Theologie-Studenten zwischen 1968 und 1989 "pingelig genau" denunziert zu haben. Die Interviewerin will diese Zeilen nicht kommentieren und verschwindet. Nun richtet Pfarrer Fink, der sich laut Spiegel als "christlicher Sozialist" bezeichnet, das Wort an die Gläubigen. "Hier haben wir kein Pfingstwunder erlebt", meint der ehemalige PDS-Bundestagsabgeordnete. Zeitzeuge Maurice Cling, der 60 Jahre nach seinem Gewaltmarsch als Dachauer KZ-Häftling wieder nach Mittenwald gekommen ist, sei von der heimischen Bevölkerung nicht aufgenommen worden.
Demonstrantin schreit: "Bullenschweine"
Plötzlich durchdringt ein Schrei den Obermarkt. Fink hält inne. Es ist 13.45 Uhr. "Bullenschweine" hallt es durch die Gasse zwischen Goethehaus und Pfarrkirche. Polizei und Demonstranten stürmen ans Tor des "Posthalter"-Gartens. "Hört mit der Provokation auf." Diese Aufforderung Pfarrer Lehmanns zielt wohl eher auf die Sicherheitskräfte ab, die soeben einen 22-jährigen Nürnberger festgenommen haben. Er steht in Verdacht, gegen das Versammlungsrecht verstoßen zu haben. Hinter dem Tor des Gartens auf der Rückseite des Goethehauses wird er festgehalten. Die Menge ist außer sich, tumultartige Szenen spielen sich ab. "Ihr miesen Söldner", schreit eine aufgebrachte Demonstrantin. "Eins, zwei, drei, lasst die Leute frei", skandieren wiederum andere. Lehmann und Fink mischen sich unters Volk, beruhigen die "Genossen" und setzen vor dem Tor den Gottesdienst fort. Pfarrer Fink beschließt die Andacht mit den Worten: "Dank an all die, die Widerstand geleistet haben."