Spuk in Mittenwald Rechte
junge welt vom 11.05.2005
»Kameradenkreise« wollen zu Pfingsten erneut »ihrer Toten« gedenken und Kriegsverbrechen verharmlosen. Antifaschistisches Bündnis ruft zu Gegenaktivitäten auf
von Thomas Konicz
Auch in diesem Jahr werden zu Pfingsten sich über tausend Wehrmachtsveteranen, Bundeswehrangehörige und rechte Gesinnungsgenossen zu einer Gedenkveranstaltung der ganz besonderen Art aufmachen: Nach Mittenwald, zum »Ehrenmal« der Gebirgsjäger am Hohen Brendten, wohin der »Kameradenkreis der Gebirgsjäger« seit 48 Jahren einlädt, um dort »seiner« Toten aus zwei Weltkriegen zu gedenken.
Doch die Gebirgsjäger sind seit 2002 nicht mehr ungestört bei ihren braunen Umtrieben, da seit drei Jahren antifaschistische Gruppen über Pfingsten ebenfalls nach Mittenwald mobilisieren - insbesondere die »Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) und der Arbeitskreis (AK) »Angreifbare Traditionspflege«. Während der zahlreichen Gegenaktivitäten zum Tätergedenken, an dem auch Ministerpräsident Edmund Stoiber als Mitglied des »Kameradenkreises der Gebirgstruppe« in früheren Jahren teilnahm, werden vor allem die von den »Edelweißkriegern« begangenen Kriegsverbrechen thematisiert. Schon seit längerem ist bekannt, daß Mitglieder dieses »Traditionsverbandes« u.a. auf der Insel Kephalonia 5000 italienische Kriegsgefangene ermordeten und das Massaker im griechischen Kommeno an 317 Frauen, Kindern und Greisen zu verantworten haben. Bei solchen »Vergeltungsaktionen« haben die Gebirgsjäger Massaker an über 50 Orten in ganz Europa verübt. Laut neusten Recherchen des AK »Angreifbare Traditionspflege« organisierten Polizei-Gebirgsjäger auch die Deportationen der griechischen Juden in Athen und in Nordgriechenland, die Gebrigsjäger eskortierten sogar die Deportationszüge bis nach Auschwitz und Dachau.
Verhöhnung der Opfer
Der AK »Angreifbare Traditionspflege« spricht von einer unerträglichen Verhöhnung der Opfer, wenn der bayerische Ministerpräsident am 1. Mai an der Gedenkveranstaltung zur Befreiung des KZ Dachau teilnimmt und zugleich Mitglied in einem Traditionsverband ist, in dem die Täter organisiert sind. Mit einer Unterschriftenaktion und einem offenen Brief an Stoiber wollen die Antifaschisten den bayerischen Ministerpräsidenten zum Austreten aus dem »Kameradenkreis« bewegen. Darüber hinaus soll jegliche Unterstützung seitens des Landes und der Bundeswehr für den braunen »Traditionsverband« eingestellt werden - bisher legte sowohl die Bundeswehr als auch die bayerische Landesregierung ihre Kränze für die deutschen Gebirgstruppen am »Ehrenmal« ab. Rechter Konsens Das idyllisch gelegene Mittenwald gilt als weltoffenes Tourismusgebiet, doch Kritik an der alljährlich stattfindenden braunen »Traditionspflege« ist nicht gern gesehen. Der Konsens über das Gebirgsjägertreffen wird notfalls erzwungen. Der Wirt der Halle des Mittenwalder Sportvereins, in der 2003 das Hearing mit Überlebenden der Massaker stattfand, ist anschließend von seinen Mitbürgern unter so massiven Druck gesetzt worden, daß er die zentral gelegenen Örtlichkeiten 2004 nicht mehr an die »Angreifbare Traditionspflege« vermieten wollte. Kein Buchladen fand sich bereit, das vom Arbeitskreis herausgegebene Buch »Mörder unterm Edelweiß« in sein Sortiment aufzunehmen. Und während diejenigen, die mit dem mörderischen Gedenken sympathisieren, keinerlei Scheu davor haben, dieses öffentlich kundzutun, wird eine ablehnende Haltung zum Gebirgsjägertreffen nur heimlich und leise geäußert. Die Demonstranten und auch Überlebende der faschistischen Greuel waren immer wieder Anfeindungen ausgesetzt. Immerhin haben die zunehmenden Proteste der letzten Jahre zu verstärkter öffentlicher Wahrnehmung der Umtriebe des »Kameradenkreis der Gebirgsjäger« geführt, so daß der Schulterschluß zwischen der um ihren Ruf besorgten, auf den Tourismus angewiesenen Gemeinde und den Gebirgsjägern zunehmend in die Kritik gerät.
Es sei eines der Hauptziele der Proteste gegen das Traditionstreffen, diesen rechten Konsens in Mittenwald und den Schulterschluß zwischen Gemeinde und Militär zu sprengen, so die VVN. Die Gegner des Gebirgsjägertreffens mobilisieren zum »Wiederentwaffnungscamp«, das zwischen dem 12. und 16. Mai bei Mittenwald stattfinden wird. Das Camp soll sowohl als Raum für substantielle Diskussionen und Gespräche, wie auch für vielfältige praktische Demonstrationsvorbereitungen für den Samstag und Sonntag in der Gemeinde und auf dem Hohen Brendten dienen. Geplant sind in Mittenwald u. a. Zeitzeugenveranstaltungen, in denen Partisanen und Überlebende der Konzentrationslager berichten werden, sowie Infostände und Ausstellungen zu den von den Gebirgsjägern verübten Verbrechen. Samstag werden ab 15 Uhr Sternmärsche beginnen, die sich um 16.30 Uhr vor der katholischen Kirche zur zentralen Abschlußdemonstration vereinen werden.