Der Bundesgerichtshof verhandelt über die Klage wegen eines SS-Massakers im griechischen Distomo

von Christian Rath, Badische Zeitung vom Freitag, 13. Juni 2003

KARLSRUHE. Die Bundesregierung hat erklärt, sie bedauere die "brutalen SS-Massaker" in Griechenland, aber Schadensersatz wolle sie den Hinterbliebenen nicht zahlen. Dies erklärte ihr Rechtsvertreter Achim Krämer gestern vor dem Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe. Geklagt hatten der in Zürich lebende 63-jährige Wissenschaftler Argyris Sfountouris und seine drei Schwestern, die noch im griechischen Dorf Distomo wohnen.

In Distomo hatte die SS am 10. Juni 1944 zwölf Partisanen und bis zu 300 unbeteiligte Dorfbewohner erschossen - darunter Sfountouris Eltern. Anschließend brannte die SS das Bergdorf nieder. Die Kläger waren gestern in Karlsruhe nicht anwesend, aber zahlreiche deutsche Unterstützer.

Dass die Massenerschießung nach der Haager Landkriegsordnung ein Verbrechen darstellte, ist unbestritten. Da sind sich Kläger, Bundesregierung und auch die Vorinstanz, das Oberlandesgericht Köln, einig. Fraglich ist nur, ob die Nachfahren der Opfer persönlich Ansprüche gegen Deutschland einklagen können. In Griechenland scheiterten sie mit diesem Vorhaben, jetzt setzen sie ganz auf den Bundesgerichtshof.

Bislang wird das in Kriegen begangene Unrecht nicht durch millionenfache individuelle Schadensersatzklagen aufgearbeitet, sondern durch Verhandlungen der Staaten über Reparationen. Das hat seinen guten Grund. Denn wenn jeder Kriegsschaden eins zu eins ersetzt werden müsste, wäre dies oft eine schwere Hypothek für einen dauerhaften Frieden. Der Ausschluss von Individualklagen ist deshalb auch keine deutsche Erfindung, sondern gilt weltweit.

Klägeranwalt Joachim Kummer hält diese traditionelle Sicht jedoch für überholt: "Neuere Tendenzen im Völkerrecht wollen die Rolle des Individuums stärken." Dabei stützte sich Kummer allerdings vor allem auf die Aussagen von Rechtswissenschaftlern, während sich die Praxis der Staaten und Gerichte bislang kaum geändert hat. Sein Gegner im Verfahren, Achim Krämer, warnte denn auch: "Wenn solche Individualklagen zulässig werden, dann verklagen bald die Nachkommen der in Dresden Getöteten die britische Regierung wegen ihrer Bombardements im Zweiten Weltkrieg."

Doch Kummer beruft sich nicht nur auf völkerrechtliche Ansprüche, er verweist auch auf die "Amtshaftung" des deutschen Zivilrechts. Unter Amtshaftung versteht man Schadensersatzansprüche gegen den Staat, die durch Fehlverhalten seiner Beschäftigten ausgelöst wurden. Zwar ist nach herrschender Auffassung diese Art der Haftung bei Kriegsschäden ausgeschlossen. Doch Kummer lässt dies im Fall Distomo nicht gelten. Das Massaker sei nämlich keine Kriegshandlung gewesen, sondern eine Polizeiaktion im Rahmen der Verwaltung besetzter Gebiete.

Der BGH, das höchste deutsche Zivilgericht, wird sein Urteil am 26. Juni verkünden. Die Entscheidung wird weit reichende Folgen haben, denn nach Schätzungen sind in Griechenland mehrere tausend Menschen von deutschen Soldaten willkürlich erschossen worden. Auch in Serbien, Italien und vielen anderen von Hitler-Deutschland besetzten Ländern hatte es derartige Massenexekutionen unter der unbeteiligten Zivilbevölkerung gegeben. Falls der BGH der Klage stattgibt, kämen auf Deutschland Milliardenforderungen zu. Genau deshalb rechnet aber auch kaum jemand mit einem Erfolg der griechischen Kläger.

Die Bundesregierung bestätigte gestern, dass sie auch weiterhin nicht mit Griechenland über Entschädigungen verhandeln will. Die Frage von Reparationen habe sich "durch Zeitablauf und eine Veränderung der Gesamtsituation überholt". Die griechische Regierung ist anderer Meinung. Gerade weil man inzwischen bilateral und auf EU-Ebene gut zusammenarbeite, sollten für die "offenen Fragen produktive Lösungen" gefunden werden.