"Wir sind hier bei uns"
von ROLAND ENGLISCH, Nürnberger Zeitung 10.6.03
Staatsanwalt trifft auf Mauer des Schweigens Massaker vom Herbst 1943 in Griechenland bleibt unaufgeklärt
LUTTENSEE - "Warum rühren die da drin rum?", fragt Johann Wech. "Das ist nicht richtig, dass man die ganze Wehrmacht heute als Verbrecher hinstellt. Das waren wir nie." Knapp 80 Jahre ist der Landwirt aus dem Allgäu alt. Schneller als viele der Jüngeren läuft er den Anstieg des Hohen Brendten hinauf, trotz der stechenden Sonne. Seit 46 Jahren macht er das, stets zu Pfingsten und immer zum Traditionstreffen der Gebirgsjäger am Ehrenmal für die gefallenen Soldaten der Weltkriege.
Wech war dabei gewesen im Zweiten Weltkrieg, nicht freiwillig, wie er sagt, und auch nicht in Griechenland, sondern im Süden Russlands. Vier Jahre war er in russischer Gefangenschaft, und nur wenige seiner Kameraden hätten überlebt, sagt er: "Heute bin ich der Letzte aus meiner Einheit. Ich bin für meine Kameraden hier." Die Bindung an die Truppe ist stark bei den Gebirgsjägern.
Selbst einer wie Wech, ein ruhiger Landwirt aus Buchloe, folgt jenen Gesetzen von Tapferkeit, Ehre und Zusammenhalt. Es ist eine Mischung, die nur selten diese Wucht entfaltet. Bei den Gebirgsjägern reicht sie für dichten Nebel vor die Geschichte und das hässliche Gesicht eines hässlichen Krieges.
"Keine Gefangenen"
Herbst 1943, Kephallonia, eine Insel im Westen Griechenlands: Truppen der 1. Gebirgsjägerdivision aus dem oberbayerischen Mittenwald richten ein Blutbad an, massakrieren mindestens 4000, eher aber 5300 italienische Soldaten. Adolf Hitler hat angewiesen, die Truppen dürften "keine italienischen Gefangenen" machen - der Verbündete hat Tage zuvor einen Waffenstillstand mit den Alliierten geschlossen. Die Deutschen metzeln ihre Gegner nieder, als die sich längst ergeben haben.
Der Dortmunder Oberstaatsanwalt Ulrich Maaß wertet dies als "eines der größten Einzelkriegsverbrechen der deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg ", und er will die Verantwortlichen endlich verurteilt sehen, nach 60 Jahren. Doch erst muss Maaß die Veteranen finden, ihre Verhandlungsfähigkeit bestätigen, sie vor Gericht bringen. Vielleicht ein Fünftel der Kephallonia-Teilnehmer lebt noch - der Jüngste, den Maaß kennt, ist 81, der Älteste 93.
Ihm läuft die Zeit davon, und der Oberstaatsanwalt trifft auf eine Mauer des Schweigens. Die Veteranen, so heißt es, sprechen sich ab, nutzten dazu auch das Treffen am Hohen Brendten. Keiner belastet den anderen, viele bestreiten, dass sie dabei gewesen sind. Und auch diesmal wieder finden sich viele, die in Russland gewesen sein wollen. Aber keiner, der Kephallonia auch nur kennt.
Individuelle Schuld?
Winfried Dunkel, seit kurzem pensionierter General und Kommandeur der Gebirgsjäger, ist ein wortgewandter Mann. Unter dem Kreuz des Ehrenmals spricht er von "individueller und institutioneller Schuld". Das Geschehen auf Kephallonia sei "akzeptierte Geschichte", behauptet Dunkel. "Das ist sicher die individuelle Verfehlung" damaliger Soldaten gewesen. "Aber es ist nichts, was in die Rubrik Tradition der 1. Gebirgsjägerdivision ge-hört." Die Diskussion über den Umgang mit der eigenen Geschichte empört die Mittenwalder, als richtete sie sich gegen sie persönlich. "Das Sachliche kommt nicht rüber", ereifert sich der bayeri-sche CSU-Landtagsabgeordnete Johann Neumeier. "Berichtet wird nur über das Negative."
"Arme Irre"
Als Skandal empfinden es er und die anderen, dass "die Medien erst kommen, seit linke Demonstranten Krawall machen", klagt General a. D. Ernst Coqui, Organisator des Traditionstreffens. Wo es doch so eine schöne Veranstaltung sei, die größte ihrer Art mit Fahnenabordnungen und Ehrensalut der Gebirgsschützen, mit einem hohen Beamten der Staatskanzlei als Vertreter des Ministerpräsidenten, mit Feldgottesdienst, Ehrenwache und Bayernhymne.
Doch leider weht der Wind aus dem Tal den Lärm der 150 Demonstranten herauf, und vielleicht hat ja einer von ihnen in der Nacht das Ehrenmal mit dem Spruch "Entschädigung aller Opfer" beschmiert. "Arme Irre" nennt sie Helmut Jeserer. "Bewusst und mit Stolz" trage er sein Ritterkreuz, sagt der 88-jährige Münchner, der als Gebirgsjäger im Weltkrieg gekämpft hat.
Und so gedenken sie auf dem Hohen Brendten vor allem der eigenen Toten und empfinden es wie General a. D. Coqui schon als Zumutung, dass die Pfarrer überhaupt "so ein Allgemeingedenken" daraus machten. "Wenn ich in Griechenland bin", sagt Coqui, "dann gedenke ich deren Opfer. Aber wir sind hier bei uns." "Wir haben", findet Dieter Puzischka, Reserveoffizier der Gebirgsjäger, "in den letzten 60 Jahren der Welt genug unsere Reue gezeigt."