Saalfeld– Der Tragödie 2. Teil
Saalfeld. Der 14. März ’98 ist wieder einer jener Tage gewesen, den politisch aktive Menschen nicht so schnell vergessen sollten. Bereits zum zweiten Mal innerhalb eines halben Jahres sollte eine antifaschistische Demonstration im thüringischen Saalfeld stattfinden, nachdem die angemeldete und von einem breiten gesellschaftlichen Bündnis von Gewerkschaften bis zu autonomen Antifas getragene Demonstration vom 11. Oktober ’97 verboten worden war. Verantwortlich für das bis dahin einmalige Verbot und den Polizeieinsatz gegen eine von Gewerkschaftern angemeldete Demonstration gegen Neofaschismus zeichnete der sozialdemokratische Innenminister Thüringens, Richard Dewes.
Daß auch eine Neuauflage des breiten Bündnisses aus mehr als 150 Gruppen und Einzelpersonen keinen Schutz für die zweite Großdemonstration in Saalfeld darstellen würde, zeichnete sich spätestens ab, als öffentlich wurde, daß das zuständige Landratsamt mit offenkundiger Rückendeckung höherer politischer Stellen die Demonstrationsroute für die Antifa-Demo gemeinsam mit den Veranstaltern einer faschistischen Gegendemonstration „Gegen linken Terror" ausarbeite.
In den bürgerlichen Medien wurde schon im Vorfeld gegen die Demo gehetzt, das Bild von „gewaltbereiten Chaoten" an die Wand gemalt und so systematisch die Kriminalisierung der AntifaschistInnen vorbereitet und die Rechtfertigung des martialischen Polizeieinsatzes betrieben. Schließlich wurde die Demonstration erst unter massiven Auflagen auf einer absurden Route weitab von jeglicher Öffentlichkeit genehmigt.
Die Demonstration unter dem Motto „Antifaschismus läßt sich nicht verbieten! – Gegen jeden rechten Konsens! – Stoppt faschistische und rassistische Übergriffe!" konnte erst nach mehrstündiger Verspätung beginnen. Zuvor wurden anreisende AntifaschistInnen mehrfach an Polizeisperren aufgehalten und schikanös kontrolliert. Das Ergebnis dieser Kontrollen war gleich Null, aber das eigentliche Ziel der Polizei, die zeitliche Regie der Ereignisse in Saalfeld zu übernehmen, konnte sie erreichen. Während Hunderte von DemonstrantInnen in Polizeisperren standen oder von Polizeifahrzeugen im Schneckentempo über Umwege nach Saalfeld in die nächste Kontrolle geleitet wurden, konnten die Faschisten, von einem großem Polizeiaufgebot geschützt, unbehelligt in der Innenstadt demonstrieren. Erst nachdem die rund 150 Nazis ihren Aufmarsch beendet und sich von der Polizei verabschiedet hatten, konnte auch die antifaschistische Demonstration beginnen. Begleitet von einem teilweise dreireihigem Polizeispalier und ständigen Provokationen und Festnahmeversuchen von Sondereinsatzkommandos wie dem bayerischen USK zogen ca. 5000 DemonstrantInnen in Richtung Gorndorf, einen Stadtteil, in dem sich die Faschisten in den letzten Jahren zunehmend die Straße erobert hatten. Am Rande von Gorndorf kam es dann zu faschistischen Provokationen, als ein Haufen Nazis, von Polizeireihen geschützt, Baseballkeulen Richtung Demo schwang und den Hitlergruß zeigte. Wie zu erwarten, ging die Polizei nicht gegen die Faschisten vor, sondern gegen die Leute, die den Nazis unvergeßlich klarmachen wollten, was sie von ihnen halten. Die offenkundige Geistesnähe zwischen Faschisten und einem großen Teil der eingesetzten PolizeibeamtInnen wurde von den DemonstrantInnen mit der Parole „Ob grün, ob braun, Nazis auf die Fresse haun!" kommentiert.
Trotz der ständigen Schikanen und Behinderungen der Demonstration durch die Polizei blieben die TeilnehmerInnen erstaunlich defensiv, die Repression und die für viele traumatischen Erfahrungen von der Demonstration im Oktober ‘97 taten offenbar ihrer Wirkung. Lediglich an einer Polizeisperre in Zeutsch nahe Saalfeld kam es zu heftiger Gegenwehr von Leipziger, Magdeburger und Berliner AntifaschistInnen gegen die Verzögerungstaktik und die andauernden Vorkontrollen der Polizei. Die Polizei forderte Sondereinsatzkommandos in Hubschraubern an, die Schlagstöcke und Tränengas einsetzten, um das Aufbrechen einer Spontandemonstration in Richtung der zu diesem Zeitpunkt aufmarschierenden Faschisten zu verhindern. Mehr als 120 Personen wurden bei den Auseinandersetzungen an der Absperrung festgenommen und bis zum frühen Sonntagmorgen im ehemaligen Gefängnis Unterwellenborn inhaftiert.
Auch wenn diese Gegenwehr im Endeffekt nichts Grundsätzliches mehr ändern konnte und sie für etliche AntifaschistInnen mit Verletzungen und einem Aufenthalt im Knast endete, konnte wenigstens dadurch die für viele spürbare Lähmung und Ohnmacht angesichts eines scheinbar übermächtigen Polizeistaats ansatzweise durchbrochen werden.
Was geschieht, wenn nichts geschieht?
Die Ereignisse im Umfeld der Demonstration in Saalfeld vom 14. März ‘98 stehen in einer Reihe mit den Erfahrungen von Saalfeld ‘97, Freiberg, Dresden und München; kurz mit fast allen größeren antifaschistischen Mobilisierungen in den letzten 6 Monaten. In allen Fällen wurden antifaschistische Demonstrationen dadurch verboten oder massiv behindert, daß Faschisten Gegendemonstrationen angekündigt hatten. Inzwischen genügt schon die bloße Ankündigung einer Nazi-Gegendemo, um antifaschistischen Widerstand zu kriminalisieren. Die Totalitarismustheorie, die Gleichsetzung von linkem Widerstand mit faschistischem Terror in den bürgerlichen Medien tut ihr übriges, um antifaschistische Aktionen zu diskreditieren, Linke zu kriminalisieren und in der Öffentlichkeit zu isolieren. Insofern war das Vorgehen gegen die DemonstrantInnen in Saalfeld auch ein Paradebeispiel für klassische, sozialdemokratische Politik: Widerstand links von der SPD mundtot zu machen. Selbst die Unterstützung vieler bürgerlicher Gruppen und Einzelpersonen bildet dabei keinen Schutz mehr vor ordnungspolizeilicher Willkür. Solange das breite gesellschaftliche Bündnis zur Unterstützung einer Demonstration nur auf dem Papier existiert, solange kann auch gegen die real Teilnehmenden und isolierten AntifaschistInnen vorgegangen werden. Erst wenn sich ein Bündnis manifestiert, bei dem mit der tatsächlichen Teilnahme vieler bürgerlicher AntifaschistInnen gerechnet werden kann, wird eine zurückhaltendere Polizeitaktik gewählt.
So bildete auch die Gegenmobilisierung gegen den NPD-Bundeskongreß in Passau vom Februar die einzige Ausnahme in der aufgeführten Reihe von Demonstrationsverboten und -behinderungen. Hier nahmen tatsächlich sehr viele BürgerInnen an den Gegenaktivitäten teil, die Polizeitaktik einer Trennung in linksradikale (=böse) und bürgerliche (=gute) AntifaschistInnen ging hier nicht auf.
Im Gegensatz zu antifaschistischen Mobilisierungen zu Beginn der 90er hat sich die Situation inzwischen grundlegend gewandelt. Führten Aktionen von Faschisten wie in Hoyerswerda, Rostock, Solingen oder Lübeck anfangs noch zu starker Betroffenheit in größeren Teilen der liberalen Öffentlichkeit, so ist faschistischer Terror heute eine Alltäglichkeit, die nur noch müdes Achselzucken und Hilflosigkeit hervorruft. So fällt der radikalen Linken inzwischen die reine Fixiertheit auf die Nazis zunehmend auf die eigenen Füße. Ein sich linksradikal nennender antifaschistischer Widerstand, der sich hauptsächlich an den Aktivitäten der Faschisten orientiert, ohne eigene Konzepte, Alternativen und Utopien zu propagieren, kann letztendlich nur moralistisch wirken. Und diese Wirkung läßt bei all denen schnell nach, die nicht unmittelbar von faschistischem Terror betroffen sind; und dies ist ein Großteil der weißen, konformen deutschen Bevölkerung. Natürlich ist die direkte, auch militante Aktion gegen die Faschisten weiterhin eine unabdingbare Notwendigkeit, allein schon aus Gründen des antifaschistischen Selbstschutzes, der Solidarität mit den vom faschistischen Terror Betroffenen und zur Demoralisierung der Faschisten. Demonstrationen gegen Nazis sollten sich aber nicht nur an deren Aktivitäten ausrichten, sondern auch eigene Akzente linker Politik setzen.
Der 1. Mai ’98 und die antifaschistische Mobilisierung gegen den faschistischen Aufmarsch in Leipzig könnte dazu eine Gelegenheit darstellen. Lautstark für eine solidarische Gesellschaft, gegen Ausbeutung und Unterdrückung, für die Enteignung der Konzerne und eine Gleichverteilung des gesellschaftlichen Reichtums einzutreten, in Leipzig, Berlin und anderswo, kann letztendlich konsequenter und offensiver sein, als nur auf die Terminsetzung der Faschisten zu reagieren.