Passau – wo Recht noch rechts ist
Am 12. Mai '98 schlug der Staat erneut mit der Repressionskeule § 129 zu: Bundesweit wurden 36 "Objekte" nach dem Vorwurf "Bildung einer kriminellen Vereinigung" durchsucht. Bislang sind 28 Personen beschuldigt, für mehr als 100 Straftaten im Raum Passau verantwortlich zu sein (siehe EinSatz! Nr. 30). Diese Vereinigung soll laut Konstrukt der Staatsschützer seit 1993 innerhalb der "Antifa Passau" existieren. Vermutlich richtet sich die Kriminalisierung gegen die Antifaschistische Aktion Passau, mit Option auf die Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisation (AA/BO) und andere organisierte Strukturen, wie sich aus den Durchsuchungsbegründungen ablesen läßt. Nachdem die §§ 129/129a-Mammutverfahren gegen die Autonome Antifa (M) und die Zeitschrift radikal eingestellt werden mußten, wird mit der Kriminalisierung der Passauer AntifaschistInnen erneut gegen die organisierte radikale Linke losgeschlagen. Daß das Konstrukt einer kriminellen Vereinigung dabei der Entsolidarisierung und Entpolitisierung dienen soll, dürfte keine neue Erkenntnis sein. Umso wichtiger zu wissen, was sich hinter dieser "law and order"-Rhetorik verbirgt.
Passau ist politisch keine unbekannte Stadt, ist der Name doch untrennbar mit faschistischen Großveranstaltungen von DVU und neuerdings auch der NPD verbunden. Schon seit 17 Jahren hält die DVU in Passau ihre Großkundgebungen ab, zu denen jeweils mehrere tausend Alt- und Neonazis kommen. Passau ist dabei kaum zufällig gewählt, denn die Nazis konnten sich im tiefschwarzen Klima der seit 50 Jahren fast ausschließlich CSU-regierten Stadt wohlfühlen. Ab 1983 jedoch gab es kontinuierlichen Widerstand gegen die braunen Saalveranstaltungen in der Nibelungenhalle.Trotz des konservativen Klimas entwickelte sich im Zusammenhang mit dem Widerstand gegen die Nazi-Treffen eine aktive antifaschistische Bewegung. Diese hatte sich zum Ziel gesetzt, nicht nur einmal im Jahr gegen Faschisten auf die Straße zu gehen, sondern vor allem die Wurzeln des Faschismus zu bekämpfen. Durch Bündnis- und Öffentlichkeitsarbeit, durch Agitation an Schulen, entstand eine verhältnismäßig große radikale linke Bewegung in der Stadt, die erfolgreiche Politik praktizierte. Höhepunkte stellen die Mobilisierungen 1992 mit 4000 Menschen gegen die DVU und 1998 gegen den Bundeswahlkongreß der NPD dar, als ca. 3000 Menschen auf die Straße gingen. Der Erfolg zeigt sich aber auch in der Kontinuität, mit der bis heute Widerstand geleistet wird, und darin, daß Passauer Gruppen von Anfang an die Notwendigkeit der Organisierung erkannt haben, um die antifaschistische Bewegung handlungsfähiger machen zu können. Passauer AntifaschistInnen sind sowohl im BAT vertreten, als auch in der AA/BO, in welcher die Antifaschistische Aktion Passau von Anfang an organisiert ist.
Diese Politik muß vor dem Hintergrund der erschwerten Bedingungen in der Provinz gesehen werden: So gibt es in Passau eine kaum wahrnehmbare linksliberale Öffentlichkeit. Die öffentliche Meinung wird wesentlich von der reaktionären Passauer Neuen Presse (PNP) diktiert. So wurde und wird beispielsweise vor Demos immer wieder mittels reißerischer Berichterstattung ein Klima der Angst erzeugt, das potentielle TeilnehmerInnen abschrecken soll. Antifaschistische Inhalte gehen oftmals in der "Chaoten-Hetze" der schwarz-katholischen Berichterstattung unter.
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Gerade die Tatsache aber, daß antifaschistische Politik in der Stadt dennoch zum wichtigen Faktor geworden ist, ist dem Staat ein Dorn im Auge. So wird versucht, antifaschistische Politik mit allen Mitteln zu be- oder zu verhindern. Die Palette reicht dabei von horrenden Auflagen bei Demonstrationen – wie das Verbot von Fronttransparenten, Verbot vom Verteilen von Flugblättern wegen angeblicher Umweltverschmutzung – bis hin zu hohen Verurteilungen wegen Bagatelldelikten. So wurde 1994 eine Antifaschistin wegen Verkleben eines Plakates der AA/BO zum Internationalen Frauenkampftag zu 30 Arbeitsstunden verurteilt. Der Vorwurf lautete auf "Volksverhetzung", was sich auf "Hetze" gegen Polizei und Kirche bezog. Nach mehreren militanten Aktionen Ende '94 und Anfang '95 setzte verschärfte Repression ein: Es kam zu mehreren Hausdurchsuchungen, zudem wurde nach § 129a ("Unterstützung/Werbung für eine terroristische Vereinigung") ermittelt. Seit Anfang '95 ermittelt auch das bayerische Landeskriminalamt (LKA), namentlich der Beamte Sappl, dessen Geistes Kind auch die neuen Ermittlungen nach § 129 sein dürften. Die damaligen Ermittlungen verliefen sich im Sande, da sich die jeweiligen Konstrukte der Staatsschützer als nicht haltbar erwiesen. Vermutlich deshalb wird jetzt mit dem § 129 erneut zugeschlagen. Zudem stellte die bayerische Regierung ihre "Innere-Sicherheits-Offensive" just an dem Tag der Hausdurchsuchungen vor, die wohl im Wahkampf den Anfang machen sollten. Ein Grund für den jetzigen Zeitpunkt mögen auch die Gegenaktionen zum Bundeswahlkongreß der NPD sein, die u.a. von der AA/BO und dem Passauer Aktionsbündnis Zivilcourage (PAZ) organisiert wurden. Zum ersten Mal seit langem gelang es, den Widerstand von bürgerlichen und radikalen antifaschistischen Kräften zu vereinen, die Isolation linker Politik aufzubrechen. Gegen eine der InitiatorInnen der PAZ läuft ebenfalls ein Verfahren nach § 129, da die NPD Anzeige erstattet hatte. Während die Ermittlungen gegen alle anderen Beteiligten eingestellt wurden, wird sie weiterhin beschuldigt, da bei den Durchsuchungen vom 12. Mai angeblich neues "belastendes Material" gefunden worden sei.
Was in jedem Fall deutlich zu Tage tritt, ist der unbedingte Verfolgungswille des Staates gegen organisierte antifaschistische Politik, die sich nicht an den gesellschaftlichen Ran drängen läßt. Gerade jetzt, wo die Faschisten in die Offensive gehen, sind die Bemühungen um eine breit verankerte organisierte antifaschistische Politik der erste und notwendigste Schritt überhaupt. Wenn eine breite Öffentlichkeit das erkennt, wird der Staat mit seinen Konstrukten auch nicht durchkommen.