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Diesner verurteilt - doch die Terrorstruktur besteht weiter
 
 

Am 1. Dezember des letzten Jahres wurde der Berliner Neonazi Kay Diesner nach 15 Verhandlungstagen vor dem Lübecker Landgericht zu einer lebenslangen Haftstrafe wegen Mordes und zweifachen Mordversuchs verurteilt. Zudem wurde die besondere Schwere der Schuld festgestellt, wodurch nach 15 Jahren Haft die Reststrafe nicht zur Bewährung ausgesetzt werden kann und erst nach 17 Jahren ein Haftprüfungstermin möglich wird. 

Rückblick 
Kay Diesner hatte am 19. Februar’97 in Berlin-Marzahn den PDS-Buchhändler Klaus Baltruschat in dessen Büro niedergeschossen und ihn dabei schwer verletzt. Nur vier Tage später erschoß er bei einer Polizeikontrolle auf dem Rastplatz Roseburg im Kreis Herzogtum Lauenburg (Schleswig-Holstein) den Polizeibeamten Stefan Grage und verletzte einen weiteren Beamten schwer. Die ersten zehn Verhand-lungstage gegen Diesner hatten nichts außergewöhnliches zu Tage gefördert. Zudem war das Gericht stets bemüht, den politischen Hintergrund nicht mehr als nötig zu beleuchten. Dies schlug sich auch in der Medienberichterstattung wieder, wo zumeist nur vom „Polizistenmörder“ die Rede war. 

Kameraden mit Gedächnislücken 
Wie erwartet, brachten auch die nach einer 30tägigen Verhandlungspause auf Antrag der Nebenklage vorgeladenen (Ex-)Kameraden Diesners Andreas Tews, Andreas Storr und Ingo Hasselbach kein Licht ins Dunkel der Berliner Naziterrorstruktur. 
Diesners bester Freund Andreas Tews war am 31. Oktober als Zeuge vor Gericht geladen. Der 23jährige Fleischer behauptete, er sei weder Diesners Kamerad gewesen, noch habe er von dessen Waffenarsenal gewußt. Mit der Geschichte des Kriegsverbrechers und Hitlerstellvertreters Rudolf Heß hingegen, gab Tews zu, sei er vertraut. Auch habe er schon einal einen „NS-Denkzettel“ gelesen, der in der Naziszene als Organ des „Weißen Arischen Widerstands“ (WAW) gilt. Zudem habe er Diesners Betreuung durch die „Hilfsgemeinschaft für nationale politische Gefangene“ (HNG) sichergestellt. 
Der am 7. November vor dem Landgericht als Zeuge aussagende Funktionär der NPD-Jugendorganisation „Junge Nationaldemo-kraten“ (JN) gab geschickterweise an, Diesner nicht zu kennen. 
Der Aussteiger aus der Naziszene und ehemalige Top-Funktionär Ingo Hasselbach, der sich zur Zeit in einem Zeugenschutzprogramm befindet, kennt Diesner seit Frühjahr ‘90. Er beschreibt ihn als unscheinbar und zuverlässig. Diesner sei von der „Nationalen Alternative“ (NA) geschult worden und für Aufgaben einsetzbar gewesen. Hasselbachs Kontakt zu ihm sei im November ‘92 beendet gewesen. Weitere Einlassungen machte Hasselbach nicht, da zum Zeitpunkt der Aussage drei Verfahren gegen ihn kurz vor der Anklage standen und er sich möglicherweise selbst belastet hätte. 

Einige Ungereimtheiten 
Zwei Tatsachen, die sich im Prozeßverlauf herausstellten, werfen einige Fragen auf. Zum einen ist das Beweisstück „Sammelband Freimaurer“, das vermutlich eine „Anti-Antifa-Liste“ enthielt, aus den Asservaten verschwunden. Ein Beweisstück also, das die Möglichkeit eröffnet hätte, deutlich zu machen, daß Diesners Tat eindeutig eine politisch motivierte war und es weiterhin Strukturen gibt, durch die zumindest potentiell weitere Menschen gefährdet sind. Zum anderen hatte das Amtsgericht Lübeck am 21. April ‘97 einen Durchsuchungsbeschluß gegen Diesners Kameraden Andreas Tews verfügt, der jedoch -aus welchen Gründen auch immer- von der Berliner Polizei nicht durchgeführt wurde. So werden Nazistrukturen geschützt. 
Auch die Tatsache, warum Diesner auf seiner Landkarte die Orte Kaltenkirchen, Lübeck und den Rastplatz Roseburg gekennzeichnet hatte, ist vom Gericht nie aufgeklärt worden. Es stellt sich also die Frage, ob und warum sich Diesner an diesen Orten aufgehalten hat, mit wem er sich dort getroffen hat oder treffen wollte und in welcher Form die Terrorstruktur der Nazis auch in Schleswig-Holstein existiert. 

Letztes Aufbäumen 
Nachdem der Versuch der Verteidigung, Diesner eine eingeschränkte Schuldfähigkeit, aufgrund der Teilnahme an Schulungen und aufgrund des Hörens von Kassetten mit Liedern faschistischen Inhaltes, atrtestieren zu lassen, vor einem Gutachter gescheitert war, gab es während der Urteilsverkündung ein letztes Aufbäumen Diesners. „Herr Möller (der zuständige Oberstaatsanwalt) ist fehl an seinem Platz, er trifft selbstherrliche Entscheidungen! Ich werde irgendwann eine Strafanzeige stellen, wegen Amtsmißbrauch, Rechtsbeugung und Beleidigung“, pöbelte Diesner. Daraufhin verließ er in Handschellen den Saal, um sich  „dieses Theater nicht länger mit ansehen“ zu müssen. Inzwischen ist klar, daß Kay Diesner in Revision gehen wird. 

Kein Ende in Sicht! 
Unterdessen wurde am 9. Dezember ‘97 Haftbefehl gegen zwei Mitglieder der Berliner „Kameradschaft Treptow“ wegen Vorbereitung einer Sprengstoffexplosion, Verabredung zur Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion und Verstoßes gegen das Waffengesetz erlassen. Sie hatten ein Rohrbombenattentat auf ein Mitglied der „AG Junge GenossInnen Treptow“ (PDS) geplant und zur Vorbereitung bereits zwei Probesprengungen durchgeführt. Doch anstatt gegen die bis an die Zähne bewaffneten und über feste organisatorische Strukturen verfügenden Kameradschaften vorzugehen, leugnet die Bundesanwaltschaft die Existenz der Nazi-Terror-Struktur. Es ist also nur eine Frage der Zeit, wann und wo der nächste Anschlag stattfindet und wer das nächste Opfer ist. 
Den Braunen Sumpf trocken legen! 
SBW

 
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