GegenDruck Nr. 21 - März 1998
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Testergebnisse des zweiten Elchtests:

Arbeitslose und Arbeitende aller Länder - vereinigt Euch!

Am 5.3. fand mit der Veröffentlichung der neuen, offiziell wohlgestalteten Arbeitslosenzahlen ein zweiter bundesweiter Aktionstag statt.
In Berlin fand die diesmalig größte Demonstration mit ca. 2000 Erwerbslosen zum Landesarbeitsamt statt. Aktionen gab es landauf, landab: in Nünberg; Duisburg, Frankfurt, Düsseldorf, Rostock, Potsdam, Ulm und Gotha wurde demonstriert, Kundgebungen abgehalten, Luftballons mit Bewerbungen fliegen gelassen, versucht Arbeitsämter zu besetzen und Gott um Arbeit angebetet.
In Bielefeld begann der Aktionstag frühmorgens um kurz nach fünf mit der Unterstützung der Streikposten der seit Monaten bestreikten Firma Schilder Warweg. Nach einem Frühstück im IGM- Haus zog ein Demonstrationszug vom Kindergarten Weißenburger Str. durch die Innenstadt. Rund 250 DemonstrantInnen forderten auf der Abschlußkundgebung auf dem Jahnplatz Jobs und Geld für alle. In dem Redebeitrag der Neue A-Klasse - Bielefelder Aktionsbündnisses gegen Armut und Erwerbslosigkeit wurde das bisherige Ignorieren ihrer politischen Forderungen kritisiert und zu Solidarität mit den Arbeitslosen und Arbeitenden aufgerufen. Die Forderungen im einzelnen sind:

• ein gesetzlich garantiertes Mindesteinkommen von 1.500 DM plus Warmmiete
• die sofortige Anhebung aller Sozialleistungen um 200 DM
• die Zahlung eines Urlaubsgeldes für Erwerbslose von 300 DM
• keine Zwangsarbeit für SozialhilfebezieherInnen und Erwerbslose
• eine Million öffentlich geförderter Normalarbeitsverhältnisse
• Rücknahmen aller "Arbeitsförderungsgesetze“, die seit dem 1.7. ‘96 in Kraft sind
• Neueinstellungen statt Überstunden
• die 30-Std.-Woche mit Personal- und Lohnausgleich für untere und mittlere Gehaltsgruppen

Die neue A-Klasse?

In Anlehnung an den letzten Satz des 1848 veröffentlichten Manifests der Kommunistischen Partei wurde eine aktuelle kapitalistische Entwicklung aufgegriffen.
Etwa sieben Millionen Menschen in der BRD dürfen im Moment ihre Arbeitskraft nicht verkaufen; damit sie sich - ihrer sozialen Lage bewußt - nicht wehren, wird in der parlamentarischen Politik Optimismus verbreitet, ihre ökonomische Situation verbessern zu wollen.
Die politische Strategie sah bislang vor, den Druck auf die statistisch erfaßten Arbeitslosen zu erhöhen, indem sie nachweisen müssen, einen Arbeitsplatz zu suchen. Auch eine Arbeitspflicht ohne Sozialversicherung, jenseits der Tarifstandards, für Arbeitslose und Sozialhilfeberechtigte wird diskutiert. Sie erinnert mehr an eine moderne Form der Zwangsarbeit oder Zwangsbeschäftigungstherapeutische Maßnahmen, als an eine wirkliche Verbesserung der schlechten ökonomischen Lebenssituation.
Mit dieser Politik wird errreicht, daß ein Klima der Mißgunst, des Sozialneides entsteht zwischen denen, die noch einen Arbeitsplatz haben und wo dies als Druckmittel gegen Verbesserungen der Arbeitssituation und Lohnerhöhungen fungiert, und denen, die keinen haben und den Druck des vorgegaukelten individuellen Versagens und des geringen finanziellen Einkommens zu spüren bekommen. So wird das sich ursprünglich gleichende Interesse der Arbeitslosen und Arbeitenden verschleiert und verdreht. Ein Interesse, daß sich kurz als: leben können, ohne von ständigen Existenzsorgen geplagt zu sein, zusammenfassen läßt.
Wie das aussehen kann, wie das gesellschaftlich umzusetzen ist, ist ein heiß diskutiertes Thema.
Den breitesten Raum nimmt dabei vermutlich die Umverteilungsdebatte ein. Ausgehend davon, daß genug Geld und Arbeit da sei, es nur nicht gerecht verteilt sei, ist der Streit über eine "gerechte“ Verteilung entbrannt.
Die Forderungen der Neue A-Klasse nach Jobs und Geld für alle bewegt sich in diesem Spielraum. Auch wenn sich die Forderungen für die Erwerbslosen und nach einerm garantierten Mindesteinkommen für alle von dem in den Medien wahrnehmbaren Mainstream des "Gürtel-enger-schnallens“ positiv abhebt.
Eine Debatte darüber, was und wann etwas gerecht ist, führt zu einer Ausgrenzungs- und Kontrollpolitik, solange als Maßstab die Verwertbarkeit in der warenproduzierenden Gesellschaft im nationalstaatlichen Vergleich gesetzt wird.
In die Frage nach gerechter Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums fügt sich die "ökonomischer Standort Deutschland sichern“ - Diskussion, genauso wie die Abschottungs- und Abgrenzungpolitk gegen Flüchtlinge und MigrantInnen, oder der Lauschangriff, sowie die erneuten Vorstöße für eine Verschärfung des §218, nahtlos ein.
Neue Arbeitskonzepte wie unentgeltliche Bürgerarbeit für den guten Zweck und zur Verbesserung der Annerkennung des sozialen Status, sogenannte kommunitaristische Konzepte, oder die Schaffung von mehr Arbeitsplätzen durch Arbeitszeitverkürzungen, mögen zwar zeitweise positive Auswirkungen auf das Wohlbefinden der Individuen haben, ändern jedoch nichts an den gesellschaftlichen Produktionsverhältnissen, die diese Probleme hervorbringen.
Letzteres gilt auch für die Entwürfe der ökologischen Steuerreform. Die Erfahrung zeigt, daß Steuerreformen grundsätzlich heißen: mehr Steuern zahlen, dadurch teurere Waren und ein weiteres Absinken des ohnehin miserablen Kontostandes, und kein Eintritt der geplanten "Verbesserungen“, da in der Zwischenzeit auch noch andere Löcher im Haushaltstopf aufgetreten sind, die durch die Steuermehreinmahmen gestopft werden konnten.
Eine Frage, die selten gestellt wird ist die , wofür überhaupt produziert wird und was der ganze Kokolores, der damit zusammenhängt, bewirken soll.
Eine ehrliche Antwort darauf wäre festzustellen, daß für ein anzweifelbares Profitinteresse produziert wird, und das damit eine Menge der bekannter Probleme entstehen, womit ja auch nichts neues verraten wird.

Cornelia Meier

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