Zum Verhältnis von Staat und Kapital aus autonomer Sicht
Kapitalismus als Krankheit und andere Übel
Es ist etwas im Busch. Nicht nur die kommerzielle Medienlandschaft
und ihre Lieblingsobjekte die PolitikerInnen haben mit der
"inneren Sicherheit ein neues Top-Thema, sondern auch die Antifas der Antifaschistischen Aktion/Bundesweite Organisation (AA/BO) stehen ganz im Zeichen von "Polizei- und Überwachungsstaat. Gegen diesen, oder besser noch: um diesen zu verhindern, starten
sie 1998 mit einer neuen Kampagne unter dem Motto: "Zusammen kämpfen gegen die Sicherheit der Herrschenden!.
Auftakt der Kampagne bildete eine Demonstration am 21. Februar
in Göttingen, zu der sich einige hundert Antifas in den Straßen
der Kleinstadt sammelten, Parolen riefen und sich anschließend
wieder zerstreuten. Nichts besonderes also, böte nicht das dazu
verbreitete Mobilisierungsplakat eine Krake mit Totenkopfschädel
in schlechtester Anti-Imp-Manier samt erklärendem Flugblatt
einen dringenden Anlaß, einige kritische Anmerkungen zum Staatsverständnis
der AutorInnen zu machen.
Die Erklärung der staatlichen Aufrüstung, ...
Vor der Kritik sei in Kürze die Argumentation des Flugblattes
wiedergegeben. Anlaß für die Kampagne ist eine beunruhigende Entdeckung
der organisierten Antifas: der Staat, in dem sie leben, scheint
sich zu einem Polizei- und Überwachungsstaat zu entwickeln. Das
ist für sie eine neue Entwicklung, die sie keinesfalls gut finden.
Und um etwas gegen diese Entwicklung tun zu können, machen sie
sich zunächst Gedanken um die Ursache dieser Entwicklung.
Dabei stoßen die eifrigen "Spiegel-LeserInnen im heutigen "totalen Kapitalismus (dieses und alle folgenden Zitate aus dem Aufruf der Antifa (M)
vom Januar 1998) auf ein Kapital, welches sich von der Abhängigkeit
"von seinem Territorium, dem Nationalstaat befreit (Stichwort Globalisierung). Und so wird der Staat in
hundsgemeiner Weise "gezwungen, von der Idee des Sozialstaates (...) Abstand zu nehmen. Und obwohl für "das Kapital eine Kompromißpolitik mit Gewerkschaften und Staat
nicht mehr notwendig ist, sieht der Staat in seiner Not offenbar keinen anderen Ausweg
als "die Krankheit (Kapitalismus) mit der Krankheit (noch mehr Kapitalismus)
zu kurieren.
Nun hat aber der Abbau des Sozialstaates den (offenbar unangenehmen)
Nebeneffekt, Unzufriedenheit und Existenznot zu produzieren. Damit
sein Volk jedoch auf keine dummen Gedanken kommt, leiert der Staat
eine riesige Lügenkampagne an: Nicht er will Schuld an der Not
seines Volkes sein, sondern die Kriminellen, die Ausländer etc.
sollen es sein. Und so manipuliert, wie nach Meinung der Antifas
hier eh alle sind, riechen nur ganz wenige den Braten, unter anderen
natürlich sie selbst.
Wir sind damit auch schon fast am Ziel, erklärt zu bekommen, warum
der Staat sich so martialisch aufrüstet. Unter dem Vorwand, sich
gegen "Kriminelle und Ausländer wehren zu müssen, wappnet er
sich eigentlich für "die zunehmende Bekämpfung möglichen Widerstandes gegen die herrschende
Politik. Und wer hier als möglicher Widerstand zunehmend bekämpft wird,
sei nicht verheimlicht: die Antifas selbst sind es!
Die Konsequenz dieser Einsichten liegt für die Antifas auf der
Hand. "Zusammen kämpfen gegen (den) Polizei- und Überwachungsstaat.
... ihre Kuriositäten ...
Das heißt: wir alle, die wir irgendwie links sind, müssen zusammen
mit den verfolgten Antifas gegen eine Aufrüstung des Staates kämpfen,
welche ihrerseits aus dem (vielleicht auch nur projektierten)
Kampf gegen den Staat resultiert. Dieser Zirkelschluß ist für
Außenstehende ebenso verblüffend, wie er für die Antifas wichtig
ist. Verblüffend ist er, da der Grund für den Widerstand lediglich
auf den Widerstand selbst verweist, wichtig ist er, da sich die
Antifas auf diese Weise einerseits zugleich als Opfer wie als
Täter fühlen dürfen (der Angriff des Staates rechtfertigt den
Widerstand) und andererseits daraus keine grundsätzliche Staatskritik
erfolgen muß, die prinzipielle Bündnisfähigkeit mit sog. bürgerlichen
Kräften erhalten bleibt.
Und wo bleibt die Kritik der Antifas am Kapitalismus? Wie eben
gezeigt wurde, ist diese nicht unbedingt notwendig, um eine Kampagne
der AA/BO zu begründen. Weder im Gerangel mit den Faschisten,
noch in der Auseinandersetzung um die Aufrüstung des Staates ist
sie für die praktischen Aktionen von belang. Dennoch bildet die
verschrobene Kapitalismuskritik eine im folgenden zu beleuchtende
Grundlage des autonomen Gemeckers am Staat.
... und grundlegenden Fehler
|
Der angstbesetzte Staatsfetisch tritt an die Stelle der Aufklärung
(KuK-Plakat zur Demo gegen den "Polizei- und Überwachungsstaat"
1998) |
Die theoretischen Versatzstücke der autonom-antifaschistischen
Kapitalismuskritik stammen noch von den Anti-Imperialisten der
70er und 80er Jahre. Denen war damals die Kritik der Produktion
für den Profit (Kapitalismus) nicht spektakulär genug und sie
begannen daher neben der Bewunderung kämpfender Menschen anderer
Länder die fixe Idee zu pflegen, man müsse nur zeigen, daß der
Staat gar nicht demokratisch sei, und die Bevölkerung würde beginnen,
die herrschenden Mißstände zu kritisieren. Damals wurde das mit
dem anschaulichen Bild beschrieben, dem Staat müsse seine demokratische
Maske von der kapitalistischen Fratze gerissen werden.
Auf diese Weise begann eine unselige Spaltung des Staatsbegriffs:
einerseits war er gekauftes Werkzeug finsterer Kapitalisten (auch
"Blutsauger genannt) und daher mit ebenso finsteren Absichten
ferngesteuert, andererseits wurde zugestanden, daß gegen einen
"wirklich demokratischen Staat nichts einzuwenden wäre. Auf diese Weise konnten sie erklären,
wieso der Staat einerseits offensichtlich die Interessen der Kapitalisten
vertrat (Bulleneinsätze gegen
), jedoch andererseits auch Mittel
zu deren Zähmung bereit hielt (soziale Absicherung etc.). Seitdem
scheuten tapfere Krieger (und z.T. auch Kriegerinnen) für die
Gerechtigkeit keine Mühe, den Staat zu martialischen, "undemokratischen
Reaktionen herauszufordern, zu entlarven und finden in der Repression
ihre eigentliche Bestätigung: gegen so etwas muß man sich doch
einfach wehren.
Kurz zusammengefaßt heißt das: Die fehlende Demokratie des Staates
als scheinbarer Hebelpunkt der Kritik an den herrschenden Verhältnissen
ist zugleich die Bestätigung des Staates als taugliches Mittel
für die eigenen Interessen. Nach dieser Ansicht könnte der "eigentlich
demokratische Staat die Kapitalisten in ihre Schranken weisen;
aus den Staatskritikern entpuppen sich Staatsverbesserer.
Und der Zeigefinger!
Umgekehrt wird hingegen ein Schuh draus: Der Nationalstaat ist
der gesellschaftliche Rahmen der Produktion für den Profit und
sichert die Reproduktion der hiesigen Verhältnisse. Als "ideeller Gesamtkapitalist (Marx) ist ihm die Profitschinderei zum Zweck gesetzt, verwendet
er die Repression ebenso wie die soziale Absicherung als Mittel
und gerät mit einzelnen Kapitalisten in einen Interessenkonflikt,
wenn diese die Grundlage ihrer Produktion zu zerstören drohen.
Sein Lebensquell ist die Sicherung des Eigentums nach innen und
außen als Voraussetzung für die Profitproduktion (sei diese privat-
oder staatswirtschaftlich organisiert).
Wer in dem Widerspruch zwischen Staatsideologie und -auftreten
sein Mittel zur Kritik der herrschenden Verhältnisse findet, sei
es in der Form des demonstrativen Angriffs, sei es in der Form
der Bettelei um Zugeständnisse, verstellt sich damit (aber nicht
nur damit) das Verständnis des Zusammenwirkens von Staat, Kapital
und Proletariat in einer blinden Produktion für den Profit. Wer
dem (National-) Staat prinzipiell seinen guten Zweck bescheinigt,
lediglich in der heutigen Gesellschaft mißbraucht (z.B. von Kapitalisten
gekauft) sieht, wird auch der hiesigen Warenproduktion etwas Gutes
andichten können.
Nur das Beharren auf das konkrete Interesse nach einer selbstbewußten
Befriedigung der Bedürfnisse jedes/-r einzelnen liefert die Grundlage
für die Kritik einer Gesellschaft, die den Menschen nur noch als
Mittel zur Produktion abstrakten Reichtums kennt. Das Geschrei
von der Faschisierung bzw. der behaupteten Mutation des Staates
zum Polizei- und Überwachungsstaat aber will davon nichts wissen.
Carla Schweisser
"An den Ostgrenzen der BRD (
) wird (
) die Bevölkerung zur Flüchtlingshatz
gezwungen. Anmerkungen zum Verhältnis vom Staat zu seiner Bevölkerung in
einer der nächsten Ausgaben der GegenDruck. |