ich glaube, ihr habt das Kinde mit dem Bade ausgeschüttet’!Sven Glückspilz 4, 29.11.1997
Auch wenn ich im folgcnden euren 'I'cxt kritisierc, mhchtc ich dodi nicht vers5urnen zu erawähnen, daß ich darin auch vieles gut fand, elwa weiterhend eure Ausführungen zur Zensur, euren Kritikvorschlag an 'lettclknechts' Text (PRP,Kap.8), cure scharfc formale Analyse des Textes, eure Analyse von Bild Text und deren Wirkung, euer Ansinnen, frischen Wind in den moralisiercnden Stillstand der radikalen Linkcn zu tragen...
Auf der Ebene sprachlicher Sinnzusammenhänge möchte ich hier betonen, daß auch ich mich in der Falle der Doppelmorul wiederfinde, wenn es um Sexualität geht (vgl. PdcP,Abs.l37ff. Ich habe einerseits eine ideelle Sex-ldentität, die von politischen und moralischen Vorstcllungen geprägtt ist und enggekoppelt ist an Begriffe wie I.iebe, Intimitit, Harmonie, Sanftheit; andererseits habe ich eine materielle (mannliche) Sex-Identiät, dcren Lustgefühl z.B. von öffentlich verfügbare Frauenkorp~ angeregt wird und dabei überhaupt nicht 'p.c.' ist.
Ihr stellt nisei Senmlitils-Konzepte antagonistisch gegeneinander, wobei ihr das cine van Absatz zu Absatz (McP133-136) konstruiert und seines Kontextes entkleidet, so daO aus dcm Ausgangspunkt, dern mm (Sexual-) Objekt degradierten iiffentlich dargcstellten nacktcn Frauenkorper (Zitat aus dern 'HH'-Papier) mirnichts dirnichls der "Sex nur der Lust wegen" wird, was nicht nur etwas ganz anderes ist, sondem auoh van den 'HH' nicht gemeint und somit auch nichl angegriffen imrde (Daß ihr mittenrein in cure Argumcntationslinie cine Kapitelüberschrift '5.1.2.' setzt, Bndert am Zusammcnhang nichts ivesentliches). Sodann demontiert ihr das erstere der Konzepte - wohlgemerkt, ohne es ausdrücklich 0r falsch zu erklären, sondem durch rhetorische Abwcrtung -, woraus im Umkehrschluß zu folgern w5re, ihr wtirdct das letztere Air richtig(er) ha11en. Wobei diese 'letztere' im Wortsinne der 'Sex der Lust wegen' ist, in den Zusammcnhang gestellt aber zudem das, was die 'HH ' in euren Augen verbielen wollen. Da ihr hier aber fatalerweise die oben beschriebene Gleichung aufgemacht habt, hlcibt cuch nichts obrig, als zu glauben, was ihr an anderer Stelle auch schreibt: Den 'HH' gehe es darum, daB Sex "weder in Wort noch Bild erfa0l werden soll (...), sondem nur im dunklen Hinlerzimmer oder in der hintersten Himwindung stattfinden kann"; far sic genre Sex "nicht in das 6ffentliche sauberc Leben": letztlich suggeriert ihr, sic eilrden geme "verhindcrn, daB as weiterhin Sex in dieser GesellschaA geben wird" (PHD,Abs.96/118). \Jmgekehrt wird cin!ichuh draus: lhr wollt euch sich' nicht geme unlcrstellen lassen, ihr plädiertet für die dlTcntliche 'Degradierung der Frau zum Objekt', nicht wahr!'! Drum spar ich mir diese Polemik.
Der Antugonismus in meinen eigencn Sex-Identithten hat zumindest eine (hoffentlich) positive Folic: Da ich am eigencn Imib erlcbe, wic waning er sich durch richtige:Analyse nutheben 1A0l, erlaube ich mir nicht so ohne weiteres, objektivierende Verglciche heranzuziehen, wie ihr das z.13. in (P&P,Abs.97) tut. Dort tut ihr cuch kcinen Ciefallcn, wcnn ihr schreiht, die Darslcllung van Nazis in einem Antifa-Buch sei letztlich dasselbe (lies: harmlos) wie die Darstellung von lwlicbiger Sexualität im 'richtigen' Kontext. Da scid ihr aber Opfer des ron der Arranca benannten 'scxualmoralischen Vcvdrangungszusammenhangs', denn ivcnn ihr an dicscr Stclle wcitergdacht hättet, wäret ihr darauf gekommen, daß auf die ebenso platte wie wahre Erkcnntis der Kontcxt-Bnicutung die Analyse v.hmjencs Kontcxt lolgen sollte, ivas im konkrelen Fall bedcutet:
Daß ein Bild, das faschistische Asthetik transporticrl, cin Antil'a-Buch nicht zum Fascho-Buch macht, licgt clan am untcrstclltcn Kontcxt, der beinhaltct, da0 Antifaschistlnnen hinreichend immun sind gcgiv faschistische Asthetik. ((Jbrigcns bemQhen sich antifaschistische Bilder, die in den brciteren gesellschalllichen Kontex1 getragen werden, ofl darum, das Häßliche, Abstoßende der Faschisten zu betonen. Wurum wohl?) Und wenn ein l3ild objekloricnlicrtv .‘iexualitil (im Patriarchat sind die Rollen dabei klar verteill) darstellt, so macht as das Medium seiner Vcröffentlichung genau dann zum nicht-sexistischcn Medium, wcnn seine Konsumentlnncn nichts am Hut haben mit sexistischcr Asthetik. Und wo, bittcschön, kann das angcnommen werden? Etwa in der linksradikalen Szene? Das werdet ihr wohl kaum bchauplce ivollcn. Nun muß daraus nicht glcich der Schluß gcxogcn werden, die Arranca sei deswepen sexistisch. Es kann aber der SchluB gezogen werden, 'die Unglücklichen' hätten hier zugunstcn eingängiger Rhetorik cut gcnaucres Nachdcnken verxichtet, das sic zu den intcressantcn Punktm geführt hätte: Was unterschcidet den Kontcxt des 'Nazi-Bildcs' vom Kontcxt des 'Sex-Bildcs', und warutn ist der reale Kontext des 'Nazi-Bildes' relativ einfach darstellbar, wütend der Kontext des 'Sex-Bildes' zu lingeren Uberlegungen, Verstrickungen auch emotionaler Art, Widersprüchcn, Anfällen van Gedächtniszwang, Verdrägngung und Katharsis etc. führt - jcdenfalls bci mir!'!
Wenn ihr euch 'die Unglucklichen' nennt, so verstehe ich das - wie gesagt, vorbehaltlich eincs Rezuges auf 'Die Legume von...', den ich nicht kenne - als Verortung von euch selbst im Szene-Diskurs. Ihr nehmt dabei cine Opfer-Haltung ein, die mich anp,esichts cures scharfen sprachlichen Schwertes etwas verwundert. Ja, stimml schon, ich bin auch unglucklich iver vicles - nicht nur die Argernisse der 'großen Gesellschaft' ringsrum, sondem auch vieles in der Szene macht mich unglücklich. Nicht zuletzt ihr rigoroser Moralismus, den ihr zurecht ankrcidet. Doch da ist er schon wieder, der Kontcxt: Von feministischer Zensur gequalte Kreaturen schreien mir aus curer Namensgebung flehend entgegen... hui, wie polemisch. Ich habe mich auch schon danebenbenommen und wurde als dies und das gebrandmarkt und habe mich draher geärgert und habe gemerkt, dail der Oeruch van Selbstmitletd da rein gar nichts verbessert, im (iegenteil. Im Kontext des Geschlechterverhlltnisses schafft er mir darüberhinaus ungebetene Freunde, denn von Männern kommt nach der Aggression gegen Frauen meistens Selbstmitleid, und darin sind sie genau solidarisch. Ist ein schwieriges Terrain, denn aus Angst var Beifall van der falschen Seite soll ja auch niemand die Klappe halten müssen...
Überhaupt, die Identiläten der AutorInnen geben mir zu denken, aber anders, als es in eurer Antwort aut Kermit u.a. in der Interim 438 (27.11.97) zu lesen steht (seine ungenauen Attacken habt ihr aberzeugend pariert). Was mir auffiel bei eurem PkP-Text war die Konstruktion eines (Sprach-)Duells zwischen euch und den '15l', die nicht explizit, aber doch unterschwellig einfloß. So habt ihr euch bemüht, die Gegnerlnnen großer zu machen, indem ihr mehr als einmal betont, welch adiger Gegner die 'FBI' auf eurem Terrain der Textanalyse sind (P&P,Fußnotcl 1,Abs.39,62,178,246; Text in der Interim 438,Abs.20). Manchmal schimmert die 'Angst des dekonstruktiistischen Torwarts beim identittiren Elfmeter' durch, will sagen: die 'Identiäts-Politik'-Position wird bedrohlich dutch "Vetopoiver", "Hegemonie", "Gralshüterinnen", "Machtpolitik".
Ich will hier eurn Begriff der Hegemonic angreifen. Allzu glatt konstaliert ihr die "(Hegemonie) identititspolitische(r) Positionen von Frauen und Lesbengruppen (...) in Diskussionen über Sexismus, Patriarchat, Geschlechterverhaltnis, Gen- & Reproduktionstechnologien und im Gesundheitsdiskurs" (P&P"ABS 36). Es ist richtig, daß die veröffentlichte Meinung' der radikalen Linken diesbezuglich klar dominiert wird von Positionen aus dern feminislischen Diskurs-übrigens sowohl identitär als auch dekonstruktivistisch, nur ist letzteres noch nicht so verbreitct, unveil jünger -, und es ist auch richtig, daß es innerhalb der linksradikalen Öffentlichkeit einer, sehr geringen Spielraum für abweichende Positionen gibt. (renauso richtig aber ist, und das ignoriert ihr leider, daß nirgeens sonst in der linksrudikalen Szene die Doppelmoral so gfestigt ist. Der Spagat zwischen offizieller Meinung und personlicher (privater) Realitat ist oh so groß, daß lieber geschwiegen wird. Die Gründe datür sind nicht nur Furcht vor Strafe, sondem auch wesentlich Hiltlosigkeit gegenilber der erkannten Widersprüchlichkeit, Angst vor dern Nicht-Erfüllen autonomer Leistungsnormen ('Wir sind die neuen Menschen'...'), Bequemlichkeit, oder auch die Sortie, mißverstanden zu werden -oder ouch nichl mißverstanden, sondcm grenz richtig verstanden zu werden, wenn marm ((war der auch mal frau?) meint, logisch-revolutionär zu argumentieren und sich plötzlich im Verein mit patriachalen Stanndardpositionen wiederfindet (etwa "Nicht alle Frauen fühlen sich durch diese Bilder verletzt" .. eure Kapitelüberschrift 5.2)
So kommt es daß, ihr recht habt, aber auch die Gegenposition (z.B. van Ida F.) richtig ist. Was lernen wir daraus? 'Diskurshegemonie' ist schon und gut, aber sie sagt nicht notwendig etwas aus aber reale Machtverhältnisse (wie auch Kermit in der Interim 437 treffend bemerkte). Nur weil jeder Szene-Mann sofort Anti-Pat-Forderungen unterschreiben kann, ist er für (Szene-)Frauen noch lange kein verlträglicher Partner im taglichen Kampf gegen patriarchale Rollenzuweisungen. Die Frauen in der autonomen Szene befinden sich in einem unveränderten Kampf gergen den Druck dieser Rollen; er mag mal starker, mal schwächer, mal bewußter, mal weniger sein, aber das Kampfverhältnis bleibt bei aller 'Diskurshegemonie' bestehen, und es liegt bestimmt nicht an uns Szene-Mannern, daß das Patriarchat überhaupt ein linksradikales Kampf-Terrain ist.
Und dann das Lamentieren über die "szenetypische Intellektuellenfeindlichkeit" (P&P,Abs.248), also nee... da haben 'die mutlosen' in der Interim 438 schon etwas zu gesagt, ich möchte hinzufügen: die Szene ist m.E. van Intellektuellen doininiert, sowohl personell als auch diskursiv, und Intellektuelle sind leider auch sich selbst feind, weil sie die Sprache als Konkurrcnz-Terrain fur soziale Statuskämpfe ausgemacht haben. Das Problem ist nicht die mangelnde oder nicht mangelnde Intellektualiät der autonomcn Menschen, sondem die Unbeweglichkeit in den Köpfen, die wenig oder nix damit zu tun hat, wieviele Fußnoten und Quellenverweise jemand anzubieten hei. Gerade die I'orm, in der ihr argumentiert, bietet wieder schon viel Gelegenheit, sich da gegenseitig zu Übertrumpfen (ich bekenne: ich habe bei Judith Butlers 'Unbehagen der Geschlechter' nach zwanzig Seiten aufgehort - zu viele Fremdworte).
Und: Haben oder nicht haben. Der Besitz von Informationen ist schon ein zentraler Punkt in der heutigcn Gessellschaft, und in der autonomen Szene erst recht. Informationshierarchien sind van großer Bedeutung fur den sozialen Status hei uns - wen wunderts, materielle Statussymbole giht es ja kaum, höchstens eine umfangreiche Buch- ader Textsammlung, so als Zwischending zwischen materiellem und informationellem Besitz. Klingt schlecht? Wird schlechtcr, denn die materiellen Besitztümer erfreuen sich ja auch nach und nach wieder größerer Beliebtheit.
lnsofem muß ich meine ketzerisehe Frage aus Fußnote 3 bezüglich der Überbewertung van Info-Medien bzw.- Ideen in der Szene relativieren. Die Information droht zu einem Fetisch zu werden, und das heißt auch (schlagt mich mit Kapital-Bounden), daß sie ihres Gehalts entkleidet nur noch Wert repräsentiert, während ihr Inhalt nicht mehr so wichtig ist. Es ist darum nur folgerichtig, daß wichtige, emotionsgeladene und folgenreiche Kämpfe in der Szene um das Haben ader Nicht-haben van Informationen gehen. Das Unterdrücken von Informationen, schon früher (im Konzept der 'Gegenöffentlichkeit') als Gewaltverhätnis erkannt, ist also ein nicht zu unterschätzender Machtfaktor auch innerhalb unserer Szene, und insofem finde ich eure Sensibilität zum Thema Zensur sehr erfreulich und den Empfang der '1Bf mit dern Thema Zensur - soweit er sich mir aus dern PdtP-Text erschließt - kritisierbar. Ich würde jedoch sagen: Entweder das Vorgehen der HamburgerInnen im Falle Arranca war entgegen ihrer eigenen Meinung kein eindeutiger Fall van Zensur, aber aber 'Zensur' ist kein unteilbarer Begriff van stets gleicher (auch ethisch-moralischer) Bedeutung in der Praxis, sondem kann verschieden bewertet werden. Das Nicht-Verkaufen einer Zeitschrift an einem Ort ist (in meinen Augen eine vertretbare Entscheidung) je nach Kontext des Ortes, brisant wird das erst durch den Aufruf zur allgemeinen Unterdrilckung der Zeitschrift.
Wenn ich es fur gnundsätzlich unfair erkläre, van Menschen zu erwarten, daß sie bestimmte mögliche Gegenstandpunkte zu ihrer Meinung unaufgefordert mitbedenken, tue ich ihrer Denk- und Diskussionsfähigkeit keinen Gefallen. Das gleiche gilt selbstmurmelnd für das Gegenteil, also für das grundsdtzliche Erwarten solchen Mitbedenkens. Und was ihr logisch findet, müssen andere noch lange nicht logisch finden. Wenn ihr z.B. meint, es sei logisch, daß ihr hei einer Kritik von Identitätskonzepten eure eigenen Identiäten nicht zum Gegenstand van Selbstkritik macht (Text in Interim 438,Abs.3), so finde ich, daß das gerade unlogisch ist. Ich finde es hingegen logisch, daß ich eine Kritik an Identitäskonzepten gerade bei meiner eigenen Identist beginne (wie es im Gegensatz zu euch der feministische Diskurs versucht).
Seid ihr wirklich der Meinung, es bedürfe innerhalb des linken Diskurses einer ausdrücklichen Erwähnung, daß die Klassifizierung eine' Billies als "pornographisch" bzw "sexistisch" impliziert (= einschließt), daß Frauen sich von dern Bild verletzt fühlen? Ich unterstelle cher, daß die '1B-I' in ihrem Text von einem Bedingungshinlergrund (vgl. meine Fußnote 9) ausgehen, der die teministische Diskussion um Pornographie und deren aktuelle gesellschaftliche Bedeutung beinhaltet. Und was den Bild-Kontext angeht, so verweise ich auf den letzten Teil meiner Fußnote.
Ich sage night, daß mir eure Interpretation widerlegt oder granz abwegig erscheint, doch sie ist nur eine mögliche, und andere sind einfacher und brauchen weniger Verschwörungstheorie. Weiter schreibt ihr "5. 2. Nicht alle Frauen fühlen sich durch diese Bilder verletzt" (gemeint sind die Bilder in der Arranca)... Ihr seid klug genug, um zu wissen, daß dieser Satz prowokativ ist, weil er an sich eines der banalisten Standardargumente gegen jeden Versuch ist, Rollenverhältnisse anzugreifen. Nicht die Arbeiter fühlen sich ausgebeutet, nicht alle Schwarzen leiden unter Rassismus (Roberto Blanco!), und so weiter. Wenn es um Geschlechterverhältnisse geht, ist dies auch in der Szene ein penetrantes Rechtfertigungsargument van Männern. Das hättet ihr (vgl. Fußnote 9) mitbedenken sollen. Oder habt ihr es mitbedacht?
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