TATblatt


Warum...

ist Armut weiblich?

... sind in Österreich besonders Frauen arm oder armutsgefährdet?

Wie nationale Berichte der Wohlfahrtsverbände und Sozialprojekte, aber auch europäische Dokumentationen belegen, stellen Frauen in allen armutsgefährdeten Risikogruppen die Mehrheit der Betroffenen dar: Erwerbslose, Behinderte, die Gruppe der "working poor", Alleinerziehende, Jugendliche, Menschen in der Lebensmitte, Migrantinnen, Flüchtlinge, alte Menschen.

von einer Mitarbeiterin des Vereins "Frauen beraten Frauen"; entnommen aus: Die Alternative (Zeitung der unabhängigen GewerkschafterInnen im ÖGB)

Obdachlose und bettelnde Menschen sind nur die Spitze des Eisbergs. Die neue Armut ist still und verschämt und weiblich. Nach außen hin wird meist der Anschein "ordentlicher" Lebensführung gewahrt, real aber sind Arme in unserer Gesellschaft vom sozialen Leben (Weiterbildung, kulturelle Veranstaltungen, Kino, Besuch öffentlicher Lokale, Einladungen, Urlaub, .... ) weitgehend ausgeschlossen, isoliert, verzweifelt und kaum in der Lage, sich aus dieser Situation zu befreien. Die übermäßigen Risiken von Frauen, zu verarmen und arm zu bleiben, entspringen nicht einem einzigen eindeutigen Einflußfaktor, sondern einer Vielzahl bzw. der Kumulation von Gefährdungen:
 

Arbeitsmarkt

Frauen werden arm, weil sie am Arbeitsmarkt benachteiligt werden:

Frauendiskriminierende betriebliche Einstellungs- und Personalpolitik, Unterbezahlung und Lohndiskriminierung, Abdrängung in (unfreiwillige) Teilzeitarbeit und schlechter gestellte Beschäftigungsverhältnisse, die "gläserne Decke", an die Frauen beim beruflichen Aufstieg stoßen - all dies ist längst nicht überwunden, sondern auch heute noch bittere Realität. Die Branchen, in denen hauptsächlich Frauen beschäftigt sind, sind meist Niedriglohnbranchen. Arbeiterinnen in der Textil-, Leder- und Nahrungsmittelindustrie, Friseurinnen und Floristinnen gehören zu den "working poor". Sozial schlecht abgesicherte Werkverträge und freie Dienstnehmerinnen-Verträge werden immer stärker an Frauen vergeben.

Frauen über 40 - oft Berufswiedereinsteigerinnen nach der Familienphase - haben es besonders schwer, einen Erwerbsarbeitsplatz zu finden. Aber auch junge Frauen sind immer noch benachteiligt. Obwohl sie gleich gute und bessere Schulabschlüsse als Buben haben, sind zwei Drittel aller Jugendlichen ohne Ausbildungsplatz Mädchen.
 

Biografie

Frauen werden arm, weil sie keine "normale", d.h. männliche Erwerbsbiografie haben. Frauen werden durch die lohn- und beitragsorientierten Sicherungssysteme diskriminiert, da diese auf sogenannte "normale", das heißt männliche, Arbeitsverhältnisse zugeschnitten sind. Eine ausreichende Absicherung im Alter, bei Krankheit und Erwerbslosigkeit ist nur bei durchgehender Vollzeiterwerbstätigkeit und durchschnittlichem Einkommen gewährleistet. Die von Frauen erbrachten Erziehungs- und Pflegeleistungen werden überhaupt nicht oder nur unzureichend angerechnet. Die Folge davon ist, daß alte Frauen häufig in Armut leben:
ca. 80% der über 65jährigen SozalhilfeempfängerInnen sind weiblich. Die mittlere Alterspension einer Österreicherin betrug 1997 öS 7.900,-. Mit der Anzahl der Kinder sinkt die Höhe der durchschnittlichen Eigenpension von Frauen.
 

Beziehungen

Frauen werden arm, weil sie die Hauptlast der Haushalts-, Beziehungs-, Pflege- und Familienarbeit tragen.

Einer der Faktoren der Armutsübertragung und -gefährdung ist die unfaire Aufteilung der unbezahlten Arbeit innerhalb der Familie und der Mangel an staatlichen Rahmenbedingungen, um Frauen Erwerbsarbeit zu ermöglichen. Vielen Frauen - besonders am Land - bleibt aufgrund fehlender Kinderbetreuungsmöglichkeiten, eines schlechten öffentlichen Verkehrsnetzes und mangelnder Weiterbildungsmöglichkeiten gar nichts anderes übrig, als zu Hause bei den Kindern zu bleiben. Alleinerzieherinnen und Mütter mehrerer Kinder gehören zu den am stärksten armutsgefährdeten Gruppen in Österreich. Gründe dafür: das gekürzte Karenzgeld, Altersabsicherung, der Mangel an guten Kindergärten - in Österreich fehlen 140.000 Kinderbetreuungsplätze!

Die Armutsquote von Familien sieht folgendermaßen aus (Schmidleithner 1997):

wenn Frauen erwerbstätig sind bzw. wenn Frauen nicht erwerbstätig sind

 1997 galten doppelt so viele erwerbslose Frauen wie Männer für das AMS als schwervermittelbar. Der Grund: "Mobilitätseinschränkungen", d.h. fehlende Kinderbetreuungsmöglichkeiten.
 

Einkommen

Frauen werden arm, weil sie weniger verdienen als Männer.

In Österreich verdienen Frauen im Durchschnitt um 44 % weniger als Männer, rechnet man alle Einkommensarten zusammen, verdienen sie sogar um 75% weniger. Jüngste Daten des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger haben ergeben, daß im letzten Jahr bei Männern die real verfügbaren Einkommen um 0,1% gesunken sind, bei Frauen aber um das Zehnfache, nämlich um 1%! Entsprechend niedriger ist auch ihr Einkommen in Form von Arbeitslosenunterstützung, Notstandshilfe (bemessen nach dem Einkommen des Mannes!), Krankengeld, Pension .... Nach Angaben der Europäischen Kommission erhalten 33% aller vollerwerbstätigen Frauen Löhne unterhalb der Schwelle dessen, was als "gerechter Lohn" gilt. Gerecht im Sinne der Europäischen Kommission sind Löhne, die oberhalb der 68%-Marge des nationalen Durchschnittslohnes liegen. (Kontraste, September 97)
 

Staatliche Benachteiligung

Frauen werden arm aufgrund der Sparpolitik der Regierung.

Aufgrund der Sparpakte entstehen Sicherungslücken im sozialen Netz, die Frauen überproportional betreffen: z.B. unzureichendes Berufsbildungsangebot, Einschränkung der realen aktiven Arbeitsmarktpolitik, Mangel an Kinderbetreuungsplätzen, Einsparung von kommunalen Pflegediensten, Schließung von Krankenhäusern, Verschlechterung des öffentlichen Nahverkehrsnetzes, Kürzungen bei frauenspezifischen Sozialprojekten, etc. Sozialleistungen wurden gekürzt bzw. abgeschafft - Karenzgeld für Alleinerzieherinnen, Kinderbetreuungsbeihilfe. Geburtenbeihilfe - oder nicht an die Inflation angepaßt (Karenzgeld).
 

Marktwirtschaft

Frauen werden arm aufgrund der Deregulierung des Arbeitsmarktes. Der öffentliche Dienst hat zwar dafür gesorgt, daß Frauen hier weniger Einkommensdiskriminierung erfahren als am Privatsektor - aber gerade hier herrscht Aufnahmestopp. Die Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten hat zur zunehmenden Abdrängung von Frauen in unfreiwillige, keineswegs familienfreundliche Teilzeitbeschäftigungen am Abend und am Samstag geführt. 27% der Frauen arbeiten inzwischen in Teilzeitjobs, die nicht existenzsichernd sind.
 

Gewalt

Frauen werden arm, weil sie mit gewalttätigen Lebenspartnern zusammenleben.

Oft hängen Armut und Gewalterfahrungen zusammen. So geht aus einer Untersuchung des Vereins "Frauen beraten Frauen" (1997) hervor, daß 82,5% der Klientinnen der Wiener Frauenberatungsstelle, die an einem Projekt gegen Armut und soziale Ausgrenzung teilnahmen, in ihrem Leben Gewalt erfahren haben. Die massiven Erhöhungen der Wohnungskosten in den letzten Jahren, zunehmende Erwerbslosigkeit und Kürzungen von Sozialleistungen sind dafür verantwortlich, daß Frauen sich aus finanziellen Gründen immer weniger in der Lage sehen, sich von gewalttätigen Lebenspartnern zu trennen. Andererseits trägt die Gewalterfahrung zu gesundheitlichen Belastungen, Depression, sozialer Isolation und damit wiederum zur Arbeitsplatzgefährdung und zur Zementierung der Situation bei - ein Teufelskreis.
 

StaatsbürgerInnenschaft

Frauen werden arm, wenn sie als Migrantinnen in Österreich leben.

Da Migrantinnen meist keine eigenständige Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung haben, sind sie in noch höherem Ausmaß als Inländerinnen von ihren Ehemännern abhängig. Im sozialen Sicherungssystem haben sie kaum eine Chance, da Bedürftigkeit als Ausweisungsgrund gilt.
 


aus: TATblatt nr. +106 (18/98) vom 26. november 1998
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