von einer Mitarbeiterin des Vereins "Frauen beraten Frauen"; entnommen aus: Die Alternative (Zeitung der unabhängigen GewerkschafterInnen im ÖGB)
Obdachlose und bettelnde Menschen sind nur die Spitze des Eisbergs.
Die neue Armut ist still und verschämt und weiblich. Nach außen
hin wird meist der Anschein "ordentlicher" Lebensführung gewahrt,
real aber sind Arme in unserer Gesellschaft vom sozialen Leben (Weiterbildung,
kulturelle Veranstaltungen, Kino, Besuch öffentlicher Lokale, Einladungen,
Urlaub, .... ) weitgehend ausgeschlossen, isoliert, verzweifelt und kaum
in der Lage, sich aus dieser Situation zu befreien. Die übermäßigen
Risiken von Frauen, zu verarmen und arm zu bleiben, entspringen nicht einem
einzigen eindeutigen Einflußfaktor, sondern einer Vielzahl bzw. der
Kumulation von Gefährdungen:
Frauendiskriminierende betriebliche Einstellungs- und Personalpolitik, Unterbezahlung und Lohndiskriminierung, Abdrängung in (unfreiwillige) Teilzeitarbeit und schlechter gestellte Beschäftigungsverhältnisse, die "gläserne Decke", an die Frauen beim beruflichen Aufstieg stoßen - all dies ist längst nicht überwunden, sondern auch heute noch bittere Realität. Die Branchen, in denen hauptsächlich Frauen beschäftigt sind, sind meist Niedriglohnbranchen. Arbeiterinnen in der Textil-, Leder- und Nahrungsmittelindustrie, Friseurinnen und Floristinnen gehören zu den "working poor". Sozial schlecht abgesicherte Werkverträge und freie Dienstnehmerinnen-Verträge werden immer stärker an Frauen vergeben.
Frauen über 40 - oft Berufswiedereinsteigerinnen nach der Familienphase
- haben es besonders schwer, einen Erwerbsarbeitsplatz zu finden. Aber
auch junge Frauen sind immer noch benachteiligt. Obwohl sie gleich gute
und bessere Schulabschlüsse als Buben haben, sind zwei Drittel aller
Jugendlichen ohne Ausbildungsplatz Mädchen.
Einer der Faktoren der Armutsübertragung und -gefährdung ist die unfaire Aufteilung der unbezahlten Arbeit innerhalb der Familie und der Mangel an staatlichen Rahmenbedingungen, um Frauen Erwerbsarbeit zu ermöglichen. Vielen Frauen - besonders am Land - bleibt aufgrund fehlender Kinderbetreuungsmöglichkeiten, eines schlechten öffentlichen Verkehrsnetzes und mangelnder Weiterbildungsmöglichkeiten gar nichts anderes übrig, als zu Hause bei den Kindern zu bleiben. Alleinerzieherinnen und Mütter mehrerer Kinder gehören zu den am stärksten armutsgefährdeten Gruppen in Österreich. Gründe dafür: das gekürzte Karenzgeld, Altersabsicherung, der Mangel an guten Kindergärten - in Österreich fehlen 140.000 Kinderbetreuungsplätze!
Die Armutsquote von Familien sieht folgendermaßen aus (Schmidleithner 1997):
wenn Frauen erwerbstätig sind bzw. wenn Frauen nicht erwerbstätig sind
Frauen werden arm, weil sie weniger verdienen als Männer.
In Österreich verdienen Frauen im Durchschnitt um 44 % weniger
als Männer, rechnet man alle Einkommensarten zusammen, verdienen sie
sogar um 75% weniger. Jüngste Daten des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger
haben ergeben, daß im letzten Jahr bei Männern die real verfügbaren
Einkommen um 0,1% gesunken sind, bei Frauen aber um das Zehnfache, nämlich
um 1%! Entsprechend niedriger ist auch ihr Einkommen in Form von Arbeitslosenunterstützung,
Notstandshilfe (bemessen nach dem Einkommen des Mannes!), Krankengeld,
Pension .... Nach Angaben der Europäischen Kommission erhalten 33%
aller vollerwerbstätigen Frauen Löhne unterhalb der Schwelle
dessen, was als "gerechter Lohn" gilt. Gerecht im Sinne der Europäischen
Kommission sind Löhne, die oberhalb der 68%-Marge des nationalen Durchschnittslohnes
liegen. (Kontraste, September 97)
Frauen werden arm aufgrund der Sparpolitik der Regierung.
Aufgrund der Sparpakte entstehen Sicherungslücken im sozialen Netz,
die Frauen überproportional betreffen: z.B. unzureichendes Berufsbildungsangebot,
Einschränkung der realen aktiven Arbeitsmarktpolitik, Mangel an Kinderbetreuungsplätzen,
Einsparung von kommunalen Pflegediensten, Schließung von Krankenhäusern,
Verschlechterung des öffentlichen Nahverkehrsnetzes, Kürzungen
bei frauenspezifischen Sozialprojekten, etc. Sozialleistungen wurden gekürzt
bzw. abgeschafft - Karenzgeld für Alleinerzieherinnen, Kinderbetreuungsbeihilfe.
Geburtenbeihilfe - oder nicht an die Inflation angepaßt (Karenzgeld).
Frauen werden arm aufgrund der Deregulierung des Arbeitsmarktes. Der
öffentliche Dienst hat zwar dafür gesorgt, daß Frauen hier
weniger Einkommensdiskriminierung erfahren als am Privatsektor - aber gerade
hier herrscht Aufnahmestopp. Die Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten
hat zur zunehmenden Abdrängung von Frauen in unfreiwillige, keineswegs
familienfreundliche Teilzeitbeschäftigungen am Abend und am Samstag
geführt. 27% der Frauen arbeiten inzwischen in Teilzeitjobs, die nicht
existenzsichernd sind.
Frauen werden arm, weil sie mit gewalttätigen Lebenspartnern zusammenleben.
Oft hängen Armut und Gewalterfahrungen zusammen. So geht aus einer
Untersuchung des Vereins "Frauen beraten Frauen" (1997) hervor, daß
82,5% der Klientinnen der Wiener Frauenberatungsstelle, die an einem Projekt
gegen Armut und soziale Ausgrenzung teilnahmen, in ihrem Leben Gewalt erfahren
haben. Die massiven Erhöhungen der Wohnungskosten in den letzten Jahren,
zunehmende Erwerbslosigkeit und Kürzungen von Sozialleistungen sind
dafür verantwortlich, daß Frauen sich aus finanziellen Gründen
immer weniger in der Lage sehen, sich von gewalttätigen Lebenspartnern
zu trennen. Andererseits trägt die Gewalterfahrung zu gesundheitlichen
Belastungen, Depression, sozialer Isolation und damit wiederum zur Arbeitsplatzgefährdung
und zur Zementierung der Situation bei - ein Teufelskreis.
Frauen werden arm, wenn sie als Migrantinnen in Österreich leben.
Da Migrantinnen meist keine eigenständige Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung
haben, sind sie in noch höherem Ausmaß als Inländerinnen
von ihren Ehemännern abhängig. Im sozialen Sicherungssystem haben
sie kaum eine Chance, da Bedürftigkeit als Ausweisungsgrund gilt.
aus: TATblatt nr. +106 (18/98) vom 26. november 1998
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