"Kampf gegen Rassismus ist auch Kampf gegen Gleichgültigkeit"
Karl Schlögl in: helping hands, Rassismusbericht
98/99, Wien Februar 99
"Ich schwöre, dass ich davon nichts gewusst habe,
und wenn mir das nicht geglaubt wird, dann tut mir
das leid."
Karl Schlögl nach dem Ministerrat vom 4. Mai
1999, ORF-Mittagsjournal 4.5.1999
Der Tod des Flüchtlings Marcus Omofuwan braucht nicht kommentiert zu werden. Sein Tod erscheint als logische Konsequenz der ständigen Verschärfung staatlicher Asyl- und Fremdenpolitik und der restriktiver werdenden Auslegung staatlicher Befugnisse. In Kenntnis von Murphy's Gesetz, wonach irgendwann einmal schiefgeht, was prinzipiell schiefgehen kann, war davon auszugehen, dass im Zusammenwirken einer immer größeren Zahl menschenverachtender Praktiken im Umgang mit MigrantInnen seitens der Behörden Menschen zu Tode kommen.
TATblatt
Marcus Tod ist erschütternd. Erschütternd ist jedoch auch die reichlich zynische Verantwortung der Behörden und des zuständigen Politikers sowie die Rechtslage, die es möglicherweise erlaubt, nach Abebben der Empörung zur Tagesordnung überzugehen.
"Waffengebrauchsgesetz"
Im Büro der Wiener Fremdenpolizei, aus deren Reihen die für
die Abschiebung zuständigen Beamten stammen, wird zur Entschuldigung
der Beamten auf das Waffengebrauchsgesetz (WaffGebrG) verwiesen, in dessen
Paragraph 4 von "Handfesseln oder technische Sperren" die Rede ist. Der
Entlastungsversuch ist aus zweierlei Gründen unsinnig: Zum ersten
sind in Par. 2 des Gesetzes jene Fälle genau geregelt, in denen der
Exekutive ein Einsatz von Waffen erlaubt ist. Darin ist unter Punkt zwei
von der "Überwindung eines auf die Vereitlung einer rechtmäßigen
Amtshandlung gerichteten Widerstandes" die Rede. Es gehört schon viel
Phantasie dazu, daraus eine Verbindung zur Abschiebung des Marcus Omofuwan
zu konstruieren, der aufgrund seiner Fesselung an Händen und Füßen
lediglich in der Lage war, verbal Widerstand zu leisten, also keine aktive
Handlung zur faktischen Verhinderung der Amtshandlung setzen konnte. Eine
auf Verhinderung der verbalen Artikulation gerichtete Maßnahme verstößt
grundsätzlich gegen das in der EMRK festgelegte Recht auf freie Meinungsäußerung
sowie das Verbot erniedrigender Behandlung. Darüber hinaus bestimmt
aber auch Paragraph 6 des WaffGebrG, dass "der durch den Waffengebrauch
zu erwartende Schaden nicht offensichtlich außer Verhältnis
zu dem beabsichtigten Erfolg stehen" darf. Ganz ohne Zweifel ist das Leben
eines Menschen höher einzuschätzen als die zwangsweise Durchsetzung
einer Anordnung zur Abschiebung.
Das WaffGebrG kann aber auch deshalb bei der rechtlichen Beurteilung
des Todes von Marcus Omofuwan nicht zur Anwendung kommen, weil darin auch
alle einsetzbaren Waffen angeführt sind. Von Klebestreifen ist nicht
die Rede. Und die bereits angeführten "Handfesseln" und "technischen
Sperren" werden im Gesetz ausdrücklich NICHT als Waffen bezeichnet.
Und um das WaffGebrG endgültig aus der Diskussion zu bringen:
Paragraph 7 und 8 des Gesetzes erlauben lebensgefährdenden Waffengebrauch
- und eine Gefährdung des Lebens von Marcus Omofuwan ergibt sich aus
dem Tod des Flüchtlings - nur in jenen Fällen, in denen die Betroffenen
eines Verbrechens überführt bzw. dringend verdächtig sind
und eine außerordentlich große Gefahr für die Allgemeinheit
darstellen. Marcus Omofuwan ist nicht einmal eines Vergehens beschuldigt
worden. Er ist im Anschluss an ein Asylverfahren abgeschoben worden ...
in den Tod!
Fahrlässige Tötung?
Gegen die Marcus Omofuwan in den Tod "begleitenden" Beamten wurde ein
Strafverfahren nach den Paragraphen 80 (Fahrlässige Tötung) bzw
312 (Quälen oder Vernachlässigen eines Gefangenen) eingeleitet.
Voraussetzung für eine Verurteilung wegen "Fahrlässiger Tötung"
ist die Vorhersehbarkeit des Todes eines Opfers. Eine solche Vorhersehbarkeit
ist etwa gegeben, wenn jemand mit Faustschlägen und Fußtritten
misshandelt wird. Ebenso vorhersehbar sind auch tödliche Spätfolgen
eines Verkehrsunfalls.
Ob eine Gefahr für das Leben eines Menschen vorhersehbar ist,
der mittels Klebeband geknebelt wird, werden Gerichte als Rechtsfrage klären
müssen. Die einfache Feststellung, dass Marcus noch lebte, wäre
er nicht abgeschoben worden, ist dabei jedoch nicht von Belang: Gerade
die Tatsache, dass Marcus nicht der erste Mensch ist, der geknebelt abgeschoben
wurde, ist seitens der Behörde Angelpunkt der Entschuldigungsstrategie.
Bisher ist eben noch niemand unter diesen Umständen gestorben.
Und trotzdem dürfte jemand die Gefahr, die von der Knebelung ausgeht,
gekannt haben: Aus der Ära Einem stammt eine Dienstanweisung, die
Knebelungen untersagt. Sie war erlassen worden, nachdem die Grünen
im Rahmen einer parlamentarischen Anfrage die Existenz einer derartigen
behördlichen Praxis behauptet haben (die Anweisung dürfte jedoch
nicht mehr in Kraft sein). Ausdrücklich strafbar nach Paragraph 80
StGB sind im Übrigen auch rechtmäßige Handlungen, deren
tödliche Folgen nicht rechtzeitig unterbunden wurden.
Bei einer Verurteilung nach Paragraph 80 StGB müssten die Marcus
Omofuwan begleitenden Beamten mit einer Haftstrafe bis zu einem Jahr rechnen.
Quälen oder Vernachlässigen eines Gefangenen
Nach Paragraph 312 zu bestrafen ist ein Beamter oder eine Beamtin, der/die
"einem Gefangenen oder einem sonst auf behördliche Anordnung verwahrten,
der seiner Gewalt unterworfen ist oder zu dem er dienstlich Zugang hat,
körperliche oder seelische Qualen zufügt". Die Qualen müssen
dabei nicht ausdrücklich durch körperliche Misshandlung hervorgerufen
werden.
Zur Verurteilung notwendig ist jedoch "bedingter Vorsatz": Die Beamten
müssen es zumindest für möglich gehalten haben, dass Marcus
Omofuwan durch das Verkleben des Mundes schwere Qualen erleidet und sich
dennoch dafür entschieden haben, es zu tun. Sollten sie in der Erwartung
gehandelt haben, dass die Qualen schon nicht so schlimm sein werden (obwohl
das angesichts der Panik, in die Marcus Omofuwan verfallen ist, kaum glaubhaft
erscheint), können sie nach Paragraph 312 nicht verurteilt werden.
Der Strafrahmen nach Paragraph 312 liegt aufgrund der Todesfolge zwischen
einem und zehn Jahren Haft.
"...dann könnte ja gar nicht mehr abgeschoben werden"
Die reichlichst ungenaue Rechtslage gepaart mit der vom Generaldirektor
für die öffentliche Sicherheit, Michael Sika, zumindest indirekt
eingestandene Deckung der Vorgangsweise durch hohe Polizeistellen wirken
als System, in der Todesfälle wie jener von Marcus Omofuwan nicht
nur möglich sind, sondern auch als rechtlich gedeckt dargestellt werden
können. Die Konzentration auf die Frage, ob Informationen über
eine Erkrankung des Flüchtlings an die amtshandelnden Beamten weitergegeben
wurden oder nicht, verdeckt die Tatsache, dass formalrechtlich illegalisierte
MigrantInnen grundlegende Menschenrechte nicht in Anspruch nehmen können.
Entscheidend ist nicht die Frage, ob im konkreten Fall eine Knebelung gegen
ein Gesetz verstoßen hat, sondern ausschließlich jene, ob es
überhaupt rechtlich gedeckte Gründe geben kann, Menschen zu knebeln.
Es gibt sie nicht, und diese Tatsache muss den JuristInnen des Innenministeriums
bekannt sein!
Minister Schlögel darf sich daher aussuchen, ob er zurücktritt,
weil er und seine leitenden Beamten rechtswidrige Vorgangsweisen gedeckt
haben, ... oder vielleicht, weil er unfähig ist, seinen Apparat unter
Kontrolle zu halten.
Faktum ist, dass Schlögl als Innenminister jenes Klima geschaffen
hat, in dem der Tod von Marcus Omofuwan möglich wurde!
aus: TATblatt nr. +115 (7/1999) vom 6. mai 1999
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